"Es macht die Leute buchstäblich krank"
"Hier fällt das Gesetz auseinander", sagt die Künstlerin Laurie Anderson zur aktuellen Situation in den USA. Auch die Sprache werde rauer und diene allein dem Erschaffen von Chaos: "Das ist die Schock-Doktrin."
Vladimir Balzer: Diese Frau hat es in den frühen Achtzigern schon geschafft, was heute selbstverständlich ist, nämlich: Pop und Kunst einfach zusammenzubringe, Elektronik, Kunst, Pop, alles in eins zu bringen in ihren Performances. Und sie war nicht nur ein Nischenprodukt, sie war auch mal richtig kommerziell erfolgreich mit diesem Song hier.
Axel Rahmlow: Laurie Anderson ist eben auch eine Schnittstelle zwischen Musik, zwischen Theater, Bildender Kunst und Computeranimation, und so hat man sie auch in Berlin erlebt die letzten zwei Tage bei der "Transmediale" mit ihrem Langzeitprojekt "Language of the Future", da stand sie mit einer Violine auf der Bühne, dazu noch ein Sessel und da hat sie eigentlich nur Violine gespielt und Texte vorgelesen, das hat trotzdem viele Menschen begeistert.
Wir waren heute dort und konnten sie besuchen und konnten mit ihr über dieses Projekt sprechen von damals bis heute, denn "language oft he future", das ist auch immer ein Abbild von aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen gewesen, deswegen war die erste Frage logischerweise: Was war heute im Jahr 2017 Kern dieser beiden Aufführungen?
Laurie Anderson: Erstmal möchte ich sagen, dass ich diesen Titel dieses Jahr von einer älteren Arbeit namens "United States" wiederbelebt habe. Das war eine acht-stündige Performance, die ich begonnen hatte, weil ich einige Zeit in Deutschland verbracht hatte. Die Leute fragten mich: Wie kannst Du in so einem Land leben? Ich sagte: "Das ist eine gute Frage", konnte sie aber bei dem Abendessen, an dem sie gestellt wurde, nicht beantworten. Also schrieb ich dieses Acht-Stunden-Stück darüber.
Das war der Ursprung des Versuchs über einen Ort zu schreiben. Eine Zeile aus dieser Show von damals, die ich noch im Kopf habe, ist "Ich kann die Zukunft an ihrem Ort sehen, ungefähr 70 Meilen östlich von hier, wo es heller ist." Sie stammt von einem Song, der "Let X equal X" heißt, in dem es darum geht, nicht allzu prätentiös mit dem Vergehen der Zeit umzugehen und dem Bezug von Zeit auf die Perspektive eines Ortes.
Rahmlow: Wenn ich sie richtig verstehe, sind also Ort und Zeit sehr wichtig. Geht es auch um Heimat?
"Die Vereinigten Staaten verändern sich minütlich"
Laurie Anderson: Wenn ich mir die Titel der Stücke ansehe, die ich geschrieben habe, kommt das Konzept "Ort" in vielen davon vor: "United States", "Homeland", dann gab es "Home oft he Brave", das war eine Art von Besessenheit, zu beschreiben, woher ich komme. Jetzt ist das natürlich ein bewegliches Ziel, man weiß nicht, was vorgeht, die Vereinigten Staaten verändern sich minütlich.
Rahmlow: Es geht tatsächlich darum, wenn Sie auf Ihre Heimat, die Vereinigten Staaten blicken, die aktuellen politischen Entwicklungen, man hatte schon das Gefühl, dass der Name "Trump" während der ganzen Performance hin- und herschwebt.
Laurie Anderson: Es macht die Leute buchstäblich krank. Alle, die ich in New York kenne, sind zurzeit ziemlich krank. Es gibt eine sehr physische Reaktion darauf. Hier fällt das Gesetz auseinander und es ist mehr als überraschend, festzustellen, dass man an einem gesetzlosen Ort lebt, an dem der Justizminister selber Meineid begeht. Das ist schon eine ziemlich faszinierende Situation und auch etwas, von dem wir nicht erwartet hätten, es in dieser Geschwindigkeit über uns hereinbrechen zu sehen.
Rahmlow: Auf der anderen Seite gibt es ja auch sehr viele seiner Wähler, die zufrieden damit sind, wie sich die USA entwickeln, weil er – in ihrer Sicht - seine Wahlversprechen nach und nach erfüllt. Ist diese Sicht auf die Präsidentschaft Trumps auch Teil Ihrer Performance, reflektieren Sie das auch?
Laurie Anderson: In unserer Verfassung steht das Recht auf ein Streben nach Glück festgeschrieben, das ist ein sehr schwer greifbares Wort. An einer anderen Stelle geht es auch um Eigentum…
Aber ich glaube, die Freude, die manche Leute empfinden, bezieht sich direkt auf das Aufheben des Gesetzes, die plötzliche Möglichkeit, alles zu tun, was man möchte. Die Auswirkungen davon sieht man sehr deutlich. Es ist zwar keine Riesenüberraschung, aber es ist ein Schock, dass alles so schnell passiert.
Auch was die Sprache betrifft: Jetzt wird deutlich ausgesprochen, was immer ein bisschen verdeckt gehalten wurde, so nach dem Motto, "ja, es werden natürlich Dinge outgesourct, wir arbeiten mit Unternehmen zusammen" usw.
Jetzt gibt es viele Gefängnis-Unternehmen, die wirklich davon profitieren, dass nun so viele Leute aufgrund ihres Status als illegale Einwanderer ins Gefängnis kommen und dort ohne Lohn arbeiten müssen. So etwas nennt sich Sklavenarbeit.
Rahmlow: In Ihrem Programm geht es ja auch offensichtlich um die Sprache der Zukunft. Wenn wir auf den sprachlichen Aspekt schauen: Glauben Sie, dass Sprache heute mittlerweile rauer, vielleicht ehrlicher, vielleicht aber auch ohne den Faktor politische Korrektheit für uns radikaler wirkt?
"Bei all dem geht es um das Erschaffen von Chaos"
Laurie Anderson: Sprache ist jetzt telegraphisch, tweet-bar, zehn-silbig, die Länge eines Tweets, sie ist nicht nur rauer, sondern extrem roh. Die Tweets des Präsidenten sind seine Reden. Wenn er schreibt: "langweilig", "falsch", "traurig". Das ist seine ganze Rede: ein Wort. Ist das nun emotional ehrlich oder wird hier Sprache einfach nur zu Manipulationszwecken gebraucht?
Bei all dem geht es um das Erschaffen von Chaos. Das ist die Taktik, die hier verwendet wird. Alle fragen sich, kann man sowas sagen, kann man sowas machen, wow, wow, wow, und währenddessen wird alles hinter unserem Rücken zerlegt. Das ist die Schock-Doktrin.
Vladimir Balzer: Wenn Sie von Schock sprechen, könnte man fast Angst bekommen, dass die Künstler in den USA gar nicht wissen, wie sie auf Trump reagieren sollen. Gibt es da inzwischen schon künstlerische Mittel, auf diese politische Phase zu reagieren? Oder sind alle eher gelähmt und halten sich zurück und warten ab?
Laurie Anderson: Ja, es gibt viele Gruppen, ich bin auch bei vielen Mitglied, wir machen sehr viel. Einer der Gründe für meinen Husten ist, dass wir die ganze Zeit draußen in der Kälte rumgelaufen sind. Wir sind marschiert, wir haben uns gezeigt, wir wollten physische Präsenz zeigen, nicht nur auf den Bildschirmen.
Auf der anderen Seite ist das wirklich ein Tsunami, es ist eine grundlegende Veränderung und unsere führenden Köpfe sind zur Zeit einfach nicht da, wir suchen weiter nach ihnen, aber das ist nicht so einfach.
Es ist auch ein Krieg der Worte. Es gibt viele Leute, die sehr gut im Umgang mit Worten sind. Aber seltsamerweise funktionieren diese Rowdy-Taktiken sehr gut, wenn jemand anderes versucht etwas klar zu machen und dann nur der Einwurf kommt: "Setz dich hin, Pocahontas!", zu einer Kongress-Führerin, die indianischer Abstammung ist. Sie hat ein ausgefeiltes Statement abgegeben und man sagt ihr: "Setz dich hin, Pocahontas!".
Balzer: War diese Gewalt der Worte oder diese Spannungen, die muss es ja vorher schon gegeben haben, die können ja nicht jetzt einfach entstanden sein in knapp 50 Tagen Präsidentschaft. Da muss ja etwas unter der Oberfläche gewesen sein in der amerikanischen Gesellschaft, das jetzt hervorkommt, oder?
Laurie Anderson: Wir haben es gesehen und es ist schon viele Jahrzehnte da gewesen, dieses Zerstückeln von dem, was amerikanische Demokratie bedeutet, und wie sie so kommerziell werden konnte, was sie ja schon lange ist. Jetzt wird dem nur der Schleier weggezogen und allgemein zugegeben, dass es so ist, dass es um Geld geht und um Macht.
Dieser Prozess läuft nicht nur in den USA ab, sondern überall auf der Welt, diese graduelle Verschiebung hin zu einer stärkeren Kontrolle durch den Wirtschaftssektor. Hoffentlich können andere Länder sehen, wie unseres verfällt und selber die Bremsen ziehen.
Gertrude Stein hat mal vor langer Zeit etwas gesagt, was ich immer mochte: "Amerika ist das älteste Land der Welt, weil es sich am längsten im 20. Jahrhundert aufgehalten hat." Ich glaube, da ist etwas dran, weil wir sehen müssen, was passiert, wenn ein Land so schnell technologisiert wird und dann so schnell von der Telekommunikation abhängig wird. Das ist in den USA schneller passiert, als in anderen Ländern.
Das hat die Grundlage dafür gelegt, dass die Leute nicht mehr in der Lage sind, einen Dialog von Angesicht zu Angesicht zu führen und alles sehr schnell immer unpersönlicher geworden ist.
Balzer: Ist die Digitalisierung Teil des Problems?
Etliche physische Dinge verschwinden
Laurie Anderson: Sie ist Teil der Lösung aber auch Teil des Problems. Ich glaube, dass, sobald man seine taktilen Bezüge zur Welt verliert und alles Bildschirm-basiert ist, sich eine vollkommen andere Situation einstellt. Während die Digitalisierung fortschreitet, beginnen etliche physische Dinge tatsächlich zu verschwinden. Ich bin mir sicher, dass das hier auch passiert ist.
Physische Dinge wie Plattenläden, Telefonzellen, Immobilienbüros sind nicht mehr da, weil man alles online erledigt. Das ist sehr abstrakt. Man beginnt in einer sehr mentalen, abstrakten, äußerlichen Techno-Welt zu leben, mit immer weniger Bezügen zu sogenannten "echten" Dingen und mehr Bezügen zu Bildschirmen und Tastaturen. Wenn ich das bei Kindern sehe…
Eine letzte Sache, die ich noch sagen möchte: Als ich zu den Demonstrationen in Washington gegangen bin, war das wirklich phantastisch, so viele Leute, so viel Spaß. Auf dem Rückweg im Zug von Washington zu unserem Bus in Maryland fingen alle an, Lieder zu singen wie "Michael Row the Boat Ashore" oder "Where have all the Flowers Gone".
Normalerweise würde ich einen Impuls spüren, mich sofort umzubringen, wenn ich Folksongs singen müsste, also bitte, wirklich, ja? Aber alle im Zug haben gesungen, alte, junge, schwarze, weiße, Männer, Frauen– und ich dachte "Das ist es, wofür ich lebe: Teil einer Gruppe zu sei, die ohne jede Ironie einfach singt."
Es gab ein paar Leute, die sich sehr unwohl gefühlt haben dabei und ihre Schuhe betrachtet haben, und nicht gesungen haben. Und wer waren diese Leute? Das waren die Kinder, die noch nie jemanden gesehen hatten, der im Zug singt und so gemeinschaftlich seiner Freude Ausdruck verleiht. Zu sehen, wie Fremde zusammen singen, erzeugte Unbehagen in ihnen.
Da habe ich gedacht: "Was ziehen wir uns hier heran?" Wir sollten besser aufpassen und ich hätte den Kindern am liebsten gesagt: "Ihr solltet lieber mitsingen, denn ihr werdet diese Lieder lernen, ihr werdet diese Lieder schreiben, also macht besser mit."