Die Premiere von "Cyrano de Bergerac" ist am 18. März im Thalia-Theater in Hamburg um 20 Uhr.
"Die Moderne ist im Spießigen erstarrt"
Mit einem Fake-Bild auf Facebook hätte es Cyrano de Bergerac trotz großer Nase vielleicht leichter gehabt, vermutet Regisseur Leander Haußmann. Er hat das Stück am Thalia Theater in Hamburg inszeniert und will dasselbe wie in einem Film - starke Empfindungen wecken.
Mehrfach verfilmt und vielfach aufgeführt - Edmond Rostands 120 Jahre altes Stück "Cyrano de Bergerac" ist ein Klassiker. Jetzt hat sich Leander Haußmann des Mantel-und-Degen-Stoffes angenommen.
Andere Chancen auf Facebook
"Heute durch die sozialen Medien wird wieder sehr viel geschrieben", sagte der Regisseur Leander Haußmann im Deutschlandradio Kultur. Es sei zum Teil sehr witzig, pointiert und keineswegs doof. Die Hauptfigur seiner Hamburger Inszenierung des Versdramas "Cyrano de Bergerac" hätte dank seiner poetischen Ader auf Facebook vielleicht jemanden gefunden. Aber vielleicht hätte er die Person dann anschließend nie getroffen, weil er wegen seiner großen Nase doch sehr komplexbeladen gewesen sei. "Auf der anderen Seite hätte er vielleicht ein gefaktes Foto auf seine Seite gestellt", sagte Haußmann, der erzählte, er habe seine jetzige Freundin über Facebook kennengelernt und ein Jahr lang mit ihr Briefe geschrieben.
Spielerisches Stück mit Tiefe
Vor der Premiere im Thalia Theater zeigte sich Haußmann begeistert von dem Stück, in dem die Hauptfigur, ein Dichter des 17. Jahrhunderts unter seiner riesigen Nase leidet und sich in seine schöne Cousine Roxane verliebt. "Es ist ein wahnsinnig spielerisches, sehr tiefes Stück, was ich vorher so übrigens gar nicht wusste", sagte Haußmann. "Vielleicht auch, weil die Nase so präsent ist." Dabei habe das Stück die Dimension eines Hamlet oder von Romeo und Julia.
Das Interview im Wortlaut:
Katrin Heise: So, jetzt wird es romantisch! Die Macht der Worte oder die Schönheit des Körpers? Ideal wäre es ja, wenn sich beides in einer Person trifft, aber das ist ja nun nicht immer der Fall! Was …
Leander Haußmann: Bei mir schon!
Heise: Bei Ihnen schon, hören wir schon im Hintergrund! Leander Haußmann, was ich mit Ihnen besprechen will, ist, was schwerer wiegt in unserer mediendominierten Welt: das schöne Äußere oder der geschliffene Intellekt? Das ist nämlich mal so knapp die Frage, mit der sich vor 120 Jahren die romantische Komödie des französischen Autors Edmond Rostand beschäftigt hat, "Cyrano de Bergerac", Sie erinnern sich, der Dichter mit der hässlichen großen Nase, der seine bezaubernden Verse dem hübschen Christian zur Verfügung gestellt hat, der dazu selber nicht in der Lage gewesen wäre, aber die reizende Roxane umwerben wollte. Heute Abend hat "Cyrano de Bergerac" Premiere im Hamburger Thalia-Theater, inszeniert von dem, den wir schon gehört haben, von Leander Haußmann, schönen guten Morgen, Herr Haußmann!
Haußmann: Guten Morgen!
Heise: Mal ehrlich, Sie als Schauspieler, Regisseur in Theater und Film, aber auch als Buchautor! Verzaubert Sie auf Anhieb eher das Wort oder eher die körperliche Erscheinung?
Haußmann: Die körperliche Erscheinung.
Heise: Da sind Sie ehrlich?
Haußmann: Ja. Das ist ja nun mal das Erste, was man sieht in der Regel. Wobei, heute, durch die sozialen Medien wird ja auch wieder sehr, sehr viel geschrieben und, wie ich finde, durchaus auch von jungen Menschen, teilweise wahnsinnig witzig, pointiert und auch nicht doof, ja? Hätte unser Cyrano de Bergerac Facebook gehabt, vielleicht hätte er da jemanden gefunden, mit dem er sich möglicherweise aber dann nicht getroffen hätte, weil er eben doch sehr komplex beladen mit seiner Nase ist. Auf der anderen Seite hätte er vielleicht ein gefaktes Foto auf seine Seite gestellt!
Ich bin kein Maschinenstürmer
Heise: Genau, da haben wir schon im allerersten Moment sämtliche, ja, Möglichkeiten eigentlich in unserem Zeitalter! Ist auch gar nicht nur schlecht! Also, sowohl gucken wir viel aufs Äußerliche, auf der anderen Seite hat das Wort wieder eine neue Chance. Haben Sie sich eigentlich schon mal in Worte verliebt?
Haußmann: Ja. Also, ich habe meine jetzige Freundin über Facebook kennengelernt. Und man kann sagen, wir haben uns ein Jahr lang Briefe geschrieben. Also, mehr als ich zu einer Zeit Briefe geschrieben habe, was ich auch tat, als ich bei der Armee war beziehungsweise auf dem Schulhof einer Angebeteten … Also, heute schreibt man schon sehr viel mehr. Also, man schreibt ja auch lieber, als dass man telefoniert. Es gibt ja auch Menschen, die wollen gar nicht mehr telefonieren, die wollen nur noch schreiben. Also, ich bin, was das betrifft, kein Maschinenstürmer, ich begrüße das, also, ich finde das gut.
Heise: Sehen Sie, und jetzt haben wir nämlich doch beides. Also, Sie haben am Anfang gesagt, Sie sind sofort aufs Äußere, und jetzt sind wir doch viel mehr bei den Worten. Also sind wir auch ganz nah eigentlich an "Cyrano de Bergerac", das ist ja so ein komödiantisches Versdrama. Haben Sie da eigentlich einen Lieblingsvers von Edmond Rostand parat?
Haußmann: Na, jetzt habe ich keinen … leider nicht parat. Wissen Sie, dieses Ding, dieses Stück, dieser "Cyrano de Bergerac", das klingt ja auch toll, schön, Cyrano de Bergerac.
Es gibt etwas wie innere Schönheit
Heise: Vom Namen her schon.
Haußmann: Es gibt übrigens auch einen sehr guten Rotwein mit diesem Namen vom Gut de Bergerac. Dieses Stück ist einfach, wenn man es so liest, wenn man auch Filme sieht, nicht so extrem stark, wie wenn man es macht. Es hat einfach Situationen, die sind so gut und so komödiantisch, das hat jetzt nicht nur was mit den Worten zu tun, sondern einfach mit der Grundsituation. Wenn eine Grundsituation stimmt, dann sind die Worte dazu natürlich eine schöne Garnierung. Aber letzten Endes geht es immer um die Situation, es heißt ja auch nicht Schausprecher, es heißt Schauspieler. Man schaut den Menschen also beim Spielen zu und hat daran seine Freude.
Es ist ein wahnsinnig spielerisches, sehr tiefes Stück, was ich vorher übrigens so gar nicht wusste. Vielleicht auch, weil die Nase so präsent ist, ja, sozusagen als Plotaufhänger. Aber letzten Endes hat es die Dimension eines "Hamlet", es hat die Dimension von "Romeo und Julia". Es ist, wenn man so will, die tragische Variante, wenn man überhaupt von einer tragischen Variante zu "Romeo und Julia" sprechen kann, dann ist es die tragischere. Weil, es geht ja hier auch um das Nicht-aussprechen-Können, obwohl man so viele Worte zur Verfügung hat, kann man trotzdem nicht sagen, was man will. Also, der Cyrano macht wahnsinnig viele Worte, die Roxane will auch diese vielen Worte, aber der Christian, der bringt es eigentlich auf den Punkt, der hält sich nämlich für dumm, was er aber an sich nicht ist, er ist instinktiv und er ist eben schön.
Schöne Menschen haben es in dieser Welt leicht und schwer zugleich, man traut ihnen nämlich nichts zu, man hält nämlich schöne Menschen für dumm. Kann auch sehr oft beides zusammenkommen, man ist nämlich auch ein bisschen dafür verantwortlich, wie man aussieht, und auch für seine Schönheit. Und dazu ist es egal, ob man eine längere Nase hat oder ob man nicht die Idealmaße hat, sondern Schönheit ist tatsächlich – ich hätte nicht gedacht, dass solche Worte mal aus meinem Munde kommen, aber das kann am Alter liegen – tatsächlich auch von innen her zu verstehen.
Es gibt so etwas wie innere Schönheit und die kann sehr stark nach außen strahlen. Man sieht das übrigens oft an Menschen, die altern: Es gibt Menschen, die alternativ schön, und es gibt Menschen, die alternativ nicht so schön. Und dafür sind sie aber selber verantwortlich, das ist jetzt meine These.
Er will wieder starke Empfindungen wecken
Heise: Das ist eine sehr schöne These. Mich würde jetzt im Vorfeld – wir wollen die Leute ja neugierig machen auf heute Abend – interessieren: Wie haben Sie das jetzt eigentlich auf die Bühne gebracht? Denn ich hätte mir jetzt im Anfang vorgestellt, das haben Sie vielleicht ganz modern inszeniert. Aber eigentlich wollen Sie ja gar nicht so modern inszenieren, immer das Heute auf die Bühne bringen, sondern lieber so, wie es …
Haußmann: Da drücken Sie bei mir auf einen Knopf.
Heise: Oh!
Haußmann: Das könnte mich jetzt ins Plaudern bringen noch und nöcher, aber ich möchte natürlich niemanden langweilen mit meiner eigenen Obsession. Was ist die Moderne? Also, die Moderne ist doch längst im Spießigen erstarrt! Also, ach, so muss es jetzt alles sein, so muss jetzt alles aussehen! Das ist ja auch wieder etwas, was stehenbleibt! Die Tendenz geht ja natürlich wieder ins Theater hinein. Also, ich sage mal, was ich so gerne hätte, was ich so gerne mag als Filmemacher, als Buchautor und letzten Endes als Theaterinszenator, dass die Menschen da unten sitzen und dann denken: Ach, hoffentlich wird der nicht erstochen oder hoffentlich gewinnt der den Kampf, oder ach, warum sagt er das denn jetzt nicht, und ach, ist das traurig, dass der jetzt stirbt!
Diese Empfindungen, diese Empathie zu entwickeln, die so wahnsinnig notwendig ist, wenn man Menschen etwas erzählt oder erzählen will oder ankommen will, die würde ich gerne wieder wecken! Also, ich habe ja nun wirklich, ich weiß gar nicht, seit 30 Jahren Theater, und habe nun wirklich schon alles gemacht. Und es ist nur so, wenn man älter wird, beginnt man sich auch ein bisschen an diesen Dingen, Ideen zum Beispiel, zu langweilen. Also, wenn man sich an sich selber schon langweilt, dann wird es gefährlich. Dann muss man übrigens manchmal auch mal kurz eine Pause machen im Theater.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sein Leben lang, 30 Jahre lang pro Jahr drei Inszenierungen macht und dann … Wie soll das funktionieren? Also, ohne dass man sich wiederholt oder sich langweilt oder dass man neugierig bleibt? Das geht gar nicht!
"Deutschlandradio Kultur, ich liebe es!"
Heise: Da hätten wir gleich das Thema fürs nächste Interview, was wir allerdings dann irgendwann anders einmal führen. Ob Sie …
Haußmann: Sehr gerne, Deutschlandradio Kultur, ich liebe es!
Heise: Das ist doch ein wunderbares Schlusswort! Leander Haußmann, wir wünschen eine schöne Premiere heute Abend!
Haußmann: Das wünsche ich uns allen!
Heise: Toi, toi, toi! Die Inszenierung "Cyrano de Bergerac", also, heute Abend in Hamburg Premiere und wird auch morgen und Ende März, Anfang April im Thalia Theater zu sehen sein, mit Jens Harzer als Cyrano. Und was schon mal verraten wird: Es gibt auch Degenszenen, und in unserer Theatersendung "Rang eins" wird uns Klaus Figge verraten, wie er mit den Schauspielern Fechten geübt hat, das ist nämlich der Professor für Kampftechnik, "Rang eins", heute fünf nach zwei. Und wie es unserem Kritiker gefallen hat, das erfahren Sie heute Nacht in der Sendung "Fazit".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.