Laurie Andersons Essayfilm "Heart of a Dog"

Raue Träumerei

Die amerikanische Künstlerin und Regisseurin Laurie Anderson bei der Premiere ihres Films "Heart of a Dog" in Venedig bei den 72. Filmfestspielen; Aufnahme vom September 2015
Die amerikanische Künstlerin und Regisseurin Laurie Anderson bei der Premiere ihres Films "Heart of a Dog" in Venedig bei den 72. Filmfestspielen; Aufnahme vom September 2015 © picture alliance / dpa
Von Rüdiger Suchsland |
Laurie Anderson ist vor allem als Musikerin und Performance-Künstlerin bekannt. Nun bringt die New Yorkerin ihren Film "Heart of a Dog" in die Kinos: eine wundersame und beeindruckende Reise in eine andere Welt.
"I wanna tell you a story - about a story. And it's about the time I discovered, that most adults have no idea what they are talking about."
Eine Erzählung über eine Erzählung. Dieser Satz gibt programmatisch den Takt vor. Denn Laurie Andersons bezaubernder Film "Heart of a Dog" ist vieles zugleich, aber er ist vor allem eine Erzählung und ein Nachdenken über das Erzählen als solches.
Doch dabei ist "Heart of a dog" zugleich eine melancholisch gefärbte Feier des Kinos und seines Reichtums, seiner Vielfalt, die im Alltag der über ein Dutzend Filmstarts pro Woche so oft in Gleichförmigkeit mündet. Laurie Anderson, die im Kino vermeintlich unerfahrene New Yorker Musikerin und Performance-Künstlerin, fordert das Kino heraus - und damit uns, das Publikum, mit unseren Sehgewohnheiten.

Die Künstlerin erzählt von Träumen und ihrem Foxterrier

Kino als Reise in eine andere Welt, als Traum, als offene Meditation, als Mittel, um uns gegen allen Eskapismus die Augen zu öffnen - das sieht man viel zuwenig im Gegenwartskino.
"To live in a gap between the moment that is expiring and the one that is arising. And when you close your eyes, what do you see? Nothing. Now open them!"
Zuallererst ist dies ein Essayfilm. Also ein sehr persönlicher, subjektiver Blick auf die Welt, dessen Erzählkommentar von Anderson logischerweise selbst gesprochen wird. Die Künstlerin erzählt darin von Träumen, von Erinnerungen, von Alltagserfahrungen. Und sie erzählt von Lolabelle, ihrem Hund, einem Foxterrier, dessen Perspektive auf die Menschen sie immer wieder mit ihrer eigenen tauscht:
"This is my dream-body. The one I used to walk around in my dreams..."

"Heart of a Dog" hat die Form eines Tagebuchs, und vermischt Dinge, die einen vielleicht überhaupt nicht interessieren - eben Andersons Hund oder die tibetanisch-buddhistischen Lebensansichten der Künstlerin - mit Dingen, die nun wirklich hochinteressant sind: Der Biografie Andersons und ihres verstorbenen Lebensgefährten Lou Reed, die zu einer Reise durch die Popkultur der letzten 40 Jahre gerät, und die gesellschaftlich-politische Verfassung der USA, die Anderson nie thesenhaft gerät, die sie vielmehr zur ironischen Reflexion eines Landes nutzt, das sein Gesicht in den letzten 15 Jahren komplett verwandelt hat.
"Someone from Homeland Security must have had second thoughts about asking people to report on each other all the time. I would have loved to have been in that Homeland Security-PR-brainstorming session..."

Gibt es ein falsches oder ein richtiges Erzählen?

Vor allem aber geht es über das Wesen des Gedächtnisses und des Erzählens und um die Frage, wie Erinnerung und Erzählung überhaupt funktionieren? Wie man erzählt, und ob es ein richtiges und ein falsches Erzählen gibt?
Eindringlich sind dabei vor allem Andersons Erinnerungsreisen in die eigene Kindheit. Solche Erzählunge,n sagt Anderson, seien Abkürzungen, um über sich selber zu sprechen:
"Much later in my life when someone would ask, what my childhood was like, ... it was a short way of telling them certain things about myself..."
Und dann sagt sie einige der klügsten Sätze, die im Kino seit langer Zeit über das Erzählen zu hören waren:
"And that's what I think is the creepiest thing about stories: You try to get to the point you are making, usually about yourself or something you learned. You get your story and hold on to it. And every time you tell it, you forget it more."
Jedes Mal, wenn man eine selbsterlebte Geschichte erzählt, vergisst man mehr von ihr. Geschichtenerzählern habe mit Design, mit Aufräumen und mit Vergessen zu tun.
Das Ergebnis auf der Leinwand fügt sich in den derzeitigen Trend zum Essayistischen und zur Überschreitung der Grenzen zwischen Dokumentarfilm und Fiktion.

Das Erzählen muss dreckig, unrein, rau und wild sein!

"Heart of a dog" hat in seinen besten Momenten die analytische Kraft und poetische Dichte eines Films von Chris Marker. Auch wenn Anderson mitunter in Verschrobenes oder Banales oder Pseudobedeutsames abgleitet und Markers intellektuelle Schärfe dann aber doch nur selten erreicht, entwickelt ihr Film aber einen sehr eigenen Sog. Heart of a dog" verbindet die Poesie des Lebens und die Prosa der Vergänglichkeit - dieser Film entführt seine Zuschauer auf eine Reise in eine andere Welt.
Was man in diesem Film wieder einmal lernen kann: Es kommt unbedingt darauf an, das Erzählen dreckig und unrein zu machen, rau und wild.
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