Uralt werden mit Fiesta und Siesta
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2040 werden nicht mehr die Japaner, sondern die Spanier die Menschen mit der höchsten Lebenserwartung sein: 85,8 Jahre alt können sie laut einer US-Studie dann im Schnitt werden. Trinken, rauchen, feiern - ein Rezept für ein langes Leben?
Dieses Lachen kennt ganz Spanien. Es stammt von Maria del Rosario, besser bekannt unter ihrem Spitznamen Charito. Im Frühjahr berichteten so gut wie alle spanischen Medien über die 95-Jährige: Sie wollte Bürgermeisterin ihres Dorfes Patones werden, eine Autostunde nördlich von Madrid. Zwar hat sie die Wahl verloren, nicht aber ihre gute Laune. Charito strahlt über das ganze braungebrannte Gesicht, ihre Knopfaugen leuchten.
"Ich bleibe fröhlich, auch wenn es mal nicht so rund läuft. Eine Schwester von mir macht es genau anders: Sie zweifelt alles an. Ich dagegen bin davon überzeugt, dass man Dinge auch zum Positiven wenden kann, wenn man sie mit einem Lächeln betrachtet. Mir hilft das. Auch wenn ich durch mein ewiges Lachen mal in ein Fettnäpfchen trete - ich lebe besser fröhlich als traurig."
Für die 95-Jährige ist klar: Ein Lächeln auf den Lippen hilft beim Älterwerden – genauso wie Gelassenheit und ein entspannter Lebensstil. Genau das ist eine Stärke der Spanier: Sie leben im Hier und Jetzt, machen sich nicht allzu viele Sorgen um die Zukunft. Nach der Arbeit geht es für viele nicht gleich nach Hause, man trifft sich mit Freunden in Bars und Kneipen und genießt gemeinsam den Feierabend.
"Mein Enkel isst immer wieder Hamburger"
Dass dabei auch der Alkohol eine Rolle spielt, sehen die Autoren der Langlebigkeits-Studie offenbar unkritisch – ebenso, dass Fast Food aus dem Leben vieler Spanier nicht mehr wegzudenken ist. Charito ist noch anders aufgewachsen. Sie rät, unbedingt auf die Ernährung zu achten, um alt zu werden.
"Ich sehe, dass mein 19 Jahre alter Enkel immer wieder Hamburger isst. Er liebt sie! Ich käme nie auf die Idee, irgendwo einen Hamburger zu bestellen, nie! Ich esse immer Gerichte mit einem Löffel: Suppen, Eintöpfe. Keine Kanapees oder so einen Quatsch. Die Basis meiner Ernährung bildet Gemüse, Bohnen zum Beispiel oder Kichererbsen. Fleisch esse ich nur sehr wenig. Dafür mehr Fisch."
Die traditionelle, sogenannte "mediterrane Diät" also: viel Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und das Beste aus dem Meer. Wenn Fleisch, dann mehr weißes als rotes. Und als Fett wird hauptsächlich Olivenöl verwendet. Das amerikanische Medienunternehmen Bloomberg kommt in einer Studie aus diesem Frühjahr zu dem Ergebnis, dass Spanier heutzutage die gesündesten Menschen der Welt sind. Die Forscher haben 169 Nationen miteinander verglichen – Spanien schafft es auf den ersten Platz. Als Hauptgrund dafür nennen die Forscher die mediterrane Diät.
Nur zwölf Prozent der Spanier nutzen die Mittelmeerküche
Montse Fitó kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Die Ernährungswissenschaftlerin aus Barcelona wollte vor fünf Jahren die Wirkung der Mittelmeerküche auf den Menschen untersuchen. An dem Versuch nahmen 7.500 Probanden teil. Das Ergebnis:
"Wir konnten belegen, dass diejenigen, die sich nach der traditionellen mediterranen Diät ernähren, eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, eine Herzkreislauf-Erkrankung zu bekommen oder sogar daran zu sterben. Konkret an einem Herzinfarkt oder an einem Hirnschlag."
Doch so gesund die mediterrane Diät auch ist – bei immer weniger Spaniern kommt sie tatsächlich auf den Teller. Zwei Studien der Autonomen Universitäten Madrid und Barcelona zeigen, dass gerade einmal 12 Prozent der Erwachsenen in Spanien ernsthaft versuchen, sich so zu ernähren. 46 Prozent der Befragten haben immerhin das Ziel, Elemente der mediterranen Diät in ihr tägliches Leben zu integrieren.
Spanier lieben einfach Fleisch, Frittiertes, Fettiges. Um das zu erkennen, muss man nur einmal auf die Speisekarte eines typisch spanischen Restaurants schauen oder in eine Tapasbar gehen. Gemüsegerichte spielen hier eindeutig eine untergeordnete Rolle. Zu Hause schieben sich auch Spanier gerne mal eine Tiefkühlpizza in den Ofen, sagt Montse Fitó. Viele haben ein dicht getaktetes Arbeitsleben, sitzen oft bis acht Uhr abends im Büro und wollen danach nicht noch ein, zwei Stunden in der Küche stehen, um etwas Gesundes zu kochen.
"Viele Leute arbeiten auch außerhalb, müssen daher mittags zum Beispiel in Restaurants essen gehen. Ein Fehler ist es, immer das Gleiche zu essen. Variation ist wichtig, um auch mit unterschiedlichen Nährstoffen versorgt zu werden. Sie lösen schließlich verschiedene biologische Prozesse im Körper aus."
Wenn Spanier also nicht so richtig ehrgeizig sind bei gesunder Ernährung – woran liegt es dann, dass sie statistisch gesehen besonders alt werden? Montse Fitó denkt, dass auch das gute Wetter eine Rolle spielt: Spanien ist von der Sonne verwöhnt, das trägt zu Entspannung und guter Laune bei, das Leben findet zu einem großen Teil an der frischen Luft statt. Und es läuft oft in einem gemächlicheren Tempo ab als in anderen Ländern.
Lange Pausen verlängern das Leben
Der Anthropologe Jesús Contreras aus Barcelona sieht die Ruhe als das eigentliche Geheimnis an, das das Leben verlängert. Er schwört deshalb auf lange Mittagspausen, wie sie in Spanien üblich sind – auf das gute Gefühl, das eine Pause idealerweise als Effekt bringt.
"Sich gut zu fühlen, ist ein wichtiger Faktor, der sich sicher auf die Gesundheit auswirkt. Klar, es ist ein subjektives Gefühl: Die einen fühlen sich gut, wenn sie alleine sind – die anderen eher in der Gruppe. Wenn wir an gemeinsame Mittagessen denken, an lange Gespräche am Tisch: Viele Pausen sind einfach dafür gemacht, dass man sie mit anderen teilt. Gibt es also eine direkte Verbindung zwischen dem Wohlfühlen und der Langlebigkeit? Ich denke schon."
Gerade die Geselligkeit ist für Spanier wichtig. Sie sitzen so gut wie nie alleine in Restaurants und essen zu Mittag – das passiert fast immer in großer Runde mit Freunden oder Arbeitskollegen. Und wer spanische Gruppen beim Essen sieht, merkt schnell, dass die Stimmung meistens nicht die schlechteste ist: Man lacht, genießt zusammen die Zeit. Auch Ernährungswissenschaftlerin Montse Fitó ist sich sicher, dass die Gemeinschaft die Gesundheit stärkt. Daher habe auch die Familie einen enorm hohen Stellenwert in Spanien, sagt sie.
"Hier herrscht ein Gefühl vor, dass die Familie so etwas ist wie der Eckpfeiler des Lebens. In Spanien – ich denke, auch in Italien und Griechenland – will man die Familie daher zusammenhalten, man möchte nah bei ihr sein. Wenn du ein Problem hast, weißt du, dass du dich zum Beispiel auf deine Brüder verlassen kannst."
Vielleicht kommt es aber auch weder auf das gesunde Essen, die positive Lebenseinstellung oder die Zeit mit Freunden und der Familie an, ob man lange lebt. Oft hat es auch einfach etwas mit den Genen zu tun, sagt Montse. Und auf die hat bekanntlich niemand Einfluss. Die Familie von Charito, der 95-Jährigen aus Patones bei Madrid, hat anscheinend beste Gene.
"Mein Vater wurde fast 100 Jahre alt, ein Monat fehlte ihm. Meine Mutter starb mit 101 Jahren und vier Monaten. Beide sind jeden Tag fünf Kilometer zu Fuß gelaufen. Meine Eltern waren das älteste Paar im Dorf, das bis zum Schluss zusammenblieb", erzählt Charito und setzt wieder ihr charmantes Lächeln auf.
Das Geheimnis für die jugendliche Optik?
Dass sie über 90 Jahre alt ist, glaubt man kaum – es könnten locker 20 Jahre weniger sein.
"Ohhh... muchas gracias!"
Ihr Geheimnis für eine jugendliche Optik:
"Als wir früher oft an den Strand gegangen sind, haben wir immer Nivea genommen, die blaue Dose, nichts Teures. Das haben uns vor dem Sonnenbad ins Gesicht geschmiert, auf die Beine, überall hin. Ich habe mir nie eine spezielle Creme gekauft, eine gegen die Falten oder so etwas. Falten bekommt man sowieso nur mit Lifting weg."
Und da ist es wieder, Charitos berühmtes Lachen. Und ihre entspannte, gelassene Art. Zusammen mit guten Genen offenbar die perfekte Grundlage, um in einem spanischen Dort uralt zu werden.