Ein "seismografischer Film" über die Schweiz
"Wintergast" heißt ein kleiner Schweizer Festival-Hit. Im Zentrum steht Stefan Keller, Regisseur mit Schreibblockade, der einen Job sucht. Die beiden Regisseure des Films Matthias Günter und Andy Herzog haben mit uns über ihren neuen Film gesprochen.
Patrick Wellinski: Sie hören Deutschlandradio Kultur mit "Vollbild" – dem Filmmagazin. Und jetzt mit einem Blick in die Schweiz. "Wintergast" heißt ein kleiner Schweizer Festival-Hit. Und im Zentrum steht Stefan Keller, 39 Jahre alt, Regisseur. Gewinnt mit seinem Kurzfilm den Schweizer Filmpreis und soll jetzt seinen ersten Spielfilm drehen. Aber es geht einfach nicht. Schreibblockade. Jahre vergehen, die Freundin verlässt ihn beziehungsweise will eine "Auszeit", und die Eltern wollen ihn nicht mehr mitfinanzieren. Und so sucht dieser Keller sich einen Job.
Er wird Jugendherbergstester und fährt so durch die winterliche Schweiz. Und dort, aus Zürich, um genau zu sein, sind mir die beiden Regisseure des Films zugeschaltet. Matthias Günter und Andy Herzog. Guten Tag!
Andy Herzog: Hallo!
Matthias Günter: Hallo!
Wellinski: Wann hatten Sie denn eigentlich das letzte Mal eine ähnliche Schreibblockade beziehungsweise so eine Kreativkrise wie Ihr Filmheld, Stefan Keller?
Günter: Kurz vor dem Film, würde ich sagen. Seitdem haben wir jetzt nicht mehr so wahnsinnig viel geschrieben, sondern eher gedreht und geschnitten, aber diese Schreibblockade, die sich auch zur Lebensblockade erweitert hat, war schon ein großes Thema, Jahre zuvor.
Wellinski: Die Frage lässt sich ja gar nicht wirklich vermeiden, weil man hat schon das Gefühl, dass der Film sehr stark autobiografisch erst mal angelegt ist.
Einfach ins kalte Wasser gehen
Herzog: Ist so. Wir beide haben gekämpft mit Schreibblockaden. In meinem Fall, ich spiele ja auch die Hauptrolle, ist es so, dass sich das Ganze dann auch noch wirklich auch fast zur Lebenskrise erweitert hat, weil es hat natürlich einen großen Einfluss, wenn man den Anspruch hat, was zu schreiben oder was zu realisieren, was so was Großes ist wie ein Kinofilm oder ein Buch zu schreiben, und man kommt nicht weiter, dann geht das schon auch aufs Selbstwertgefühl, auf Fragen überhaupt, wo geht es eigentlich hin mit dem Leben. Und irgendwann muss man aufhören mit dem Ganzen oder man geht einfach ins kalte Wasser und macht das einfach, so wie wir es gemacht haben.
Günter: Die Schreibblockade, die stand natürlich am Anfang von diesem Projekt, und das war eigentlich auch der Grund, da wir für uns für diese Drehmethode auch entschieden haben, um eigentlich sozusagen unsere Blockade auch zu überwinden.
Wellinski: Der Film blickt ja auf den Künstler ehrlich gesagt so ein bisschen wie auf eine prekäre Existenz. Man hat ja Mitleid mit ihm, das stimmt, und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass, wenn ein Künstler dann nicht regelmäßig etwas schafft, wenn er etwas zu präsentieren hat, dann wird er so ein bisschen von der Gesellschaft verstoßen. Die Leute sagen ihm auch, dass sie gar nicht wollen, dass er dieses Projekt mitfinanziert, die Produzentin sitzt ihm im Nacken und sagt, du hast noch drei Tage. Und irgendwie, so richtig kümmern tut sich keiner um so einen Künstler in der Krise.
Günter: Ja, das größte Problem ist natürlich, dass er sich auch selber isoliert, auch bewusst isoliert, weil er natürlich auch eine gewisse Scham verspürt, weil er so lange nichts mehr zustande bekam. Man muss ja auch dazusagen, er war schon mal erfolgreich, und da steht auch ein Riesenerwartungsdruck auch hinter ihm. Und es ist auch so – ja, in der Leistungsgesellschaft ist schon immer die Frage, was machst du eigentlich, mit was verdienst du das Geld. Und wenn man nichts vorzuweisen hat – ich kenne das auch von mir als Schauspieler früher, also wenn man im Engagement ist, dann ist man irgendwie gesichert, man ist im Stadttheater, man hat irgendwie sein Einkommen. Und sobald man weg ist, fragt man: Ist man gar nicht mehr Schauspieler? Oder was machst du denn eigentlich? Ich bin arbeitslos, ich habe nichts mehr. Das kennt jeder.
Wellinski: Dann gerät ja der Film in Bewegung. In dem Moment, wo er sich quasi einen, Nebenjob kann man das ja gar nicht nennen, sucht – er testet Jugendherbergen. Das ist schon eine sehr kuriose Idee. Wie kamen Sie darauf?
Reise als antagonistisches Element
Günter: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass der ganze Konflikt mit der Schreibblockade ist ein innerer Konflikt, und wir mussten einen Weg finden, um diesen Konflikt auch sichtbar zu machen, und daher funktionieren eigentlich – wie diese Reise als antagonistisches Element. Und das Absurde ist natürlich, dass er durch diese Reise extrem viele eigentlich spannende Geschichten erleben würde, oder es sind eigentlich Geschichten, wo er eigentlich den nächsten Film draus machen könnte. Aber dadurch, dass er in dieser Blockade ist und sich isoliert, bekommt er es gar nicht mit. Er läuft eigentlich an tausend Geschichten vorbei und kann die gar nicht wahrnehmen.
Herzog: Es ist natürlich auch eine spannende Plattform für einen Film, wo viel Spielmaterial da ist, wo auch visuell Dinge dankbar sind. Es ist ein Road Movie, von Ort zu Ort zu gehen und Jugendherbergen zu testen, ist auch für uns eine spannende Ausgangslage gewesen, die auch ein gewisses komisches Potenzial innehat.
Günter: Das mit der Jugendherberge spielt natürlich auch auf sein Alter an. Auch die Midlife-Crisis, weil er gerade an der Schwelle von der Jugend zum Alter steht. Und das ist natürlich auch eine witzige Komponente, die wir gefunden haben.
Wellinski: Der Film öffnet sich ja auch in diesen Momenten, denn diese Reise in die Schweiz arbeitet in dem Moment ja auch durchaus mit dokumentarischen Momenten, mit dokumentarischen Szenen. Und so wird der Film ja auch zum Teil zu einer Bestandsaufnahme der heutigen Schweiz.
Herzog: Ja, Bestandsaufnahme – eher so etwas Seismografisches, wo man das Gefühl hat, wie ist die Stimmung im Land, was passiert da? Es sind viele deutsche Migranten, die zum Beispiel in Jugendherbergen arbeiten als Mitarbeiter. Es wird sehr viel Hochdeutsch gesprochen. Er trifft auf einen Asylanten im Bus, der da in den Bunker fährt und von seiner Flucht erzählt. Es gibt auch viel Reichtum, teure Hotels. Also es ist schon eine Stimmung in der Mitte von Europa, in einem immer noch sehr reichen Land.
Günter: Man muss auch vielleicht dazu sagen, wir hatten eine sehr klare Struktur, und wir hatten auch so eine klare Struktur, dass wir genau auch die Möglichkeit hatten, sehr intuitiv dann zu arbeiten. Und für uns war es auch wirklich eine sehr interessante Entdeckungsreise in der Schweiz. Wir sind ja beide Schweizer und kennen auch eigentlich die meisten Orte, aber wenn man dann einen Monat lang sehr intensiv wirklich mit einem suchenden Blick durch die Schweiz geht, das war auch für uns sehr interessant. Und wir haben jetzt nicht von Anfang an klare Bilder gehabt, was wir genau filmen wollten oder wie wir die Schweiz darstellen wollten, sondern wir wollten sie eigentlich entdecken. Das war unser Anspruch.
Wellinski: Und das machen Sie ja sehr konzentriert. Lakonisch, still, ja, das ist der Film. Er ist aber vor allem schwarzweiß, daher auch, finde ich zumindest, diese Konzentration. Wieso war es Ihnen denn wichtig, diese Reise von Stefan Keller farblos zu gestalten?
Günter: Ich glaube, das ganze Umfeld, wo wir gedreht haben, das ist ja eigentlich in einem realen Umfeld, und die Idee, das schwarzweiß zu machen, war eigentlich, wie auch der Film von der Struktur, von der Dramaturgie her das zu abstrahieren und zu überhöhen, und schlussendlich war es auch eine sehr intuitive Bauchentscheidung, das schwarzweiß zu machen. Aber ich glaube, durch das Schwarzweiß wird natürlich alles abstrakter, die Figur wirkt isolierter und schlussendlich auch die ganze Winterstimmung wird dadurch verstärkt.
Wellinski: "Wintergast" wurde und wird, oder so war jedenfalls zu lesen, in der Schweiz auch als Hommage an den Schweizer Kultklassiker "Reisender Krieger" von Christian Schocher gelesen. Ist das denn von Ihnen so bewusst angelegt gewesen?
Herzog: "Reisender Krieger" ist ein bisschen in der Tradition damals, Anfang der 80er-Jahre, von Wim Wenders. Es gibt ja auch einen Film, der heißt "Im Lauf der Zeit" von Wim Wenders, das ist auch so ein Roadmovie. Also Kino mit Freunden, wenig Mitteln. Auf Ihre Frage: Es ist eine Inspiration vor allem, was die Machart betrifft, also, dass man eben rausgeht mit einer Idee, mit einer Geschichte, da bei "Reisender Krieger" ist es ein Parfümverkäufer, der durch die Schweiz reist, bei uns ist es jetzt ein Jugendherbergstester – es ist schon eine Inspiration. Es ist ein Meisterwerk, "Reisender Krieger", und eine Hommage wäre zu viel. Wir haben schon versucht, die Arbeitsweise, auch der Humor, die Poesie, uns davon inspirieren zu lassen, aber es ist einfach eine zeitgemäße Suche nach der Stimmung in der Schweiz.
Wellinski: Mir hat sich so ein Bild noch mal festgesetzt in Ihrem Film, das ist Stefan Keller, schon relativ am Ende, wo er einen Entschluss fasst. Und dann dachte ich mir, dieser Blick auf den Künstler, der sich versucht, irgendwie zwanghaft aus dieser Schreibblockade zu retten, hat ja auch etwas damit zu tun, dass man so sehr vom Erfolg abhängig ist. Wie wichtig ist Ihnen denn Erfolg?
Wichtig, dass es weitergeht
Günter: Gut, der Erfolg ermöglicht natürlich viel. Jetzt sehen wir das selbst auch, wo der Film jetzt fertiggestellt wurde, da öffnen sich natürlich Türen und es gibt Möglichkeiten, um weiterzuarbeiten. Deshalb ist es jetzt aus meiner Sicht vor allem wichtig, dass es weitergeht, dass man eben nicht ins Stocken kommt, nicht in eine Blockade gerät.
Herzog: Ja, die Frage also eben, Erfolg – die Frage ist eher, wie fühlt man sich als Looser, oder, wenn man durch – als Künstler ist man schnell mal auf der Position, wo man das Gefühl hat, ich bin erfolglos – wer bin ich denn eigentlich? Und insofern ist Erfolg schon auch wichtig, dass man das Gefühl hat, man ist irgendwie erfolgreich mit dem, was man macht, aber wir wissen alle, es ist relativ. Es gibt verschiedene Arten von Erfolg, und für mich ist es, wenn ich ganz ehrlich bin, schon auch wichtig, mit dem irgendwie halbwegs erfolgreich zu sein, mit dem, was ich mache. Oder dann zu sagen, ich mache was anderes.
Günter: Aber ich glaube, das Wichtigste ist schon halt auch, akzeptiert zu werden, und ich glaube auch, ganz zum Schluss, die Figur wirkt ja nicht wirklich unglücklich mit dem Nebenjob oder mit dem Job in der Jugendherberge. Und ich glaube, wenn man irgendwo akzeptiert oder aufgenommen wird, dass es natürlich auch wichtig ist, aber er in seiner Rolle hat das Gefühl, er kann nur akzeptiert werden, wenn er jetzt diesen Erfolg hat. Was ja vielleicht auch nicht stimmt, was auch vielleicht eine Selbsttäuschung oder zu hohe Ansprüche sind.
Wellinski: Die Regisseure Matthias Günter und Andy Herzog waren unsere Gäste. Ihr leiser, lakonischer Schwarzweißfilm "Wintergast" kommt am Donnerstag dann offiziell auch in unsere deutschen Kinos. Herr Günter, Herr Herzog, viel Dank für Ihre Zeit!
Herzog: Danke Ihnen!
Günter: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.