Leben wie vor 5000 Jahren
Erstmals war nun also die Kamera in der Steinzeit dabei. Ort des Geschehens: ein Pfahlbaudorf in der Nähe von Ravensburg. Die Bedingungen: unwirtlich, halt wie in der Steinzeit. Hermetisch abgeriegelt von der Zivilisation kämpften 13 Menschen mit Kälte, Hunger, Dauerregen und durchgelaufenen Schuhsohlen.
Zwei Männer der Sippe überquerten sogar die Alpen - auf den Spuren von Ötzi. Living Science heißt das neue Fernseh-Format des SWR, der diese hautnahe Zeitreise ab Pfingstsonntag in der ARD-Primetime dokumentieren wird.
"Es ist Montagmorgen, 3000 vor Christus."
Eine andere Welt: Eine kleine Pfahlbausiedlung, drei Häuser, in der Nähe von Ravensburg. Eine Sippe sitzt auf der Terrasse des grasgedeckten Holzhauses an einem kleinen Weiher, dicht gedrängt vor dem Lehmofen. Sieben Erwachsene, sechs Kinder. Es regnet, seit Tagen, es ist kalt, sieben Grad, der kälteste August seit 100 Jahren. Das ist Lebendige Wissenschaft. Der Feldversuch fand nicht im Labor statt, sondern in einem von der Zivilisation streng abgeschotteten Waldstück im Hinterland des Bodensees. Forscher, Redaktion, Kamerateam und vor allem die Protagonisten mussten dabei schnell und schmerzhaft feststellen: Nicht alles ist planbar! Die primitiven Schuhe sind schon nach drei Tagen durch gelaufen, die Füße der Neuzeitmenschen auch, das Mahlen des Ur-Korns funktioniert überhaupt nicht. Und der Schweizer Archäologe Dr. Urs Leuzinger aus dem Expertenteam bekennt:
"Wissenschaft ist der aktuelle Stand des Irrtums."
Gravierende Irrtümer der Archäologen gefährden fast das ganze Projekt, aber auch die Gesundheit der Menschen, die sich auf die Zeitreise in die Steinzeit eingelassen haben. Die Häuser, die der Leiter des Pfahlbaumuseums in Unteruhldingen, der Archäologe Gunter Schöbel, mit seinem Team originalgetreu und nach bestem Wissen als Kulisse nachgebaut hat, haben dramatische Schwachpunkte: Die grasgedeckten Dächer!
"Die waren nicht ganz dicht! Aber man muss uns zugute halten, es war ja vier Wochen Dauerregen, das hält ja auch kaum ein Dach aus, wobei wir das ganz kritisch geprüft haben und doch zu Erkenntnissen gelangt sind, wir sind zurückgekehrt zum Schilf, das sich gut eignet und vor allem auch eine bessere Wasserableitung hat, so dass wir in Unteruhldingen mit Sicherheit nur noch Dächer mit Schilf rekonstruieren werden und keine mehr mit Gras."
Eine frühe Erkenntnis für die 150 Jahre junge Steinzeit-Forschung, zu spät und ein Drama für sechs Kinder und sieben Erwachsene, die sich nach einem Casting auf dieses Abenteuer eingelassen haben. Die Forschungslücke wurde zwar mit einer nicht ganz stilechten Plastikfolie vorübergehend gestopft, aber für Claudia war das fast zuviel:
"Die Felle wurden nass und ich wusste auch das Zeug trocknet nicht, und da mischten sich halt Tränen mit den Tropfen, die durchs Dach irgendwie kamen, und ich habe nur gedacht, wenn ich jetzt alleine mit meiner Familie wäre, würde ich gehen."
Eine echte Grenzsituation für alle, auch für den Regisseur Martin Buchholz. Er und sein Team hatten statt luftiger Leinenkleider und nasser Felle Goretex-Jacken und nachts eine warme Daunendecke in der nahe gelegenen Waldpension. Aber nicht nur das sorgt für einen anderen Blickwinkel auf die katastrophalen Dreh-Bedingungen.
"Unser Vorteil als Macher war immer der, dass wir auch wussten, was das der Serie bringt! Klar, als dieses Wetter so hart wurde, haben wir natürlich auch geflucht. Und die Stative rosten einem weg, innerhalb von zwei Wochen waren die verrostet. Aber wir konnten uns, wenn wir stundenlang im Regen warten mussten, wenigstens trösten: Das ist jetzt wirklich Steinzeit und zwar ohne Netz und doppelten Boden - jetzt gilt's! Deshalb haben wir starke Geschichten bekommen."
Für die Sippe bedeutete es nach dem unsteinzeitlichen Gute-Nacht-Lied in der Not zusammenkuscheln auf dem engen Schlafplatz aus Fichtenreisig, alle 13 auf engstem Raum. Am Anfang schlief kaum einer länger als drei Stunden. Aber sie haben alle durchgehalten und das ist kein Zufall. Ein paar Hundert Bewerber wollten zurück in die Steinzeit, aber dem SWR-Redakteur Rolf Schlenker fiel die Auswahl leicht, denn diese Sippe ist für ihn ein echter Glücksfall:
"Eine ist eine Töpferfamilie, die andere eine Bauernfamilie, dementsprechend sind die Kinder aufgewachsen, das heißt, die können einiges wegstecken. Die können auch die Kuh melken, ich meine die Erwachsenen, und die können auch schlachten. Das Vorwissen ist da, und das brauchte man auch. Also so als Banker hätte man das sicher nicht gepackt."
Für Wissenschaft und Forschung, Selbsterfahrung und Zuschauerquote hat die Sippe sich viel zugemutet, sammelte Grenzerfahrungen. Hunger zum Beispiel.
"Das geht so nicht, wenn wir zu zweit mahlen, haben wir abends noch nicht genug für das Fladenbrot."
Das Entspelzen der Urgetreide Emmer und Einkorn klappt nicht. Der Spelz, die harte Hülle, löst sich nicht vom mehligen Korn. Die Frauen mahlen von Hand, den ganzen Tag, 12 Stunden, für eine Handvoll Mehl für 13 Menschen. Auch das Kochen funktioniert noch nicht, die Tontöpfe werden nicht richtig heiß. Ein Zwischenfall im Lager hatte die Sippe und Martin stark verunsichert:
"Das war ein ziemlicher Schock, da wollten wir zwei Breie Kochen und der eine Topf ist dann wirklich komplett explodiert, der ist uns total um die Ohren geflogen. Zum Glück wurde niemand verletzt. Das lag allerdings daran, dass das ein 'Showtopf' war, der gar nicht fürs Kochen gedacht war. Aber deshalb haben wir uns nicht getraut."
Und so gibt es für alle nur eine lauwarme Brühe mit halbrohen Erbsen und Linsen. Der vierjährige Talisien will nur noch eines:
"Ich will in die heutige Zeit zurück!"
Die Kinder frieren, sind nass und haben Hunger. Keine leichte Situation für den Vater Olli, aber:
"Ich finde es gar nicht so schlimm. In meiner Kindheit gab's den Satz 'Iss, andere Kinder wären froh wenn sie das hätten!' Das ist so abgedroschen und so weit weg. Hier war das kein bisschen weit weg! Wenn Kinder mal erfahren, was tatsächlich Hunger ist, die haben gesagt 'Mir tut mein Bauch so weh.', da hab ich gesagt: 'Naja, Ronja, du musst was essen!' Das hat sie als Bauchweh betitelt, aber es war einfach nur Hunger. So ´ne Erfahrung zu haben, ist in unserer heutigen Welt des Überflusses in Europa gar nicht so verkehrt!"
Das ist also die lebendige Wissenschaft: Jede Menge ungelöste Probleme, große und kleine. Der Terrassenofen glüht durch, es brennt, die Eimer sind nicht dicht. Und immer noch nichts zu essen. Kaum zu glauben, dass Theorie und Praxis so weit auseinander liegen können. Vor allem in der Sippe glaubt das bald keiner mehr. Misstrauen wächst auch bei Martin, dem Töpfer:
"Es war natürlich so, dass wir am Anfang davon ausgegangen sind, das Team weiß Bescheid, die wissen, wie man das entspelzt, die haben das quasi provoziert, weil das den Film interessanter macht - davon sind wir ausgegangen."
Regisseur Buchholz muss zu Drehbeginn viele Vorwürfe der Sippe abwehren, ein dickes Steinzeitfell sich zulegen. Mit Hunger und Wissenslücken hatte auch er nicht gerechnet:
"Wir dachten natürlich, unsere erfahrenen Archäologen werden es uns schon zeigen. Ja, Pustekuchen! Die haben zwar Tests gemacht, sind zuhause gesessen, abends Pizza gegessen und tagsüber so ein bisschen entspelzen und das haben sie dann hochgerechnet. Niemand von den Wissenschaftlern musste bisher davon sechs kleine Kinder ernähren."
Der Kompromiss: Die Sippe bekommt entspelztes Korn, der Bauch wird voll, das Zutrauen wächst. Und es überrascht: Alle Protagonisten bewarben sich beim Fernsehen und standen dennoch vor dem Versuch dem Medium grundsätzlich skeptisch gegenüber, so auch Britta und ihre Familie.
"Die Kameraleute waren ganz einfühlsam, die haben keineswegs gestört, das war mein großer Horror davor, große Gefühle zu zeigen und die Kamera ist dabei, aber die hat man gar nicht bemerkt."
Mal Harmonie, mal Gewitter – mal zwischen Regisseur und Sippe, mal zwischen Steinzeit-Männern. Britta ahnte etwas:
"Wir haben vorher, rumgewitzelt, nicht, dass wir uns danach nicht mehr angucken wollen oder so, wir haben gewitzelt, aber das schwang schon immer so mit."
Die Extrembedingungen zerren an den Nerven, Martin und Oli geraten sich wegen der Ernte des Korns in die zunehmend länger werdenden Haare, der Streit explodiert am Lagerfeuer:
"Wir waren alle emotional auch angegriffen, weil das schlechte Wetter war immer noch so. Und wenn einem das Wasser in der Feuerstelle steht, das ist kein tolles Gefühl, wenn man darauf angewiesen ist. Das ist so ähnlich, als wollten Sie gerade Weihnachten feiern und der Strom fällt aus."
Aber auch das bekommt die Sippe steinzeitgemäß in den Griff, Martin und die anderen Erwachsenen rufen den Ältestenrat ein:
"Da haben wir das wirklich das erste mal gemacht, dass wir die Kinder ins Bett geschickt haben und haben gesagt, wir müssen am Lagerfeuer was klären." "
Vertrauen und Lockerheit nehmen mit der Routine im Steinzeitalltag zu. Feuer machen und anderes sind nur am Anfang irgendwie schwierig.
"AUS! Einfach aus! Das gibt’s doch gar nicht, einfach aus."
aber immer ein Grund zum Jubel:
"Ingo, Ingo, Ingo …."
Auf Knopfdruck funktioniert gar nichts in der Steinzeit, um so größer die Freude auch über Kleinigkeiten, wenn was gelingt. Vor allem die Kinder genießen nach den Anfangsschwierigkeiten die große Freiheit jenseits von Schule, Barbie und Disneychannel.
Zum Beispiel als Harm Paulsen, Archäotechniker und Steinzeit-Coach, der Sippe hilft, mit einem selbst geknüpften Netz im trüben Weiher Fische zu fangen:
"Die saßen alle da und guckten ins Wasser. Und da war der erste Fisch drin, da hopsten die alle, dass die Bude wackelte, und schrien 'Juhuuuu'. Dann haben wir ihn rausgeholt, ihn lecker gebraten und unter allen aufgeteilt."
Langsam kommt die Sippe im Steinzeitalltag an, vieles geht nun leichter von der Hand. Dafür melden sich jetzt bei einigen wie kleinen Alltagssorgen - Zähneputzen zum Beispiel:
"Ich hab schon probiert irgendwie mir Ästchen abzuknipsen, von der Weide überwiegend, und hab das eine Ende so zerkaut mit den Backenzähnen, dass es so ausfasert, und hab dann das wie eine Zahnbürste nachempfunden und damit meine Zähne geschrubbelt so gut es ging."
Dennoch entzündet sich bei viele Sippenmitglieder das Zahnfleisch. Dagegen hilft der Spitzwegerich, das eine oder andere Kariesloch wird später die beteiligten Wissenschaftler von der Zahnmedizin in Freiburg interessieren. Fakt ist: Karies gibt es erst seit dem Sesshaftwerden der Menschheit, seit der Nahrungsumstellung auf stärkehaltiges Getreide – Nährboden für Bakterien. Jäger und Sammler kannten wir weder Zahnbürste noch Karies, das beweisen die makellosen Gebisse der Schädelfunde aus der älteren Steinzeit. Mit Ackerbau und Viehzucht kamen die ersten "Zivilisationskrankheiten": Karies und Parasitenbefall. Der Archäologe Urs Leuzinger verweist auf die konservierten Hinterlassenschaften unserer Vorfahren im Schweizer Arbonn:
"Es gibt auch Spezialisten, die das untersuchen und es hat sich gezeigt, dass in der Seeufersiedlung in Arbonn am Bodensee die Tiere ganz gesund waren und fast keine Parasiteneier in den Tierfäkalien gefunden wurden. Das heißt, sie hatten genügend Auslauf, um sich nicht zu kontaminieren. Ganz im Gegensatz zu dem Menschenkot, der wimmelt nur so von Wurmeiern, 16 verschiedene Arten wurden von Spezialisten so ermittelt. Und so können wir quasi im nachhinein Bauchweh rekonstruieren."
Die Sippe begegnet dem mit neuzeitlichem Hygienebewusstsein in einfachster Ausführung: einem schlichten Spaten für die Natur-Waldtoilette. Und das chronische Seifendefizit hat gar ungeahnte Vorteile. Archäologe Gunter Schöbel:
"Mückenstiche! Ich kam her und wurde sofort angegriffen und hab dann die Probanden gefragt, wie sieht's aus? Da haben sie gesagt: Ja, am Anfang wurden Sie auch gestochen, jetzt nicht mehr. Wir nehmen an, wenn sie sich nicht waschen, passiert was auf der Hautoberfläche und die Ausdünstungen, die sie haben, machen sie nicht so attraktiv für Stechmücken."
Trotzdem können sich alle Teilnehmer des Steinzeit-Camps noch riechen. Denn auch für verwöhnte Neuzeit-Nasen riechen sie eher nach einem geräucherten Schwarzwälder Schinken als nach Schweiß. Das kann an der natürlichen Ernährung liegen. Vollwert und hundert Prozent Bio, zum Kindergeburtstag gibt's auch mal Holundertörtchen. Eine wundersame Verwandlung erleben die manchmal beim zehnjährigen Till:
"Ich hab auch manchmal davon geträumt, die hatten 1,50 gekostet, Pommes und Remoulade, dann hab ich mir die gekauft, dann wollte ich gerade reinbeissen, dann bin ich aufgewacht."
Die richtig großen Entbehrungen warten auf Ingo und Henning. Nach zwei Wochen brechen Sie aus dem Lager auf. Beiden ist mulmig.
Auf den Spuren von Ötzi, dem Mann aus dem Eis, sollen Sie die Alpen überqueren. Vom Bodensee bis nach Bozen, dort liegt die Gletschermumie im Museum. Henning und Ingo stapfen los - ohne Steigeisen, Daunenschlafsack und Windstopper. Nur mit der rekonstruierten Originalausrüstung des "Frozen Fritz".
"Dazu gehörte einmal der Nachbau der Ötzi-Schuhe für die schwierigen hochalpinen Passagen, wenn's Eis und Schnee gab. Der normale Lederschuh, Marke feuchte Bisamratte sag ich immer, den Lendenschurz, den Hüftgurt, wo die Beinlinge dran gebunden wurden wie an einen Straps, ein Lederwams, ein Leinenwams drunter, ein Fellmantel aus Ziegenfell, eine Kappe aus Ziegenfell und ein Rucksack."
Über 300 Kilometer in hochalpinem Gelände sollen die beiden damit zurücklegen. Anders als Ötzi kennen sie die Marschroute im Voraus.
"Funduspfeiler, Seescharte, Rettenbachferner, Polluxkogel, insgesamt fünf Dreitausender und ihre Pässe, insgesamt 12.000 Höhenmeter."
Die Schuhe halten, Anne Reichert, eine Experimentalarchäologin, hat sie nachgebaut.
"Hightech der Steinzeit sag ich immer, denn die Schuhe sind nicht anders aufgebaut als heutige Schuhe auch. Ein Außenfell, dann kommt eine Isolierschicht, in diesem Fall trockenes Gras, und dieses Gras wird im Schuh zusammengehalten aus einem sehr komplizierten Geflecht aus Lindenbast. Die Schuhe sind nicht wasserdicht, ja, aber sehr, sehr warm und sie haben sich bestens bewährt."
Die Schuhe - ja, was drin steckt - nicht. Ingo, vormals starker Raucher, hat nicht nur mit seinem massiv eingeschränkten Lungenvolumen zu kämpfen. Henning sorgt sich noch um etwas anderes.
"Um Ingos Füße. Er hat sich ziemlich mit Blasen zugelaufen, aber ich hab immer gesagt, wenn's Wetter hält, dann schaffen wir's."
Den Füßen helfen moderne Blasenpflaster, denn fürs Fernsehen muss es weitergehn. Das Wetter hält, aber die Temperaturen sinken auch im Sommer im Gebirge schnell auf den Nullpunkt. Und bei Einbruch der Dunkelheit muss ein Schlafplatz her.
"Meistens haben wir uns ein Biwak gebaut aus Fichtenzweigen um darauf zu liegen und je nachdem auch noch ein kleines Dach. Was da war halt."
Das gilt auch für den Proviant, allerdings nur eingeschränkt. Ötzi hätte gejagt, das dürfen der Landschaftsgärtner und der Ein-Euro-Jobber per Gesetz nicht. Deshalb hilft das SWR Team gelegentlich nach.
"Trockenfleisch, Waldbeeren, trocken oder frisch, wenn wir sie gefunden haben. Fett, ein bisschen Schinken, Käse, Äpfel - aber nur, was es in der Steinzeit auch gegeben hat."
Das gilt auch für den Augenschutz. Die zwei Doku-Ötzis tragen Spiegel-Sonnenbrillen statt Lederlappen, mit denen der Steinzeitwanderer wohl seine Augen vor der Sonne schützte. Dennoch ist die Alpenüberquerung kein Spaziergang. 33 Tage, 300 Kilometer und 12.000 Höhenmeter - Henning schaut zurück.
"Natürlich war's hart, es war kein Spaziergang, aber es war so dankbar. Man hat sich da hoch gequält, man hat nachts gefroren wie ein Schneider, wir sind vier mal nachts aufgestanden, um das Feuer anzufachen und die Wärmesteine auszutauschen – und waren morgens trotzdem ausgeschlafen. Es war einfach toll, es war einfach Spitze."
Acht Wochen später: Vergessen scheinen Hunger und quälender Regen der ersten Wochen für alle Mitglieder der Sippe.
Der Transfer in ein Luxushotel in Freiburg, wo alle Sippenmitglieder nach dem Experiment an der Uniklinik untersucht werden, ist nicht die Erlösung. Harm Paulsen, der Steinzeit-Trainer aus dem Landesmuseum in Schleswig, war dabei.
"Die haben sich hier so heimisch gefühlt, dass ich die alte Sophia, wir fuhren hier rüber zum Hotel, und da sah ich, dass die alte Frau weinte und sagte, sie wäre heute Nacht am liebsten wieder durch den Zaun zurück gekrochen, und alle auch hier dann zogen sie ihre Kleider aus und gingen weg. Da liefen die Tränen und wir mussten auch so'n bisschen schlucken."
Abschied aus einer harten Welt, aber einer, in der man nur gemeinsam überleben kann, frei, trotz Kamerabeobachtung. Ohne Kühlschrank, aber auch ohne Steuerklärung und Rentenantrag.
Für alle war die achtwöchige Reise in die Steinzeit ein Gewinn. Den einen brachte es eine neue Selbsterfahrung, den Zuschauern bringt es phantastische Bilder, der Redaktion vielleicht einen Grimme-Preis und für die Archäologie Publicity. Das Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen und weitere Museen eröffnen eine Sonderausstellung zur Serie. Die Originalkulisse wurde am Bodensee wieder aufgebaut. Da kann jeder der Steinzeit-Sippe ein bisschen nachfühlen, vielleicht ja auch riechen. Wie Britta, wenn sie in ihrem modernen Leben die Kleider- und Erinnerungskisten ihrer Sippe öffnet.
"Also wir haben es immer wieder rausgeholt. Und die Kinder wollen's immer wieder anziehen. Und das war wirklich der Duft aus den Kisten, diese Erinnerung, diese Fotos. Ich bin immer wieder glücklich, wenn ich das riechen kann."
"Es ist Montagmorgen, 3000 vor Christus."
Eine andere Welt: Eine kleine Pfahlbausiedlung, drei Häuser, in der Nähe von Ravensburg. Eine Sippe sitzt auf der Terrasse des grasgedeckten Holzhauses an einem kleinen Weiher, dicht gedrängt vor dem Lehmofen. Sieben Erwachsene, sechs Kinder. Es regnet, seit Tagen, es ist kalt, sieben Grad, der kälteste August seit 100 Jahren. Das ist Lebendige Wissenschaft. Der Feldversuch fand nicht im Labor statt, sondern in einem von der Zivilisation streng abgeschotteten Waldstück im Hinterland des Bodensees. Forscher, Redaktion, Kamerateam und vor allem die Protagonisten mussten dabei schnell und schmerzhaft feststellen: Nicht alles ist planbar! Die primitiven Schuhe sind schon nach drei Tagen durch gelaufen, die Füße der Neuzeitmenschen auch, das Mahlen des Ur-Korns funktioniert überhaupt nicht. Und der Schweizer Archäologe Dr. Urs Leuzinger aus dem Expertenteam bekennt:
"Wissenschaft ist der aktuelle Stand des Irrtums."
Gravierende Irrtümer der Archäologen gefährden fast das ganze Projekt, aber auch die Gesundheit der Menschen, die sich auf die Zeitreise in die Steinzeit eingelassen haben. Die Häuser, die der Leiter des Pfahlbaumuseums in Unteruhldingen, der Archäologe Gunter Schöbel, mit seinem Team originalgetreu und nach bestem Wissen als Kulisse nachgebaut hat, haben dramatische Schwachpunkte: Die grasgedeckten Dächer!
"Die waren nicht ganz dicht! Aber man muss uns zugute halten, es war ja vier Wochen Dauerregen, das hält ja auch kaum ein Dach aus, wobei wir das ganz kritisch geprüft haben und doch zu Erkenntnissen gelangt sind, wir sind zurückgekehrt zum Schilf, das sich gut eignet und vor allem auch eine bessere Wasserableitung hat, so dass wir in Unteruhldingen mit Sicherheit nur noch Dächer mit Schilf rekonstruieren werden und keine mehr mit Gras."
Eine frühe Erkenntnis für die 150 Jahre junge Steinzeit-Forschung, zu spät und ein Drama für sechs Kinder und sieben Erwachsene, die sich nach einem Casting auf dieses Abenteuer eingelassen haben. Die Forschungslücke wurde zwar mit einer nicht ganz stilechten Plastikfolie vorübergehend gestopft, aber für Claudia war das fast zuviel:
"Die Felle wurden nass und ich wusste auch das Zeug trocknet nicht, und da mischten sich halt Tränen mit den Tropfen, die durchs Dach irgendwie kamen, und ich habe nur gedacht, wenn ich jetzt alleine mit meiner Familie wäre, würde ich gehen."
Eine echte Grenzsituation für alle, auch für den Regisseur Martin Buchholz. Er und sein Team hatten statt luftiger Leinenkleider und nasser Felle Goretex-Jacken und nachts eine warme Daunendecke in der nahe gelegenen Waldpension. Aber nicht nur das sorgt für einen anderen Blickwinkel auf die katastrophalen Dreh-Bedingungen.
"Unser Vorteil als Macher war immer der, dass wir auch wussten, was das der Serie bringt! Klar, als dieses Wetter so hart wurde, haben wir natürlich auch geflucht. Und die Stative rosten einem weg, innerhalb von zwei Wochen waren die verrostet. Aber wir konnten uns, wenn wir stundenlang im Regen warten mussten, wenigstens trösten: Das ist jetzt wirklich Steinzeit und zwar ohne Netz und doppelten Boden - jetzt gilt's! Deshalb haben wir starke Geschichten bekommen."
Für die Sippe bedeutete es nach dem unsteinzeitlichen Gute-Nacht-Lied in der Not zusammenkuscheln auf dem engen Schlafplatz aus Fichtenreisig, alle 13 auf engstem Raum. Am Anfang schlief kaum einer länger als drei Stunden. Aber sie haben alle durchgehalten und das ist kein Zufall. Ein paar Hundert Bewerber wollten zurück in die Steinzeit, aber dem SWR-Redakteur Rolf Schlenker fiel die Auswahl leicht, denn diese Sippe ist für ihn ein echter Glücksfall:
"Eine ist eine Töpferfamilie, die andere eine Bauernfamilie, dementsprechend sind die Kinder aufgewachsen, das heißt, die können einiges wegstecken. Die können auch die Kuh melken, ich meine die Erwachsenen, und die können auch schlachten. Das Vorwissen ist da, und das brauchte man auch. Also so als Banker hätte man das sicher nicht gepackt."
Für Wissenschaft und Forschung, Selbsterfahrung und Zuschauerquote hat die Sippe sich viel zugemutet, sammelte Grenzerfahrungen. Hunger zum Beispiel.
"Das geht so nicht, wenn wir zu zweit mahlen, haben wir abends noch nicht genug für das Fladenbrot."
Das Entspelzen der Urgetreide Emmer und Einkorn klappt nicht. Der Spelz, die harte Hülle, löst sich nicht vom mehligen Korn. Die Frauen mahlen von Hand, den ganzen Tag, 12 Stunden, für eine Handvoll Mehl für 13 Menschen. Auch das Kochen funktioniert noch nicht, die Tontöpfe werden nicht richtig heiß. Ein Zwischenfall im Lager hatte die Sippe und Martin stark verunsichert:
"Das war ein ziemlicher Schock, da wollten wir zwei Breie Kochen und der eine Topf ist dann wirklich komplett explodiert, der ist uns total um die Ohren geflogen. Zum Glück wurde niemand verletzt. Das lag allerdings daran, dass das ein 'Showtopf' war, der gar nicht fürs Kochen gedacht war. Aber deshalb haben wir uns nicht getraut."
Und so gibt es für alle nur eine lauwarme Brühe mit halbrohen Erbsen und Linsen. Der vierjährige Talisien will nur noch eines:
"Ich will in die heutige Zeit zurück!"
Die Kinder frieren, sind nass und haben Hunger. Keine leichte Situation für den Vater Olli, aber:
"Ich finde es gar nicht so schlimm. In meiner Kindheit gab's den Satz 'Iss, andere Kinder wären froh wenn sie das hätten!' Das ist so abgedroschen und so weit weg. Hier war das kein bisschen weit weg! Wenn Kinder mal erfahren, was tatsächlich Hunger ist, die haben gesagt 'Mir tut mein Bauch so weh.', da hab ich gesagt: 'Naja, Ronja, du musst was essen!' Das hat sie als Bauchweh betitelt, aber es war einfach nur Hunger. So ´ne Erfahrung zu haben, ist in unserer heutigen Welt des Überflusses in Europa gar nicht so verkehrt!"
Das ist also die lebendige Wissenschaft: Jede Menge ungelöste Probleme, große und kleine. Der Terrassenofen glüht durch, es brennt, die Eimer sind nicht dicht. Und immer noch nichts zu essen. Kaum zu glauben, dass Theorie und Praxis so weit auseinander liegen können. Vor allem in der Sippe glaubt das bald keiner mehr. Misstrauen wächst auch bei Martin, dem Töpfer:
"Es war natürlich so, dass wir am Anfang davon ausgegangen sind, das Team weiß Bescheid, die wissen, wie man das entspelzt, die haben das quasi provoziert, weil das den Film interessanter macht - davon sind wir ausgegangen."
Regisseur Buchholz muss zu Drehbeginn viele Vorwürfe der Sippe abwehren, ein dickes Steinzeitfell sich zulegen. Mit Hunger und Wissenslücken hatte auch er nicht gerechnet:
"Wir dachten natürlich, unsere erfahrenen Archäologen werden es uns schon zeigen. Ja, Pustekuchen! Die haben zwar Tests gemacht, sind zuhause gesessen, abends Pizza gegessen und tagsüber so ein bisschen entspelzen und das haben sie dann hochgerechnet. Niemand von den Wissenschaftlern musste bisher davon sechs kleine Kinder ernähren."
Der Kompromiss: Die Sippe bekommt entspelztes Korn, der Bauch wird voll, das Zutrauen wächst. Und es überrascht: Alle Protagonisten bewarben sich beim Fernsehen und standen dennoch vor dem Versuch dem Medium grundsätzlich skeptisch gegenüber, so auch Britta und ihre Familie.
"Die Kameraleute waren ganz einfühlsam, die haben keineswegs gestört, das war mein großer Horror davor, große Gefühle zu zeigen und die Kamera ist dabei, aber die hat man gar nicht bemerkt."
Mal Harmonie, mal Gewitter – mal zwischen Regisseur und Sippe, mal zwischen Steinzeit-Männern. Britta ahnte etwas:
"Wir haben vorher, rumgewitzelt, nicht, dass wir uns danach nicht mehr angucken wollen oder so, wir haben gewitzelt, aber das schwang schon immer so mit."
Die Extrembedingungen zerren an den Nerven, Martin und Oli geraten sich wegen der Ernte des Korns in die zunehmend länger werdenden Haare, der Streit explodiert am Lagerfeuer:
"Wir waren alle emotional auch angegriffen, weil das schlechte Wetter war immer noch so. Und wenn einem das Wasser in der Feuerstelle steht, das ist kein tolles Gefühl, wenn man darauf angewiesen ist. Das ist so ähnlich, als wollten Sie gerade Weihnachten feiern und der Strom fällt aus."
Aber auch das bekommt die Sippe steinzeitgemäß in den Griff, Martin und die anderen Erwachsenen rufen den Ältestenrat ein:
"Da haben wir das wirklich das erste mal gemacht, dass wir die Kinder ins Bett geschickt haben und haben gesagt, wir müssen am Lagerfeuer was klären." "
Vertrauen und Lockerheit nehmen mit der Routine im Steinzeitalltag zu. Feuer machen und anderes sind nur am Anfang irgendwie schwierig.
"AUS! Einfach aus! Das gibt’s doch gar nicht, einfach aus."
aber immer ein Grund zum Jubel:
"Ingo, Ingo, Ingo …."
Auf Knopfdruck funktioniert gar nichts in der Steinzeit, um so größer die Freude auch über Kleinigkeiten, wenn was gelingt. Vor allem die Kinder genießen nach den Anfangsschwierigkeiten die große Freiheit jenseits von Schule, Barbie und Disneychannel.
Zum Beispiel als Harm Paulsen, Archäotechniker und Steinzeit-Coach, der Sippe hilft, mit einem selbst geknüpften Netz im trüben Weiher Fische zu fangen:
"Die saßen alle da und guckten ins Wasser. Und da war der erste Fisch drin, da hopsten die alle, dass die Bude wackelte, und schrien 'Juhuuuu'. Dann haben wir ihn rausgeholt, ihn lecker gebraten und unter allen aufgeteilt."
Langsam kommt die Sippe im Steinzeitalltag an, vieles geht nun leichter von der Hand. Dafür melden sich jetzt bei einigen wie kleinen Alltagssorgen - Zähneputzen zum Beispiel:
"Ich hab schon probiert irgendwie mir Ästchen abzuknipsen, von der Weide überwiegend, und hab das eine Ende so zerkaut mit den Backenzähnen, dass es so ausfasert, und hab dann das wie eine Zahnbürste nachempfunden und damit meine Zähne geschrubbelt so gut es ging."
Dennoch entzündet sich bei viele Sippenmitglieder das Zahnfleisch. Dagegen hilft der Spitzwegerich, das eine oder andere Kariesloch wird später die beteiligten Wissenschaftler von der Zahnmedizin in Freiburg interessieren. Fakt ist: Karies gibt es erst seit dem Sesshaftwerden der Menschheit, seit der Nahrungsumstellung auf stärkehaltiges Getreide – Nährboden für Bakterien. Jäger und Sammler kannten wir weder Zahnbürste noch Karies, das beweisen die makellosen Gebisse der Schädelfunde aus der älteren Steinzeit. Mit Ackerbau und Viehzucht kamen die ersten "Zivilisationskrankheiten": Karies und Parasitenbefall. Der Archäologe Urs Leuzinger verweist auf die konservierten Hinterlassenschaften unserer Vorfahren im Schweizer Arbonn:
"Es gibt auch Spezialisten, die das untersuchen und es hat sich gezeigt, dass in der Seeufersiedlung in Arbonn am Bodensee die Tiere ganz gesund waren und fast keine Parasiteneier in den Tierfäkalien gefunden wurden. Das heißt, sie hatten genügend Auslauf, um sich nicht zu kontaminieren. Ganz im Gegensatz zu dem Menschenkot, der wimmelt nur so von Wurmeiern, 16 verschiedene Arten wurden von Spezialisten so ermittelt. Und so können wir quasi im nachhinein Bauchweh rekonstruieren."
Die Sippe begegnet dem mit neuzeitlichem Hygienebewusstsein in einfachster Ausführung: einem schlichten Spaten für die Natur-Waldtoilette. Und das chronische Seifendefizit hat gar ungeahnte Vorteile. Archäologe Gunter Schöbel:
"Mückenstiche! Ich kam her und wurde sofort angegriffen und hab dann die Probanden gefragt, wie sieht's aus? Da haben sie gesagt: Ja, am Anfang wurden Sie auch gestochen, jetzt nicht mehr. Wir nehmen an, wenn sie sich nicht waschen, passiert was auf der Hautoberfläche und die Ausdünstungen, die sie haben, machen sie nicht so attraktiv für Stechmücken."
Trotzdem können sich alle Teilnehmer des Steinzeit-Camps noch riechen. Denn auch für verwöhnte Neuzeit-Nasen riechen sie eher nach einem geräucherten Schwarzwälder Schinken als nach Schweiß. Das kann an der natürlichen Ernährung liegen. Vollwert und hundert Prozent Bio, zum Kindergeburtstag gibt's auch mal Holundertörtchen. Eine wundersame Verwandlung erleben die manchmal beim zehnjährigen Till:
"Ich hab auch manchmal davon geträumt, die hatten 1,50 gekostet, Pommes und Remoulade, dann hab ich mir die gekauft, dann wollte ich gerade reinbeissen, dann bin ich aufgewacht."
Die richtig großen Entbehrungen warten auf Ingo und Henning. Nach zwei Wochen brechen Sie aus dem Lager auf. Beiden ist mulmig.
Auf den Spuren von Ötzi, dem Mann aus dem Eis, sollen Sie die Alpen überqueren. Vom Bodensee bis nach Bozen, dort liegt die Gletschermumie im Museum. Henning und Ingo stapfen los - ohne Steigeisen, Daunenschlafsack und Windstopper. Nur mit der rekonstruierten Originalausrüstung des "Frozen Fritz".
"Dazu gehörte einmal der Nachbau der Ötzi-Schuhe für die schwierigen hochalpinen Passagen, wenn's Eis und Schnee gab. Der normale Lederschuh, Marke feuchte Bisamratte sag ich immer, den Lendenschurz, den Hüftgurt, wo die Beinlinge dran gebunden wurden wie an einen Straps, ein Lederwams, ein Leinenwams drunter, ein Fellmantel aus Ziegenfell, eine Kappe aus Ziegenfell und ein Rucksack."
Über 300 Kilometer in hochalpinem Gelände sollen die beiden damit zurücklegen. Anders als Ötzi kennen sie die Marschroute im Voraus.
"Funduspfeiler, Seescharte, Rettenbachferner, Polluxkogel, insgesamt fünf Dreitausender und ihre Pässe, insgesamt 12.000 Höhenmeter."
Die Schuhe halten, Anne Reichert, eine Experimentalarchäologin, hat sie nachgebaut.
"Hightech der Steinzeit sag ich immer, denn die Schuhe sind nicht anders aufgebaut als heutige Schuhe auch. Ein Außenfell, dann kommt eine Isolierschicht, in diesem Fall trockenes Gras, und dieses Gras wird im Schuh zusammengehalten aus einem sehr komplizierten Geflecht aus Lindenbast. Die Schuhe sind nicht wasserdicht, ja, aber sehr, sehr warm und sie haben sich bestens bewährt."
Die Schuhe - ja, was drin steckt - nicht. Ingo, vormals starker Raucher, hat nicht nur mit seinem massiv eingeschränkten Lungenvolumen zu kämpfen. Henning sorgt sich noch um etwas anderes.
"Um Ingos Füße. Er hat sich ziemlich mit Blasen zugelaufen, aber ich hab immer gesagt, wenn's Wetter hält, dann schaffen wir's."
Den Füßen helfen moderne Blasenpflaster, denn fürs Fernsehen muss es weitergehn. Das Wetter hält, aber die Temperaturen sinken auch im Sommer im Gebirge schnell auf den Nullpunkt. Und bei Einbruch der Dunkelheit muss ein Schlafplatz her.
"Meistens haben wir uns ein Biwak gebaut aus Fichtenzweigen um darauf zu liegen und je nachdem auch noch ein kleines Dach. Was da war halt."
Das gilt auch für den Proviant, allerdings nur eingeschränkt. Ötzi hätte gejagt, das dürfen der Landschaftsgärtner und der Ein-Euro-Jobber per Gesetz nicht. Deshalb hilft das SWR Team gelegentlich nach.
"Trockenfleisch, Waldbeeren, trocken oder frisch, wenn wir sie gefunden haben. Fett, ein bisschen Schinken, Käse, Äpfel - aber nur, was es in der Steinzeit auch gegeben hat."
Das gilt auch für den Augenschutz. Die zwei Doku-Ötzis tragen Spiegel-Sonnenbrillen statt Lederlappen, mit denen der Steinzeitwanderer wohl seine Augen vor der Sonne schützte. Dennoch ist die Alpenüberquerung kein Spaziergang. 33 Tage, 300 Kilometer und 12.000 Höhenmeter - Henning schaut zurück.
"Natürlich war's hart, es war kein Spaziergang, aber es war so dankbar. Man hat sich da hoch gequält, man hat nachts gefroren wie ein Schneider, wir sind vier mal nachts aufgestanden, um das Feuer anzufachen und die Wärmesteine auszutauschen – und waren morgens trotzdem ausgeschlafen. Es war einfach toll, es war einfach Spitze."
Acht Wochen später: Vergessen scheinen Hunger und quälender Regen der ersten Wochen für alle Mitglieder der Sippe.
Der Transfer in ein Luxushotel in Freiburg, wo alle Sippenmitglieder nach dem Experiment an der Uniklinik untersucht werden, ist nicht die Erlösung. Harm Paulsen, der Steinzeit-Trainer aus dem Landesmuseum in Schleswig, war dabei.
"Die haben sich hier so heimisch gefühlt, dass ich die alte Sophia, wir fuhren hier rüber zum Hotel, und da sah ich, dass die alte Frau weinte und sagte, sie wäre heute Nacht am liebsten wieder durch den Zaun zurück gekrochen, und alle auch hier dann zogen sie ihre Kleider aus und gingen weg. Da liefen die Tränen und wir mussten auch so'n bisschen schlucken."
Abschied aus einer harten Welt, aber einer, in der man nur gemeinsam überleben kann, frei, trotz Kamerabeobachtung. Ohne Kühlschrank, aber auch ohne Steuerklärung und Rentenantrag.
Für alle war die achtwöchige Reise in die Steinzeit ein Gewinn. Den einen brachte es eine neue Selbsterfahrung, den Zuschauern bringt es phantastische Bilder, der Redaktion vielleicht einen Grimme-Preis und für die Archäologie Publicity. Das Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen und weitere Museen eröffnen eine Sonderausstellung zur Serie. Die Originalkulisse wurde am Bodensee wieder aufgebaut. Da kann jeder der Steinzeit-Sippe ein bisschen nachfühlen, vielleicht ja auch riechen. Wie Britta, wenn sie in ihrem modernen Leben die Kleider- und Erinnerungskisten ihrer Sippe öffnet.
"Also wir haben es immer wieder rausgeholt. Und die Kinder wollen's immer wieder anziehen. Und das war wirklich der Duft aus den Kisten, diese Erinnerung, diese Fotos. Ich bin immer wieder glücklich, wenn ich das riechen kann."