Lauren Groff: "Matrix"
© Ullstein Buchverlage
Eine Klostergemeinschaft als feministische Utopie
33:32 Minuten
Lauren Groff
Übersetzt von Stefanie Jacobs
MatrixClaassen, Berlin 2022320 Seiten
24,00 Euro
Eine mutige Äbtissin verwirklicht im Mittelalter eine utopische, klösterliche Lebensgemeinschaft. Ein faszinierender Roman über weiblichen Ehrgeiz, kluge Machtpolitik und den Wunsch nach Freiheit.
England im 12. Jahrhundert: Die Gestalt, die durch Regen und Nebel reitet, ist kein Ritter aus der Artussage, sondern die 17-jährige Marie de France, Marie aus Frankreich. Auf Geheiß der Königin soll sie Priorin eines bitterarmen, abgelegenen Klosters werden, das der Krone gehört. Vom Hof wurde sie verstoßen. Denn Marie ist zwar klug und gebildet, doch für das Hofleben zu ungelenk und drei Köpfe zu groß für den Heiratsmarkt.
Kantige und majestätische Äbtissin
Mit dem herkömmlichen Glauben hat sie allerdings nichts im Sinn: „Warum sollte sie, die spürte, wie ihre Größe in ihrem Blut pulsierte, weniger wert sein, weil die erste Frau aus einer Rippe geformt worden war, eine Frucht gegessen und daraufhin den müßigen Garten Eden verlassen hatte? (…) Ihr Glauben würde immer weiter in seine eigene Geometrie hineinwachsen, kantig und majestätisch“.
Kantig und majestätisch wird auch Marie als spätere Äbtissin sein. Sie ist keine Nonne wie ihre Schwestern, die sich, wie es heißt, nach Unterwerfung sehnen oder „Dinge glaubten, die sie insgeheim für töricht hielt“.
Autarke Klostergemeinschaft
Nach der anfänglichen Verzweiflung nutzt sie die desolate Situation als Chance. Mit Klugheit, Unerschrockenheit und Mut gelingt es ihr, das heruntergekommene Kloster zu Wohlstand und weltlichem Einfluss zu führen, was wiederum den Neid der Umgebung und der Kirchenoberen auf sich zieht. Marie ist selbstbewusst und ehrgeizig genug, um die Visionen, die ihr nach und nach durch die Jungfrau Maria zukommen, umzusetzen. Dass sie dabei bisweilen skrupellos vorgeht, macht sie als Figur umso interessanter.
Ihr erstes großes Projekt ist ein Labyrinth, das die Nonnen um das Kloster herum anlegen, um sich vor der Außenwelt zu schützen. Vor allem gegen Männer, die im Roman nur selten vorkommen und wenn, dann Probleme schaffen, mit denen die Frauen sich herumplagen müssen. Über fünf Jahrzehnte wird Marie für ihre Nonnen sorgen und mit ihnen in dem abgeschirmten Kloster eine völlig autarke Lebensgemeinschaft schaffen.
Historische Figuren als Basis
Der Roman basiert auf zwei historischen Figuren: Marie de France, eine Dichterin im 12. Jahrhundert, die von Frankreich nach England und vermutlich auch an den englischen Hof kam. Über sie ist wenig bekannt, sodass Groff bei dieser Figur ihrer Fantasie freien Lauf lassen konnte.
Eleonore von Aquitanien dagegen war zu der Zeit Königin von England und eine der einflussreichsten Frauen des Mittelalters.
Der Titel Matrix hat weder mit Mathematik oder Logik noch mit dem gleichnamigen Sci-Fi-Film zu tun, sondern kommt von dem lateinischen Wort Matrix, Mater für Gebärmutter, Mutter. So sorgt Marie für ihre Nonnen - aber auch die Mutter Maria ist hier gemeint, von der sie ihre Visionen empfängt.
Mir Verve und Leichtigkeit entworfen
„Matrix“ ist kein historischer Roman und auch keine weibliche Version von Umberto Ecos „Der Name der Rose“, der im 14. Jahrhundert in einer Benediktinerabtei spielt. Auch wenn Groff die Details darüber, wie es in einem mittelalterlichen Kloster zuging, sorgfältig recherchiert hat. Eher entwirft Groff mit Verve und Leichtigkeit und glücklicherweise ohne moralischen Zeigefinger eine feministische Utopie einer Möglichkeit, wie Frauen in einer brutalen und irrationalen Zeit überleben könnten. Dies sowie das durchgängige Präsens und die poetische Sprache geben dem Roman etwas Zeitloses.
Maries Visionen, niedergeschrieben in einem kleinen Buch, gehen wie so viele Zeugnisse einflussreicher Frauen verloren. Im Roman werden sie auf mitreißende Weise zum Leben erweckt – Visionen von einer geschützten Welt, die in dieser Krisenzeit höchst aktuell sind.