Lauren Wilkinson: "American Spy"

Jeder ist auf seine Weise ein Spion

02:52 Minuten
Buchcover des Krimis "American Spy" von Lauren Wilkinson
Ein Spionagethriller, mal nicht aus der Perspektive weißer Männer geschrieben. © Klett-Cotta Verlag / Deutschlandradio
Von Sonja Hartl |
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In Lauren Wilkinsons Roman "American Spy" arbeitet eine schwarze Frau in den 1980er-Jahren für die CIA und muss nicht nur in ihrem Job mit unterschiedlichen Identitäten jonglieren. Ein gelungenes Debüt - spannend und komplex.
"Ich öffnete den Safe unter meinem Schreibtisch, schnappte mir meine alte Dienstwaffe und schlich lautlos und elegant zur Schlafzimmertür – bis ich auf einen Legostein trat und den Rest des Weges humpeln musste."
Bereits in diesem ersten Satz wird deutlich, was Lauren Wilkinsons "American Spy" prägt: rasante Spannung und alltäglich-weibliche Gelassenheit. Eine Seite später ist ein nächtlicher Eindringling tot und das ruhige Leben der Erzählerin Marie Mitchell vorbei.

Sie weiß, dass sie sofort fliehen muss

Sie weiß, wer den Mann auf sie angesetzt hat. Und sie weiß, dass sie sich sofort auf den Weg machen muss, um ihre vierjährigen Zwillingssöhne und sich in Sicherheit zu bringen. Also reist sie mit gefälschten Reisepässen nach Martinique zu ihrer Mutter.
In Martinique beginnt sie, ihren Söhnen einen Brief zu schreiben – falls sie in einigen Jahren nicht mehr leben sollte, um ihre Fragen zu beantworten. Sie erzählt von ihrem Aufwachsen im New York der 1960er- und 1970er-Jahre, von ihrer Zeit beim FBI in den 1980er-Jahren, in der sie "zweimal von der CIA als zeitlich befristete Auftragnehmerin angestellt" wurde. "So nennen sie Spione."
Eine schwarze Frau also, die in den 1980er-Jahren für die CIA spioniert hat. Ihr Auftrag: Sie soll sich an Thomas Sankara heranmachen, den linken Präsidenten von Burkina Faso.
"American Spy" ist in diesem Handlungsstrang ein klarer Spionageroman mit verdeckten Identitäten, Wanzen, Bespitzelungen, Lügen und Geheimnissen. Im Zusammenspiel mit den weiteren Erzählsträngen zu Maries Aufwachsen und ihrem Werdegang zeigt sich dann, dass ihr gesamtes Leben bestimmt ist von Spionage, von Menschen, die Rollen mit verschiedenen Identitäten spielen.

Kein Gut, kein Schlecht

Ihre Mutter hatte so helle Haut, dass sie als Weiße durchging und Orte aufsuchte, an denen keine Schwarzen waren – nur um zu schauen, wie die Weißen leben. Ihr Vater ist einer der wenigen schwarzen Polizisten in New York. Einer seiner besten Freunde ermittelt verdeckt bei der Nation of Islam. Alle drei bewegen sich in verschiedenen Welten, passen ihre Identitäten an – und leben im Grunde genommen einfach das Leben schwarzer Amerikaner.
"Ich kann euch nur raten, seid keine moralischen Absolutisten. Wenn ihr die Menschen, von denen ich euch hier erzähle, nach dem Lesen in gut und schlecht einteilt, dann habt ihr nicht verstanden, worauf ich hinaus will", schreibt Marie Mitchell an ihre Söhne. Das ist der Kern dieses Romans: Eine einfache Moral gibt es nicht. Alle Figuren in diesem Roman sind Spione – auf die eine oder andere Art.
Bisweilen trägt Lauren Wilkinson in ihrem Debüt etwas stark auf, insgesamt aber beweist sie ein Talent für Spannung und Komplexität, ohne allzu didaktisch zu werden. Mit "American Spy" fügt sie den Spionageerzählungen aus dem Kalten Krieg eine interessante Perspektive hinzu, die gerade in der Welt der von weißen Männern dominierten Spionagethriller sehr willkommen ist.

Lauren Wilkinson: "American Spy"
Aus dem Amerikanischen von Jenny Merling, Antje Althans, Anne Emmert und Katrin Harlass
Tropen Verlag 2020
352 Seiten, 16 Euro

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