Säureopfer wird das neue Gesicht eines Mode-Labels
Laxmi Saa wurde mit Säure angegriffen, ihr Gesicht ist seitdem entstellt. Aber sie hat nie aufgegeben und kämpft wie eine Löwin für ein normales Leben. Ihr neuester Coup: Sie ist DAS Gesicht einer aktuellen Mode-Kampagne in Indien.
Aufrechter Gang, gerade Schultern, auf dem Rücken wiegen sich die langen schwarzen Haare bei jedem Schritt. Mit einem breiten Lächeln dreht sich Laxmi Saa in die Kamera: Ihre Ausstrahlung ist umwerfend. Ihr Gesicht: entstellt. Keine Augenbrauen, keine Wimpern, die vernarbte Haut spannt sich in verschiedenen Farbtönen unsymmetrisch über ihr Gesicht.
"Unser Leben ist nicht nur das, was wir sehen", sagt sie im Video. "Denn es gibt weit mehr im Leben, als das Auge sehen kann."
Vor zehn Jahren hätte sich Laxmi Saa sicher nicht träumen lassen, dass sie das einmal sagen würde:
"Es ging mir so schlecht, als ich mein Gesicht gesehen habe, habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich so nicht mehr leben will."
Denn im April 2005 hat sich das Leben der damals 15-jährigen schlagartig verändert. Ein Mann aus der Nachbarschaft, über 30 Jahre alt, hatte ihr den Hof gemacht, wollte sie heiraten. Da war Laxmi gerade einmal fünfzehn Jahre alt. Sie hatte sein Angebot abgelehnt. Daraufhin hat der Verprellte, zusammen mit zwei anderen, Laxmi angegriffen und ihr Säure mitten ins Gesicht geschüttet.
"Ich lag auf dem Boden, mitten auf dem Markt. Ich weiß nicht, wie lange ich bewusstlos war. Ich weiß nur, als ich aufgewacht bin, fühlte es sich so an, als würde jemand Feuer auf mein Gesicht halten. Ich habe unglaublich laut geschrien."
Ihre Eltern vernichteten alle Spiegel
Es hat lange gedauert, bis ihr jemand zu Hilfe kam und sie ins Krankenhaus brachte. Dort angekommen, stand ihr Vater vor ihr, den jemand verständigt hatte. Als sich die beiden umarmten, ist auch das Hemd des Vaters geschmolzen, so stark war die Säure noch. Fast drei Monate lag Laxmi im Krankenhaus.
Ihre Eltern hatten alle Spiegel um sie herum vernichtet, sie aber wollte unbedingt ihr Gesicht sehen. Sie hat sogar Wasser ins Becken gelassen, um sich darin zu spiegeln, aber sie konnte nur verschwommen die Verbände wahrnehmen. Als sie sich dann doch das erste Mal betrachten konnte, ist sie fast wieder in Ohnmacht gefallen:
"Mein Gesicht war völlig entstellt. Meine Augen sahen aus, als würden sie gleich rausfallen, meine Lippen waren völlig verzogen, meine Nase war einfach weg. Mein Gesicht war das einer Fremden und es war hässlich."
Ihr Leben verbrachte sie lange Jahre nur in der Wohnung ihrer Eltern. Die spendeten Trost, gaben ihr Halt. Ihr Vater brachte den Mann und die Mittäter vor Gericht. Erst kam der Täter auf Kaution frei, nach vielen Prozesstagen und vier Jahre nach der Tat wurde er verurteilt: Zu sieben Jahren Haft. Als Laxmis Vater starb, brach wieder eine Welt für sie zusammen. Ihr Bruder wurde schwer krank, Laxmi war die einzige, die nun Geld für ihre Familie verdienen konnte. Aber wie?
"Ich habe mich um Jobs beworben, aber mit meinem Gesicht, wollte mir niemand einen Job geben."
Eines Tages erfuhr Laxmi von einer großen Demonstration mit dem Titel: "Stoppt Säure-Attacken". Wieder ein Moment, der ihr Leben veränderte. Zum ersten Mal hat sie Frauen gesehen, deren Gesichter auch völlig entstellt waren. Das gab ihr die Kraft zu kämpfen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die anderen Opfer.
Job bei einer Nicht-Regierungs-Organisation und Fernsehshows
Vor drei Jahren bekam sie eine Stelle bei einer Nicht-Regierungs-Organisation, die sich für Säure-Opfer einsetzt. Seitdem hat Laxmi schon Fernsehshows bestritten, Preise gewonnen, ist vor Gericht gezogen, damit man Säure nicht mehr an jeder Ecke in Indien kaufen kann. Jetzt ist sie das Gesicht eines Mode-Labels.
"Ich hatte großen Spaß beim Shooting. Überall die Kameralichter, das Make-Up, die tollen Kleider. Sie haben mich nicht wie ein Säureopfer behandelt, sondern wie ein Modell. Ich hab neues Selbstbewusstsein getankt."
Und das strahlt sie aus, auf den Videos und den Fotos ist eine beeindruckende Frau in modernen indischen Kleidern zu sehen. Laxmi will ein Vorbild sein, für all die anderen Frauen, die das gleiche Schicksal mit ihr teilen. Es gebe keinen Grund mehr, sich zu Hause zu verstecken:
"Ein schönes Gesicht ist nicht das Wichtigste im Leben, auch wenn wir so erzogen wurden, das zu glauben. Schau mich an, ein Säureopfer kommt als Kämpferin zurück und ändert diese Denke – das ist die schlimmste Strafe für die Täter, die man sich vorstellen kann."
Es gibt keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele Frauen Opfer von Säureattacken werden in Indien. Vor allem, wenn die Tat innerhalb der Familie geschieht, gehen die Opfer meist nicht zur Polizei. Einige sterben an den Verletzungen, andere werden taub oder blind. Sie habe Glück gehabt, sagt Laxmi. Eigentlich müsste sie ihr ganzes Leben noch Operationen über sich ergehen lassen, aber das möchte sie nicht mehr. Nur eine medizinisch notwendige OP soll noch folgen, denn Laxmi kann seit der Attacke ihr rechtes Auge nicht mehr schließen.
"Danach werde ich mich nicht mehr operieren lassen, ich liebe mein Gesicht jetzt genau so, wie es ist!"
Hintergrund: Wie viele Säure-Attacken es in Indien gibt, ist unklar. Bis vor zwei Jahren gab es gar keine offiziellen Statistiken darüber. Im Jahr 2014 hat das nationale Amt für Kriminalitätsdelikte über 300 Fälle aufgelistet. Die Dunkelziffer, so schätzen viele Nicht-Regierungs-Organisationen, liege weit aus höher.
Nach offiziellen Statistiken werden in Indien jährlich um die 7000 Frauen umgebracht und 18.000 weitere verstümmelt. Aus westlicher Sicht geht es dabei oft um banale Gründe: Neid, Missgunst oder Streitigkeiten über die Mitgift, die in Indien noch weit verbreitet ist.
Wenn Säure-Attacken beispielsweise in der eigenen Familie verübt werden, kommt es fast nie zur Anzeige. Aber auch viele andere Opfer trauen sich nicht, vor Gericht zu ziehen. Die entstellten Menschen bleiben oft ihr Leben lang hinter verschlossenen Türen, das Thema Säure-Attacken ist oft noch Tabu.
Mehrere Hilfsorganisationen allerdings bringen das Thema immer öfter in die Medien und ermutigen die Frauen, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Mehrere Hilfsorganisationen allerdings bringen das Thema immer öfter in die Medien und ermutigen die Frauen, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen.
In Indien sind mindestens drei Viertel der Opfer Mädchen oder Frauen. Durch den Druck der Hilfsorganisationen hat Indien in den vergangenen Jahren ein Gesetz erlassen, dass die Säure-Attacken als kriminellen Akt einstuft. Außerdem erhalten die Opfer eine Entschädigung vom Staat, die reicht allerdings oft nicht aus, um die teuren Operationen, die rein medizinisch notwendig sind, zu bezahlen. Die meisten Opfer sind zudem nicht in der Lage, Geld zu verdienen. Wegen ihres entstellten Gesichts bekommen sie keine Jobs.