Leben statt Sterben

Von Barbara Roth |
Ende eines peinlichen Kapitels Münchner Kulturpolitik: in der bayerischen Hauptstadt wird nach jahrzehntelangem Desinteresse das Jüdische Museum am Jakobsplatz eröffnet. Es zeigt vor allem das Leben und weniger das Sterben der Juden in München; die Auseinandersetzung mit der Shoah könne besser an Gedenkstätten in KZs geführt werden, argumentiert Gründungsdirektor Bernhard Purin.
"Stimmen" – eine Installation in der Dauerausstellung "Juden in München" im Untergeschoss des neuen Museums. Man lauscht etwa den Erzählungen von Walter Feuchtwanger. Die Erinnerungen, die entweder nachgesprochen oder von Zeitzeugen vorgetragen werden, erzählen von der Ankunft jüdischer Bürger in München.

Auf rund 900 Quadratmetern Ausstellungsfläche werden Einblicke vermittelt in das jüdische München. "Orte" nennt sich eine andere Installation. Ein Teppichboden stellt einen Stadtplan dar. Die Berliner Künstlerin Renata Stih führt an Orte jüdischen Lebens.

Das Museumsgebäude komplettiert den Jakobsplatz im Herzen der Stadt. Und bildet architektonisch eine Symbiose mit der neuen Hauptsynagoge und dem Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde, die bereits im vergangenen November eingeweiht wurden.

Vor allem aber endet mit der Eröffnung des städtischen Museums ein langes, peinliches Kapitel Münchner Kulturpolitik – wie Oberbürgermeister Christian Ude einräumen musste. Das jahrzehntelange städtische Desinteresse war in den 80er Jahren Anlass für den Galeristen Richard Grimm, ein kleines privates Museum zu gründen, um wenigstens einen Ort zu schaffen für die Geschichte der Münchner Juden.

Ude: "Ihnen verdanken wir vor allem eines, nämlich das positive Wissen, wie groß international das Bedürfnis nach einem jüdischen Museum in München ist. Von Gästen aus aller Welt, ob jüdisch oder nicht, wurde diese Privatinitiative so gefeiert und gewürdigt, dass es immer peinlicher wurde, dass es keine städtische Einrichtung gibt, die das alles in größerem Rahmen und wissenschaftlich fundiert anbieten kann."

Beschämend lange sei die Stadt ein Jüdisches Museum schuldig geblieben, entschuldigte sich der SPD-Politiker. Die Tatsache, dass man trotz der angespannten Haushaltslage nun 13,5 Millionen Euro in einen Neubau investiert hat, unterstreicht seiner Ansicht nach die Bedeutung des Projekts.

"Ich denke, das ist ein Dreiklang hier, und jeder wird das vorfinden, was er an einem jüdisch geprägten Platz, was der Jakobsplatz jetzt ist, erwartet."

Wie die Synagoge ist das Museumsgebäude ein frei stehender Kubus. Während die Synagoge aus einem relativ massiven Sockel und einem transparenten Aufbau besteht, haben die Architekten dieses Prinzip beim Museum genau umgekehrt. Die beiden Obergeschosse sind durch eine fensterlose Steinfassade quasi verschlossen, während der untere Bereich aus einem transparenten Foyer mit einer Glasfront besteht. Und dem Besucher einen faszinierenden Blick auf den sich öffnenden Jakobsplatz bietet.

Die Synagoge rechts vom Museum ist nur eine Armlänge entfernt. Im Gemeindezentrum und der Synagoge wird jüdisches Leben gelebt. Im Museum dazu Wissenswertes vermittelt, so Gründungsdirektor Bernhard Purin.

"Jemand, der von jüdischer Geschichte, von jüdischer Kultur gar nichts oder fast nichts weiß, wird auch nach einem einstündigen Museumsbesuch nicht wesentlich klüger unser Haus verlassen. Was wir aber erreichen können, ist, dass wir bei unseren Besuchern, die gar nichts oder wenig über Judentum wissen, Neugier auslösen können - und zwar jene Neugier, die dazu führt, mehr wissen zu wollen."

Purin setzt auf Kunst und Ästhetik, auf optische Eindrücke, auf Installationen, die Fragen aufwerfen und nicht gleich beantworten - es geht ihm ums "Lernen am Objekt". Wobei er jüdisches Leben der Gegenwart in den Mittelpunkt stellt – und den Blick nicht nur auf den Holocaust richten will.

"Mittlerweile ist es Selbstverständlichkeit, dass die Auseinandersetzung mit der Shoah viel besser geführt werden kann an authentischen Orten in Gedenkstätten ehemaliger Konzentrationslager wie Dachau, und dass jüdische Museen die Aufgabe haben, nicht über das Sterben von Juden, sondern über das Leben von Juden zu berichten.

Wir haben versucht, das auf unterhaltsame Weise zu machen. Der Daueraustellungs-Rundgang endet mit zehn Comics, die ein amerikanischer Comiczeichner für uns gemacht hat, der seine jüdischen Comicfiguren auf Besuch nach München geschickt hat, weil wir ein bisschen auch die Scheu nehmen wollten, dass es hier ausschließlich um ein ganz ernstes Thema geht. Es gibt ganz viele ernste Aspekte, aber man darf auch in einem jüdischen Museum da und dort lachen."

Die Räume im Obergeschoss sind Ausstellungen vorbehalten. Im ersten Jahr greift das Museum das Thema Sammeln auf. Mit Stücken aus den Sammlungen der Wittelsbacher und der Familie Pringsheim lässt sich nach Ansicht von Museumsdirektor Purin nicht nur viel über das jüdische München erzählen, sondern auch über die Gier des NS-Staates und seiner Bürger nach jüdischen Besitztümern.

Kein glückliches Händchen bewiesen die Museumsmacher allerdings im Vorfeld der Eröffnung. Denn man versäumte es, die israelitische Kultusgemeinde und vor allem deren Vorsitzende Charlotte Knobloch in die Vorbereitungen einzubinden. Zeitungen berichteten sogar, die Präsidentin des Zentralrats der Juden sei zur Eröffnung des Museum nicht eingeladen worden, was zu Verstimmung zwischen Gemeinde und Stadt München führte.

Oberbürgermeister Christian Ude war um Schadensbegrenzung bemüht:

"Was wichtig ist, das könnte eine Ursache der Verstimmung sein, sie ist bei der heutigen Pressekonferenz nicht eingeladen worden. Man kann und muss sie mit Fug und Recht als Mutter des gesamten jüdischen Zentrums am Jakobsplatz bezeichnen. Schon aus diesem Grund wäre es nahe gewesen, den öffentlichen Erfolg auch mit ihr zu feiern."

Charlotte Knobloch wollte sich zu den Presseberichten nicht äußern. Sie wird aber auf die persönliche Bitte des Oberbürgermeisters hin an dem Eröffnungsfestakt teilnehmen.