Leben unter biotechnischen Bedingungen
Mehrere führende Wissenschaftler sehen die Zukunft in der Gentechnik. In "Leben, was ist das?" suchen u. a. neben dem Biounternehmer Craig Venter der Quanteninformatiker Seth Loyd, der Chemiker Robert Shapiro und der Harvard-Astronom Dimitar Sasselov nach einer Definition des Lebens und nach dem künftigen Leben unter biotechnischen Bedingungen.
Interdisziplinarität lautet seit einigen Jahren das Kennwort für wissenschaftliches Leistungsvermögen. Schön, wenn ein Biologe mit anderen Biologen die Ursprünge des Lebens untersucht, exzellent aber erst, wenn er es zusammen mit einem Quantenphysiker oder einem Informatiker tut. In Zeiten, in denen auch die besten Wissenschaftler nicht mehr alles verstehen, bleibt im fachübergreifenden Dialog das Versprechen lebendig, die Welt als Ganzes zu begreifen.
Der Anspruch aufs große Ganze zeichnet auch die von dem amerikanischen Werbefachmann John Brockman ins Leben gerufene Internetcommunity edge.org aus. Im diskursiven Hinterzimmer des Netzes sollen die besten Köpfe der (englischsprachigen) Welt ohne Rücksicht auf Fachgrenzen die wichtigsten Menschheitsfragen diskutieren. Brockman, der in seiner Jugend mit Andy Warhol und Bob Dylan – zwei anderen Fachleuten fürs Allgemeine – herumhing, sieht sich so als Ermöglicher eines im akademischen Alltag blockierten Gedankenaustauschs.
Für 2009 hat edge.org gerade "Was wird alles verändern" zur Frage des Jahres erklärt. Klugerweise hat Brockman auch Vertreter des gehobenen Feuilletons in die selbsternannte Cyber-Elite berufen. Das schafft nicht nur Öffentlichkeit sondern auch Wohlwollen, denn Mitglieder sind, wie jeder Kegelverein weiß, oft die schlechtesten Kritiker ihres eigenen Clubs.
Im jetzt vorliegenden Band "Leben, was ist das?", der auf die letzte Jahresfrage Brockmans zurückgeht, kann man den Ertrag des digitalen Debattierclubs als Diskussionsmitschrift nachverfolgen. Neben dem Biounternehmer J. Craig Venter, suchen u. a. der Quanteninformatiker Seth Loyd, der Chemiker Robert Shapiro und der Harvard-Astronom Dimitar Sasselov nach einer Definition des Lebens, oder genauer: nach der Zukunft des Lebens unter biotechnischen Bedingungen.
Die Marschrichtung gibt nämlich der Genpionier vor. Nachdem Craig Venters Unternehmen im letzten Jahr erstmals der Nachbau eines Bakteriums gelang, ist es für ihn nur eine Frage von Jahren, bis Genome am Rechner manipuliert und Artschranken vollends überwunden werden. Das darwinistische Zeitalter ist vorbei, die Epoche des "intelligent design" bricht an, darüber herrscht Einigkeit am Geniestammtisch. Design allerdings nicht im Sinne eines intelligenten Schöpfergottes, sondern als gezielte Manipulation der Gesetze des Lebens durch genauso intelligente Forscher. Das Selbstbewusstsein, das die Wissenschaftler an den Tag legen, kann man als prometheisch bewundern, an vielen Stellen ist es einfach großspurig. Von methodischem Zweifel keine Spur, und so ist es nur konsequent, wenn Venter genetische Verbesserungen am Menschen für eine gute Idee hält; die in solchen Dingen etwas träge Öffentlichkeit müsse sich halt nur noch an den Gedanken gewöhnen.
Überhaupt ist es der Lieblingsgestus der Forscher, die naiven Alltagsüberzeugungen der Nichtforscher zu konterkarieren. Robert Shapiro vertritt die These, Leben im Universum könne nicht als unwahrscheinlich gelten, vorausgesetzt wir trennen uns von der Vorstellung, dass sein Entstehen auf Wasser und Sauerstoff angewiesen sei. Die Unwahrscheinlichkeit von Leben im Kosmos wird auch von Seth Lloyd dramatisch heruntergeschraubt: Leben ist für den Informatiker prinzipiell ein digitales System, dessen mögliche Komplexität in der Struktur der Quantenwelt schon angelegt sei. Hier wird also in Dimensionen gedacht, bei denen es auf die eine andere Zehnerpotenz nicht ankommt.
So gerät die titelgebende Frage in weiten Teilen aus dem Blick, aber Visionäre vom Schlage der Brockmanschen Cyberelite möchten von ihrem Publikum ja vor allem auch bestaunt werden. Da war der Supercomputer in Douglas Adams’ Roman Per Anhalter durch die Galaxis vergleichsweise bescheiden. Er kam zu dem Ergebnis, dass "42" die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest sei. Bei edge.org wird noch gerechnet.
Rezensiert von Ralf Müller-Schmid
John Brockman: Leben, was ist das? Ursprünge, Phänomene und die Zukunft unserer Wirklichkeit
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, 165 Seiten, 9,95 Euro
Der Anspruch aufs große Ganze zeichnet auch die von dem amerikanischen Werbefachmann John Brockman ins Leben gerufene Internetcommunity edge.org aus. Im diskursiven Hinterzimmer des Netzes sollen die besten Köpfe der (englischsprachigen) Welt ohne Rücksicht auf Fachgrenzen die wichtigsten Menschheitsfragen diskutieren. Brockman, der in seiner Jugend mit Andy Warhol und Bob Dylan – zwei anderen Fachleuten fürs Allgemeine – herumhing, sieht sich so als Ermöglicher eines im akademischen Alltag blockierten Gedankenaustauschs.
Für 2009 hat edge.org gerade "Was wird alles verändern" zur Frage des Jahres erklärt. Klugerweise hat Brockman auch Vertreter des gehobenen Feuilletons in die selbsternannte Cyber-Elite berufen. Das schafft nicht nur Öffentlichkeit sondern auch Wohlwollen, denn Mitglieder sind, wie jeder Kegelverein weiß, oft die schlechtesten Kritiker ihres eigenen Clubs.
Im jetzt vorliegenden Band "Leben, was ist das?", der auf die letzte Jahresfrage Brockmans zurückgeht, kann man den Ertrag des digitalen Debattierclubs als Diskussionsmitschrift nachverfolgen. Neben dem Biounternehmer J. Craig Venter, suchen u. a. der Quanteninformatiker Seth Loyd, der Chemiker Robert Shapiro und der Harvard-Astronom Dimitar Sasselov nach einer Definition des Lebens, oder genauer: nach der Zukunft des Lebens unter biotechnischen Bedingungen.
Die Marschrichtung gibt nämlich der Genpionier vor. Nachdem Craig Venters Unternehmen im letzten Jahr erstmals der Nachbau eines Bakteriums gelang, ist es für ihn nur eine Frage von Jahren, bis Genome am Rechner manipuliert und Artschranken vollends überwunden werden. Das darwinistische Zeitalter ist vorbei, die Epoche des "intelligent design" bricht an, darüber herrscht Einigkeit am Geniestammtisch. Design allerdings nicht im Sinne eines intelligenten Schöpfergottes, sondern als gezielte Manipulation der Gesetze des Lebens durch genauso intelligente Forscher. Das Selbstbewusstsein, das die Wissenschaftler an den Tag legen, kann man als prometheisch bewundern, an vielen Stellen ist es einfach großspurig. Von methodischem Zweifel keine Spur, und so ist es nur konsequent, wenn Venter genetische Verbesserungen am Menschen für eine gute Idee hält; die in solchen Dingen etwas träge Öffentlichkeit müsse sich halt nur noch an den Gedanken gewöhnen.
Überhaupt ist es der Lieblingsgestus der Forscher, die naiven Alltagsüberzeugungen der Nichtforscher zu konterkarieren. Robert Shapiro vertritt die These, Leben im Universum könne nicht als unwahrscheinlich gelten, vorausgesetzt wir trennen uns von der Vorstellung, dass sein Entstehen auf Wasser und Sauerstoff angewiesen sei. Die Unwahrscheinlichkeit von Leben im Kosmos wird auch von Seth Lloyd dramatisch heruntergeschraubt: Leben ist für den Informatiker prinzipiell ein digitales System, dessen mögliche Komplexität in der Struktur der Quantenwelt schon angelegt sei. Hier wird also in Dimensionen gedacht, bei denen es auf die eine andere Zehnerpotenz nicht ankommt.
So gerät die titelgebende Frage in weiten Teilen aus dem Blick, aber Visionäre vom Schlage der Brockmanschen Cyberelite möchten von ihrem Publikum ja vor allem auch bestaunt werden. Da war der Supercomputer in Douglas Adams’ Roman Per Anhalter durch die Galaxis vergleichsweise bescheiden. Er kam zu dem Ergebnis, dass "42" die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest sei. Bei edge.org wird noch gerechnet.
Rezensiert von Ralf Müller-Schmid
John Brockman: Leben, was ist das? Ursprünge, Phänomene und die Zukunft unserer Wirklichkeit
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, 165 Seiten, 9,95 Euro