Lebensmittel

König Kohl

Kohlernte in Dithmarschen
Nirgendwo in Europa wird so viel Kohl angebaut wie in Dithmarschen. © picture alliance / dpa
Von Elin Rosteck |
Dithmarschen gilt als die Kohlkopfkammer Deutschlands. Das urdeutsche Gemüse landet auch in den Dönerbuden der Großstädte. Dafür fährt zum Beispiel ein Mal in der Woche ein Lastwagen mit Weißkohl nach Berlin.
Hinter dieser Schiebetür lagert Kohl; in Holzkisten. Kohl, fünf Meter hoch bis unter die Decke gestapelt; ein unglaublicher Anblick auf nüchternen Magen. Es ist morgens um sieben; wir sind in einem der Kühlhäuser der Firmen Weida und Hansen in Dithmarschen. Der Besuch vom Radio stiert und friert in der feucht-klebrigen Kälte. Marco Weber grinst. Ihm gehört ein Teil des Kohls in diesem Zwischenlager; der geht ins Ausland. Nach ...
"...Rüssland. Rüssland steiht föör de Döör. De koopen Tonnen vun Kohl. Dat is de Ware, dat ward nu alles mit Spedition afholt und denn geiht dat wieder no Russland, da no röver. "
17 Lastwagen stehen für den Transport bereit. Die Russen kaufen wie verrückt und der Kohlpreis ist steil nach oben geschossen. Marco Weber kennt sich aus; der 44-Jährige ist Kohlhändler und Inhaber der Firma Weida. Immer wieder schaut er auf seine beiden Smartphones, die er in Händen hält. Es ist Freitag, Bestelltag für seine deutschen Kunden. Weber wartet nur darauf, dass die meckern. Statt 8 Cent pro Kilo wie vor zwei Wochen müssen sie jetzt 22 Cent für den Weißkohl bezahlen.
Wir verlassen die noch menschenleere Halle und stiefeln ins Büro hinüber. Grüne Auslegware auf 25 Quadratmetern, das ist sein Börsenparkett. Der Schreibtisch ist an die hintere Wand geklemmt; zwei Platten aus Resopal, über Eck gestellt. Viel einfacher geht´s nicht. Weber schwingt sich auf seinen roten Sitzball und geht ans Telefon.
"Hast Du mitgekriegt, Weißkohl ist enorm gestiegen. Tendenz nach oben. Anfang der Woche wird das 30 Cent sein; jetzt momentan 22 Cent. Ja."
Er hopst auf seinem roten Ball ein klein wenig auf und ab. Dabei schubst er seine Kollegin und Mitarbeiterin, die direkt hinter ihm sitzt, jedes mal um ein Haar an.
"Russland kauft und kauft und kauft."
Weber, der Ein-Meter-Neunzig-Hühne mit kräftigen Pranken im gebügeltem Hemd, tippt nervös auf den Pfeiltasten seines aufgeklappten Laptops hin und her. Sein Blick sucht immer wieder die Uhr an der Wand. Punkt acht Uhr.
"Jo, halbe Palette, mach ich Dir fertig."
Broker-Atmosphäre in Dithmarschen
Eine halbe Palette verkauft; immerhin. Er dreht sich zu seiner Kollegin um und reckt den Daumen hoch. Der erste Deal des Tages. Broker-Atmosphäre in Dithmarschen. Es fehlt eigentlich nur noch der Bildschirm mit den weltweiten, aktuellen Kohl-Notationen.
Doch so etwas gibt es an der Kohlbörse nicht. Weber verhandelt jeden Preis einzeln; mit seinen Bauern auf der einen, mit den Kunden auf der anderen Seite.
"Ik mut mi natörlich ok immer schlau maken; wo liggt de Kohlpris, um dor nicht de düürste to ween. Denn wenn ik de düürste bün – denn kann ik keen Ware verköpen. Dat brukt Fingerspitzengeföhl; dorüm bün ik direkt vöör Ort."
Er pendelt zwischen Berlin und Dithmarschen; das gibt ihm ein Gespür für die Lage. Aber Dienstags und Freitags, so wie jetzt, hat er Bürodienst in Marne; egal, was kommt. Vor dem Bürofenster pirscht sich ein Lkw rückwärts an die Verladerampe heran. Es ist kurz nach acht.
Gabelstapler flitzen in der Halle hin und her. Sie sind klein, wendig und schaffen echt was weg. Tonne für Tonne Kohl verschwindet im Bauch des Lkw.
"Wo geiht dat hin, Jürgen, wo geiht dat hin?"
"Lippstadt"
"Lippstadt!"
Destination Lippstadt, Sauerkrautfabrik, für diese 22 Tonnen. Gerade rollt ein Trecker mit Anhänger in den Hof; Kühlware von einem der Bauern aus der Gegend. In der Fertigungshalle sind sechs Mitarbeiter mit dem Putzen des Nachschubs beschäftigt. Es ist noch immer die Ernte aus dem vergangenen Herbst.
Zwei Männer schneiden den Stumpf etwas kürzer und rollen die Kohlköppe in eine Stahlwanne hinein. Zwei andere schnappen sie sich und halten sie unter einen scharfen Luftstrahl. Kohlblätter fliegen in alle Richtungen; mit ihnen auch der letzte Dreck vom Feld. Jeder einzelne Kohlkopf sieht jetzt aus wie frisch geerntet: hellgrün, blitzblank und etwa fußballgroß. Für Russland und die Welt. Und auch Berlin fängt jetzt an zu kaufen.
Es geht rund. Es wird ein guter Verkaufstag für Weber - trotz des hohen Preises für Weiß- und Rotkohl. Um etwa 14 Uhr ist Feierabend für heute; dann sind alle seine Händler in Berlin abtelefoniert und die Rechnungen vorbereitet. Am Sonntag liefert er; am Montag kassiert er, in Berlin. Aber noch ist es nicht soweit. Noch hat der Kohlmeister in Dithmarschen zu tun.
Es ist Samstagvormittag. Marco Weber sitzt frisch geduscht hinter dem Lenkrad seines unauffälligen BMW, 3er Serie. Er hat kurze rot-blonde Haare, vorne etwas hochgestylt, leichte Kotelletten, dazu eine moderne, aber nicht zu moderne Brille. Er trägt eine flotte Windstopperjacke und modische Jeans zu weißen Turnschuhen. Er will zu einem seiner Lieferanten. Der Hof Hinrichs liegt in Schmedeswurth, drei Kilomter außerhalb von Marne.
Im Hofladen ist Betrieb; buntestes Gemüse, appetitlich arrangiert, alles schier, alles top, eigener Anbau. In der Mitte aber, auf einem rustikalen Holztisch, geradezu dekoriert: Kohl. Unterschiedlichste Sorten, die es im Handel so nicht gibt; Anke und Peter Hinrichs setzen nicht nur auf Masse, auch auf Klasse. Der Bauer führt uns in seine Scheune.
"Wer nix froogt, kriegt nix to weten"
Marco Weber hat seine Augen überall; er hofft, einen Blick auf die Vorräte zu erhaschen; denn wenn die Lager im Frühjahr noch voll sind, dann muss der Bauer verkaufen. Doch Hinrichs führt ihn konsequent an den Kühltüren vorbei.
"Wenn hem dat denn weeten doht, woveel ik heff ... denn bün ik in een schlechte Position. So."
Wenn Weber weiß, was Hinrichs noch hat, dann ist der Bauer in einer schlechten Position. Preispoker Runde eins.
"Oober mien Standpunkt is, wer nix froogt, kriegt nix to weten. Von daher bün ik immer nieschierig, kiek ok immer mol achter de Hallen, wat se denn so liggen hebbt un wenn dor to veel liggt, kann man dat villicht to en günstigen Pries köpen."
Webers Standpunkt ist, wer nichts fragt, erfährt auch nichts. Und wenn er weiß, wo da zu viel Kohl hinter den Hallen liegt, dann kann er den Preis ein bisschen drücken. Vielleicht auf 15 Cent?
"Du kannst mi eentli mol föör 15 Cent en halben Lastwagen vull maken – dor froog mol eerstmol de annern Buurn, weetst du, dat is doch föörbi, dat weetst du doch sülms, Anfang de Week kost dat doch 20, dat weetst du doch."
Weber will schon mal einen halben Lastwagen für die kommende Woche klar machen, aber Hinrichs stellt sich stur. Er verlangt für seine Qualitätsware von vornherein mal 5 Cent mehr als die anderen Bauern. Preispoker, Runde zwei.
Marco Weber ist bei weitem nicht der einzige Kohlhändler in der Gegend, aber der einzige, der platt schnackt. Für den Preispoker ein klarer Vorteil; op Platt kann man sich Sachen an den Kopf schmeißen, die auf Hochdeutsch den Abbruch jeglicher Verhandlungen nach sich zögen. Platt als Parkettsprache. Weber muss an diesem Deal noch dranbleiben. Aber jetzt zeigt er dem Besuch vom Radio erst mal sein Dithmarschen - das Land des Kohls.
Rechts und links des Wegs Kohlfelder, so weit das Auge reicht. Seit etwa 1900, seit dem Beginn der Technisierung, ist Dithmarschen der Kohllieferant der Deutschen Hausfrau. Ein ideales Wintergemüse, satttmachend, vitaminreich, gut zu lagern. Hier auf den satten Kleiböden der Marsch findet er ideale Wachstumsbedingungen. Jetzt ist Pflanzzeit, Weber deutet auf einen Traktor auf dem Feld.
Auf dem Anhänger sitzen fünf Mann in Reihe, knapp über dem Boden. Zwischen ihren Beinen rotiert eine Vorrichtung, die sie unentwegt mit Setzlingen füttern. Sie plumsen direkt aufs Feld, in die Pflanzlöcher. Fünf Reihen Kohl auf einmal setzen die Männer fein säuberlich; der jüngste von ihnen kann sogar Deutsch.
"20 – 30 Pflanzen pro Minute könnten das schon sein."
Adrian ist vielleicht 12 Jahre alt. Mindestens ein Elternteil dürfte polnisch sein; die Bauern haben alle "internationale Mitarbeiter", wie sie genannt werden. Die meisten sind festangestellt und das ganze Jahr über hier.
Ausgleich von der Börsen-Hektik
Marco Weber lenkt seinen BMW gen Süden; genug für heute. Er lebt außerhalb der Kohl-Region, in dem 60-Seelen-Örtchen Tackesdorf mitten in Schleswig-Holstein. In seinem bescheidenen Häuschen inmitten der Ödnis verbringt Weber die paar Stunden Freizeit, die er hat. Manchmal sitzt er einfach nur in seinem Garten; Schiffe gucken auf dem Nord-Ostsee-Kanal.
Webers Ausgleich von der Börsen-Hektik. Er lebt allein hier. Die Frau, die sein Leben mitmachen würde, hat er noch nicht gefunden.
Um acht Uhr am Sonntagmorgen stürzt sich Weber wieder ins Gefecht; er ist auf dem Weg nach Berlin, zum Großmarkt und fahndet per Telefon nach den vier Lastwagen, die irgendwo zwischen Dithmarschen, Hamburg und Berlin unterwegs sind.
Bisher vergeblich. Nach zwei Anrufen ist er schon auf hundertachtzig.
"Dor kannst mi inne Weißglut bringen, wenn dor keener an´t Tilefon geiht."
Kohlhändler mit Kontrollneurose; wie oft hat er schon ohne Ware dagestanden; jetzt weiß er meist besser als die Disponenten, wer was bei wem laden soll. Er hat einen Ruf zu verteidigen, sagt er. Firma Weida aus Marne liefert nicht nur Qualitätsware, sondern auch pünktlich und sauber. So hat er die Firma von seinem Vorgänger, Wolfgang Weida, übernommen.
Es war Zufall, dass er zu Weida kam. Von Haus aus hat er mit Gemüse nichts zu tun. Weber lernt erst mal Bäcker; dann geht er als Zeitsoldat zur Bundeswehr und wird dort Hubschrauberfeinmechaniker. Dann bildet er sich zum Erzieher weiter und arbeitet sieben Jahre lang mit schwer erziehbaren Jugendlichen. Doch eines Tages springt ihm diese kleine Anzeige ins Auge: "Firma Weida, Gemüsehandel, sucht Nachfolger."
"Ich segg mal so, man kann allens leernen, man schall sik bloots nicht dumm anstellen."
Man kann alles lernen, man darf sich bloß nicht dumm anstellen; denkt sich Marco Weber damals, vor fünf Jahren. Und weil er nun mal so gerne mit Leuten schnackt, bewirbt er sich mit einer formlosen, ja, lapidaren Email auf Plattdeutsch.
"Denn dacht ik, entweder klappt dat oder dat klappt nie; un dat hett klappt."
Es hat geklappt; er bleibt dort hängen; sein Plattdeutsch ist sein Türöffner. Bei seinem Vorgänger lernt er das Handwerk und das Verhandeln. Seit anderthalb Jahren ist er der Chef. Das heißt auch: 75.000 Kilometer im Jahr auf der Autobahn.
Hamburg liegt lange hinter; ein Lkw mit Dithmarscher Kennzeichen vor uns. Mit seiner Ware.
Weber entspannt sich: Dieser Lkw wird um dreizehn Uhr entladebereit an der Rampe stehen; jetzt kann er sein Berliner Personal heranzitieren. Fünf Mann heute, auf Stundenbasis, die nur auf sein Kommando warten.
Doch bevor die Plackerei beginnt, trifft sich Marco Weber mit seinem besten Mann zum Frühstück, wie jeden Sonntag. Er weiß, ein kleiner Schnack am Wegesrand macht zufriedene Arbeiter. Und ohne den drahtigen Türken Nuri wäre er ziemlich aufgeschmissen. Die beiden sitzen vor ihren dampfenden Kaffees in ihrer Lieblingsbäckerei in Berlin-Moabit und Weber kann sich nicht sattsehen an dem Trubel auf der Straße. So viel gibt´s in Tackesdorf nicht zu sehen.
"Wat hier in een Minut an Autos dörchkommt, hebbt wi bi uns in Tackesdörp den ganzen Dach. Kann ik eentli nur sitten und kieken, wat hier in Berlin passeert. "
Einfach nur sitzen und gucken, was passiert... von wegen. Einer der Fahrer meldet sich, er steht mit der Ware an der Rampe und will fix weiter. Weber bläst zum Aufbruch.
Weber ist immer früher als die anderen da
An der Halle 101 steht der erste Laster aus Dithmarschen, an einer der Verladerampen, die Klappen geöffnet. Der Fahrer holt die Ware ans Licht. Mannshoch stapeln sich Salate in Holzkisten, Möhren in Plastikkästen; aber vor allem: Kohl in diesen Riesenkartons, die am meisten Platz wegnehmen. Webers Leute flitzen in Gabelstaplern umher, Nuri, sein bester Mann, immer vorne weg. Zeit ist Geld.
Weber kontrolliert noch mal. Mit Schrott kann er hier nicht ankommen, sagt er und wiegt einen Kohlkopf in der Hand. Oft steht hier auf der Rampe die Sonne drauf und wenn der Kohl bei 20 Grad mal etwas länger steht, dann kann er Flecken kriegen. Darf er aber nicht. Deshalb nix wie rein mit der Ware.
Drinnen ist es kühl, oder besser gesagt, eisig: Acht Grad herrschen hier in den langen Gängen. Sie führen auf den Hauptgang in der Mitte zu; hier stapelt sich Webers Ware. Von hier aus sortieren und verteilen vier weitere seiner Arbeiter das bestellte Gut an die einzelnen Kunden. Großhändler, die ihre Standorte in dieser Halle haben; erzählt Weber. Zu sehen ist davon nichts außer unzähligen Gitterverschlägen und heruntergelassenen Rolltoren. Es ist nicht nur kalt, sondern auch ein bisschen unheimlich hier, so leer; außer Webers Leuten, dem Krach der Gabelstapler und ein paar Spatzen, die in den Stützpfeilern brüten, ist kaum jemand da. Einen Großmarkt stellt man sich belebter vor.
"Nur Firma Weida arbeitet; föör de anner is dat noch to fröh un somit steiht wi de nich ünner de Fööt, wenn wi hier an Sorteern sün un ik heff de nich ünner de Fööt."
Es ist noch zu früh für die anderen. Aber Weber mag es so leer; da kommt man sich nicht in die Quere. Vor den unterschiedlichen Rolltoren wachsen allmählich Paletten-Türme hoch in den Hallen-Himmel; aber immer noch fahren und sortieren Nuri und die anderen, was das Zeug hält. Um neun Uhr abends geht Weber nach oben, in sein Büro; die Preislisten für morgen schreiben.
Wieder ist der Schreibtisch in die hinterste Ecke gequetscht. Vorne in der Ecke ein Waschbecken. Von der Decke baumeln drei frische Hemden. Ein Feldbett verschanzt sich hinter einer Stellwand. Hier verbringt der jenge Mann Marco Weber seine Berliner Nächte. Was soll´s, sagt er und grinst; die sind eh´ kurz genug.
Um halb fünf am nächsten Morgen suche ich den Weg zum vereinbarten Treffpunkt; da brodelt es längst an jeder Ecke. Händler hantieren mit Kisten, Kassen klingeln, Gabelstapler flitzen, es ist der reinste Ameisenhaufen.
In der "Kaffeeklappe", dem deutschen Imbiss mitten im Berliner Fruchthof, gehen seit Mitternacht Currywürste und Pommes rot-weiß über die Ladentheke. Weber sitzt mit einem seiner Mitarbeiter von gestern an einem der Tische und telefoniert, vor sich ein angebissenes Ei-Brötchen.
"Hier ist Marco – wann du deine Palette Rotkohl kriegst? Du hast gar keinen Rotkohl bestellt, ne ohne Scheiß, du hast keinen bestellt!"
Seine Augen sind winzig heute Morgen; er sieht aus, als hätte er nicht viel Zeit zum Anziehen gehabt; trägt Kapuzenpulli statt Hemdkragen. Seit halb vier geht sein Telefon; der eine sucht nach seinem Rotkohl, dem anderen fehlen die Lauchzwiebeln; aber gleich der ersten Kundin heute Morgen waren die Blattsalate nicht frisch genug; er solle sofort gucken kommen.
"Ja,ik schull mi de Saloote ankieken, weil dor eene Fru quakt hett, dat de nich frisch genug weern. Un frischer as ik se herbring, geiht eentli nicht."
Weber platzt fast vor Wut
Frischer als er sie herbringt, das geht gar nicht; sagt er und nimmt einen Schluck heißen Kakao. Den Kaffee hat er längst auf. Kritik an seiner Ware, das trifft ihn persönlich. Weber rafft seine Telefone und eine unscheinbare Papp-Mappe zusammen und stürzt sich zurück ins Getümmel: Beschwerden schlichten und Geld eintreiben.
1000 Leute arbeiten allein im Fruchthof des Berliner Großmarkts; Weber scheint sie alle persönlich zu kennen. Die Händler, die Putzfrauen, die Fahrer, alle grüßen den roten Hünen mehr oder weniger lautstark, hauen ihm auf die Schulter oder winken zumindest aus der Ferne. Er hat immer ein Ohr für sie, deshalb mögen sie ihn. Nur der albanische Neukunde mit den welken Salaten, der ist sauer. Wir stehen in seiner kleinen Halle vor dem Kistenstapel und Weber starrt entsetzt auf den schlabberigen Lollo Rosso. Vor ein paar Stunden war er knackfrisch und glänzend aus dem Lkw gekommen. Irgendwas muss passiert sein über Nacht.
"Also das liegt ganz klar an der Kühlung vom Lkw, wenn die Luft darüber pustet; aber das ist extrem – das ist von heute, Marco, ich weiß, das kannst Du kaum glauben – das ärgert mich."
Weber nimmt die Salate zurück; er will den Kunden halten; aber er platzt fast vor Wut, als wir gehen.
Der Salat-Lieferant ist für ihn gestorben und dem Lkw-Fahrer macht er auch noch den Bart ab. Ich kann kaum Schritt halten mit Weber, während er telefoniert. Wir überqueren einen überdachten Platz und steuern zum dritten Mal heute auf ein etwas heruntergekommenes Nebengebäude zu. Der Berliner Großmarkt umfasst eine Fläche von 72 Fußballfeldern und bietet Verkaufsflächen für jedes Portemonnaie. Da drin wohnen wohl die "Kellerkinder".
Wir steigen ab zu ihnen, im Treppenhaus riecht es muffig. Unten herrscht Chaos. Kaum Platz für Füße, alles dicht mit Kisten und Kartons. Die Ware hier sieht zum Teil welk aus; da kann er seine labbrigen Salate fast noch loswerden. Nur wenige Wiederverkäufer hier bestellen viel von Webers guter Ware. Bei seinem zweiten Kunden hinten durch, einem Araber mit blassem Teint und müden Augen, brodelt die Kaffeemaschine.
Der Händler macht gut Wetter; Weber schaut in seine Unterlagen, legt die Stirn in Falten und macht ihm den Kohl ein bisschen günstiger.
"Zur Zeit muss man handeln, um den Preis bisschen runter, dass die Leute mehr kaufen können. Teuer kriegen überall."
"Und ik bruk hier nich lang töven op mien Geld, sondern dat ward immer gliek betaalt – un denn kann man dementsprechend mit de Pries entgägen komen."
Besser weniger, als gar nichts verdienen; und: Bargeld lacht. Weber kassiert und lässt die aktuelle Preisliste gleich da. Kohl steigt weiter, sagt er zum Abschied. Und auch wir klettern aufwärts, zurück an die Luft; weiter kassieren, er muss schnell machen, um neun sind hier alle verschwunden. Kunde für Kunde klappert Weber ab, in anderthalb Jahren hat er hier anderthalb tausend Kilometer abgerissen. Normal fährt er mit dem Fahrrad, aber mit dem Radio im Schlepptau muss es halt zu Fuß gehen.
Wir betreten einen großen, aufgeräumten, aber düsteren Raum. Rauchschwaden hängen in der Luft, drei stämmige Türken empfangen uns. Zwei davon tragen Glatze und Lederjacke, der dritte thront auf einem Ledersessel und raucht.
Eine Szene wie im Kino. Weber spielt mit und fläzt sich aufs Sofa. Wir kriegen Kaffee, edle Sorte, aus kleinen Tassen.
"Am Anfang kannte ich ihn noch nicht, ne, da dachte ich, was ist das denn für´n arroganter Typ. Am Anfang. Man könnte ja Menschen so einschätzen. Aber mittlerweile hab ich ihn so´n bisschen kennengelernt und der ist eigentlich ganz in Ordnung, als Deutscher. Der hat ´n sauberes Herz, das mag ich an ihm."
"Weißkohl ist 'ne schöne Sache"
Nur die Ware sei ein bisschen teuer, sagt er dann noch; vielleicht Verhandlungstaktik. Sie verkaufen den Dithmarscher Kohl weiter an türkische und vietnamesische Restaurants.
"Weißkohl ist ne schöne Sache, da kann man gutes Geld verdienen – wir als Lieferanten, bei ihm weiß ich nicht genau, aber wir als Lieferanten können gut verkaufen, weil die Discountketten immer einen Festpreis von 49/50 Cent pro Kilo haben, das ist gut für uns."
Sie sind auch jetzt noch günstiger als die Großen, obwohl Webers Preis gestiegen ist.
"Ja, trotzdem; erhöhen wir auch für ein paar Cent; bei uns sind ja ein paar Cent teilweise unsere Gewinnspanne. Aber das läppert sich eben im Monat."
Aufs Stichwort lässt Weber die Preisliste rumgehen und verabschiedet sich von den doch nicht so gefährlichen Türken. Früher hatte er an vielen Orten ein bisschen Bammel, erzählt er draußen; nicht alle hier sind ehrlich und es knallt auch mal zwischen den Parteien; aber er ist sich jetzt sicher: ihm passiert hier nichts.
"Nee, mi nich; ik heff ok keen Angst dat mi eener wat dohn köön – tuerst heff ik dat immer dacht, aber nö."
Weber versteht sich auf Leute. Er hat schon manch türkischem Berliner sein Dithmarschen gezeigt; und auch schon manch Kohlbauern auf dem Großmarkt herumgeführt. Das schafft Vertrauen. Das verbindet. Und das macht Marco Weber, den Dithmarscher Jung, zum König des Kohls.
Morgen früh um fünf sitzt er wieder in Marne in seinem Büro. Aber heute plaudert er noch hier persönlich mit seinen Kunden. Er will so weiter machen. Er liebt das und hält schon wieder die Augen offen.
"Die hab ich auch, musst du die in der Tüte haben oder geht das auch im Karton?"
Morgen kriegt der Mann ein Angebot auf den Tisch; mit den Karotten kann Webers Ware leicht mithalten.

Elin Rosteck:
"Dass Dithmarschen Kohl-Land ist, das wusste ich; ich komme aus Schleswig-Holstein. Und ich hab auch über die Ernte schon berichtet. Aber wohin diese Massen an Kohl dann gehen, wer den alles essen will, und wie die Preise gemacht werden - das ist spannender als an der Börse. Dat is dor Priiespoker op Platt."

Elin Rosteck
© privat
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