Lawrence Abu Hamdan: "The Voice Before the Law"
Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart
26.10.2019 bis 9.2.2020
Klangkunst als Beweismittel
10:40 Minuten
Der Künstler und Menschenrechtler Lawrence Abu Hamdan bereitet Klänge und Stimmen auf – als Beweise für Gerichtsprozesse ebenso wie als Kunstwerke. Seine Arbeit zeigt: Vorurteile und Machtstrukturen wirken sich auch auf unser Hören aus.
Die Stimme überwindet Grenzen, vor denen Körper kapitulieren. Selbst scheinbar unsichtbar, verbindet sie Getrennte, lässt sie miteinander sprechen, scherzen, übereinander urteilen und auch verurteilen. Der selbsternannte Klangdetektiv und Menschenrechtler Lawrence Abu Hamdan spürt diesen Stimmen nach. Als Sachverständiger in Gerichtsverfahren sucht er nach akustischen Beweisen für menschliches Leid. Als Künstler macht er dieses Hören sichtbar. Für seine Arbeit, die sich zwischen Forensik und Klangkunst bewegt, wurde Abu Hamdan dieses Jahr für den Turner-Preis nominiert. Seine Ausstellung "Die Stimme vor Gericht" ist zurzeit im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen.
Mit Klängen anders über die Welt denken
In seiner Berliner Ausstellung macht der Künstler Laute zu Bildern. Dafür nutzt er unter anderem die Methode der Palatografie – eine Form der linguistischen Fotografie: Mithilfe von Olivenöl und Kohlenstaub werden im Mund die Stellen aufgezeichnet, an denen die Zunge beim Sprechen auf den Gaumen trifft. Ein Verfahren, das Schicksale entscheiden kann.
So zeigt Abu Hamdan etwa die Palatografien eines Falls aus London. Ein dunkelhäutiger Mann wurde von der Polizei angehalten und durchsucht. Weil er etwas Marihuana bei sich trug, nahmen ihn die Polizisten auf die Wache. Dort gestand der Mann nach Aussage der Polizisten plötzlich einen Mord. Mithilfe der Palatografie zeigte sich, dass der Mann nicht das Wort "shot", also erschossen, benutzt hatte, sondern vielmehr "show", also "zeigen" – der Mann hatte einer Person sein Fahrticket gezeigt. "Mich interessiert die materielle Qualität von Sound, ihre Physik, und gleichzeitig seine Auffassung als politisch. Und wo die beiden sich treffen, finde ich einen fruchtbaren Boden für Analyse und anders über die Welt zu denken", sagt Lawrence Abu Hamdan.
Herrschaftsstrukturen entlarven
Mit Kunstwerken wie denen aus Palatografien entlarvt Abu Hamdan, welche Rolle Vorurteile auch im Bereich des Hörens spielen. Die Polizisten hatten den Mann nicht nur wegen seines Aussehens angehalten. Sie hörten in seinen Worten auch eine Aussage, die ihre Vorurteile bestätigte. "Der Zuhörende ist genauso ein moralischer Akteur wie der Sprechende", so Lawrence Abu Hamdan.
Genau das mache die Faszination und Stärke dieser Kunst aus, so Vens: Der Künstler entblöße "Macht und Herrschaftsstrukturen. Und auch das, was wir als westliche Demokratien vor uns hertragen als Herrschaft des Rechts – und stellt das in einen Kunstkontext." Für Vens ist Lawrence Abu Hamdan deshalb momentan "der wichtigste Künstler, den wir haben."
(rod)