Lauter schöne Worte?

Seinem Sohn Johannes legt Matthias Claudius die Empfehlung ans Herz: "Schmeichle Niemand, und lass dir nicht schmeicheln." Ein guter Ratschlag! Freilich wird er selten befolgt. Dafür verantwortlich ist eine spezifische Schwäche der menschlichen Natur:
Immer stellt, wer uns schmeichelt, unsere Eitelkeit auf die Probe. Die "süßen Schmeichelworte", von denen Heines Donna Clara spricht, sie müssen nicht unbedingt hinterhältigen Absichten dienen, doch können sie uns allemal gefährlich werden. Eigennützige Interessen sind immer im Spiel, wenn man uns schmeichelt; sie zu durchschauen, bietet Vorteile.

Die ahnungslos bleiben, haben der sanften Verführung wenig entgegen zu setzen und müssen sich gefallen lassen, an der Nase, die man ihnen vorher gepudert hat, herumgeführt zu werden. In der Liebeskunst ist schmeichlerisches Reden ein gern angewandter Kunstgriff: Donna Elvira, zu später Erkenntnis erwachend, bezichtigt Don Giovanni, ihren treulosen Geliebten, sie "mit schönen Schwüren und Schmeichelei" verführt zu haben. Doch seien wir guten Mutes: Genuss ohne Reue ist prinzipiell möglich, sofern wir selbstkritischer Reflexion fähig sind. Es liegt an uns, ob Schmeichelei Lust oder Last wird; oder ob sie uns überhaupt nicht umweht. Lebensklug ist, wer zwischen kalkulierter und zweckfreier Liebenswürdigkeit unterscheidet - und sich nicht um jeden Preis beliebt machen möchte.

Bibliographische Nachweise

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(Die Kaltwasser-Übersetzung erschien zuerst 1783 in Fft.a.M, "bey Johann Christian Hermann".)

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Wieland’s Werke.- Berlin: Gustav Hempel o.J. ,

( 6. Bd : ) 18. – 20. Theil : "Der goldne Spiegel oder die Könige von Scheschuan. Eine wahre Geschichte aus dem Scheschianischen übersetzt." (zuerst 1772)
Auszug aus dem Manuskript:

Noch eine letzte Bemerkung: Die Auffassung, verbale Bekundungen persönlichen Wohlwollens seien grundsätzlich mit dem Virus der Heuchelei infiziert, ist natürlich eine unzulässige Verallgemeinerung. In Reichweite dieses Vorurteils liegt der Trugschluss, allein der scharfzüngige Schmeichler genüge dem Postulat der Wahrhaftigkeit. Derartige Erklärungsmuster mögen dem Orientierungsbedürfnis urteilsflinker Personen entsprechen, untauglich sind sie dennoch. Wollten wir allen Mitmenschen, die uns mit Sympathie-getränkter Emphase begegnen, a priori unredliche Absichten unterstellen - wir müssten an unserem eigenen Argwohn ersticken.

Da scheint es allemal besser, die Illusion zu pflegen, unserer unbedeutenden Person geschehe ganz recht, wenn sie gelegentliches Lob ernte. Ganz arglos sind wir freilich nicht. Machen wir uns nichts vor: Die Frage, wie wir uns im fremden Blick des anderen darstellen, ist intrikat. Dieser heikle Punkt - töricht zu leugnen - beschäftigt unsere Gedanken stets aufs neue. Unsere Eitelkeit gehorcht einem sonderbaren Impuls. Kaum scheint sie zur Ruhe gekommen, rumort sie im geheimen weiter. Möglichkeiten, sie zu besänftigen, gibt es genügend, doch ist das Risiko des Getäuscht- und Enttäuschtwerdens erheblich.

Alceste lässt sich auf dieses Spiel gar nicht erst ein, unter anderem auch deshalb, weil ihn das Wahnhafte des menschlichen Geltungsstrebens zutiefst deprimiert. Seine Widersetzlichkeit, wiewohl sie ihn niemals reut, kommt ihm teuer zu stehen: Die Aufkündigung gesellschaftlicher Spielregeln wird mit der Bitternis der Selbstisolierung bezahlt. Sein Beispiel ist ehrenhaft, doch zögern wir, ihm zu folgen. Wären wir dem Himmel näher, wenn wir darauf verzichteten, an dem großen Schwindel dieser Welt ein wenig mit zu schwindeln? Das mag jede(r) für sich entscheiden.

Es bleibt eine ironische Pointe unserer Lebensgeschichte: Ausgerechnet problematische Eigenschaften unseres Charakters machen uns empfänglich für die sublimen Empfindungen befriedigter Eigenliebe. Die Vorsehung muss es gut mit uns gemeint haben, da sie uns erlaubte, selbst noch unsere minder rühmenswerten Antriebskräfte in den Dienst unseres Glücksverlangens zu stellen.