Die Rampe in der modernen Architektur
In der Architektur Le Corbusiers ist die Rampe ein wiederkehrendes Element. Wir kennen sie aus dem Parkhaus oder vom barrierefreien Bauen. Aber auch Zeitgenossen wie Rem Kolhaas setzen sie als Bauelement ein. Warum eigentlich?
Vergessen Sie's. Vergessen Sie, was Ihnen zu Rampen einfällt: Raketenstarts in Cape Canaveral. Laderampen von LKW. Das Parkhaus, in dem Sie sich mit dem PKW hoch- und runterwinden.
Erinnern Sie sich lieber an die Kugelbahn, mit der Sie als Kind gespielt haben. Die Murmel, die langsam aber sicher über die schiefe Ebene rollte, bis sie unten ihr Ziel erreichte.
Solche Rampen, lang und schmal, und nicht zu sehr geneigt, baut Le Corbusier ab Anfang der 30er Jahre in seine Häuser ein. Nicht für Autos, nicht für Fahrräder. Sondern für die Bewohner. Sie sollen sich über die Rampe auf ein anderes Höhenniveau bewegen. Und zwar langsamer und bewusster als über ein Treppe, erklärt die Architekturhistorikerin Elisabeth Blum:
"Die Rampe ist ein Intensivierungsinstrument von Wahrnehmung, die aus der Architektur eine Erregungsmaschine machen soll."
Le Corbusier plant sehr genau, wie man sich durch seine Häuser bewegen sollte. Seine Vorbilder findet er in der Gestaltung der englischen Landschaftsparks. Der Weg als Erlebnis-Parcours, der an verschiedenen Attraktionen vorbeiführt. Die Rampe ist ein Teil dieses Weges.
Elisabeth Blum: "So dass man ganz verschiedene Perspektiven einnehmen kann, die Gegebenheiten mal von unten, mal von der Seite, mal in einer Bewegung, um eine Kurve, in Erscheinung treten."
Eine Dramaturgie, die sich erst durch den „Spaziergang" erschließt. Der Architekt Grischa Leifheit:
"Kontinuität ist vielleicht sowieso der Schlüsselbegriff, um das Faszinierende zu beschreiben. Weil solange ich auf der Rampe bin, bin ich noch nicht angekommen. Vielleicht liegt auch darin das Landschaftliche, weil darin so eine Unendlichkeit liegt. Und das ist ja ein Thema, das die Moderne sowieso in hohem Maße interessiert hat: Man ist immer in Bewegung."
Grischa Leifheit hat viele Le-Corbusier-Gebäude besucht. Ob seine Villa Savoye aus dem Jahr 1931, das Kloster La Tourette oder die Wohnung mit Atelier des Meisters in Paris: Überall gibt es Rampen als Teil einer Wege-Architektur. Le Corbusier nannte das die „promenade architecturale":
"Das versucht Le Corbusier, wenn er sagt: Architektur ist nur Architektur, wenn sie es schafft, Kunst zu werden, die die Menschen bewegt."
Eine Architektengeneration fängt an, Gebäude zu "falten"
Funktionalismus? Wohnmaschine? Wer in einem Le-Corbusier-Bau steht, erfasst sofort, dass es hier um mehr geht. Denn im Prinzip hat er mit seinen "Erregungsmaschinen" die Vorlage für moderne Star-Architekturen geliefert: die Erlebniswelten, den Pop.
Grischa Leifheit: "Das ist ganz bestimmt in den Neunzigerjahren geschehen mit Koolhaas."
Ein Vierteljahrhundert nach Le Corbusiers Tod, so Grischa Leifheit, fängt plötzlich eine ganze Architektengeneration an, Gebäude zu "falten" wie ein Papier-Modell ...
"... das man so schlitzt, wenn man nachher, wenn man das eine Ende anfasst und nach oben zieht, dass sich das unten vom Straßenniveau so hoch faltet und hoch entwickelt."
Die Rampe kommt wieder - nur viel krasser: Rem Koolhaas kippt in seinen Entwürfen was das Zeug hält. Ganze Ebenen geraten ins Wanken. In seiner Niederländischen Botschaft in Berlin wird die Rampe zum zentralen Gestaltungselement. Man wird dort über eine Art spiralförmige Innenstraße vom Eingang bis zum Dach geleitet und unterwegs corbusierlike mit Ein- und Ausblicken beschenkt.
Andere, vor allem niederländische Architekten, tun es ihm gleich. Ben van Berkel baut das Mercedes-Benz-Museum und parkt Limousinen auf der Ausstellungs-Rampe. Und natürlich ist Zaha Hadid, Entschuldigung, eine der größten Rampen-Säue. Auch wenn ihre Morph-Architektur frei von Ecken und Kanten ist: Schiefe Ebenen gibt es dort überall. Der intensive Raumeindruck geht darüber allerdings manchmal verloren, so Elisabeth Blum.
Elisabeth Blum: "Natürlich kann man sagen, jetzt hat es eine Verselbständigung gegeben, wir sind heute in einer Zeit, wo Architektur im Prinzip Vergnügungsmaschinerien sein sollen, die die Städte aus ihrer wirtschaftlichen Misslage befreien sollen."
Le Corbusier als Ur-Vater der unzähligen, zum Teil auch ziemlich misslungenen Star-oder sagen wir lieber "Spaß"-Architekturen zu bezeichnen, ist natürlich Quatsch. Aber dass Architektur auch Spaß machen soll, das war ihm wohl bewusst. Er selbst hätte dafür natürlich klügere Worte gefunden.