Lebenschancen besser nutzen

Was Millennials von den Alten lernen können

06:43 Minuten
Drei junge Menschen sitzen mit Rucksäcken auf einem Berg und schauen in die Wolken.
Viele der heute 30-Jährigen leiden unter einem gewaltigen biografische Gestaltungsdruck. © imago / Cavan Images
Von Nathalie Putsche |
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Die Welt steht ihnen offen und ihre Möglichkeiten scheinen grenzenlos. Und so suchen viele Millennials nach Traumjob oder Traumpartner und haben am Ende oft – nichts. Weil ja noch etwas Besseres kommen könnte. Haben es frühere Generationen besser gemacht?
Ich fahre mit dem Fahrrad und der Sonne im Nacken zu meinem Ziel, einem Seniorentreff der Caritas. Immer wenn ich weiß, dass ich mich mit älteren Menschen treffe, beschleicht mich ein demütiges Gefühl. So viel gelebtes Leben.
Bei vielen meiner Freunde, die Anfang 30 sind, und manchmal auch bei mir scheint sich eine Lethargie breit gemacht zu haben. Man ist sich nicht sicher, was man wirklich will. Entscheidungen werden auf die lange Bank geschoben. Wie wird es sein irgendwann, wenn man dann im Alter zurückblickt und Ideen, die man hatte, immer noch in der Luft hängen? Da ist zum Beispiel Jana. Vor ein paar Wochen habe ich mit ihr über das Hadern gesprochen:
"Ich würde jetzt zum Beispiel nicht noch mal die Entscheidung treffen für ein Studium, zumindest nicht für das, wo mir damals jeder geraten hat, man soll das machen, was einem liegt", hat sie mir gesagt. "Sondern ich würde das machen, was zu was führt."
Jana ist 34. Die Jahre sind vergangen, das nächste Studium auch. Eine Stelle hat sie bisher nicht gefunden. "Man versinkt abwechselnd in so 'nem Selbstmitleidstrudel", sagt sie. Du sprichst von einer Angst vor einer nächsten schlechten Entscheidung, frage ich nach.
"Ja, das lähmt auf jeden Fall. Aber gar keine Entscheidung treffen kann ja auch eine falsche Entscheidung sein und ja, da dreht man sich so ein bisschen im Kreis."

Aus wenigen Möglichkeiten viel gemacht

Ich bin im Seniorentreff der Caritas angekommen und treffe dort Anita. Ich will wissen: Haben Sie immer gemacht, was Sie sich vorgenommen haben?
"In der Regel ja", so Anita. Sie sind 86, sage ich. Gibt es da manchmal was, worüber man nachdenkt, ganz ehrlich mit sich ist und sagt: Schade, das bereue ich aber wirklich?
Anita verneint: "Das gibt es wirklich nicht, weil ich immer versucht habe, das Beste aus allem zu machen. Und ich würde alles wieder so machen, wie es war."
Ich bin baff. Ich dachte, dass es mit 86 und aus dieser Zeit kommend bestimmt Dinge gibt, die man gerne ganz anders gehabt hätte. Aber Anita scheint ihre eigene Formel für Zufriedenheit zu haben. Sie meint, früher hätte man eben die Möglichkeiten genutzt, die dagewesen wären.
"Wir konnten in dem Wenigen aber viel werden", erklärt sie. "Ich wollte gerne in ein Büro und mich dort hocharbeiten, da ich in einem Stahlbaubetrieb war und als Hilfsarbeiter in der Technologie anfing. Und dann ist das so prima geworden, dass ich in der Volkshochschule meinen Abschluss als Technologe machen konnte. Wir waren glücklich, dass wir was werden durften."
Drei Seniorinnen gehen am 27.8.2003 im Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe spazieren.
Die heute ältere Generation hat aus wenigen Möglichkeiten oft viel gemacht.© picture-alliance / dpa / Uwe Zucchi
Zu langes Nachdenken sei nie ihre Sache gewesen. So hätte sie auch ihren mittlerweile verstorbenen Mann erobert. Auf ihrem gemeinsamen Arbeitsweg:
"Und dann kam immer, wenn ich in die Bahn stieg, über die Grünanlage ein junger Mann geflitzt. Und sprang auf die fahrende Straßenbahn drauf. Dann hab ich mal nach ner Zeit gedacht: Jetzt musste mal gucken, wo der aussteigt. Und bin ausgestiegen. Da hat er gefragt: Kommen Sie auch zum Betriebsfest? Ich sag: Na, ich mach alles mit. Und dann sagt er: Können Sie tanzen? Ich sag: Na klar. Er: Ich kann das nicht so gut. Ich sage: Das lerne ich mit Ihnen."
Wenn man wirklich etwas wolle, müsse man die Initiative ergreifen, meint Anita.

Ein Leben lang auf der Suche

Auf dem Nachhauseweg denke ich über die Frage nach, was es ist, dass so viele in meiner Generation ausbremst. Ist es wirklich die Falle der vielen Optionen heute, die uns immer wieder denken lässt: Vielleicht kommt doch noch was Besseres um die Ecke?
"Nehmen Sie den früher sehr limitierten Bereich der Partnersuche", sagt Heiko Ernst. Der Psychologe und Journalist Heiko Ernst bejaht die zweifelhafte Freiheit der vielen Möglichkeiten:
"Heute mit den sozialen Medien, den Partnerbörsen suchen wir immer weiter. Aber das kostet Zeit und man lebt sein Leben im Grunde nicht vorwärts."
Das, so Heiko Ernst, gilt es sich bewusst zu machen und zu sagen: Ich kann nicht alles hinauszögern, bis ich glaube, irgendwann kommt der Traumjob, der Traumpartner, die Traumreise.
"Wir leben in einer Ära des biografischen Gestaltungsdrucks. Der Glaube, sich fast grenzenlos verbessern zu können und dass da noch nicht alles ausgereizt ist."
Porträt der Autorin Natalie Putsche
"Man ist sich nicht sicher, was man wirklich will", sagt Natalie Putsche über ihre Generation, die Millennials.© privat
Mittdreißiger spüren genau diesen Druck. Und: Je größer der Druck empfunden wird, desto weniger scheint das Ideal umsetzbar zu sein. Jana ist nicht nur in Bezug auf die Berufsfindung frustriert:
"Ich glaube auch nicht mehr so daran, dass ich nochmal jemanden treffen werde", sagt sie. "Ich glaube halt, dass man in so nem Onlinedatingportal oder Tinder so viel Auswahl hat, dass das im Grunde genommen viel mehr Möglichkeiten sind, als z.B. meine Elterngeneration hatte, aber gleichzeitig doch wieder nicht. Weil es so beliebig wird."

Einsehen, dass man nicht alles haben kann

"Es gab eine Zeit, wo ich wirklich nah dran war, die Ehe aufzugeben." Das ist das erste, was Christine zu mir sagt. 81 Jahre alt ist sie. "Heute sage ich, dass ich dankbar bin, dass wir zusammen sind, weil, dieser andere Teil gehört ja auch dazu. Für den anderen da sein und wenn nötig zu pflegen, beizustehen."
Wie sehr haben Sie, würden Sie sagen, unter den unerfüllten Sehnsüchten gelitten?
"Also, die Sehnsucht ist eigentlich immer mitgegangen", sagt Christine. Wenn ich diesen älteren Menschen zuhöre, rührt es mich vor allem, wie bewusst sie sagen: Das eine habe ich nicht gehabt, aber dafür das andere. Diese Selbstverständlichkeit, dass man eben nicht alles haben kann. Und dass man damit im Rückblick seinen Frieden machen kann."
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