Leben nach Luther
2017 will die evangelische Kirche 500 Jahre Reformation feiern - und schon jetzt gibt es Ausstellungen, die sich dem Thema widmen. "Leben nach Luther" betrachtet die Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses, die lange Zeit als Erbschaft Martin Luthers betrachtet wurde.
"Ein feste Burg ist unser Gott...”, ein kämpferischer Choral von Martin Luther. Als feste Burg der evangelischen Lebensführung galt über Jahrhunderte hinweg der Pfarrer und seine Familie. Die Ausstellung zeigt Mythos und Wirklichkeit des evangelischen Pfarrhauses von der Reformation bis in die Gegenwart in sechs Themenräumen. Für den Kurator der Ausstellung Bodo Michael Baumunk ist sie "eine Art Gesamtpfarrhaus":
"Sie hat aber eine Art geheime Chronologie, das heißt, sie beginnt in der Reformationszeit, oder jedenfalls in den Zeiträumen danach und verankert in diesem ersten Teil der Ausstellung die Priesterehe und das Pfarrhaus in der Theologie der Reformation."
So entstehen im 16. und 17. Jahrhundert ganze theologische Dynastien, bei denen oft der Sohn das Pfarramt vom Vater übernimmt. Die Theologie wird Familiensache, sagt Shirley Brückner, die Kuratorin der Ausstellung. Die Ausstellung zeigt Pfarrporträts und Amtsgenealogien aus den Gründerjahren des Protestantismus, so etwa die Pastorentafel aus Kosel aus dem Jahre 1683:
"Hier sind also mehrere Pfarrer auf einem Bild zu sehen, und es ist auch leicht polemisch, also unten links neben dem Altar liegt also die Papstmitra am Boden, also der Katholizismus ist am Boden zerstört, und der Protestantismus steht da in Reih und Glied parat."
"Leben nach Luther" verdeutlicht die Entwicklung von Pfarramt und Pfarrhaus mit teilweise überraschenden Exponaten. Vor der Einführung der Kirchensteuer war die Beziehung zwischen Pfarrer und Gemeinde sehr stark kommerzialisiert, über die so genannten "Stollgebühren” wurden alle Amtshandlungen und geistlichen Dienstleistungen abgerechnet. So wurde bis ins 18. Jahrhundert hinein in der evangelischen Kirche nicht nur gebeichtet, sondern auch dafür bezahlt.
Shirley Brückner: "Es gibt hier diese wunderbare Konfidentenlade. Konfidenten, das sind die Beichtenden und man hat, entgegen der Annahme, hat man sich in diesem Kästchen, das ist so eine Art Briefkasten, nicht angemeldet zur Beichte, sondern man hat nach der Absolution den Beichtgroschen da eingeworfen. Das war ja sehr umstritten, weil das natürlich, wenn man nach der Absolution dafür bezahlte, das natürlich arg nach Ablasshandel aussah."
Die evangelische Pfarrfamilie wurde zum Vorbild christlicher Lebensführung, bei der sich die Gelehrtheit mit bürgerlichen Werten verbindet. Martin Luther, so die Kuratoren, habe damit aber nichts zu tun:
"Das ist uns ganz wichtig, er hat das evangelische Pfarrhaus nicht begründet. Er hat auch überhaupt nie ein evangelisches Pfarrhaus begründet, weil er schlicht nicht Pfarrer war, sondern Professor. Das ist sozusagen der Mythos des 19. Jahrhunderts, der sich mit diesen ganzen bekannten Bildern, wie dieses Luther am Christabend mit der Familie, also das ist komplett eine Erfindung des 19 Jahrhunderts."
Im 19. Jahrhundert wird das evangelische Pfarrhaus als bürgerliche Modellfamilie idealisiert. Das zeigt sich in den Pfarrhausromanen, aber auch besonders in zeitgenössischen Genregemälden, denen auch ein Ausstellungsraum gewidmet ist.
Bodo Baumunk: "Sie zeigen Amtshandlungen der Pfarrer, sie zeigen aber auch im Falle eines großen Gemäldes den feierlichen Empfang eines schwäbischen Pfarrerehepaares durch die Dorfbevölkerung, ein sehr idyllisierendes Bild, wie es nicht überraschend ist im 19. Jahrhundert. Es ist auch eine komposite schwäbische Landschaft, also sie vereint Schwarzwald und Neckartal und zeigt eben dieses Land als ein von Frömmigkeit erfülltes. Und das Bild hat dann auch 1867 das Königreich Württemberg auf der Weltausausstellung in Paris mitrepräsentiert."
Die Ausstellung führt ins pastorale Studierzimmer, in die Kinderstube und ins gesellige Wohnzimmer. Ende des 19. Jahrhunderts werden die Gegenstände niedlicher bis hin zum Kitsch, Dürers betende Hände aus Holz und Metall oder Christusfiguren in unterschiedlichen Positionen:
Shirley Brückner: "Hier hat man also quasi als Wohnzimmerkunst das Wormser Lutherdenkmal als Spieluhr, was also 'Ein feste Burg ist unser Gott' abspielt, aber sozusagen die Miniaturisierung im 19. Jahrhundert, man holt sich das ins Wohnzimmer."
Die Ausstellung verdeutlicht regionale Unterschiede, unterschiedliche Entwicklungen in den deutschen Landeskirchen, zeigt mit Exponaten aus sieben Ländern auch das Pfarrhaus im europäischen Vergleich:
Bodo Baumunk: "Man kann sowohl eklatante Unterschiede, auch innerhalb des gesamten Zeitraums so demonstrieren, aber eben auch große Ähnlichkeiten. Die skandinavische Kirche zum Beispiel, obwohl die eine Spezialität hatten, die es in Deutschland nicht gab, das Hausverhör noch bis Ende des 19. Jahrhunderts. Das war, so eine Art, in entsprechenden Abständen eine Prüfung der Landbevölkerung auf ihre Glaubensfestigkeit, auf ihre Bibelkenntnisse uns auch auf ihren moralischen Lebenswandel."
Im letzten Ausstellungsraum wird unter dem Titel "Zwei Reiche" das Verhältnis von Pfarrhaus und Politik, von Pfarrhaus und staatlicher Obrigkeit thematisiert:
"Wir stehen jetzt im Moment vor einem großen Gemälde, das eine Kreuzigung zeigt, das aber zugleich Teil eines Kriegerdenkmals in einer Kirche in Gelsenkirchen ist. Hat einen deutlich nationalistischen und auch antisemitischen Unterton, und es gab Kriegerdenkmäler nach dem Ersten Weltkrieg in großer Zahl in den Kirchen."
Es geht auch um die Beziehung der evangelischen Kirche zum Nationalsozialismus, und den Protestbewegungen in der DDR und der Bundesrepublik. Dabei sollen Kontinuitätslinien aufgezeichnet werden:
Bodo Baumunk: "Der Kirchenkampf in den Dreißiger Jahren, bekennende Kirche versus Deutsche Christen, hat auch in den Jahren nach 1945 die Fragestellung, die Positionen sehr stark beeinflusst, als es dann zum Beispiel um die Wiederbewaffnung, um den Kampf gegen die Atomrüstung ging."
"Leben nach Luther" verdeutlicht in mehr als 600 Exponaten die Entwicklungsgeschichte des evangelischen Pfarrhauses und die komplexen Verbindungen von Kirche, Kultur und Politik. Heute ist das Pfarrhaus keine feste Burg mehr, aber durchaus immer noch Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen:
"Ja, sie spielen möglicherweise auf die "Orientierungshilfe für Ehe und Familie” an, der EKD, die ja enorm umstritten ist und im Grunde genommen ja auch offene Türen einrennt. Es hat sich im Pfarrhaus längst etwas verändert, eigentlich seit Jahrzehnten schon. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung mit neuen Partnerschaftsmodellen, die jetzt auch im Pfarrhaus ankommt, die man aber auch deswegen nicht zum ausgewiesenen Modernitätsausweis des Protestantismus erklären muss, wie ehedem eben die Priesterehe in der Reformation, sondern da werden einfach Dinge zur Kenntnis genommen, die es längst gibt."
"Sie hat aber eine Art geheime Chronologie, das heißt, sie beginnt in der Reformationszeit, oder jedenfalls in den Zeiträumen danach und verankert in diesem ersten Teil der Ausstellung die Priesterehe und das Pfarrhaus in der Theologie der Reformation."
So entstehen im 16. und 17. Jahrhundert ganze theologische Dynastien, bei denen oft der Sohn das Pfarramt vom Vater übernimmt. Die Theologie wird Familiensache, sagt Shirley Brückner, die Kuratorin der Ausstellung. Die Ausstellung zeigt Pfarrporträts und Amtsgenealogien aus den Gründerjahren des Protestantismus, so etwa die Pastorentafel aus Kosel aus dem Jahre 1683:
"Hier sind also mehrere Pfarrer auf einem Bild zu sehen, und es ist auch leicht polemisch, also unten links neben dem Altar liegt also die Papstmitra am Boden, also der Katholizismus ist am Boden zerstört, und der Protestantismus steht da in Reih und Glied parat."
"Leben nach Luther" verdeutlicht die Entwicklung von Pfarramt und Pfarrhaus mit teilweise überraschenden Exponaten. Vor der Einführung der Kirchensteuer war die Beziehung zwischen Pfarrer und Gemeinde sehr stark kommerzialisiert, über die so genannten "Stollgebühren” wurden alle Amtshandlungen und geistlichen Dienstleistungen abgerechnet. So wurde bis ins 18. Jahrhundert hinein in der evangelischen Kirche nicht nur gebeichtet, sondern auch dafür bezahlt.
Shirley Brückner: "Es gibt hier diese wunderbare Konfidentenlade. Konfidenten, das sind die Beichtenden und man hat, entgegen der Annahme, hat man sich in diesem Kästchen, das ist so eine Art Briefkasten, nicht angemeldet zur Beichte, sondern man hat nach der Absolution den Beichtgroschen da eingeworfen. Das war ja sehr umstritten, weil das natürlich, wenn man nach der Absolution dafür bezahlte, das natürlich arg nach Ablasshandel aussah."
Die evangelische Pfarrfamilie wurde zum Vorbild christlicher Lebensführung, bei der sich die Gelehrtheit mit bürgerlichen Werten verbindet. Martin Luther, so die Kuratoren, habe damit aber nichts zu tun:
"Das ist uns ganz wichtig, er hat das evangelische Pfarrhaus nicht begründet. Er hat auch überhaupt nie ein evangelisches Pfarrhaus begründet, weil er schlicht nicht Pfarrer war, sondern Professor. Das ist sozusagen der Mythos des 19. Jahrhunderts, der sich mit diesen ganzen bekannten Bildern, wie dieses Luther am Christabend mit der Familie, also das ist komplett eine Erfindung des 19 Jahrhunderts."
Im 19. Jahrhundert wird das evangelische Pfarrhaus als bürgerliche Modellfamilie idealisiert. Das zeigt sich in den Pfarrhausromanen, aber auch besonders in zeitgenössischen Genregemälden, denen auch ein Ausstellungsraum gewidmet ist.
Bodo Baumunk: "Sie zeigen Amtshandlungen der Pfarrer, sie zeigen aber auch im Falle eines großen Gemäldes den feierlichen Empfang eines schwäbischen Pfarrerehepaares durch die Dorfbevölkerung, ein sehr idyllisierendes Bild, wie es nicht überraschend ist im 19. Jahrhundert. Es ist auch eine komposite schwäbische Landschaft, also sie vereint Schwarzwald und Neckartal und zeigt eben dieses Land als ein von Frömmigkeit erfülltes. Und das Bild hat dann auch 1867 das Königreich Württemberg auf der Weltausausstellung in Paris mitrepräsentiert."
Die Ausstellung führt ins pastorale Studierzimmer, in die Kinderstube und ins gesellige Wohnzimmer. Ende des 19. Jahrhunderts werden die Gegenstände niedlicher bis hin zum Kitsch, Dürers betende Hände aus Holz und Metall oder Christusfiguren in unterschiedlichen Positionen:
Shirley Brückner: "Hier hat man also quasi als Wohnzimmerkunst das Wormser Lutherdenkmal als Spieluhr, was also 'Ein feste Burg ist unser Gott' abspielt, aber sozusagen die Miniaturisierung im 19. Jahrhundert, man holt sich das ins Wohnzimmer."
Die Ausstellung verdeutlicht regionale Unterschiede, unterschiedliche Entwicklungen in den deutschen Landeskirchen, zeigt mit Exponaten aus sieben Ländern auch das Pfarrhaus im europäischen Vergleich:
Bodo Baumunk: "Man kann sowohl eklatante Unterschiede, auch innerhalb des gesamten Zeitraums so demonstrieren, aber eben auch große Ähnlichkeiten. Die skandinavische Kirche zum Beispiel, obwohl die eine Spezialität hatten, die es in Deutschland nicht gab, das Hausverhör noch bis Ende des 19. Jahrhunderts. Das war, so eine Art, in entsprechenden Abständen eine Prüfung der Landbevölkerung auf ihre Glaubensfestigkeit, auf ihre Bibelkenntnisse uns auch auf ihren moralischen Lebenswandel."
Im letzten Ausstellungsraum wird unter dem Titel "Zwei Reiche" das Verhältnis von Pfarrhaus und Politik, von Pfarrhaus und staatlicher Obrigkeit thematisiert:
"Wir stehen jetzt im Moment vor einem großen Gemälde, das eine Kreuzigung zeigt, das aber zugleich Teil eines Kriegerdenkmals in einer Kirche in Gelsenkirchen ist. Hat einen deutlich nationalistischen und auch antisemitischen Unterton, und es gab Kriegerdenkmäler nach dem Ersten Weltkrieg in großer Zahl in den Kirchen."
Es geht auch um die Beziehung der evangelischen Kirche zum Nationalsozialismus, und den Protestbewegungen in der DDR und der Bundesrepublik. Dabei sollen Kontinuitätslinien aufgezeichnet werden:
Bodo Baumunk: "Der Kirchenkampf in den Dreißiger Jahren, bekennende Kirche versus Deutsche Christen, hat auch in den Jahren nach 1945 die Fragestellung, die Positionen sehr stark beeinflusst, als es dann zum Beispiel um die Wiederbewaffnung, um den Kampf gegen die Atomrüstung ging."
"Leben nach Luther" verdeutlicht in mehr als 600 Exponaten die Entwicklungsgeschichte des evangelischen Pfarrhauses und die komplexen Verbindungen von Kirche, Kultur und Politik. Heute ist das Pfarrhaus keine feste Burg mehr, aber durchaus immer noch Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen:
"Ja, sie spielen möglicherweise auf die "Orientierungshilfe für Ehe und Familie” an, der EKD, die ja enorm umstritten ist und im Grunde genommen ja auch offene Türen einrennt. Es hat sich im Pfarrhaus längst etwas verändert, eigentlich seit Jahrzehnten schon. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung mit neuen Partnerschaftsmodellen, die jetzt auch im Pfarrhaus ankommt, die man aber auch deswegen nicht zum ausgewiesenen Modernitätsausweis des Protestantismus erklären muss, wie ehedem eben die Priesterehe in der Reformation, sondern da werden einfach Dinge zur Kenntnis genommen, die es längst gibt."