Leben vom Müll
Kühlschränke, alte Fernseher, Computer, Kopierer: Jeden Tag brennt in Ghanas Hauptstadt Accra Elektroschrott aus der sogenannten Ersten Welt. Statt zur Schule zu gehen, sammeln dort kleine Kinder die letzten Reste verbrannten Metalls. Besonders begehrt sind Kupferdrähte, um sie für kleines Geld zu verkaufen.
Agbobloshie – mitten in Ghanas Hauptstadt Accra. Ein absurder Ort. Wie das Ende der Welt. Wie ein Realität gewordenes apokalyptisches Gemälde von Dix oder Dürer. Hier an der Lagune liegt der größte Markt von Accra - für Gemüse und Obst, Fleisch und Fisch. Frauen mit Schüsseln auf dem Kopf balancieren durch das Chaos. An einer Ecke spielen zwei Männer Schach.
Der fürchterliche Gestank vom Fluss nebenan scheint sie nicht zu stören. Eine zähfließende Masse aus Fäkalien und Elektroschrott wälzt sich hier langsam von der Lagune ins Meer. Drüben auf der anderen Seite des Ufers stehen Kühe im Schlamm und fressen Gras, direkt neben einer Wellblechsiedlung - einem Slum, der tatsächlich "Sodom und Gomorrha" heißt.
Agbobloshie - eine der größten Müllhalden für Elektroschrott überhaupt. 50.000 Menschen leben hier, darunter viele Kinder. Immer wieder höre ich den Begriff "Toxic City", giftige Stadt. Das riesige Gelände erstreckt sich über mehrere Quadratkilometer. Schrott und Müll bis zum Horizont.
Grellgrüne Flammen steigen meterhoch auf und verursachen riesige Wände von giftigem, dickem, schwarzem Qualm. Die Menschen schmelzen Kabel und Platinen - so gewinnen sie das Gold der Armen: Kupfer, Aluminium, Blei. Begehrte Rohstoffe für die Industrie.
"Heute läuft es schlecht – ich hab’ heute noch nichts verdient. Der Rauch, der macht mich krank. Ich habe Probleme beim Atmen. Aber was soll ich machen – ich brauche Geld, und deswegen muss ich es hier weiter versuchen."
Nebenan sind kleine Jungs damit beschäftigt, alte Fernseher zu zerlegen. Mit Steinen zerschmettern sie die Bildschirmröhren, dahinter liegen die Kupferteile und Platinen.
Manchmal ziehen sie auch Lautsprecher-Magneten an einer Schnur hinter sich her und wandern stundenlang über das Gelände – am Magneten bleiben immer ein paar Metallteile haften. Ihre Beute - Platinen, Schrauben, Aluminium, Kupfer – verkaufen sie bei den Händlern nebenan: umgerechnet für ein paar Euro-Cent.
Mit Plastiksandalen und zerrissenem T-Shirt steht Peter in einem Berg von Scherben, alten Gefriertruhen, Kopiergeräten und Autobatterien, zu seinen Füßen rosa Tonerfarbe auf dem schwarzen Boden. Peter ist elf Jahre alt, sein Körper höchstens der eines Fünfjährigen.
Direkt vor ihm eine riesige Wand aus dickem, schwarzem Qualm. Peter wirft die Reste einer Kühlschrankisolierung in die Flammen. Hier verbrennt er DVD-Player und alte Bildschirme.
Dann zeigt er seine von Glas und scharfen Metallkanten zerschnittenen Arme und Beine. Und er klagt über Kopfschmerzen. Wie krebserregend die Dämpfe sind, die er jeden Tag einatmet, weiß er nicht - er weiß nur, dass viele Kinder auf dem Schrottplatz deswegen keine Luft mehr bekommen und Blut spucken. Manche, erzählt Peter, hätten auch Probleme mit den Augen. Auch seine Geschwister arbeiten hier. Peters Mutter verkauft Süßigkeiten an der Straße. Wo sein Vater ist, weiß er nicht.
Was immer er verdient, will er seiner Mutter geben – und seine Schulbücher und den Lehrer bezahlen. Wenn er einen Cedi für seinen gesammelten Metallschrott bekommt, ist er zufrieden. Mit zwei Cedi - nicht einmal einem Euro - wäre er richtig glücklich.
"Alles was sie suchen, steckt in den Monitoren. Und bis sie da rankommen, müssen sie das Glas zertrümmern und alles verbrennen. Am Ende ist das, was sie herausholen nichts wert im Vergleich zu dem, was sie hier aufs Spiel setzen – ihr Leben. Kaum jemand weiß hier, wie viel Blei im Glas der alten Bildschirme steckt.
Und wie viel von diesen sogenannten Poly-Brom-Diphenyl-Ethern frei wird, wenn Plastik verbrennt. Diese Stoffe stecken als Brandschutz im Kunststoff – und wenn sie brennen, sind sie krebserregend. In vielen europäischen Staaten sind sie längst verboten! Die Kinder, die hier vor uns stehen, sind vielleicht vier Jahre alt. Schau sie dir an! Ihre Nasen laufen, sie husten.
Alle haben trübe und verfärbte Augen. Daran erkennt man Nieren- und Leberschäden. Viele Kinder sind dermaßen krank, weil sie ständig diesem Zeug hier ausgesetzt sind – dem Elektroschrott aus den Industrieländern."
Der ghanaische Umweltaktivist Mike Anane. Kaum jemand kennt Agbobloshie besser als er. Seit vielen Jahren kommt er regelmäßig hierher.
"”From Germany, from Denmark, China, all the world’s computers, TV sets, they all come here to die!”"
Mike Anane spricht mit den Kindern, den Erwachsenen - und sammelt Beweise. Dafür, dass vor allem der reiche Westen seinen Elektroschrott in Afrika ablädt. Dass dieser Müll die Umwelt zerstört - und die Menschen krank macht.
"Wann hört das endlich auf? Wie lange soll das noch weitergehen? Es ist eine Katastrophe. Überall Glas, und die Kinder laufen hier barfuss oder ohne feste Schuhe herum, ohne Schutz. Wer sich hier verletzt, holt sich Tetanus und noch ganz andere Sachen."
Als wollte er Mikes Befürchtung noch unterstreichen, zeigt der zwölfjährige James, wie er seine Verletzungen behandelt: Damit es aufhört zu bluten, stopft er einfach den verseuchten Sand in die Wunde.
Agbobloshie habe sich sehr verändert, erzählt Isaiah. Er ist sechzehn und kommt schon seit acht Jahren hierher zum Arbeiten. Mittlerweile gebe es hier sehr viel mehr Schrott als früher – aber die Konkurrenz durch die anderen Kinder sei größer geworden – alles Jungs aus dem bettelarmen Norden Ghanas.
"”All the metals are coming down. So many more people.”"
Als seine Geschäfte noch besser liefen, hat er seiner Mutter Geld schicken können – der Rest war für die Schule. Für Bücher, für das Essen, die Schuluniform. Irgendwann, sagt er, irgendwann will er aufhören, und eines Tages Arzt werden. Bildung sei doch so wichtig.
Seine Mutter braucht seine Hilfe und er will endlich auf eine bessere Schule. Deshalb will Isaiah hier weitermachen. Auch wenn er genau weiß, wie gefährlich es ist. Auch wenn er von den großen Jungs verprügelt wird.
Trotz monatelanger Nachfragen, Anrufe, E-Mails, trotz persönlicher Spontan-Besuche, Herumfragen von Büro zu Büro: Interviews gibt es keine. Nicht mit der AMA, der Stadtverwaltung von Accra, und auch nicht mit Ghanas Umweltschutzbehörde EPA, der Environmental Protection Agency. Wer genau wissen will, wie der Elektroschrott nach Ghana und schließlich auf die Müllkippe kommt, muss vorsichtig sein - in Ghana redet niemand gern darüber. Außer Mike Anane.
"Früher wurde viel Elektroschrott nach Nigeria gebracht. Aber die letzten Jahre haben gezeigt: ‚E-Waste’ geht dorthin, wo die Wirtschaft brummt, wo Wachstum ist. Im Hafen von Accra geht es zu wie im Taubenschlag, hier werden extrem viele Waren umgeschlagen. Bei den Massen an Containern ist es ein Leichtes, eben nicht nur als solche deklarierte Second-Hand-Elektrogeräte, sondern auch einfach Elektroschrott zu versetzen."
Das Baseler Übereinkommen, das auch Deutschland unterschrieben hat, verbietet den Export von Technik-Müll aus Europa. Dennoch landen pro Monat rund 500 Container mit Elektrogeräten in Agbobloshie. Als gebraucht deklariert, und damit völlig legal. Manche Exporteure glaubten, sie würden den Afrikanern damit noch etwas Gutes tun, sagt Mike Anane. Anderen gehe es einfach nur ums Geschäft.
Mit den Gebraucht-Geräten ließen sich Millionen verdienen, erklärt Mike. Ob sie nun funktionierten, oder nicht. Es gebe vorbildliche Recycling-Betriebe in der EU – vor allem in Deutschland. Doch die sogenannte "Entsorgung" laufe in den meisten Industrieländern falsch. Denn: Warum Geld fürs Recycling bezahlen - wenn man doch für das Schrott-Dumping in Afrika auch noch Geld bekommt?
"Über die Jahre habe ich feststellen müssen, dass viele Recycling-Firmen für den illegalen Handel mit E-Waste mitverantwortlich sind. Manche von ihnen machen eine Menge Geld damit. Und es ist ihnen egal, dass Ghana dann mit dem Schrott alleingelassen wird - wir haben hier keine Chance, das Zeug anständig und sicher zu entsorgen!"
Verkauft wird die Elektro-Ware in den Stadtvierteln rund um den Schrottplatz. Hier haben sich ganze Straßenzüge von Geschäften angesiedelt, die damit handeln.
"Agbobloshie existiert in dieser Form schon so lange, wie es den Handel mit Elektroschrott gibt - vielleicht neun oder zehn Jahre. Diese Händler hier sind da, weil es Agbobloshie gibt. Sie wissen, dass sie dort immer noch ihr Zeug loswerden. Es ist eine traurige Symbiose, was kaputt ist, verkaufen sie an die Scrap Boys, die Kinder auf dem Schrottplatz."
Rockson verkauft alles - alte Aircondition-Teile, Autobatterien, Mikrowellen. Der angebliche Renner: Flachbildschirme, gebraucht und wie neu, sagt der Händler, für 200 Cedi, also knapp 100 Euro.
Rocksons Ware kommt vor allem aus Italien. Der hintere Teil des Lagers ist vollgestopft mit alten italienischen Zeitungen, die dienten mal als Isolierung im Container.
"Es ist ein gutes Geschäft. In Ghana mögen wir gebrauchte Produkte, die neuen sind zu teuer. Wir kaufen keine Originale, denn wir müssen immer damit rechnen, dass diese Originale eigentlich "fake" sind, also billige Kopien aus China, für die wir viel Geld bezahlen sollen, als wären sie echt."
Da halten wir uns lieber an die Second-Hand-Ware aus Europa und so weiter. Ein neuer Marken-CD-Player kostet vielleicht 600 Cedi, also knapp 300 Euro, ein gebrauchter nur noch die Hälfte.
Ich entdecke auch Waren aus Deutschland - sehr zur Freude des Händlers.
"”Akku-Handstaubsauger, this is German. Is this good quality? Yes, very good!""
Rockson muss seine Ware schnell loswerden, nächste Woche kommen wieder zwei Container Gebrauchtgeräte. Nicht immer funktionieren die Sachen - das gibt auch der Händler zu. Testen sei am Hafen in Accra nicht möglich. Bei manchen Geräten seien die Kabel abgeschnitten.
"Wir kaufen im Hafen vom Importeur, manchmal bringt man uns die Ware auch direkt - und dann einigen wir uns auf einen Preis, von dem alle etwas haben. Wir kaufen ‚en gros’, das bedeutet, wir müssen den ganzen Container kaufen, gewissermaßen die Katze im Sack, alles ungeprüft. Bevor wir verkaufen, testen wir natürlich. Aber wenn die Sachen kaputt sind, werden wir sie trotzdem los. Da kann immer noch jemand was mit anfangen."
Ein paar Straßen weiter entdecke ein Händler, der sich auf Ware aus Deutschland spezialisiert hat. Ganz offensichtlich ausrangierte Technik aus deutschen Büros. Von außen ist den Geräten wenig anzusehen, außer, dass sie 10, 20 Jahre alt sein müssen. Doch Umweltexperte Mike Anane ist sicher: Alles Schrott. E-Waste.
"Also - es ist doch offensichtlich, dass die meisten Geräte nicht funktionieren, bestimmt 80 Prozent Schrott. Die Sachen stehen in der Sonne, im Staub - selbst wenn sie funktionieren sollten, dann nicht lange. Und dann landen sie in Agbobloshie, wo sich dann die Kinder darum kümmern und alles auseinandernehmen."
Kinder und Jugendliche wie Maxwell, 18 Jahre alt. Mit seinen Freunden verbrennt er Heizungen und Autoteile. Seine Augen sind gespenstisch gelb. Ein untrügliches Zeichen für schwere Organschäden.
"Ich komme aus dem Norden Ghanas, wie die meisten hier. Meine Eltern haben es schwer - deshalb arbeite ich hier. Ich habe mit der Schule aufhören müssen, weil das Geld einfach nicht reicht.
Dieser Ort hier ist ein Segen, weil ich etwas Geld verdiene, aber er ist auch ein Fluch, weil meine Augen immer schlechter werden. Nachts kann ich nicht schlafen, ich habe schlimme Kopfschmerzen. Irgendwann will ich mit dieser Schufterei aufhören - wenn ich denn etwas Besseres finde. Ich habe große Angst, zu erblinden.
Für mich ist das alles nur noch schwer zu verstehen – es ist eben eine zynische, eine zerstörerische Logik: Niemand will giftigen Elektroschrott in seinem Garten. Und dieses Zeug landet dann eben hier, wo niemand Fragen stellt. Es ist ein Teufelskreis, der niemals endet. Aber Europa und der Rest der Welt dürfen nicht länger Vogel Strauß spielen und so tun, als wäre nichts. Jeder weiß, dass E-Waste illegal hierher gebracht wird.
Und jeder weiß, dass Ghana keine Möglichkeiten hat, diesen Müll entsprechend zu entsorgen oder zu recyclen. Es ist eine moralische Frage, ob man den Schrott dann trotzdem hierherbringt. Wenn Europa diesen Giftmüll nicht will, ist das eine Sache – aber dann sollte Ghana ihn nicht abbekommen!"
Mit einer Metallstange stochert Maxwell in einer brennenden Klimaanlage herum. Mit bloßen Händen zieht er die glühend heißen Metallteile auseinander, die im Feuer vor sich hin schmurgeln.
Nebenan im beißenden Rauch stehen junge Frauen – sie verkaufen Wasser in kleinen Beuteln. Nicht zum Trinken, sondern um die Drähte und Kupferspulen abzukühlen. Ein kleines Mädchen, vielleicht zwei Jahre alt, stolpert auf mich zu, ohne Sandalen und ohne Windel - es sucht nach seiner Mutter.
"Verbraucher sollten sich überlegen, was sie wirklich brauchen. Sie sollten wissen, wie giftig ihre elektrischen Geräte sind, und wie groß das Problem wird, wenn diese Geräte irgendwann nicht mehr funktionieren. Wer ein Elektrogerät kauft, sollte prüfen, wo er es später umweltverträglich entsorgen kann – wobei ich diesen Begriff überhaupt nicht mag - entsorgen.
Jeder muss sich darüber im Klaren sein, dass sein Mobiltelefon, sein Drucker, sein Kühlschrank möglicherweise nach Afrika gelangt. Wo sich dann am Ende der Wertschöpfungskette kleine Jungs darum kümmern - auf ihre Art."
Im Sonnenuntergang kommt mir Joshua entgegen, fünf Jahre alt, ein kleiner Junge mit leerem Gesicht. Auf dem Kopf trägt er eine Blechschale mit einer Plastiktüte. Joshua ist auf dem Weg zur Arbeit auf dem Schrottplatz. Und er ist völlig verzweifelt: Die großen Jungs hätten ihm gerade seinen Lautsprecher-Magneten weggenommen: sein Arbeitsgerät.
Und dann finde ich noch die Reste eines Kopierers aus Köln. Auf einem Aufkleber an der Seite ist zu lesen: "Dieses Kopiergerät ist für den Gebrauch von recyclebarem Papier geeignet."
Der fürchterliche Gestank vom Fluss nebenan scheint sie nicht zu stören. Eine zähfließende Masse aus Fäkalien und Elektroschrott wälzt sich hier langsam von der Lagune ins Meer. Drüben auf der anderen Seite des Ufers stehen Kühe im Schlamm und fressen Gras, direkt neben einer Wellblechsiedlung - einem Slum, der tatsächlich "Sodom und Gomorrha" heißt.
Agbobloshie - eine der größten Müllhalden für Elektroschrott überhaupt. 50.000 Menschen leben hier, darunter viele Kinder. Immer wieder höre ich den Begriff "Toxic City", giftige Stadt. Das riesige Gelände erstreckt sich über mehrere Quadratkilometer. Schrott und Müll bis zum Horizont.
Grellgrüne Flammen steigen meterhoch auf und verursachen riesige Wände von giftigem, dickem, schwarzem Qualm. Die Menschen schmelzen Kabel und Platinen - so gewinnen sie das Gold der Armen: Kupfer, Aluminium, Blei. Begehrte Rohstoffe für die Industrie.
"Heute läuft es schlecht – ich hab’ heute noch nichts verdient. Der Rauch, der macht mich krank. Ich habe Probleme beim Atmen. Aber was soll ich machen – ich brauche Geld, und deswegen muss ich es hier weiter versuchen."
Nebenan sind kleine Jungs damit beschäftigt, alte Fernseher zu zerlegen. Mit Steinen zerschmettern sie die Bildschirmröhren, dahinter liegen die Kupferteile und Platinen.
Manchmal ziehen sie auch Lautsprecher-Magneten an einer Schnur hinter sich her und wandern stundenlang über das Gelände – am Magneten bleiben immer ein paar Metallteile haften. Ihre Beute - Platinen, Schrauben, Aluminium, Kupfer – verkaufen sie bei den Händlern nebenan: umgerechnet für ein paar Euro-Cent.
Mit Plastiksandalen und zerrissenem T-Shirt steht Peter in einem Berg von Scherben, alten Gefriertruhen, Kopiergeräten und Autobatterien, zu seinen Füßen rosa Tonerfarbe auf dem schwarzen Boden. Peter ist elf Jahre alt, sein Körper höchstens der eines Fünfjährigen.
Direkt vor ihm eine riesige Wand aus dickem, schwarzem Qualm. Peter wirft die Reste einer Kühlschrankisolierung in die Flammen. Hier verbrennt er DVD-Player und alte Bildschirme.
Dann zeigt er seine von Glas und scharfen Metallkanten zerschnittenen Arme und Beine. Und er klagt über Kopfschmerzen. Wie krebserregend die Dämpfe sind, die er jeden Tag einatmet, weiß er nicht - er weiß nur, dass viele Kinder auf dem Schrottplatz deswegen keine Luft mehr bekommen und Blut spucken. Manche, erzählt Peter, hätten auch Probleme mit den Augen. Auch seine Geschwister arbeiten hier. Peters Mutter verkauft Süßigkeiten an der Straße. Wo sein Vater ist, weiß er nicht.
Was immer er verdient, will er seiner Mutter geben – und seine Schulbücher und den Lehrer bezahlen. Wenn er einen Cedi für seinen gesammelten Metallschrott bekommt, ist er zufrieden. Mit zwei Cedi - nicht einmal einem Euro - wäre er richtig glücklich.
"Alles was sie suchen, steckt in den Monitoren. Und bis sie da rankommen, müssen sie das Glas zertrümmern und alles verbrennen. Am Ende ist das, was sie herausholen nichts wert im Vergleich zu dem, was sie hier aufs Spiel setzen – ihr Leben. Kaum jemand weiß hier, wie viel Blei im Glas der alten Bildschirme steckt.
Und wie viel von diesen sogenannten Poly-Brom-Diphenyl-Ethern frei wird, wenn Plastik verbrennt. Diese Stoffe stecken als Brandschutz im Kunststoff – und wenn sie brennen, sind sie krebserregend. In vielen europäischen Staaten sind sie längst verboten! Die Kinder, die hier vor uns stehen, sind vielleicht vier Jahre alt. Schau sie dir an! Ihre Nasen laufen, sie husten.
Alle haben trübe und verfärbte Augen. Daran erkennt man Nieren- und Leberschäden. Viele Kinder sind dermaßen krank, weil sie ständig diesem Zeug hier ausgesetzt sind – dem Elektroschrott aus den Industrieländern."
Der ghanaische Umweltaktivist Mike Anane. Kaum jemand kennt Agbobloshie besser als er. Seit vielen Jahren kommt er regelmäßig hierher.
"”From Germany, from Denmark, China, all the world’s computers, TV sets, they all come here to die!”"
Mike Anane spricht mit den Kindern, den Erwachsenen - und sammelt Beweise. Dafür, dass vor allem der reiche Westen seinen Elektroschrott in Afrika ablädt. Dass dieser Müll die Umwelt zerstört - und die Menschen krank macht.
"Wann hört das endlich auf? Wie lange soll das noch weitergehen? Es ist eine Katastrophe. Überall Glas, und die Kinder laufen hier barfuss oder ohne feste Schuhe herum, ohne Schutz. Wer sich hier verletzt, holt sich Tetanus und noch ganz andere Sachen."
Als wollte er Mikes Befürchtung noch unterstreichen, zeigt der zwölfjährige James, wie er seine Verletzungen behandelt: Damit es aufhört zu bluten, stopft er einfach den verseuchten Sand in die Wunde.
Agbobloshie habe sich sehr verändert, erzählt Isaiah. Er ist sechzehn und kommt schon seit acht Jahren hierher zum Arbeiten. Mittlerweile gebe es hier sehr viel mehr Schrott als früher – aber die Konkurrenz durch die anderen Kinder sei größer geworden – alles Jungs aus dem bettelarmen Norden Ghanas.
"”All the metals are coming down. So many more people.”"
Als seine Geschäfte noch besser liefen, hat er seiner Mutter Geld schicken können – der Rest war für die Schule. Für Bücher, für das Essen, die Schuluniform. Irgendwann, sagt er, irgendwann will er aufhören, und eines Tages Arzt werden. Bildung sei doch so wichtig.
Seine Mutter braucht seine Hilfe und er will endlich auf eine bessere Schule. Deshalb will Isaiah hier weitermachen. Auch wenn er genau weiß, wie gefährlich es ist. Auch wenn er von den großen Jungs verprügelt wird.
Trotz monatelanger Nachfragen, Anrufe, E-Mails, trotz persönlicher Spontan-Besuche, Herumfragen von Büro zu Büro: Interviews gibt es keine. Nicht mit der AMA, der Stadtverwaltung von Accra, und auch nicht mit Ghanas Umweltschutzbehörde EPA, der Environmental Protection Agency. Wer genau wissen will, wie der Elektroschrott nach Ghana und schließlich auf die Müllkippe kommt, muss vorsichtig sein - in Ghana redet niemand gern darüber. Außer Mike Anane.
"Früher wurde viel Elektroschrott nach Nigeria gebracht. Aber die letzten Jahre haben gezeigt: ‚E-Waste’ geht dorthin, wo die Wirtschaft brummt, wo Wachstum ist. Im Hafen von Accra geht es zu wie im Taubenschlag, hier werden extrem viele Waren umgeschlagen. Bei den Massen an Containern ist es ein Leichtes, eben nicht nur als solche deklarierte Second-Hand-Elektrogeräte, sondern auch einfach Elektroschrott zu versetzen."
Das Baseler Übereinkommen, das auch Deutschland unterschrieben hat, verbietet den Export von Technik-Müll aus Europa. Dennoch landen pro Monat rund 500 Container mit Elektrogeräten in Agbobloshie. Als gebraucht deklariert, und damit völlig legal. Manche Exporteure glaubten, sie würden den Afrikanern damit noch etwas Gutes tun, sagt Mike Anane. Anderen gehe es einfach nur ums Geschäft.
Mit den Gebraucht-Geräten ließen sich Millionen verdienen, erklärt Mike. Ob sie nun funktionierten, oder nicht. Es gebe vorbildliche Recycling-Betriebe in der EU – vor allem in Deutschland. Doch die sogenannte "Entsorgung" laufe in den meisten Industrieländern falsch. Denn: Warum Geld fürs Recycling bezahlen - wenn man doch für das Schrott-Dumping in Afrika auch noch Geld bekommt?
"Über die Jahre habe ich feststellen müssen, dass viele Recycling-Firmen für den illegalen Handel mit E-Waste mitverantwortlich sind. Manche von ihnen machen eine Menge Geld damit. Und es ist ihnen egal, dass Ghana dann mit dem Schrott alleingelassen wird - wir haben hier keine Chance, das Zeug anständig und sicher zu entsorgen!"
Verkauft wird die Elektro-Ware in den Stadtvierteln rund um den Schrottplatz. Hier haben sich ganze Straßenzüge von Geschäften angesiedelt, die damit handeln.
"Agbobloshie existiert in dieser Form schon so lange, wie es den Handel mit Elektroschrott gibt - vielleicht neun oder zehn Jahre. Diese Händler hier sind da, weil es Agbobloshie gibt. Sie wissen, dass sie dort immer noch ihr Zeug loswerden. Es ist eine traurige Symbiose, was kaputt ist, verkaufen sie an die Scrap Boys, die Kinder auf dem Schrottplatz."
Rockson verkauft alles - alte Aircondition-Teile, Autobatterien, Mikrowellen. Der angebliche Renner: Flachbildschirme, gebraucht und wie neu, sagt der Händler, für 200 Cedi, also knapp 100 Euro.
Rocksons Ware kommt vor allem aus Italien. Der hintere Teil des Lagers ist vollgestopft mit alten italienischen Zeitungen, die dienten mal als Isolierung im Container.
"Es ist ein gutes Geschäft. In Ghana mögen wir gebrauchte Produkte, die neuen sind zu teuer. Wir kaufen keine Originale, denn wir müssen immer damit rechnen, dass diese Originale eigentlich "fake" sind, also billige Kopien aus China, für die wir viel Geld bezahlen sollen, als wären sie echt."
Da halten wir uns lieber an die Second-Hand-Ware aus Europa und so weiter. Ein neuer Marken-CD-Player kostet vielleicht 600 Cedi, also knapp 300 Euro, ein gebrauchter nur noch die Hälfte.
Ich entdecke auch Waren aus Deutschland - sehr zur Freude des Händlers.
"”Akku-Handstaubsauger, this is German. Is this good quality? Yes, very good!""
Rockson muss seine Ware schnell loswerden, nächste Woche kommen wieder zwei Container Gebrauchtgeräte. Nicht immer funktionieren die Sachen - das gibt auch der Händler zu. Testen sei am Hafen in Accra nicht möglich. Bei manchen Geräten seien die Kabel abgeschnitten.
"Wir kaufen im Hafen vom Importeur, manchmal bringt man uns die Ware auch direkt - und dann einigen wir uns auf einen Preis, von dem alle etwas haben. Wir kaufen ‚en gros’, das bedeutet, wir müssen den ganzen Container kaufen, gewissermaßen die Katze im Sack, alles ungeprüft. Bevor wir verkaufen, testen wir natürlich. Aber wenn die Sachen kaputt sind, werden wir sie trotzdem los. Da kann immer noch jemand was mit anfangen."
Ein paar Straßen weiter entdecke ein Händler, der sich auf Ware aus Deutschland spezialisiert hat. Ganz offensichtlich ausrangierte Technik aus deutschen Büros. Von außen ist den Geräten wenig anzusehen, außer, dass sie 10, 20 Jahre alt sein müssen. Doch Umweltexperte Mike Anane ist sicher: Alles Schrott. E-Waste.
"Also - es ist doch offensichtlich, dass die meisten Geräte nicht funktionieren, bestimmt 80 Prozent Schrott. Die Sachen stehen in der Sonne, im Staub - selbst wenn sie funktionieren sollten, dann nicht lange. Und dann landen sie in Agbobloshie, wo sich dann die Kinder darum kümmern und alles auseinandernehmen."
Kinder und Jugendliche wie Maxwell, 18 Jahre alt. Mit seinen Freunden verbrennt er Heizungen und Autoteile. Seine Augen sind gespenstisch gelb. Ein untrügliches Zeichen für schwere Organschäden.
"Ich komme aus dem Norden Ghanas, wie die meisten hier. Meine Eltern haben es schwer - deshalb arbeite ich hier. Ich habe mit der Schule aufhören müssen, weil das Geld einfach nicht reicht.
Dieser Ort hier ist ein Segen, weil ich etwas Geld verdiene, aber er ist auch ein Fluch, weil meine Augen immer schlechter werden. Nachts kann ich nicht schlafen, ich habe schlimme Kopfschmerzen. Irgendwann will ich mit dieser Schufterei aufhören - wenn ich denn etwas Besseres finde. Ich habe große Angst, zu erblinden.
Für mich ist das alles nur noch schwer zu verstehen – es ist eben eine zynische, eine zerstörerische Logik: Niemand will giftigen Elektroschrott in seinem Garten. Und dieses Zeug landet dann eben hier, wo niemand Fragen stellt. Es ist ein Teufelskreis, der niemals endet. Aber Europa und der Rest der Welt dürfen nicht länger Vogel Strauß spielen und so tun, als wäre nichts. Jeder weiß, dass E-Waste illegal hierher gebracht wird.
Und jeder weiß, dass Ghana keine Möglichkeiten hat, diesen Müll entsprechend zu entsorgen oder zu recyclen. Es ist eine moralische Frage, ob man den Schrott dann trotzdem hierherbringt. Wenn Europa diesen Giftmüll nicht will, ist das eine Sache – aber dann sollte Ghana ihn nicht abbekommen!"
Mit einer Metallstange stochert Maxwell in einer brennenden Klimaanlage herum. Mit bloßen Händen zieht er die glühend heißen Metallteile auseinander, die im Feuer vor sich hin schmurgeln.
Nebenan im beißenden Rauch stehen junge Frauen – sie verkaufen Wasser in kleinen Beuteln. Nicht zum Trinken, sondern um die Drähte und Kupferspulen abzukühlen. Ein kleines Mädchen, vielleicht zwei Jahre alt, stolpert auf mich zu, ohne Sandalen und ohne Windel - es sucht nach seiner Mutter.
"Verbraucher sollten sich überlegen, was sie wirklich brauchen. Sie sollten wissen, wie giftig ihre elektrischen Geräte sind, und wie groß das Problem wird, wenn diese Geräte irgendwann nicht mehr funktionieren. Wer ein Elektrogerät kauft, sollte prüfen, wo er es später umweltverträglich entsorgen kann – wobei ich diesen Begriff überhaupt nicht mag - entsorgen.
Jeder muss sich darüber im Klaren sein, dass sein Mobiltelefon, sein Drucker, sein Kühlschrank möglicherweise nach Afrika gelangt. Wo sich dann am Ende der Wertschöpfungskette kleine Jungs darum kümmern - auf ihre Art."
Im Sonnenuntergang kommt mir Joshua entgegen, fünf Jahre alt, ein kleiner Junge mit leerem Gesicht. Auf dem Kopf trägt er eine Blechschale mit einer Plastiktüte. Joshua ist auf dem Weg zur Arbeit auf dem Schrottplatz. Und er ist völlig verzweifelt: Die großen Jungs hätten ihm gerade seinen Lautsprecher-Magneten weggenommen: sein Arbeitsgerät.
Und dann finde ich noch die Reste eines Kopierers aus Köln. Auf einem Aufkleber an der Seite ist zu lesen: "Dieses Kopiergerät ist für den Gebrauch von recyclebarem Papier geeignet."