Usama Al Shahmani, geboren 1971 in Bagdad, hat arabische Sprache und moderne arabische Literatur studiert. Bevor er 2002 wegen eines kritischen Theaterstücks in die Schweiz floh, publizierte er drei Bücher über arabische Literatur. Heute arbeitet er als Schriftsteller, Übersetzer, Dolmetscher und Kulturvermittler in Frauenfeld. Im August erschien sein zweiter Roman "Im Fallen lernt die Feder fliegen" Limmat Verlag.
Der Sprung ins Leere
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Wie es sich anfühlt, in einem fremden Land mit einer unbekannten Sprache anzukommen, wissen nur diejenigen, die es erlebt haben. Usama Al Shamani kam 2002 aus dem Irak in die Schweiz und ist heute ein erfolgreicher Schriftsteller.
Wer starrt wen an? Das Exil mich oder ich das Exil? Ich bemühe mich oft, das Wort "Exil" in meiner Sprache wegzulassen, weil es einfach fürchterlich tönt. Und ich will nicht, dass dieses Wort sich auf meinen Wegen festsetzt. Ich lebe meistens gut gelaunt, kommuniziere gerne mit Leuten und rede manchmal über Dinge, die sie vielleicht mit keinem Wort erwähnen würden.
Ich lache, koche mit Lust und schreibe in Cafés, Zügen und öffentlichen Bibliotheken. Trotzdem greift mich dieses Wort manchmal an und macht mit meiner Seele dasselbe, wie ein Sturm mit einem alten Holzhaus: Er kommt rasant, zerstört alles und verlässt es wieder.
Wie oft führen mich meine Füße zu Orten, an denen ich vorher nie war. Ich gehe und betrachte mein Leben schweigend. Wie jemand, der auf einer alten Landkarte nach einer Wassermühle sucht, versuche ich, den Augenblick, den ich an einem Ort in Bagdad hinter mir ließ, wiederzufinden. Ich erinnere mich an Freunde, ihr Lachen, ihre Gespräche und beginne, die irakische Landkarte mit ihren Worten zu weben. Wo sind sie jetzt? Wer ist von ihnen noch geblieben?
Das Wort "Ankommen" verschwindet nicht
Ich erinnere mich an eine Geschichte, die mir meine Großmutter erzählte, in der ein Vater seinen Sohn aufforderte, einen Stein nach den Rispen einer Palme zu werfen: "Hast du gesehen, was diese Palme gemacht hat? Wir haben sie mit einem Stein beworfen, und sie hat uns mit frischen Datteln geantwortet. So ist die Heimat! Sie kann immer etwas Gutes geben, auch wenn wir manchmal Steine nach ihr werfen."
Es gibt für mich nichts Anstrengenderes, als die Liebe zur Heimat zu erklären. Ich sehne mich nach dieser Süße, obwohl ich sehr gern an einem Ort lebe, an dem ich von vielen Bäumen umringt bin und deren Früchte mir so nah sind, dass ich keinen Stein dafür brauche. Ich bin sehr gut integriert, verstehe den schweizerdeutschen Dialekt, liebe meine Arbeit und kann jetzt über Schweizer Witze lachen. Das Wort "Ankommen" begegnet mir fast jeden Tag. Es gleitet geschickt an mir vorbei, manchmal glänzend und verziert wie eine Wüstenschlange an einem sonnigen Tag.
Ab wann ist man integriert?
"Was ist von dieser Süße auf meiner Zunge geblieben?", frage ich mich. Kurz nach meiner Ankunft in der Schweiz vor etwa 20 Jahren hörte ich Migranten reden: "Man ist integriert, wenn es einem gelingt, die Leute nachzuahmen: Ihren Kleidungsstil, ihre Interessen, Lügen, wie sie ihren Kaffee trinken, wie sie jammern und einander beschimpfen, ohne dass man als schlechter Schauspieler erscheint."
Nach einiger Zeit überlegte ich mir, dass "integriert sein" vielleicht bedeutet, mit der Frage der Heimat endgültig abzuschließen? Wie wenn jemand einen Kaugummi aus dem Mund nimmt, weil er seinen Geschmack verloren hat.
Jetzt denke ich bei "Ankommen" an etwas anderes. Es ähnelt einem Sprung ins Leere oder einer Fortbewegung zwischen Fallen und Fliegen. Ich wundere mich, in welchem sprachlichen Geist sich das Wort besser verstehen lässt. Auf Deutsch oder Arabisch? In beiden Sprachen bleibt es rätselhaft. Schließlich bedeutet Ankommen, dass man die Heimat und ihren Widerspruch unter einen Hut bringt.
Ich habe mehrere Bücher auf Deutsch geschrieben und fühle mich in meinem Beruf als Schriftsteller sehr wohl. Trotzdem erlebe ich manchmal schwierige Situationen, in denen ich das Gefühl habe, als Flüchtling eingeordnet zu werden. Das stört mich, weil mein Fluchthintergrund meine anderen Identitäten unangenehm bedeckt. Ich bin Vater, Ehemann, Schriftsteller, und ich darf viele andere Aktivitäten pflegen. Denn ich bin ein Mensch und ich lebe in der Schweiz.