Leben in Pfahlbauten

Von Thomas Wagner |
In den 20er Jahren hat in Konstanz das organisierte Verbrechen getobt. Durch die Grenzlage zur Schweiz wurde die Stadt am See seinerzeit zum Schmelztiegel für leichte Mädchen und schwere Jungs. Wer sich für dies und andere Episoden aus der Geschichte der Bodenseeregion interessiert, ist im Konstanzer Rosgartenmuseum an der richtigen Adresse.
Ein spätmittelalterliches Gebäude in der Konstanzer Innenstadt: Die Holzböden sind über 200 Jahre alt. Über dem Eingang zum großen Saal im Erdgeschoss eine Inschrift:

"Hier haben wir schönstes 19. Jahrhundert. Über den alten Türsturz aus Sandstein hat Ludwig Leiner drüber geschrieben, in Marmor eingraviert. Der Heimat Boden und dessen Urbewohner."

Denn in dem sogenannten Leiner-Saal, weiß der Konstanzer Historiker Tobias Engelsing, geht es um die Frühgeschichte des Bodenseeraumes. Engelsing ist Direktor des Rosgartenmuseums Konstanz, das in der Mitte des 19. Jahrhunderts von dem privaten Sammler Ludwig Leiner gegründet worden ist. Die Ur- und Frühgeschichte des Bodenseeraumes nimmt dabei breiten Raum ein - und sorgt bei den Besuchern für große Faszination. Ulrich Motz ist gebürtiger Konstanzer:

"Also ich bin schon ganz früher immer mit meinem Großvater hierher gekommen. Dann war immer, als wir als kleine Kinder kamen, dieser Saal hier das absolute Muss: Steinerne Äxte, Pfeilspitzen, Bohrer und so weiter."

Fundstücke aus jener Zeit, in der die Menschen am Bodensee in sogenannten Pfahlbauten lebten – hölzerne Häuser, erklärt Tobias Engelsing, die auf Pfählen im Uferbereich des Bodensees gegründet waren…

"..eine sehr erfolgreiche Siedlungsform übrigens. Die haben mehrere Tausend Jahre in dieser Form gelebt auf Pfählen in ihren Hütten am See, eine sehr ausgeprägte Kultur, die Steinschliff gekannt hat, die Schmuck gekannt hat, die sehr subtile Werkzeuge gebaut hat."
Wie akribisch Museumsgründer Ludwig Leiner, ein geschichtsbewusster Apotheker aus dem Konstanz des 19. Jahrhunderts, tatsächlich stumme Zeugen der Vergangenheit gesammelt hat, zeigt sich ein paar Räume weiter: Tobias Engelsing schließt mit einem rieseigen Schlüssel eine alte, mächtige Tür auf.

"Wir haben hier ein altes Portal. Das ist die Eingangstüre zu einem alten Patriziersitz. Eine Konstanzer Familie hatte mitten in der Altstadt ein wunderschönes Palais gehabt. Das wurde im 19. Jahrhundert, wie so viele Häuser umgebaut, modernisiert. Und der Museumsgründer Ludwig Leiner fuhr da mit ein paar Handwerkern hin. Dann hat er dieses Portal im Originalzustand ausgebaut und danach in sein Museum gebracht."

"Wir gehen jetzt in den ersten Stock des alten Zunfthauses, in die ‚Belle Etage’, wenn man so will."

Dort nämlich befindet sich der große, spätmittelalterliche Saal der Metzgerzunft - wiederum ganz in Holz getäfelt: In einer Ecke ein alter eiserner Ofen, daneben mächtige Bänke. Alexander Stiegeler vom Förderverein Rosgartenmuseum ist beim Anblick dieses Saales immer wieder beeindruckt.

"Das ist die Atmosphäre eines großen, wohlständigen Handwerkertums, das in der Bischofsstadt natürlich zu Wohlstand gelangte, bei wohlhabenden Auftraggebern. Es empfängt einen heute wieder so eine Atmosphäre: Räume im Stile ihrer Zeit wieder erlebbar zu machen. Das heißt:: Es geht darum, Vergangenheit erfahrbar zu machen durch die Art und Weise, wie sie in ihrer Zeit Räume gestaltet hat."

In einer gläsernen Vitrine stehen alten Bücher.

"Diese beiden Bücher sind sehr alt, 1377 das eine und aus dem 15. Jahrhundert das andere. In diesem Buch sind Alltäglichkeiten notiert: Der Streit zwischen den Handwerkern, die Frage, welchen Wein man einkauft. Die Anweisungen an den Wirt der Zunftstube, dass er nur bestimmte Würste an bestimmten Tagen grillen soll."

Aus einem kleinen Lautsprecher in einem Nebenraum schnarrt die Freiheitsrede des Revolutionärs Friedrich Hecker. Der war 1848 von Konstanz aufgebrochen, um die Revolution anzuzetteln. Das Vorhaben scheiterte kläglich; Hecker floh über die Schweiz nach Amerika. Noch einen Raum weiter sehen die Besucher ein Relikt aus der jüngsten Vergangenheit: Ein simples Stück Zaun, das, so Museumsdirektor Tobias Engelsing, eine ganz besondere Bedeutung hat:

"Das ist ein Stück des Konstanzer Grenzzaunes, das 1940 auf Betreiben der Gestapo, errichtet wurde. Auch die militärischen Stellen des Dritten Reiches hatten ein Interesse daran, mögliche Spione, die aus Frankreich über die Schweiz hätten eindringen können, abzuhalten. Die Schweiz hatte ein Interesse am Bau dieses Zaunes, weil sie nicht von jüdischen Flüchtlingen überschwemmt werden wollte."

Gleich nebenan unzählige Fotos - Abbildungen der deutsch-schweizerischen Grenzübergänge. Die Jahre nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg war die Blütezeit der Schmuggelgeschäfte.

"Hier tummelten sich Gauner, Schieber. Hier herrschte die Prostitution und das Rotlichtmilieu schon in den 20er Jahren. Es gibt Fahndungsfotos aus den 20er Jahren. Es gibt Schmuggelgerätschaften, eingenähte Taschen in die Unterröcke von Damen. Da wurden die Schokoladentafeln über die Grenze geschmuggelt und anderes Gerät mehr; Kinderwägen mit doppelten Böden. Die harren noch der Ausstellung. Das werden wir in den nächsten Jahren noch präsentieren."

In Kooperation mit dem Deutschen Museumsbund stellt Deutschlandradio Kultur im Radiofeuilleton jeden Freitag gegen 10:50 Uhr im "Profil" ein deutsches Regionalmuseum vor. In dieser Reihe wollen wir zeigen, dass auch und gerade die kleineren und mittleren Museen Deutschlands unerwartete Schätze haben, die es sicht lohnt, überregional bekannt zu machen und natürlich auch zu besuchen.