Hofübergaben
Wenn der Vater nicht mehr kann und der Sohn nicht will
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Die meisten landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland sind noch immer Familienbetriebe. Doch irgendwann stellt sich die Frage, wie es weitergehen soll, wenn Bäuerin und Bauer dem Rentenalter näherkommen. Das eigene Lebenswerk loszulassen und in die Hände der Kinder abzugeben, fällt vielen schwer. Noch schwieriger wird es allerdings, wenn es in der Familie niemanden gibt, der den Hof übernehmen möchte.
Von der Nutztierhaltung zur bio-veganen Landwirtschaft
07:06 Minuten
Mehr als 100 Kühe, Schweine und andere Nutztiere hat Sarah Heiligtag schon vor dem Tod gerettet. Auf ihrem Bauernhof lässt sie die Tiere leben, ohne sie zu verwerten. Kommerziell genutzt wird nur Pflanzliches. Immer mehr Bauern tun es ihr nach.
Sarah Heiligtag begrüßt ihre Schweine. Eines grunzt sehr laut.
"Die ist schlecht gelaunt, die Madame", sagt Heiligtag. Dann beginnt sie von einem der Landwirte zu erzählen, der sie um Hilfe gebeten hat – ein Schweinebauer mit 200 Muttersauen und um die 800 Ferkel.
"Er hatte eigentlich Angestellte für den Schweinestall, aber die waren krank. In der Woche musste er jeden Tag selber zu den Schweinen. Und die eine Muttersau hat ihn lange angeguckt, und das ist ihm durch Mark und Bein. Danach ist so viel in ihm ins Rollen gekommen: ‚Was mache ich hier eigentlich? Ich sperre sie ein, nehme die Kinder weg, fahre die zum Schlachten. Wer sagt, dass ich das tun muss?‘"
Mehr als hundert Tiere vor dem Tod gerettet
Auf ihrem eigenen bio-veganen Hof, dem Hof "Narr" in Egg in der Schweiz, leben Sarah Heiligtag und ihr Mann das vor, was mehr und mehr Landwirte in der Schweiz auch versuchen: vom Nutztierbetrieb auf sogenannte Lebenshöfe umstellen. 108 Tiere haben sie zurzeit auf dem Hof. Schweine, Ziegen, Hühner, Pferde, Esel, Enten, Truthähne, Hunde und Katzen. Fast alle vor dem Tod gerettet.
Sarah Heiligtag, die in Kiel geboren wurde, aber schon seit ihrer Kindheit in der Schweiz lebt, ist studierte Philosophin. Außerdem hat sie eine landwirtschaftliche Grundausbildung abgeschlossen. Auch um wichtige ethische Fragen anschaulich auf ihrem eigenen Hof unterrichten zu können – zusammen mit ihrem Mann Georg.
"Durch das, was wir hier auf unserem eigenen Hof machen, wurde das Interesse geweckt, auch ein Konzept wie unseres auszuprobieren. Und so kam es, dass dann der erste Hof mit unserer Begleitung in ganz kurzer Zeit umstellte."
Über 70 Höfen hat Heiligtag bisher bei der Umstellung geholfen. Begonnen hat alles im Herbst 2017. Für die Schweiz sei das eine enorme Geschwindigkeit, sagt Heiligtag. In Deutschland ginge das erheblich langsamer. Hier hat sie einen Beratungspartner. Timo Geuß, selber studierter Ökolandwirt, hat dafür im vergangenen Herbst einen Verein gegründet: Begleitung zur veganen Landwirtschaft e.V.
"Die Landwirtschaft in Deutschland wird zwar subventioniert, trotzdem: Vielen Landwirten geht es nicht gut, sie sind verschuldet", sagt Geuß. "In der Schweiz sind sie finanziell ein bisschen besser abgesichert, da kann man sich dann auch mit anderen Themen befassen."
Bisher wollen vor allem Landwirte von Betrieben mit Rinderhaltung von ihm beraten werden. Aus gutem Grund, wie er sagt:
"Rinderhaltende Betriebe sind deshalb leicht umzustellen, weil viele Betriebe schon Grünland haben, also die Tiere rauslassen können – dass sie halt noch Futter umstellen müssen, Biofutter kaufen oder noch ein paar Weiden dazu pachten müssen. Die alternative Einkommensquelle könnte zum Beispiel Hafermilch sein. Da gibt es mittlerweile Organisationen, die das auch unterstützen."
Bei einem Schweinebetrieb sähe die Sache schon ganz anders aus:
"Oftmals werden die Tiere ja nicht im Freiland gehalten, sondern unter Stallbedingungen. Da ist es natürlich viel schwieriger, daraus einen Lebenshof zu machen. Bei Schweinefleisch ist es nicht so leicht, etwas zu finden, das alternativ produziert werden kann."
Aber möglich ist es schon.
Winfried ist ehemaliger Schweine- und Milchkuhbauer. Noch vor vier Jahren hatte der 62-Jährige 30 Schweine und 25 Milchkühe.
"Ich hatte so die Schnauze voll von diesen Händlern, von diesen Metzgern", sagt er. Winfrieds Schweine wurden von Händlern und Metzgern zum Beispiel häufig abgelehnt, weil sie eine zu dicke Fettschicht hatten oder weil er ihnen nicht die Schwänze kupierte und so beim engen Transport die Gefahr von Kannibalismus bestand – dass sich die Schweine also gegenseitig die Schwänze abbeißen.
"Man wird bestraft, weil man was gut machen will. Und für mich und meine Frau war klar: Es ging nicht mehr. Kinder aus dem Haus, dann kriegt man mit 40, 50 auf einmal Herzrhythmusstörungen. Und dann haben wir die Annonce von der Julya vom Lebenshof gelesen. Sie suchte einen Landwirt, der vier Kühe aufnimmt. Daraufhin haben wir uns gemeldet. Und dann lief das mit dem Lebenshof an."
"Die Kühe, die Sie da oben auf der Weide sehen, sind alles Kühe von meinem Betrieb noch", erklärt Winfried. Seine 30 Schweine hat der hessische Landwirt abgegeben, aber die Kühe haben Paten, durch die der Lebensunterhalt gesichert ist.
"Die Kühe da obe, die werdn net mehr geschlochtet", macht er mit Dialekt die Leute aus dem Ort nach. "Also geschlachtet. Weil die meinen, jedes Tier im Dorf müsste geschlachtet und gegessen werden. Die kommen damit nicht klar, dass ein Tier ganz normal stirbt."
Nicht nur den Tieren, auch dem Bauern geht es besser
Leider würde genau die Häme der Dorfbewohner, dazu das Unverständnis der Eltern viele Landwirte noch daran hindern, eine Umstellung wirklich anzugehen. Dazu kommen die geringen Fördermöglichkeiten für Lebenshöfe oder bio-veganen Anbau. Es gehe vor allem darum, kreative Konzepte zu entwerfen und gute Vermarktungsstrukturen zu finden, sagt Sarah Heiligtag.
"Gewisse Betriebe funktionieren nur noch, weil die so stark subventioniert werden. Milch ist ein gutes Beispiel. Das heißt, wenn ich stattdessen nur pflanzliche Produkte anbaue, wo habe ich dann weniger Geld, und wie kann ich dieses anders reinholen? Viele Bauern sagen aber: Diese Unabhängigkeit von den Subventionen löst viel mehr Dankbarkeit ihrem Beruf gegenüber aus, als wenn sie einfach alle paar Monate diese Direktzahlung ausgeschüttet bekommen."
Der ehemalige Nutztierlandwirt Winfried bestätigt das:
"Es ist ruhiger, befriedigender, weil die Tiere ruhiger leben. Die müssen keine Milch mehr geben, haben keinen Stress mit irgendwelchen Futteraufnahmesachen, sind den ganzen Sommer auf der Weide, kriegen ihr Quellwasser. Die sind ausgeglichener. Wie der Bauer. Ganz einfach!"