"Leben ist eine Kunst"
Wir können eine durch Geld und Konsum beförderte Zufriedenheit für uns als Ziel bestimmen, aber dauerhafte Glücksgefühle lassen sich damit nicht erlangen. Der Essayist Zygmunt Bauman befragt Klassiker der Philosophie zu ihren Botschaften.
"Ob es uns passt oder nicht: Leben ist eine Kunst" – schreibt Zygmunt Bauman, und aus seiner Feder ist das keine Phrase. Der in Polen geborene Soziologe und Philosoph, der weit über 80 Jahre alt ist, will nach wie vor genau wissen, was die Menschen in den hochentwickelten Gesellschaften antreibt, limitiert und ängstigt. In dem Essay-Bändchen "Wir Lebenskünstler" tritt Bauman dem Verdacht entgegen, dass mehr Wohlstand zu mehr Zufriedenheit führt. Dem (dezent) kapitalismuskritischen Auftakt folgen alltagsnahe, humorvolle und zugleich hochgradig gebildete Reflexionen auf die maximal widersprüchlichen und minimal berechenbaren Existenzbedingungen in der "flüssigen" Moderne. Bauman skizziert den frappanten Preis des Glücksstrebens, ohne dem Pessimismus zu verfallen. Rhetorisch oft brillant, verbindet er wissenschaftliche Gegenwartsanalyse mit Weisheit und Warmherzigkeit.
"Wir Lebenskünstler" untersucht in lakonischer Kürze den aktuellen Zustand des Individuums im Kapitalismus. Bauman stellt den überragenden, selten kritisierten Status des Glücks in den Mittelpunkt, um den Widerspruch zwischen den gigantischen Selbstbestimmungsmöglichkeiten und der frustrierenden Wirklichkeit von Zwang und Unsicherheit aufzudecken: "Erfüllung gibt es nur noch im Doppelpack mit Ungewissheit."
An der Erkenntnis Robert Kennedys orientiert, dass das Bruttosozialprodukt alles verzeichnet "bis auf das, was das Leben lebenswert macht", fleddert Bauman mit erlesener Häme Auswüchse der Konsumgesellschaft. Er konfrontiert die flüssige, sich permanent selbst verwandelnde Moderne samt Light-Beziehungen, Mode-Narreteien, Kunst-Hypes, Chancen-Lotterie und Gier mit konservativen Werten, bleibt aber den zur Flexibilität verdammten Menschen verbunden. Laut Bauman tragen sie Verantwortung für sich, weniger für den Lauf der Welt: "Nicht aus freier Entscheidung sind wir heute alle Künstler, sondern weil uns ein universelles Schicksal dazu macht."
Indem Bauman Nietzsches Konzept vom "Übermenschen" Paul Ricoers Philosophie des Anderen gegenüberstellt, deutet er seine eigenen Präferenzen an. Er liebt die Liebe, die Bindung, die Schönheit, die Güte; Übermenschen gilt eher seine Verachtung. Aber Bauman ist kein Ethik-Apostel oder Heilkundler für Modernitätsschäden, er ist ein lustvoller Denker. Seine Essays überzeugen durch Komposition und Feintuning. Ohne Anbiederung kommt der Stilist in wenigen Zeilen von Seneca auf MySpace und von der "Financial Times" zu den Klassikern der Soziologie. Auch akute Lebensführungsschizophrenien bereiten ihm keinerlei Formulierungsnot: "Abends brauchen wir Viagra, am nächsten Morgen die Pille danach ... "
Tatsächlich ist "Wir Lebenskünstler" ein Buch, in dem jede Menge diffus Gewusstes und Bekanntes über die Gegenwart pointiert ausgesprochen wird. Die Lektüre macht Spaß, weil man sich ständig auf der Höhe des Gedankens wähnt (wenn nicht höher) und doch dauernd etwas lernen kann, weil hier einer, ohne hochtrabend zu werden, aus der Fülle von Jahrzehnten und Bibliotheken schöpft. Und was ist mit dem Glück? Schlussendlich gibt Bauman einen (wiederum) lakonischen Tipp: "Das Dasein für andere ist dem bloßen Existieren weder an Macht noch an 'Wirklichkeit' überlegen, es ist lediglich besser."
Über den Autor: Der Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman wurde 1925 im polnischen Posen geboren. Er lehrte ab 1954 in Warschau, emigrierte 1968 nach Israel und war zwischen 1971 und 1990 Lehrstuhlinhaber an der britischen University of Leeds. Weltweit bekannt wurden seine Studien über den Zusammenhang von Moderne und Totalitarismus. Bauman, der die Postmoderne-Diskussion beeinflusst hat, beschäftigt sich seit langem mit den ungewissen Lebensverhältnissen in der von ihm sogenannten "flüssigen" Moderne. Ihm wurde unter anderem 1998 der Theodor-Adorno-Preis verliehen.
Besprochen von Arno Orzessek
Zygmunt Bauman: Wir Lebenskünstler.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010,
206 Seiten, 14 Euro
"Wir Lebenskünstler" untersucht in lakonischer Kürze den aktuellen Zustand des Individuums im Kapitalismus. Bauman stellt den überragenden, selten kritisierten Status des Glücks in den Mittelpunkt, um den Widerspruch zwischen den gigantischen Selbstbestimmungsmöglichkeiten und der frustrierenden Wirklichkeit von Zwang und Unsicherheit aufzudecken: "Erfüllung gibt es nur noch im Doppelpack mit Ungewissheit."
An der Erkenntnis Robert Kennedys orientiert, dass das Bruttosozialprodukt alles verzeichnet "bis auf das, was das Leben lebenswert macht", fleddert Bauman mit erlesener Häme Auswüchse der Konsumgesellschaft. Er konfrontiert die flüssige, sich permanent selbst verwandelnde Moderne samt Light-Beziehungen, Mode-Narreteien, Kunst-Hypes, Chancen-Lotterie und Gier mit konservativen Werten, bleibt aber den zur Flexibilität verdammten Menschen verbunden. Laut Bauman tragen sie Verantwortung für sich, weniger für den Lauf der Welt: "Nicht aus freier Entscheidung sind wir heute alle Künstler, sondern weil uns ein universelles Schicksal dazu macht."
Indem Bauman Nietzsches Konzept vom "Übermenschen" Paul Ricoers Philosophie des Anderen gegenüberstellt, deutet er seine eigenen Präferenzen an. Er liebt die Liebe, die Bindung, die Schönheit, die Güte; Übermenschen gilt eher seine Verachtung. Aber Bauman ist kein Ethik-Apostel oder Heilkundler für Modernitätsschäden, er ist ein lustvoller Denker. Seine Essays überzeugen durch Komposition und Feintuning. Ohne Anbiederung kommt der Stilist in wenigen Zeilen von Seneca auf MySpace und von der "Financial Times" zu den Klassikern der Soziologie. Auch akute Lebensführungsschizophrenien bereiten ihm keinerlei Formulierungsnot: "Abends brauchen wir Viagra, am nächsten Morgen die Pille danach ... "
Tatsächlich ist "Wir Lebenskünstler" ein Buch, in dem jede Menge diffus Gewusstes und Bekanntes über die Gegenwart pointiert ausgesprochen wird. Die Lektüre macht Spaß, weil man sich ständig auf der Höhe des Gedankens wähnt (wenn nicht höher) und doch dauernd etwas lernen kann, weil hier einer, ohne hochtrabend zu werden, aus der Fülle von Jahrzehnten und Bibliotheken schöpft. Und was ist mit dem Glück? Schlussendlich gibt Bauman einen (wiederum) lakonischen Tipp: "Das Dasein für andere ist dem bloßen Existieren weder an Macht noch an 'Wirklichkeit' überlegen, es ist lediglich besser."
Über den Autor: Der Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman wurde 1925 im polnischen Posen geboren. Er lehrte ab 1954 in Warschau, emigrierte 1968 nach Israel und war zwischen 1971 und 1990 Lehrstuhlinhaber an der britischen University of Leeds. Weltweit bekannt wurden seine Studien über den Zusammenhang von Moderne und Totalitarismus. Bauman, der die Postmoderne-Diskussion beeinflusst hat, beschäftigt sich seit langem mit den ungewissen Lebensverhältnissen in der von ihm sogenannten "flüssigen" Moderne. Ihm wurde unter anderem 1998 der Theodor-Adorno-Preis verliehen.
Besprochen von Arno Orzessek
Zygmunt Bauman: Wir Lebenskünstler.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010,
206 Seiten, 14 Euro