Die Diagnose hat alles auf den Kopf gestellt. Man hat das Gefühl gehabt, man hat nur noch eine gewisse Anzahl von Atemzügen. Die sind dann so wertvoll, dass man sich nicht traut, noch mal zu atmen – jede Minute, wie Sand durch die Finger, geht so schnell weg und fällt und ich habe nichts in der Hand. So habe ich mir jeden Tag, jede Minute gedacht. Dann ist das natürlich eine andere Art von Hoffnung.
Hoffnung am Lebensende
Wie lässt sich hoffen im Angesicht der Vergänglichkeit? Das Feature lässt unter anderem Krebspatientinnen, Seelsorger und Ärzte zu Wort kommen. © Unsplash / Nikola Johnny Mirkovic
Von Optimisten, Realisten und rosa Brillen
47:59 Minuten
Ein Leben lang hoffen wir auf die Zukunft – was aber, wenn unsere verbleibenden Tage durch Krankheit oder Alter plötzlich gezählt sind? Wie schöpfen wir Hoffnung im Angesicht des eigenen Todes – oder des Todes unserer Liebsten?
Nichts ist so sicher wie der Tod. Nichts ist so unsicher wie der Zeitpunkt des Todes. Ob alt oder jung, ob krank oder gesund. Jeder jetzt lebende Mensch kann schon in der nächsten Minute nicht mehr da sein – auch wenn es noch so unwahrscheinlich ist. Niemand kennt den Zeitpunkt.
Die meisten hoffen auf ein langes Leben, manche immerhin auf ein erfülltes Leben, falls die Prognosen nicht mehr für viele weitere Jahre sprechen. Einige hoffen auf einen baldigen Tod, andere auf ein friedliches Sterben. Viele hoffen auf ein Leben nach dem Tod. Mal ist die Hoffnung heiter, oft ähnelt sie mehr ihrer Schwester, der Furcht. Oder gar der Verzweiflung.
Wie lässt sich Hoffnung schöpfen, wenn das eigene Leben oder das geliebter Menschen vor seinem Ende steht? Und wie viel Hoffnung ist da überhaupt angemessen? Diesen Fragen widmet sich das Feature im Austausch mit Menschen, die in verschiedener Weise Erfahrungen mit dem Sterben gemacht haben: Krebspatientinnen, Angehörige, Ärzte und Seelsorger.
Wenn die Zeit durch die Finger rinnt
Da ist etwa Heinz Rüegger, evangelischer Theologe, Ethiker und Gerontologe aus Zürich – er hat schon einen guten Teil seines Lebens zurückgelegt. Bei ihm wurde letztes Jahr Krebs diagnostiziert.
„Das kann tödlich enden, aber man ist nicht einfach gelähmt, sondern man kann unter diesen Vorzeichen das Leben neu anschauen“, sagt er. „Da heißt ja Hoffnung auch nicht, an dieser Krebsdiagnose vorbei hoffen, sondern: Ja, das ist jetzt Teil meines Lebens, damit muss ich jetzt umgehen, und trotzdem – oder gerade durch diese körperliche Versehrtheit hindurch – wage ich es, zu glauben, dass die Zukunft, wie kurz oder lange sie sein wird, mir noch Gutes bringen wird.“
Auch Anna* hat vor Kurzem eine Krebsdiagnose bekommen – bei ihr ist die Krankheit allerdings schon im fortgeschrittenen Stadium, unheilbar. Die 37-jährige Mathematikerin ist Mutter von zwei kleinen Kindern. Vor der Diagnose reichte der Blick in die Zukunft über eine unbestimmte Anzahl von Jahrzehnten hinweg. Danach – vielleicht ein Jahr? Oder zwei – mit sehr viel Glück.
Hoffnung ist ein Balanceakt
Hendric Mittelstaedt ist Leiter der Schmerztherapie und Palliativmedizin im St. Elisabeth-Krankenhaus Köln: „Wir definieren Lebensziele, auch wenn das Leben kurz ist. Man kann sich auch in drei Wochen noch Ziele setzen“, sagt er.
„Man kann sich sogar in drei Tagen noch Ziele setzen. Wir haben einen Patienten, den haben wir in seinen letzten fünf Lebenstagen noch bis an die Nordsee begleitet, weil es sein Ziel war. Er war keine zwei Tage wieder hier, und dann ist er gestorben, weil er sein Ziel erreicht hat.“
Allerdings kann Hoffnung auch ein Balance-Akt sein: Die Gratwanderung zwischen realistischer und überzogener Hoffnung, der Seiltanz zwischen großen und kleinen Zielen, zwischen dem Möglichen und dem Wahrscheinlichen birgt Gefahren. Die eine ist, dass die Furcht überwiegt, die Hoffnung also keine Chance erhält. Die andere kann bedeuten, dass die Hoffnung auf ein unrealistisches Ziel zuläuft – zum Beispiel ein Heilungswunder.
Wenn jemand auf ein Wunder hofft und deshalb eine wichtige Therapie nicht wahrnimmt, dann müssen wir uns überlegen: Wie wahrscheinlich ist das Wunder? Manchmal da ist noch eine wichtige Sache zu erledigen, vielleicht gilt es ja auch noch, einen Streit aus dem Weg zu räumen oder sich mit jemandem zu versöhnen.
Diese Dinge ermutigen wir dann einfach, da versuchen wir, dem Patienten klarzumachen: Ob das Wunder kommt oder nicht – man kann sich ja schon mal darauf vorbereiten, dass es vielleicht nicht kommt, wenn es dann doch kommt, ist es auch gut. Den kleinen Ausweg für das Wunder lassen wir dem Patienten, wann immer möglich. Nur versuchen wir sicherzustellen, wenn draußen die Sonne scheint, dass er den Regenschirm trotzdem mitnimmt.
Noch ein letztes gemeinsames Weihnachten
Im Hospizbereich – in den letzten Tagen oder Wochen des Lebens – verdichtet sich die Hoffnung der Menschen immer mehr in Richtung auf den Tod: „Also was nicht mehr da ist oder sehr selten da ist, ist diese Hoffnung auf Gesundung“, sagt Marion Feth, Krankenschwester im Hospiz Haus Hörn in Aachen.
„Worauf hoffen die Leute? Ja, vielleicht erlebe ich Weihnachten noch, oder nächste Woche hat meine Enkelin Geburtstag, wäre schön, wenn ich sie noch mal sehen würde oder solche Dinge“, erzählt sie.
Der Wunsch, bestimmte wichtige Ereignisse noch zu erleben, ist bei vielen Sterbenden groß. Manche hangeln sich von einem Datum zum nächsten. Oft tragen Ärzte, Pflegende und auch die Angehörigen – wenn sie es können und als realistisch betrachten – diese Hoffnung mit.
So wie Esther Christiani, die ihren Mann Joachim durch seine Krebserkrankung begleitet hat: „Das war vielleicht schon der Motor, dass man noch mal zu Hause gemeinsam Weihnachten feiern kann.“ Und das gelang tatsächlich. Ihrem Mann habe auch geholfen, dass er sehr gläubig gewesen sei.
Glauben hilft – ist aber nicht alles
Auch der Palliativarzt Hendric Mittelstaedt hat beobachtet, dass tiefgläubige Menschen oft leichter sterben. Aber er betont auch: Weder ist der Glaube eine Garantie noch der Unglaube ein Hindernis für einen friedlichen Tod. Und auch wer nicht konkret an ein Leben nach dem Tod glaubt, kann trotzdem eine Hoffnung auf mehr als das rein irdische Leben haben.
Auch nicht-religiöse Menschen können spirituell denken und empfinden, sagt Heinz Rüegger: „Spiritualität kann zum Beispiel sein, dass man sich als Teil des großen Ganzen aufgehoben fühlt und dass man die Vorstellung mit dem Sterben verbindet: Ich gehe dann wieder in den ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen ein. Das kann Menschen helfen im Leben und im Sterben – ohne dass sie deswegen an einen Gott glauben müssen.“
* Redaktioneller Hinweis: Wir haben einen Namen anonymisiert.