Lebensbeichte eines Hundes
Ein Hund protokolliert in "Das Fischkind" die Ereignisse in einer argentinischen Familie. Im Mittelpunkt steht seine junge Besitzerin, die zumeist von ihren Eltern allein gelassen wird. Doch dann sorgt ein Dienstmädchen für Turbulenzen. Die in Buenos Aires geborene Autorin Lucía Puenzo skizziert in ihrem Debüt die argentinische Gesellschaft.
Hier spricht ein Hund. Doch, Sie haben richtig gelesen: Ein Hund, genauer gesagt, eine hässliche Promenadenmischung namens Serafín ergreift das Wort. Und zwar genau im Moment seines Todes. Darin scheint das Tier sehr menschlich: Bevor Serafín in die ewigen Jagdgründe eingeht, will er Zeugnis ablegen und setzt zu einer atemlosen Lebensbeichte an.
Das Hündchen schildert die Abenteuer der letzten Wochen und liefert eine rasante Mischung aus Road Movie, argentinischer Soap Opera, Krimi und Gesellschaftsroman. Weder menschliche noch tierische Abgründe sind Serafín fremd, und immer wieder kommt es zu kuriosen Überblendungen beider Welten. Der Fixpunkt ist dabei das Schulmädchen Lala Brontë. Lala, eine wohlstandsverwahrloste 15-Jährige aus dem großbürgerlichen Wohnviertel San Isidro von Buenos Aires, hat Serafín aus dem Tierheim gerettet und mit nach Hause gebracht.
Von der esoterikbesessenen Mutter verschmäht, wird Serafín zu Lalas ständigem Begleiter, höchstens unterbrochen von nächtlichen Ausflügen mit Lalas Bruder Pep, der den Hund als Drogenvorkoster missbraucht und ihn auf seiner Dealertour durch die argentinische Boheme mitnimmt. Die Familienhölle wird komplettiert durch einen übergewichtigen Melancholiker, der gleichzeitig ein berühmter Autor ist: Der Vater, von allen nur Brontë genannt, verfasst Bestseller um Bestseller, eilt von Interview zu Interview und kennt von seinen Kindern gerade mal die Namen. Seine Freizeitbeschäftigung sind regelmäßige Selbstmordversuche, bei denen er peinlich genau darauf achtet, immer rechtzeitig gefunden zu werden.
Während Lalas Mutter mit Yoga und Selbsterfahrung beschäftigt ist, führt Lala ein einsames Teenagerdasein zwischen morgendlichen TV-Orgien, Schule und eintönigen Abenden zu Hause. Bis Lin Guaiyen auftaucht, "die Guayi" genannt, das paraguayische Dienstmädchen der Familie, 17 Jahre alt, indianisch geheimnisvoll und betörend schön.
Der Hund Serafín breitet eine Liebesgeschichte vor uns aus, die viele Opfer fordert. Lala verfällt "der Guayi" im Handumdrehen. Für sie ist es das erste Mal, und trunken vor Glück will sie der Freundin jeden Wunsch erfüllen. Weil die Mutter gerade nach Indien durchgebrannt ist, der Bruder im Dauerrausch dahinvegetiert und sich der Vater mit seiner Schriftstellerseele beschäftigt, beginnt sie, Bilder und Möbel zu verscherbeln.
Auf diese Weise scheffelt sie Geld, denn gemeinsam wollen die Mädchen nach Paraguay zurückkehren, am See von Ypacaraí ein Grundstück kaufen und für sich und den Großvater Charo ein Haus bauen. Aber da kommt ihnen der Vater in die Quere, der sich inzwischen ebenfalls in die Haushaltshilfe verguckt hat – und "die Guayi" findet den klugen Mann sogar ziemlich anziehend, erst recht, als er verspricht, sie zur Heldin seines neuen Buches zu machen.
Lala wird von einem Eifersuchtssturm mitgerissen, und Lucía Puenzo fährt alles auf, was nur irgendwie zwischen zwei Buchdeckel passt: Vatermord, Jugendstrafanstalt, Prostitution, Überlandfahrten nach Paraguay, die Bekanntschaft mit dem paraguayischen Soap-Superstar Socrates, den Mythos vom Fischkind, einen Showdown mit Schießereien und Flucht und schließlich ein Geständnis.
Lucía Puenzo, 1974 in Buenos Aires geboren, Filmemacherin und Verfasserin mehrerer Romane, nimmt sich viel vor in ihrem temporeichen Debüt "Das Fischkind". Vielleicht ein bisschen zu viel. Unbefangen bedient sich die Autorin, die den Stoff bereits mit Erfolg verfilmt hat, aus der Weltliteratur und peppt das Ganze mit haufenweise Anspielungen auf Filme auf, angefangen von "Bonnie und Clyde", "Thelma und Louise" über "True Romance" bis zu "Baise-moi".
Dennoch glückt ihr ein Porträt der zeitgenössischen argentinischen Gesellschaft. Ihre Schilderungen bergen sozialen Sprengstoff: Die zynische Oberschicht (für den Vater ist die Dealerei seines Sohnes, die eines Tages auffliegt, eine großartige Werbekampagne) bekommt ebenso ihr Fett weg wie der uferlose Hedonismus der Jugendlichen, der korrupte Staatsapparat und die fatalen Unterschiede zwischen Arm und Reich. Alles in allem ein unterhaltsames Buch mit sozialer Tiefenschärfe. Auch wenn ein Hund als Erzähler prinzipiell indiskutabel ist. Pure Effekthascherei.
Besprochen von Maike Albath
Lucía Puenzo, Das Fischkind
Roman
Aus dem argentinischen Spanisch von Rike Bolte
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009
157 Seiten, 17,40 Euro
Das Hündchen schildert die Abenteuer der letzten Wochen und liefert eine rasante Mischung aus Road Movie, argentinischer Soap Opera, Krimi und Gesellschaftsroman. Weder menschliche noch tierische Abgründe sind Serafín fremd, und immer wieder kommt es zu kuriosen Überblendungen beider Welten. Der Fixpunkt ist dabei das Schulmädchen Lala Brontë. Lala, eine wohlstandsverwahrloste 15-Jährige aus dem großbürgerlichen Wohnviertel San Isidro von Buenos Aires, hat Serafín aus dem Tierheim gerettet und mit nach Hause gebracht.
Von der esoterikbesessenen Mutter verschmäht, wird Serafín zu Lalas ständigem Begleiter, höchstens unterbrochen von nächtlichen Ausflügen mit Lalas Bruder Pep, der den Hund als Drogenvorkoster missbraucht und ihn auf seiner Dealertour durch die argentinische Boheme mitnimmt. Die Familienhölle wird komplettiert durch einen übergewichtigen Melancholiker, der gleichzeitig ein berühmter Autor ist: Der Vater, von allen nur Brontë genannt, verfasst Bestseller um Bestseller, eilt von Interview zu Interview und kennt von seinen Kindern gerade mal die Namen. Seine Freizeitbeschäftigung sind regelmäßige Selbstmordversuche, bei denen er peinlich genau darauf achtet, immer rechtzeitig gefunden zu werden.
Während Lalas Mutter mit Yoga und Selbsterfahrung beschäftigt ist, führt Lala ein einsames Teenagerdasein zwischen morgendlichen TV-Orgien, Schule und eintönigen Abenden zu Hause. Bis Lin Guaiyen auftaucht, "die Guayi" genannt, das paraguayische Dienstmädchen der Familie, 17 Jahre alt, indianisch geheimnisvoll und betörend schön.
Der Hund Serafín breitet eine Liebesgeschichte vor uns aus, die viele Opfer fordert. Lala verfällt "der Guayi" im Handumdrehen. Für sie ist es das erste Mal, und trunken vor Glück will sie der Freundin jeden Wunsch erfüllen. Weil die Mutter gerade nach Indien durchgebrannt ist, der Bruder im Dauerrausch dahinvegetiert und sich der Vater mit seiner Schriftstellerseele beschäftigt, beginnt sie, Bilder und Möbel zu verscherbeln.
Auf diese Weise scheffelt sie Geld, denn gemeinsam wollen die Mädchen nach Paraguay zurückkehren, am See von Ypacaraí ein Grundstück kaufen und für sich und den Großvater Charo ein Haus bauen. Aber da kommt ihnen der Vater in die Quere, der sich inzwischen ebenfalls in die Haushaltshilfe verguckt hat – und "die Guayi" findet den klugen Mann sogar ziemlich anziehend, erst recht, als er verspricht, sie zur Heldin seines neuen Buches zu machen.
Lala wird von einem Eifersuchtssturm mitgerissen, und Lucía Puenzo fährt alles auf, was nur irgendwie zwischen zwei Buchdeckel passt: Vatermord, Jugendstrafanstalt, Prostitution, Überlandfahrten nach Paraguay, die Bekanntschaft mit dem paraguayischen Soap-Superstar Socrates, den Mythos vom Fischkind, einen Showdown mit Schießereien und Flucht und schließlich ein Geständnis.
Lucía Puenzo, 1974 in Buenos Aires geboren, Filmemacherin und Verfasserin mehrerer Romane, nimmt sich viel vor in ihrem temporeichen Debüt "Das Fischkind". Vielleicht ein bisschen zu viel. Unbefangen bedient sich die Autorin, die den Stoff bereits mit Erfolg verfilmt hat, aus der Weltliteratur und peppt das Ganze mit haufenweise Anspielungen auf Filme auf, angefangen von "Bonnie und Clyde", "Thelma und Louise" über "True Romance" bis zu "Baise-moi".
Dennoch glückt ihr ein Porträt der zeitgenössischen argentinischen Gesellschaft. Ihre Schilderungen bergen sozialen Sprengstoff: Die zynische Oberschicht (für den Vater ist die Dealerei seines Sohnes, die eines Tages auffliegt, eine großartige Werbekampagne) bekommt ebenso ihr Fett weg wie der uferlose Hedonismus der Jugendlichen, der korrupte Staatsapparat und die fatalen Unterschiede zwischen Arm und Reich. Alles in allem ein unterhaltsames Buch mit sozialer Tiefenschärfe. Auch wenn ein Hund als Erzähler prinzipiell indiskutabel ist. Pure Effekthascherei.
Besprochen von Maike Albath
Lucía Puenzo, Das Fischkind
Roman
Aus dem argentinischen Spanisch von Rike Bolte
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009
157 Seiten, 17,40 Euro