Hier regiert das Tier
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Die Galapagosinseln gehören wegen ihrer einmaligen Flora und Fauna zum Naturerbe der Menschheit und stehen unter besonderem Schutz. Jedenfalls 97 Prozent des Archipels. Doch was ist mit den restlichen drei Prozent?
Im Hafen von Puerto Ayora liegt ein dicker, brauner Seelöwe auf einer Holzbank und räkelt sich in der Abendsonne. Eigentlich ist die Bank für Touristen gedacht, die auf das nächste Ausflugsschiff warten. Die Urlauber können kaum glauben, was sie da sehen. Lachend zücken sie ihre Kameras. Auch ich betrachte fasziniert das Tier, das sich jetzt behäbig von einer Seite auf die andere wälzt. Eine Frau in Shorts und Flipflops will besonders mutig sein, sie setzt sich für ein Erinnerungsfoto dicht neben den Seelöwen – da gibt dieser ein ungehaltenes Schnauben von sich.
Die Tiere haben keine Angst vor den Menschen
Ein Einheimischer, der mit seiner Freundin an den Urlaubern vorbeiläuft, zeigt verärgert auf ein Schild: Besucher sollen zu den Tieren einen Abstand von mindestens zwei Metern einhalten. Wenige Meter entfernt hat Roberto Naranjo gerade eines der Ausflugsboote verlassen. Der Ecuadorianer trägt eine hellbeigefarbene Uniform. Er ist einer der Natur-Guides des Nationalparks von Galapagos.
"Die meisten Touristen, aber nicht alle, verhalten sich korrekt", sagt er. "Unsere Aufgabe als Natur-Guides ist es, sie über die Regeln des Nationalparks zu informieren. Man darf die Tiere nicht anfassen, ihnen nicht zu nahe kommen und sie nicht füttern. Touristengruppen, die im Nationalpark unterwegs sind, müssen immer von einem Natur-Guide begleitet werden."
Wer die Galapagosinseln besucht, die zu Ecuador gehören und sich tausend Kilometer vor der Küste des südamerikanischen Lands im Pazifik befinden, sollte wissen: Hier haben Tiere Vorfahrt. Immer. Egal, ob Seelöwen auf Holzbänken entspannen oder Riesenschildkröten die Wege blockieren. Der Mensch muss warten. Und er staunt. Denn weder die Seelöwen noch die pechschwarzen Echsen, die auf den Felsen in der Sonne dösen, scheinen sich für den Homo sapiens zu interessieren.
"Sie haben keine Angst. Die Galapagosinseln sind noch nicht sehr lange bewohnt. Und Tourismus haben wir erst seit Ende der 1970er-Jahre. Die Seelöwen und Echsen haben keine Misshandlung erfahren, deshalb kommen sie uns Menschen so nah. Die Seelöwen suchen sich Plätze zum Schlafen, und manche finden es auf den Bänken einfach gemütlicher als auf den Felsen", erklärt Natur-Guide Roberto Naranjo.
Der "Parque Nacional Galápagos" ist der älteste Nationalpark Ecuador, vor sechzig Jahren gegründet. 97 Prozent der Inselgruppe sind geschützt, nur auf drei Prozent des Archipels dürfen Menschen wohnen. Puerto Ayora ist der größte Ort der Galapagosinseln. Ende der fünfziger Jahre wohnten hier nur ein paar Dutzend Menschen, heute sind es mehr als zwölftausend. Die Mehrheit ist vom ecuadorianischen Festland zugewandert, um im Tourismus zu arbeiten. Familien wurden gegründet, Nachkommen geboren. Durch den vor allem internationalen Tourismus ist die Bevölkerung von Puerto Ayora explodiert.
Rund 30.000 Bewohner tummeln sich auf fünf Inseln
Die Hauptstraße ist nur ein paar Gehminuten vom Anlegesteg mit den Seelöwen entfernt, aber von der beschaulichen Atmosphäre ist hier nichts mehr zu spüren. Es stinkt nach Abgasen und es ist laut – viele Autos, Motorräder, Fahrräder und Fußgänger sind unterwegs.
An diesem Morgen zieht es mich hinaus aus dem lärmigen Zentrum. Im kleinen Fischerhafen an der Küstenpromenade türmen sich auf Steintischen frischgefangene Langusten und andere Krusten- und Schalentiere. Männer mit Gummistiefeln beugen sich über nass glänzende Schwertfische und Gelbflossen-Thunfische und zerteilen sie mit ihren scharfen Messern. Dann spritzen sie die Stücke auf dem Boden mit einem Wasserschlauch ab.
Kreischende Möwen umkreisen die Fischer, hungrige Meerespelikane schnappen mit ihren langen Schnäbeln nach den Fischstücken. Ein energischer Seelöwe drängt die Pelikane immer wieder zurück, dann greift er selbst mit seiner Flosse in einen Eimer und angelt sich einen kleinen Fisch. Ein tierisches Schauspiel, das ein paar Urlauber mit ihren Handys filmen.
Der Mensch hat die Riesenschildkröte fast ausgerottet
Auf dem Weg aus der Stadt hüllt mich das Gezwitscher der allgegenwärtigen, gelben Galapagos-Finken und der Duft von Palisander-Bäumen ein. Auch riesige Opuntia-Kakteen säumen den Weg zur Estación Científica Charles Darwin. Die Forschungsstation ist nach dem englischen Naturforscher benannt, der 1835 auf den Galapagosinseln wichtige Anstöße für seine Evolutionstheorie erhielt.
Den Rundgang leitet Jorge, ein Guide des Nationalparks. Er zeigt auf zwei kleine Iguanas, Leguane, am Wegesrand. Sie kämpfen miteinander, äußerst rabiat. Und völlig unbeeindruckt von unseren gespannten Blicken. Der Grund für die Keilerei, laut Jorge: ein Weibchen.
Die natürliche Selektion, das Gesetz des Stärkeren, ruft der Guide. Eine der Hauptaufgaben der Forschungsstation ist der Schutz der Galapagos-Riesenschildkröten. Verschiedene Arten werden hier aufgezogen und im Alter von drei bis fünf Jahren in ihrem natürlichen Habitat ausgesetzt. Auf diese Weise ist die Schildkröten-Bevölkerung auf den Inseln in den vergangenen Jahrzehnten wieder gewachsen – über Jahrhunderte war sie geschrumpft.
Im achtzehnten Jahrhundert kamen nämlich regelmäßig Walfänger hier nach Galapagos, um ihre Schiffe mit lebenden Schildkröten vollzuladen. Damit hatten sie auf ihren langen Fahrten immer frisches Fleisch. Denn Schildkröten können ohne Nahrung und ohne Wasser sechs Monate bis ein Jahr lang überleben.
Ein weiterer Grund für das Reptiliensterben: eingeschleppte Arten wie Ziegen oder Schweine, die den langsamen Panzertieren die Nahrung wegfressen oder gar ihre Fortpflanzung verhindern – erklärt Jorge, der Guide:
"Wildschweine aus dem Hochland buddeln die Nester der Landschildkröten und sogar der Meeresschildkröten aus und fressen die Eier. Der Nationalpark Galapagos ist für die Ausrottung der eingeschleppten Arten verantwortlich. Vor einigen Jahren hat er etwa in großem Stil Ziegen getötet. Auf der Insel Isabela fingen die Experten fünfzig Ziegen und versahen sie mit GPS-Halsbändern. Das waren die sogenannten Judas-Ziegen, die die anderen dann verraten haben. Zehntausende wurden aus der Luft erschossen – ein gelungenes Ziegen-Vernichtungsprogramm."
Auch wilde Katzen sind eine Gefahr für die Tiere von Galapagos und werden vom Nationalpark regelmäßig getötet. Denn sie fressen die vom Aussterben bedrohten Land-Leguane. Hunde und Katzen dürfen die Bewohner der Galapagosinseln heute zwar besitzen, aber die staatliche Agentur für Biosicherheit organisiert regelmäßig Sterilisierungs-Kampagnen, um ihre unkontrollierte Vermehrung zu verhindern.
Brombeersträucher sind eine Plage
Mit dem Bus fahre ich von Puerto Ayora ins Insel-Hochland. An der schnurgraden Landstraße steht alle paar Kilometer ein Schild, auf dem eine Schildkröte abgebildet ist. Für die kriechenden Galapagos-Ureinwohner müssen Autofahrer auf die Bremse treten.
Mein Ziel: Die Kaffee-Finca Lava Java, wo die Ecuadorianerin María Elena Guerra ihren eigenen Kampf gegen eingeschleppte Arten führt.
"Hier war alles von Brombeersträuchern zugewachsen, es war schrecklich! Unsere Politik in der Finca ist: Wer einen Brombeerstrauch sieht, muss ihn mit der Wurzel ausreißen!", sagt die schmale Frau mit der dunklen Lockenmähne energisch, während sie über ihr Grundstück läuft. Die Brombeere ist eine besonders aggressive Pflanze, die sich auf den Galapagosinseln unkontrolliert ausgebreitet hat und die einzigartige, heimische Flora verdrängt. Als María Elena Guerra und ihr Mann 2002 die Finca übernahmen, gab es hier kaum noch endemische Pflanzen:
"Invasive Arten sind die größte Bedrohung für die Ökosysteme von Galapagos. Wir hatten deshalb von Anfang an das Ziel, unser Land mit heimischen Arten aufzuforsten. Außer der Brombeere wucherten hier noch eine Menge anderer Eindringlinge, darunter Holunder und Maracuja. Dagegen waren Scalesia-Bäume und andere ursprüngliche Arten der Galapagosinseln fast verschwunden, als wir dieses Grundstück kauften."
María Elena Guerra stammt aus Ecuadors Hauptstadt Quito und hat früher in der Finanzverwaltung der Forschungsstation Charles Darwin gearbeitet. Ihr Mann ist ein US-amerikanischer Biologe. Beide sind leidenschaftliche Artenschützer.
María Elena Guerra geht zur der überdachten Plattform, auf der sie und ihre Angestellten die Kaffeekirschen verarbeiten, das heißt, die reifen, roten Früchte der Kaffeepflanze. Die Finca-Besitzerin lässt frisch geröstete, duftende Bohnen durch ihre Finger gleiten:
"Unsere erste Röstung war 2006. Wir machen hier alles selbst: Aussaat, Ernte, Röstung und Verpackung. Das Ganze ist eine riesige Herausforderung. Als einzige Kaffee-Finca haben wir es geschafft, ein Bio-Zertifikat zu bekommen."
Obwohl die Finca Lava Java in den vergangenen Jahren von zahlreichen Plagen heimgesucht wurde, hat sie es geschafft, ohne chemische Schädlings-Bekämpfungsmittel auszukommen. Erst kam die Fruchtfliege, dann die Rostkrankheit und schließlich eine Schneckenplage.
"Es war schon superinteressant zu beobachten, wie verletzlich die Galapagosinseln sind. Sicher hat keiner die Fruchtfliege mit Absicht eingeschleppt. Vermutlich war sie in einer Obstkiste, vielleicht war eine Mango infiziert. Diese Inseln waren ja lange so unberührt, weil sie so isoliert waren. Aber das ist vorbei: Als ich Mitte der neunziger Jahre zum ersten Mal hierherkam, gab es vier, fünf Flüge pro Woche. Heute sind es acht bis sechzehn Flüge täglich!"
Importierte Lebensmittel sind billiger als heimische
In dem Maße, wie der Tourismus auf Galapagos zugenommen hat und die Inselbevölkerung gewachsen ist, hat sich die Menge importierter Lebensmittel vervielfacht. Und damit das Risiko eingeschleppter Arten oder Plagen. Fast drei Viertel dessen, was Einheimische und Touristen verzehren, stammt vom Festland. Viel zu viel, meint María Elena Guerra. Produzenten wie sie haben es schwer, ihre Produkte zu verkaufen. Sie kosten deutlich mehr als die importierten – denn Arbeitskräfte sind auf den Inseln teurer als auf dem Kontinent. Die Finca-Besitzerin kann ihre Frustration nicht verbergen:
"Der Tourismus auf Galapagos steht und fällt doch mit der einzigartigen Schönheit unserer Natur. Aber wenn wir die Natur nicht vor eingeschleppten Arten schützen, wird es keinen Tourismus mehr geben! Und deshalb brauchen wir viel mehr Tourismus-Unternehmer, die unsere lokalen Produkte kaufen, obwohl sie teurer sind! Dann können wir unser Land von Pflanzen befreien, die nicht hierher gehören."
Am Hafen von Puerto Ayora, direkt neben der Kirche, befindet sich das katholische Lokalradio Radio Santa Cruz. Es ist Donnerstagmorgen, kurz vor acht, und Alberto Andrade hat sich in das moderne, kleine Studio gesetzt, um seine wöchentliche Sendung "Galápagos – mi responsabilidad" zu moderieren: Galapagos – meine Verantwortung.
Alberto Andrade war 28 Jahre lang Fischer, aber seit 2017 ist er als Meeresschützer aktiv und koordiniert eine Bürgerinitiative, die die Küsten der Galapagosinseln regelmäßig vom Abfall befreit. "Frente Insular de la Reserva Marina de Galápagos" nennt sie sich – "Inselbündnis des Marinereservats von Galapagos". Mit seiner Radiosendung will Alberto Andrade mehr Insulaner zum Mitmachen ermuntern. Heute berichtet Johan Gonzalez, ein schlaksiger Siebzehnjähriger, von der letzten Saubermach-Aktion:
"Eine Gruppe von Freiwilligen, darunter auch zwei japanische Touristen, war mit Kajaks und Surfbrettern unterwegs. Aus dem Meer gefischt haben wir außer Plastikflaschen auch Eimer mit Farbe, Pinsel und, besonders besorgniserregend: Maschinenöl-Reste von den Motorbooten."
Plastikmüll kommt sogar aus Asien
Nach der Sendung stärkt sich Moderator Alberto Andrade im Hafen mit einer Micha, einem frittierten Teigfladen. Eine Angewohnheit aus seinem früheren Leben als Fischer. Der 45-Jährige verströmt Tatendrang und Enthusiasmus. Dass er heute nicht mehr zum Fischen hinausfährt, sondern die Menschen auf Galapagos mit seinem Engagement für saubere Küsten anstecken will, scheint ihn mit Zufriedenheit zu erfüllen:
"Der Müll ist doch für uns alle ein Problem. Wenn die Strände von Galapagos verschmutzt werden, sieht das hässlich aus, aber vor allem schadet es der Flora und Fauna, wegen der die Touristen hierherkommen. Und vom Tourismus leben die Fischer, die Geschäfte – fast alle Inselbewohner verdienen ihr Geld mit dem Tourismus. Am Anfang dachten wir, wir würden nur unseren eigenen Abfall im Meer finden. Aber dann haben wir gemerkt, dass Müll aus der ganzen Welt nach Galapagos geschwemmt wird."
Ein paar Straßen vom Hafen entfernt steht das schlichte, einstöckige Gebäude des Consejo Regional, der Regionalregierung der Galapagosinseln. Ihr Präsident heißt Norman Wray. Leger gekleidet mit Jeans und Karohemd, ist der 49-jährige Politiker ständig unterwegs zwischen der Hauptstadt Quito und den verschiedenen Inseln. Er bestätigt: Ein großer Teil der Müll-Lawine, die die empfindlichen Ökosysteme von Galapagos bedroht, entsteht anderswo.
"32 Prozent des Plastikmülls stammt aus dem Fluss Guayas auf dem Festland von Ecuador. Meeresströmungen, etwa der Humboldt-Strom, bringen es hierher. Aber es wird auch viel Müll aus anderen Ländern angespült, etwa aus Peru und sogar aus Asien. Ein Teil stammt von den Fischereiflotten."
Die Galapagos-Regierung kämpft auch noch an einer anderen Front: Sie will verhindern, dass die Bevölkerung weiter so stark wächst wie bisher und dass die Natur dadurch Schaden nimmt. Ende der siebziger Jahre lebten rund sechstausend Menschen auf den Galapagosinseln, heute sind es mehr als dreißigtausend. Deswegen herrschen Zuwanderungsbeschränkungen, die 2015 verschärft worden sind. Kein Ecuadorianer vom Festland oder Ausländer darf heute einfach nach Galapagos ziehen – stellt Regionalrats-Präsident Norman Wray klar:
"Dauerhaft auf den Galapagosinseln leben darf nur, wer als Kind von Galapagueños, Einheimischen, geboren wurde – oder seit mindestens zehn Jahren mit einem Galapagueño verheiratet ist. Und Ecuadorianer vom Festland kriegen hier nur dann einen Job, wenn dafür kein Einheimischer gefunden wird. Wer zum Arbeiten hierher kommt, dem erteilen wir lediglich eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung."
"Manche gehen Scheinehen ein"
Am Rande von Puerto Ayora, in einer Straße, die ruhiger ist als viele andere in dem überfüllten Ort, sitzt Valentina Cruz bei ihrer Mutter Emma am Küchentisch. Valentina ist Ende vierzig, eine freundliche Frau mit dunklen Locken, eine gebürtige Galapagueña. Zur Welt gekommen ist sie auf Floreana, der kleinsten der vier bewohnten Inseln des Archipels. Früher hat die Ecuadorianerin als Guide im Nationalpark gearbeitet, heute lebt sie mit ihrer Familie weit weg, in Australien. Aber ihrer Heimat fühlt sich Valentina Cruz tief verbunden – und sie sorgt sich um Galapagos. Jedes Mal, wenn sie zu Besuch kommt, sieht sie mehr Menschen auf den Straßen von Puerto Ayora.
"Natürlich werden viele Ecuadorianer von den Jobs im Tourismus angelockt. Hinzu kommt, dass sie auf Galapagos besser bezahlt werden als auf dem Festland. Es stimmt, dass die Leute, die zum Arbeiten kommen, nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis bekommen. Aber leider gehört Ecuador zur Dritten Welt und es gibt immer Möglichkeiten, das Gesetz zu umgehen. Manche der Zugezogenen verstecken sich sogar, um hierzubleiben. Andere gehen Scheinehen ein und ergattern auf diese Weise eine Aufenthaltsgenehmigung."
Valentinas Sehnsuchtsort ist Floreana, ihre Geburtsinsel, ein bis heute dünn besiedeltes Eiland. Gemeinsam mit ihren elf Geschwistern ist sie dort aufgewachsen. Mutter Emma, die 94 ist und seit einigen Jahren in Puerto Ayora lebt, wo die Gesundheitsversorgung besser ist, lächelt, als das Gespräch auf Floreana kommt.
Die adrette alte Dame, deren graue Haare zu einem Zopf geflochten und sorgfältig hochgesteckt sind, blickt zurück:
"Ich bin mit meinem Mann vom Festland nach Floreana gekommen, als ich achtzehn war. Er hatte damals schon ein paar Jahre auf den Galapagosinseln gelebt. Er liebte die Wildnis, die Tiere. Die Insel war so einsam!"
Anfang der 1940er-Jahre waren die Cruz' Pioniere auf Floreana. Sie hatten nur eine Nachbarsfamilie, die aus Deutschland stammte. Valentina erinnert sich an ihre Kindheit:
"Unsere Unterhaltung waren die Bäume, der Garten, der Strand. Wir haben mit den Seelöwen gespielt oder dem Gesang der Galapagos-Finken zugehört. Ich habe mir immer vorgestellt, sie wären ein Orchester – und habe dazu Pirouetten gedreht."
Die Insel Floreana gehört den Tieren
Den einsamen Ort, an dem die Familie Cruz ein so außergewöhnliches Leben führte, möchte ich kennenlernen.
Früh um acht fährt ein Schnellboot von der Insel Santa Cruz nach Floreana. Bevor ich an Bord gehen kann, kontrolliert ein Mitarbeiter der staatlichen Agentur für Biosicherheit meinen Rucksack. Ich kenne die Prozedur schon von der Einreise am Inselflughafen. Sie soll verhindern, dass invasive Arten – ob Pflanzen oder Tiere – nach Galapagos und von einer Insel zur anderen gelangen. Bestimmte Früchte, etwa Orangen und Maracujas, und eine Reihe anderer Nahrungsmittel dürfen Besucher nicht mitbringen.
Als das kleine Schiff mit dröhnendem Motor Fahrt aufnimmt, verstummen alle Gespräche. Die See ist bewegt und die Passagiere schauen angestrengt zum Horizont oder schließen die Augen. Nach anderthalb Stunden taucht die langgestreckte Insel vor uns auf, in ihrer Mitte ein Berg, dessen Silhouette mich an einen Schildkrötenpanzer erinnert.
Als das Schiff anlegt, erblicke ich im glasklaren Wasser eine echte Schildkröte – ein großes, dunkles Meeresgeschöpf, das langsam seine Flossen vor und zurück bewegt und ohne Scheu vorbeischwimmt. Auf dem Kai von Floreana sonnen sich Dutzende Leguane und Seelöwen. Um die menschlichen Neuankömmlinge kümmern sie sich nicht. Ein Seelöwe stupst immer wieder einen anderen an, der ihn genervt abschüttelt. Ein weiterer hat sich auf seine Flossen gestützt und schaut auf den Pazifik hinaus. Die Riesenechsen liegen fast unbeweglich da, sie sehen aus wie schwarze und rötliche Drachen. Kein Zweifel: Floreana gehört den Tieren. In den Bergen der Insel leben auch wieder Landschildkröten, ihre Wiederansiedlung ist den Spezialisten des Nationalparks gelungen.
"Als mein Vater Anfang der vierziger Jahre das erste Mal nach Floreana kam, gab es keine Schildkröten mehr, sie waren ausgestorben. Aber wir hatten zwei Schildkröten als Haustiere, die von anderen Inseln stammten. Als ich klein war, habe ich sie mit Pflaumen gefüttert."
Am weißen Sandstrand La Lobería spielten Valentina Cruz und ihre Geschwister mit den Seelöwen. Kaum eine Kindheitserinnerung der Insulanerin, die nicht paradiesisch klingt. Selbst, dass es auf Floreana keinen Arzt gab, schien für die Familie Cruz kein Problem zu sein: Der Vater behandelte die Kranken mit natürlichen Heilmitteln und entband alle zwölf Kinder zuhause.
"Meine Eltern mussten allerdings sehr hart arbeiten. Da nur alle drei oder sechs Monate ein Schiff vorbeikam, waren sie komplette Selbstversorger. Wenn Papa ein Tier erlegte, hat Mama sofort das Fleisch gesalzen, mit Meersalz, und es anschließend geräuchert. So hat sie das Fleisch konserviert – einen Kühlschrank gab es nicht. Wir hatten Hühner, Eier, Obst, haben Mais und Kartoffeln angebaut – und Mama hat alles, wirklich alles selbst gemacht: Marmelade, Brot, sogar Wein aus Obst."
Wer hier aufwächst, kommt zurück
Auf den Spuren der Familie Cruz laufe ich über die sandigen Küstenwege von Floreana und begegne keiner Menschenseele. Die anderen Inselbesucher haben sich in alle vier Winde zerstreut. Ich setze mich zwischen schroffe Lavafelsen, die von roten Klippenkrabben bevölkert sind, warte gebannt darauf, dass wieder eine Schildkröte majestätisch ihren Kopf aus dem Wasser reckt, und sehe plötzlich einen fast einen Meter großen Leguan durchs Meer gleiten, der dort nach nahrhaften Algen sucht. Ein Braunpelikan kreist über mir durch die Lüfte, setzt dann zum Sturzflug an und schnappt sich einen Fisch aus dem Meer. Ich bin allein. Allein unter Tieren. Und plötzlich kann ich verstehen, warum Valentina Cruz später wieder auf Floreana leben will.
"Die Gefühle für einen Ort, an dem man so isoliert aufgewachsen ist, sind stark und leidenschaftlich. Mein Vater hat uns von klein auf vermittelt, dass unser Leben auf Floreana privilegiert war. Und ich habe nie aufgehört, mich auf der Insel zuhause zu fühlen."
Zurück auf Santa Cruz, der bevölkerungsreichsten der Galapagosinseln. Als der Deutsch-Ecuadorianer Mathias Espinosa Ende der achtziger Jahre hierher kam, war auch Santa Cruz noch ein fast menschenleeres Eiland, dessen Schönheit er in einem selbst komponierten Lied mit seiner Frau besang.
"Wie bin ich hierhergekommen? Zufälle des Lebens, also mein erster Besuch auf Galapagos war 1981, damals war ich mit meiner Familie hier", sagt Espinosa. "Ich war ein junger Bursche, 18 Jahre alt, viel Sport getrieben, Galapagos war ideal, schwimmen, schnorcheln, Langusten fangen. Natur!"
Mathias Espinosa ist 56, mehr als sein halbes Leben hat er auf den Inseln verbracht. Nach der Schulzeit in Quito und dem Journalismus-Studium in München zog er mit 25 endgültig nach Santa Cruz. Einer der ersten Tourismus-Unternehmer von Galapagos, Sohn der deutschen Einwanderer auf Floreana, stellte ihn als Reiseführer an:
"Mein Job war es auch, Langusten zu fangen für die Touristen. Wilde Ziegen zu jagen, fischen zu gehen. Von wilden Ziegen gab's ja genug in den achtziger Jahren. Es gab hier nur ein paar Boote und man hatte die ganze Natur für sich. So eine Art Robinson Crusoe Tourismus, wirklich sehr, sehr schön und die Natur atemberaubend."
In Puerto Ayora, betreibt Mathias Espinosa seit 1995 mit einem Freund "Scuba Iguana", das erste Tauchzentrum auf Galapagos.
Mathias Espinosa lebt vom Tourismus. Aber ihn treibt auch die Frage um, wie sich ein gesundes Gleichgewicht aufrechterhalten lässt zwischen dem Tourismus und dem Natur- und Artenschutz.
Rettet oder bedroht der Tourismus Galapagos?
"Langfristig gedacht - kann der Tourismus Galapagos retten? Dank des Geldes des Tourismus kann man ja den Schutz finanzieren, der Tiere. Natürlich ist die Balance nicht so leicht. Wir haben mittlerweile um die 270.000 Touristen im Jahr. Die Zahl hat sich in dreißig Jahren verzehnfacht. Aber immerhin, als Reiseführer, der 31 Jahre im Nationalpark tätig ist, kann ich stolz sagen, dass der Tourismus noch immer exklusiv ist. Ich sehe auf den Wegen des Nationalparks noch immer Blaufußtölpel nisten."
Auf ihrer Finca im Hochland wartet María Elena Guerra ungeduldig darauf, dass der Tourismus nachhaltiger wird. Dass die Hotels und Kreuzfahrtschiffe von Galapagos Kaffee und Gemüse von den Inseln kaufen – und nicht die billigeren Importprodukte. Guerras Kaffee-Finca ist bis heute nicht rentabel. Und dennoch ist die Ecuadorianerin glücklich über das Erreichte. Von der Terrasse aus betrachtet sie die üppige Vegetation auf ihrem Grundstück.
"Wir haben unser Ziel erreicht. Wir wollten einen Wald mit heimischen Arten, und heute wachsen hier Scalesia-Bäume, Guaven und Katzenkralle. In ihrem Schatten wächst unser Kaffee. Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, inspiriert mich diese Umgebung. Denn das ist Galapagos."