Laura Cumming: "Der verschwundene Velázquez"

Wie die Liebe zu einem Bild ein Leben bestimmen kann

Buchcover: "Der verschwundene Velázquez" von Laura Cumming
Ein Parforceritt durch zwei Leben in zwei Ländern und zwei Jahrhunderten vermittelt die Begeisterung für die Kunst. © Hanser Verlag / imago / Westend61
Von Dorothée Brill |
Obwohl er bankrott war, wollte sich ein englischer Buchhändler im 19. Jahrhundert nicht von einem teuren Bild des Malers Diego Velázquez trennen. Das Sachbuch "Der verschwundene Velázquez" ist eine Hommage an die Leidenschaft für die Kunst.
Laura Cummings "Der verschwundene Velázquez" ist akribische Archivrecherche, kunstwissenschaftliches Sachbuch und historisches Stimmungsbild in einem und liest sich außerdem wie eine spannende Detektivgeschichte. Vor allem aber ist es eine Hommage an zwei Männer und an die Leidenschaft für die Kunst; an eine Begeisterung also, die sich nicht aus dem Verstand, sondern aus dem Herzen speist.
Diese Leidenschaft teilt die Autorin mit John Snare, einem Buchhändler und Drucker aus der britischen Stadt Reading um die Mitte des 19. Jahrhunderts, auf den die Kunstjournalistin und Tochter zweier Künstler durch Zufall gestoßen ist. Sein Leben war von der Liebe zu einem Gemälde geprägt. Doch anders als E.T.A. Hoffmanns Nathanael mit seiner Zuneigung zu einer meisterlich gefertigten Puppe, gilt Snares Begeisterung nicht dem auf dem Bild dargestellten Prince Charles bei erfolgloser Brautwerbung am spanischen Königshof im Jahr 1623. Sie gilt seinem Maler, dem Spanier Diego Velázquez. Immer wieder sollen Betrachter vor dessen lebensnahen Porträts verblüfft innegehalten haben. Einmal, so heißt es, habe sogar sein Auftraggeber, König Philipp IV., das Wort an ein Bild gerichtet.

Gemälde kostet so viel wie ein Pferd

Genau diese Präsenz und Lebensnähe ist es, die Cumming für Velázquez begeistert und die besagter Buchhändler bei der Räumungsauktion eines Internats im Jahr 1845 hinter einer dichten Schmutzschicht erahnt. Für den Preis eines durchschnittlichen Pferdes erwirbt er das Gemälde. Zwar scheint der niedrige Preis seiner Hoffnung, nun ein Meisterwerk zu besitzen, zu widersprechen, doch er bleibt seiner Überzeugung treu. Und er beginnt, sie durch zeitraubende Recherchen zu belegen.
Auf die gleiche Spurensuche begibt sich nun auch die Autorin. Allerdings fahndet sie nach einem Gemälde, von dem sie keine Abbildung hat. Denn seit es 1889 auf einer Auktion unverkauft blieb, fehlt jede Spur. Auch eine Reproduktion gibt es nicht. Was geblieben ist, sind Beschreibungen eines Porträts mit einem zu jener Zeit weit verbreiteten Sujet.

Der immaterielle Wert der Kunst

Doch das Interesse der Autorin gilt nicht primär der Auffindung eines verschollenen Meisterwerks. Es gilt der Faszination dafür, wie sehr die Leidenschaft für die Kunst ein Leben prägen kann. Selbst als John Snares Familienbetrieb durch seine Nachlässigkeit bankrott geht, während sein Gemälde hoch im Kurs steht, verkauft er es nicht. "Es hat für mich einen Wert, den es für niemanden sonst je haben könnte."
Genau diesem immateriellen Wert ist das Buch gewidmet, dessen annähernd 400 Seiten eine zehnjährige Recherche zu Grunde liegt. Eine trockene, hochwissenschaftliche Angelegenheit ist es dennoch nicht geworden. Vielmehr unternimmt Cumming einen Parforceritt durch zwei Leben in zwei Ländern und zwei Jahrhunderten und vermittelt dabei die Begeisterung, der sie in dem Buch auf die Schliche kommen möchte. So wäre es wenig überraschend, wenn wir nach seiner Lektüre kurzentschlossen nach Madrid reisten, nur um die Werke Velázquez' zu sehen – mit eigenen Augen und eigenem Herzen.

Laura Cumming: "Der verschwundene Velázquez"
Aus dem Englischen von Tobias Schnettler
S. Fischer Verlag, 2017, 384 Seiten, 26 Euro

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