Lauren Redniss: "Blitz & Donner: Das Wetter"

Die mythischen Sphären des Wetters

Gewitterblitz
Gewitterblitz © imago / Chromorange
Von Susanne Billig |
Die Bildsprache der Lauren Redniss ist erfüllt von der Lebhaftigkeit der Reportage und der Überzeugungskraft wissenschaftlicher Recherche: In "Blitz & Donner“ erzählt die Autorin die Geschichte des Wetters auf ganz neue Weise.
Unerbittlich frisst sich die rote Feuerwand durch den Wald. Meeresschaum spritzt über stahlblaue Seiten. Eine fahle Giftwolke kriecht den Himmel entlang – es ist Vietnamkrieg und die Bäume verlieren mitten im Sommer ihr Laub. Ein Tiger, ausgehungert bis auf das Skelett, nähert sich einer Antilope. Sie blickt ihm entgegen, dicke Regentropfen fallen vom Himmel. Oder sind es ihre Tränen?
In ihrem erstaunlichen Buch "Blitz & Donner" breitet Lauren Redniss verschwenderische Assoziationswelten aus. Wissenschaft, Interviews, Bilder, eine kindliche Freude an Farben und Formen, Gewalt und Tod lässt die Künstlerin und Sachbuchautorin in wilder Mischung ineinander fließen. Jetzt noch präsentiert sie – in durchgehend handschriftlicher Typografie – erstaunliche Erkenntnisse aus der Gewitter-Forschung, schon gleitet sie zu ergreifenden Geschichten von jungen Prinzen, die im Nebel verloren gehen oder lässt Gesprächspartner erzählen, wie sie sich an den entlegensten Orten der Erde auf die Funktionstüchtigkeit von Leuchttürmen spezialisiert haben oder auf Beisetzungen unter den Bedingungen des Permafrostbodens.
Farbenprächtig, fantasievoll verschlungen und inhaltlich vielschichtig
Von der Faszination über die Wunder dieser Erde zum Grauen über ihre Abgründe ist es bei Lauren Redniss immer nur ein kleiner Schritt. Nachdem sie sich ausführlich mit Wind, Nebel, Feuer, Blitz, Donner, Hitze und Kälte beschäftigt hat, heißt eines der späteren Kapitel "Herrschaft". Darin geht es um die Bündnisse, die Könige und Diktatoren quer durch die Geschichte mit den Wettergöttern und Mächten des Himmels zu schließen versuchten. Ein weiteres Kapitel trägt den Titel "Krieg". Hier tauchen die Entlaubungsgifte des Vietnamkrieges auf, wie auch aktuelle militärische Experimente zur Manipulation von Wind und Wolken, um Feinde zu bekämpfen.
Farbenprächtig, fantasievoll verschlungen und inhaltlich vielschichtig präsentieren sich auch die formatfüllenden Grafiken, von denen das Buch schier überquillt. Die Menschen aus Lauren Redniss' Feder sind zweifelhafte Gestalten. Meist treten sie nur als Schemen auf und sehen aus, als hätten sie wenig Gutes im Sinn oder müssten vor sich selbst flüchten. Natur ist bei Lauren Redniss häufig gequälte Natur. Auf einem Bild liegt ein sterbender Wal am Strand, die Augen verzweifelt zum Himmel gerichtet, erdrückt vom Gewicht seines eigenen Körpers. Im Hintergrund lauern sie schon, auf einem Wellenmeer fetter böser Bleistiftstriche, die Schiffe seiner Mörder, die Walfänger.
Ein Sachbuch, das staunen lässt
Manchmal verebbt der Text ganz, dann wirft die Autorin seitenweise Nebelfarbe auf das Papier, grauweißundurchsichtig, oder züngelnde rote Flammen, blauen Himmel mit und ohne Wolken. Mal wirken diese Bilder wie von Kinderaugen geträumt, dann wieder heben sie in mystische Sphären ab oder stürzen in düstere Verdammnis.
Ein Sachbuch hat Lauren Redniss geschrieben, das staunen lässt und informiert. Vor allem aber hat sie ein Kunstwerk geschaffen, das auf einzigartige Weise einlädt, sich mit ihr auf eine Reise zu begeben durch die wilden Welten in ihrem Kopf.

Lauren Redniss, Blitz & Donner - Das Wetter: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Windgassen
Ullstein Verlag, Berlin 2015, 274 Seiten, 28 Euro

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