Warten im Partykeller
Seit drei Monaten lebt der Flüchtling Anwar aus Myanmar im Kirchenasyl im oberbayerischen Hausham. Ehrenamtliche Helfer versorgen ihn mit Lebensmitteln und Geld. Dass Innenminister Thomas de Maizière die Praxis des Kirchenasyls kürzlich scharf kritisiert hat, empfinden sie als Frechheit.
Gerhard Klante: "Des is Pfarrhaus, des is Kirch, und a paar Meter weiter vorn is dann des Heim, wo die Jugendlichen also praktisch benutzen, wo a Veranstaltungen san, und da geh ma jetzt einfach mal vor, da is der Anwar, der Anwar is unser Kirchenasylant."
Gerhard Klante stapft durch den Schnee, der sich noch immer am Straßenrand türmt. Der ehrenamtlicher Asylhelfer kümmert sich hier im oberbayerischen Hausham um Anwar Muhammad. Seit 13 Monaten lebt Anwar in Deutschland, vor acht Jahren war er aus seiner Heimat Myanmar geflohen.
Gerhard Klante: "Einige Jahre war er jetzt unterwegs, immer im Dschungel, so sagt er, also jetzt praktisch auf der Straße gewohnt und bissl gearbeitet, damit er einfach irgendwann einmal an einen Punkt komm, in ein Land kommt, wo er sich einigermaßen sicher fühlt. Des hat er erreicht, was wunderbar is, er fühlt sich jetzt einfach sicherer."
In Ungarn war Schluss
Geht es nach dem deutschen Staat, sollte Anwar allerdings längst weg sein, abgeschoben nach Ungarn. Dort hat er erstmals EU-Boden betreten, das Land ist für sein Asylverfahren zuständig. Doch Gerhard Klante und der Pfarrer der Gemeinde St. Anton in Hausham wollen die Abschiebung unbedingt verhindern.
Gerhard Klante: "Wenn er zurückgeschickt worden wär nach Ungarn, glaube ich nicht, dass er noch leben würde. Also nicht, dass das jetzt so mörderisch wäre in Ungarn – es ist brutal und unter aller Würde - aber Anwar selber wäre halt einfach eingebrochen."
St. Anton gewährt Anwar Kirchenasyl – das bedeutet: Er darf den Grund der Kirche nicht verlassen, sechs Monate lang. Erst nach Ablauf dieser Frist kann er in Deutschland Asyl beantragen. Etwa 50 Meter von der Kirche entfernt steht die Gemeindehalle, der Zweckbau duckt sich zwischen Schneebergen. Hier lebt Anwar. Im Eingang ist es dunkel, an der Wand steht ein Garderobenständer aus Metall.
Autorin: "Wir gehen jetzt in den Keller?"
Gerhard Klante: "Ja, hört sich natürlich grausam an, aber im Prinzip ist das das Jugendheim von der Katholischen Kirche hier, und die feiern da herunten ihre Feste, treffen sich da, es ist einfach der Versammlungsraum von der katholischen Jugend hier. Und das ist also schon ein großer Raum, also mir san da jetzt so ungefähr so in 30 Quadratmeter, eingerichtet mit einer Bar, einer Küche. Anwar benutzt die Bar relativ selten, also eigentlich gar nicht, er trinkt nichts."
Autorin: "Wie lang lebst du schon hier?"
Anwar: "Drei Monate."
Das bedeutet: Noch drei Monate muss er hier bleiben, hier in diesem Raum. Eine dünne Matratze liegt auf den Fliesen. Auf dem Tisch stehen ein Topf mit Osterblumen, ein alter Röhrenfernseher. In der Ecke ein Kicker. Er ist abgedeckt. Wie vertreibt Anwar sich die Zeit?
"Ich sitze hier, schaue fern, manchmal lese ich, warte, dass die Zeit vergeht. Um Mitternacht schaue ich manchmal Wrestling. Das mag ich. Ist schon ok"
Anwar erzählt leise, stockend. Seine Flucht führte ihn über Pakistan, die Türkei, Griechenland, Serbien und Mazedonien. Doch in Ungarn war Schluss.
"Dieser Ort ist nicht gut. Drei Monate war ich im Camp in Ungarn, ich war krank, mein Hals machte mir Probleme. Aber du bekommst keine Medizin, sie bringen dich nicht ins Krankenhaus. Das Essen war nicht gut, du bekommst kein Geld, hast keine Arbeit, keine Dokumente. Einfach alles. Immer gab es Probleme."
Auch sechs Monate sind lang
Hier bringen die ehrenamtlichen Helfer Lebensmittel, er kann sich etwas kochen. Nur eine Dusche gibt es nicht. Das macht ihm zu schaffen.
"Jeder muss sauber sein, eine Dusche nehmen. Ich gehe einfach manchmal nachts, um Mitternacht, nach draußen und nehme eine Dusche. Zwei Eimer mit Wasser nehme ich mit nach draußen und wasche mich."
Bei Minus-Graden. Das Kirchenasyl hat für Anwar nicht nur angenehme Seiten. Und auch Helfer wie Gerhard Klante müssen vieles auf sich nehmen, um die sechs Monate zu überbrücken. Aus christlicher Nächstenliebe, wie er betont. Dass Innenminister Thomas de Maizière die Praxis des Kirchenasyls mit der Scharia vergleicht – für ihn ein Schlag ins Gesicht.
Gerhard Klante: "Ich weiß gar nicht, was er sich dabei gedacht hat. Also ich finde es geradezu eine, eine Frechheit."
Noch mehr Sorgen machen ihm die Pläne des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge – nämlich die Fristen für das Kirchenasyl von sechs auf 18 Monate zu verlängern. Denn auch sechs Monate sind schon lang, wenn man den Kirchengrund nicht verlassen darf.
Autorin: "Wie weit kannst du gehen?"
Anwar: "Manchmal gehe ich vor zum Pfarramt, schaue, ob die Hilfe brauchen."
Autorin: "Kannst du in die Stadt gehen?"
Anwar: "Nein."
Behörden warten ab
Vor dem Pfarramt, dem großen Wegkreuz aus Holz bleiben wir stehen.
Autorin: "Von wem bekommst du Geld?"
Anwar: "Ich weiß nicht, wo es herkommt, aber Herr Klante gibt mir jede Woche Geld."
Autorin: "Wo kommt das Geld her?"
Klante: "Also, zum Teil ist das vom Pfarrer, vom Pfarramt hier, und zum Teil kommt das von einem kleinen Konto, das wir gemeinsam haben, für die Asylbewerber."
Von den Behörden bekommt Anwar nichts mehr. Man wartet ab - ob die über 350 Flüchtlinge in deutschen Kirchen durchhalten, ob die Gesetzeslage sich ändert. Auch Anwar bleibt nichts anderes als zu warten.
Autorin: "Auf was hoffst du?"
Anwar: "Jetzt? Ich wünsche mir, ich brauche… Ich bin lange gereist. Ich habe meine Familie auch lange nicht gesehen, meine Mutter. Mein Vater ist schon gestorben, aber meine Mutter habe ich lange nicht gesehen. Deshalb wünsche ich mir, bitte, ich brauche endlich Papiere."