Warum viele in Elsass und Lothringen rechts wählen
In den ländlichen Regionen im Elsass und in Lothringen hat etwa jeder dritte für Marine Le Pen gestimmt. Am Sonntag bei der Stichwahl dürften es noch mehr werden. Dass viele in der Grenzregion zu EU- und fremdenfeindlichen Kandidaten laufen, hat auch mit Deutschland zu tun.
Die alte Turnhalle in Forbach: Ein Backsteinbau aus dem späten 19 . Jahrhundert dient heute als Veranstaltungsraum. Öffentlich werden die Stimmzettel der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen ausgezählt.
Für Bernard Janvier, den örtlichen Repräsentanten des Front National, geht die Rechnung auf.
"So wie es aussieht, liegt Marine Le Pen in allen Stimmbezirken in Forbach vorne, es läuft gut für uns."
Am Ende stimmen 30 Prozent der Wähler hier in der französischen Kleinstadt Forbach in Lothringen unweit der Grenze zu Deutschland für Marine Le Pen, die Kandidatin der extremen Rechten. Das löst fast schon Erleichterung bei Marie-Antoinette Gerolt aus. Sie ist Mitglied des Forbacher Stadtrates und Sozialistin.
"Wenn man ihr Ergebnis mit der letzten Wahl vergleicht, dann hat sie sich auf hohem Niveau stabilisiert, aber ihre Werte sind nicht viel gestiegen."
Ein wenig doch: um drei Prozentpunkte. Aber das es nicht noch mehr geworden sind, liegt am guten Abschneiden des Kandidaten der extremen Linken, Jean-Luc Mélenchon. In Forbach ging er hinter Marine Le Pen als zweiter über die Ziellinie und ließ den landesweiten Gewinner der ersten Runde - Emmanuel Macron - hinter sich. Der ehemalige Bankmanager und kurzzeitige französische Wirtschaftsminister überzeugt längst nicht alle, die an diesem Abend in die alte Turnhalle gekommen sind, um die Auszählung der Stimmen zu verfolgen.
"Der Macron katastrophal, der Mann war nie in der Politik, Bankführer, Rowdy, der kann doch nix. Dieser Mann ist eine Null."
Macron punktetet kaum mit EU-freundlichem Programm
Die politische Klasse in Frankreich, tauge zu gar nichts mehr, meinen einige Bürger an diesem Abend.
"Stellen wir doch einen Esel auf den Platz, der macht‘s genau wie die. So einen Hals habe ich!"
Andere wiederum setzen auf die Vernunft ihrer Landsleute am Sonntag.
"Macron wird es schon schaffen. Weil die Leute tun werden, was nötig ist, um den Front National zu verhindern. Wenn Le Pen auf 40 bis 45 Prozent kommt, dann ist das viel. Macron wird haushoch gewinnen."
Ausgemacht ist das noch lange nicht, das weiß auch Christophe Arend. Er ist ein Anhänger der neu gegründeten Bewegung Emmanuel Macrons mit Namen "En Marche!". Sehr zu seinem Erstaunen ist das europafreundliche Konzept seines Kandidaten in der ersten Runde bei den Wählern entlang der deutsch-französischen Grenze durchgefallen.
"Warum zwei Kandidaten, die gegen Europa sind, hier in einem Grenzgebiet an erster und zweiter Stelle ankommen, das wird jetzt unsere Arbeit sein, dass wir den Leuten hier in Forbach beibringen, dass Europa eine Chance ist, damit wir dieses Resultat wenden können."
Gut 21.000 Einwohner hat das französische Grenzstädtchen Forbach. Es liegt unweit von Saarbrücken und hat es schwer, sich gegen die nahe deutsche Großstadt zu behaupten. Der Handel leidet unter der deutschen Konkurrenz. Hinzu kommt, die Arbeitslosigkeit will nicht weichen. 13 Prozent der Menschen in Forbach und den angrenzenden Gemeinden finden keinen Job. Darunter sind viele junge Leute mit Migrationshintergrund, deren Väter einst in den inzwischen stillgelegten Kohlegruben beschäftigt waren. Wie sich diese Wählergruppe, die dem Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon lokale Ergebnisse bis zu 40 Prozent beschert hat, in der zweiten Runde verhalten wird, ist völlig offen.
Werden Mélenchon-Wähler Le Pen verhindern?
Die Kommunisten verteilen Flugblätter auf dem Wochenmarkt von Behren les Forbach. Es sei Zeit zu handeln, steht drauf und das bedeute, man müsse gegen Marine Le Pen stimmen, sagt Jean-Marie Colle.
"Wir wählen gegen Marine Le Pen. Wir haben Mélenchon gewählt in der ersten Zeit, aber jetzt müssen wir Le Pen wegmachen. Wir sind nicht für Macron, aber wir haben keine andere Wahl. Und nicht Macron wählen, kann Le Pen an die Regierung führen und das wollen wir vermeiden."
Der regionale Vertreter der Kommunisten ist sauer auf Jen-Luc Mélenchon, weil der Linksaußen keine Wahlempfehlung für die Stichwahl abgegeben hat.
"Wir glauben, dass Mélenchon das hätte tun müssen, ein verantwortungsvoller Politiker, muss klar Position beziehen."
Mélenchon lasse seine Wähler alleine mit der Entscheidung und das werde nur dazu führen, dass Marine Le Pen gestärkt würde, so der Vertreter der kommunistischen Partei. Dass ganz viele Menschen überhaupt nicht mehr zur Wahl gingen oder sich mit dem Gedanken tragen, einen ungültigen Wahlzettel abzugeben, das hört Jean-Marie Colle an diesem Vormittag in häufig. "Voter blanc", nennen die Franzosen diese Form der Missfallensbekundung für die zur Wahl stehenden Kandidaten.
"Beim zweiten Mal bleib ich daheim. Ich wähle nicht. Ich bin sowohl gegen Marine Le Pen als auch gegen Macron. Und wenn ich gegen Le Pen stimme, dann stimme ich gleichzeitig für Macron. Und er war doch mit Hollande in der Regierung und hat uns nur Unheil gebracht. Ich hab nicht für Mélenchon gewählt aber die Le Pen macht einem Angst, die will ich auch nicht, ich wähle ungültig."
Bei vielen hat sich auch eine Art Fatalismus breit gemacht.
"Ehrlich, die Politik geht mir entsetzlich auf den Wecker, es sind doch nur Marionetten. Ich habe kein Vertrauen, mehr. Die arbeiten doch nur in die eigene Tasche. Was ändert es, wenn ich Le Pen oder Macron wähle, das ist doch egal, es ändert sich ohnehin nichts."
Anhänger von Le Pen blicken sehnsüchtig nach Deutschland
Wochen-Märkte sind hier im Elsass traditionell das Terrain des Front National. Für die Rechtsextremen verteilt Bernard Janvier Flugblätter und Broschüren.
Wenige gehen achtlos vorüber, die meisten greifen zu. Bernard Janvier hat wie so viele im Grenzgebiet enge Beziehungen nach Deutschland, er hat einen Teil seiner Kindheit dort verbracht. Er schaut genau hin, was hierzulande geschieht.
"Angela Merkel, nachdem die Mauer gefallen war, hat sie Opfer verlangt, sie hat nicht gezaudert, sondern war klar in ihren Vorstellungen. Jetzt sieht man: Euer Land steht an der Spitze in Europa, Frankreich ist zurück gefallen und wir sind Angela und den Deutschen ausgeliefert. Aber wir wollen nicht abhängig sein, sondern auf Augenhöhe kooperieren und in Brüssel nicht von Angela hören: Macht dies oder macht das. Wir wollen unsere Autonomie zurück."
Seit Jahren macht sich auch Danielle Grandmontagne für ihr großes Vorbild Marine le Pen stark.
"Die einzige, die wirklich im Namen des Volkes arbeitet, ist Marine Le Pen. Und Marin le Pen ist auch eine Frau und wir wollen eine Frau an der Regierung. Frau Merkel war ja eine phantastische Frau und Marine Le Pen hat zusätzlich Kinder, sie hat noch einen besseren Blick auf die Welt."
Diesen verklärten Blick auf die Populistin aus dem rechten Lager teilen nur wenige. Aber die anderen Politiker - von rechts wie von links - hätten ihre Chance gehabt, ist oft zu hören - ob in Forbach oder anderswo.
Saverne ist Idylle pur
In der Liebfrauenkirche von Saverne übt jemand an der Orgel. Wer, ist nicht zu erkennen. Aber nicht das romanische Bauwerk aus dem 12. Jahrhundert kennzeichnet die Stadt, sondern das mächtige aus rotem Vogesen-Sandstein erbaute Chateau des Rohans. Der Rhein-Marne Kanal schließt den Schlosspark ein. Ausflugsschiffe warten auf Gäste. Die vielfach verzierten Fachwerkhäuser sind in gutem Zustand, die Gärten gepflegt und die Klappläden gestrichen. Saverne, 30 Autominuten vor Straßburg gelegen, ist Idylle pur. Und trotzdem haben sie auch hier viele für den Front National gestimmt. Nicht in der Kernstadt, die seit Jahrzehnte einer bürgerlichen Rechten die Stange hält, sondern in den Dörfern drum herum.
"Es geht schlechter und schlechter in den kleinen Städtchen, die Geschäfte schließen."
Rachel Bienvenot schlendert an den Marktständen vorüber. Der Käsehändler, der frischen handgeschöpften Schafskäse und Ziegenkäse aller Reifegrade vor sich aufgebaut hat, wartet auf Kundschaft, er stimmt Rachel zu.
"Bei uns oben in den Nordvogesen wählen sie in allen Dörfern Marine Le Pen. Wir waren ja zwei Mal deutsch und wir haben ein bisschen in uns das deutsche Blut, wir sind aber Franzosen. Aber, bei uns, es geht nicht mehr, es sind zu viele Ausländer da und die bekommen auch alle Sozialgeld, arbeiten nix und wir haben selbst keine Arbeit mehr. Und die Marine Le Pen ist die Einzige, die die Grenzen kontrolliert und die ganzen Migranten ein bisschen kontrolliert. Man muss erst Arbeit haben, dass es uns gut geht, dann kann man Menschen aufnehmen. Zuerst muss das Land einmal Arbeit für sein Volk haben."
Sein Kompagnon, Michel Fuchs, bringt sich in die Unterhaltung am Käsestand ein.
"In Deutschland herrscht Ordnung, da gibt’s auch Zuwanderung aber geordnet und in Frankreich herrscht Chaos. Und die Elsässer sind ein wenig wie die Deutschen und sie wollen eben auch ordentliche Verhältnisse und nicht diese chaotischen Zustände wie in Marseille oder Paris."
Michel Fuchs und Felix Bühler, beide sind sie öfter auf den Märkten in Deutschland unterwegs, weil die Geschäfte dort besser liefen als zu Hause.
"In Deutschland mache ich vier bis fünf Mal soviel Umsatz. Die Leute haben Geld. Die Franzosen gucken nur zehn Minuten und nehmen dann einen Käse. Die Deutschen sagen: Mach mir das, mach mir das, ah, da bist du wieder mit deinem guten Käse. Und da sind auch viele Ausländer, die arbeiten alle, das klappt."
Arbeitslosigkeit geringer als im Landesschnitt
Die Arbeitslosenquote in und um Saverne liegt bei etwa sieben Prozent, und damit gut zwei Prozentpunkte unter dem landweiten Durchschnitt. Ein international tätiger Hersteller von Landmaschinen hat hier seinen Sitz. Und um die Ecke, im gemeinsamen Industriegebiet Saverne-Monswiller, hat ein bekannter amerikanischer Life-Style-Produzent, dessen Uhren die Handgelenke junger Leute zieren, seine Frankreichzentrale aufgebaut. Es geht den Menschen im landesweiten Vergleich sicherlich nicht schlecht. Trotzdem hat ein Drittel der Bürger von Monswiller für Marine Le Pen gestimmt.
"Wir hatten die Rechten und wir hatten die Linken und sind immer noch in der Scheiße, warum nicht Front National? Und die Merkel soll sich nicht länger die Säcke vollstopfen, Deutschland geht es zu gut. Ich bin nicht dafür, aus Europa rauszugehen, nein, aber es muss viel geändert werden, dann könnte es weiter gehen, aber nicht nur für die große Industrie und die Banken, sondern auch für die kleinen Leute, dann könnte es weiter gehen."
So denken nicht wenige Menschen im Elsass. Das weiß Marine Le Pen und versucht, ihre Anhänger in den ländlichen Gebieten zu mobilisieren. Sie hat sich bewusst für den kleinen Ort Saverne-Monswiller entscheiden. Ein Wahlkampf-Auftritt im 1.500-Seelen-Örtchen, soll Verbundenheit signalisieren mit der ländlichen Bevölkerung. Eine Gruppe älterer Herren ist nicht mehr reingekommen. Die Multifunktionshalle ist überfüllt, viele werden abgewiesen. Drinnen erschallt unterdessen immer öfter der Ruf nach dem Präsidentenamt für Le Pen.
Auch das bekannte "en est chez nous", wir bleiben unter uns, ist mannigfach zu hören.
Sie verspricht viel und bedient die Wünsche der Elsässer nach der eigenen Identität. Sie bringt die verhasste Gebietsreform, die 2016 das Elsass, Lothringen und die Champagne zu einer Verwaltungseinheit unter dem Namen "Grand-Est" zusammenfasst zur Sprache.
Allein der Name "Grand-Est" ist den Zuhörern Buhrufe Wert, obwohl die nahe Metropole Straßburg davon profitiert hat. Städte wie Metz, Nancy und Reims hatten das Nachsehen. Aber Fakten sind eben störendes Beiwerk. Marine Le Pen verspicht, die Reform rückgängig zu machen, sollte sie in Frankreich ans Ruder kommen. Ich gebe Euch das Elsass zurück ruft sie und löst damit Begeisterungsstürme aus.
Ja, ja, sagt Denis Lapp, wir ticken halt ein wenig anders und glauben an das, was uns gefällt. Lapp führt ein Textilgeschäft und verkauft aus Bambus hergestellte Tücher auch auf Märkten. Er hatte keine Zeit für Marine Le Pen, aber seine Kundschaft redete viel von der ungeliebten Verwaltungsreform, die das Elsass dem "Grand-Est" unterordne.
"Grand-Est haben Elsässer ganz wenig angenommen und Le Pen ist die Einzige, die gesagt hat, sie nimmt es zurück, aber sie nimmt es auch nicht zurück, das sind nur Wahlversprechen."
Denis Lapp mag die Deutschen, es seit angenehm, mit Ihnen Geschäfte zu machen.
"Bei mir kommt 80 Prozent der Ware aus Deutschland. Ist auch eine Qualitätssache. Ich habe immer mit Deutschland gearbeitet. In Deutschland zählt noch ein Mann, ein Wort."
In Frankreich sei der Kompass verloren gegangen und den handelnden Politikern fehle die Bodenhaftung, das sei seit Jahren zu beobachten, das gelte auch für Le Pen und Macron. Auf der gegenüberliegenden Seite seine Standes auf dem Wochenmarkt von Saverne, werden regionale elsässische Pasteten feilgeboten. Ein Kunde ruft dazwischen.
"Sie ist Nationalsitin und liebt ihr Land, der andere Kandidat hat für Frankreich nichts übrig. Sie will die französische Identität retten, die nationale Souveränität. Heute darf man nicht mehr für Frankreich sein, heute muss man für Europa sein, aber man sollte die Tür zuschlagen, das wäre gut."
Präsidentschaftswahlen sind nur die halbe Miete
In die gleiche Kerbe hauen auch zwei junge Leute Anfang 20, ein Altenpfleger und eine Krankenschwester, die gemütlich über den Markt schlendern.
"Wir wählen Marine le Pen für ein schönes Frankreich."
Die Vorstellung, dass Marine Le Pen Frankreich isolieren könnte, schreckt die beiden nicht. Nur sie habe die Kraft, etwas zu ändern. Aber sie werde es im zweiten Wahlgang nicht schaffen, weil die Franzosen vor ihrer eigenen Courage zurück schreckten, fügt Marie hinzu.
"Sie haben Angst für sie zu stimmen, weil sie so radikal ist, aber gleichzeitig hofften sie, dass sich was ändert."
Irgendwie passe das alles nicht zusammen. Die Marktbesucher Angela und Gilbert de Kocker sind alles andere als erfreut über die beiden Gewinner der Stichwahl. Marine Le Pen lehnen sie ab und Emmanuel Macron halten sie für eine Marionette.
"Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die Leute haben die Schnauze voll von rechts wie von links, keiner hat etwas für die kleine Leute getan, aber den Front National zu wählen, ist auch keine Lösung."
Wie sie sich entscheiden werden, das wissen sie noch nicht. Die Präsidentschaftswahlen seien ja auch nur die halbe Miete, weder Le Pen noch Macron verfügten über Mehrheiten in der Nationalversammlung, die im Sommer neu bestimmt werde. Dann würden tradierte politische Überzeugungen und Wertvorstellungen wieder Platz greifen und keiner der Kandidaten könne dann auf eine Mehrheit hoffen, mit der er regieren könne. Aber im Moment ginge es darum, den Präsidenten der Republik zu stimmen und da wüssten sie noch nicht, was sie tun.
"Weder die eine noch der andere überzeugen uns, kann sein, dass wir ungültig wählen, oder wider Willen Macron."