Lebensmittelindustrie

Mit diesen Tricks locken Hersteller Minderjährige

Zu sehen sind bunte Gummibärchen mit Tier-Gesichtern und Süßigkeiten-Verpackungen mit knalligen Farben.
Kinder sind eine umkämpfte Zielgruppe der Lebensmittelindustrie. Süßwaren-Hersteller werben gezielt mit knalligen Farben, bunten Gesichtern oder niedlichen Tieren um die Gunst von jungen Menschen. © picture alliance / epd-bild | Anke Bingel
Minderjährige sind eine wichtige Zielgruppe der Lebensmittelindustrie. Dass Hersteller ihnen so viele bunte und süße Produkte verkaufen können, liegt auch am modernen Erziehungsstil von heutigen Eltern.
Kinder zwischen drei und 13 Jahren, die Medien konsumieren, sehen täglich Werbung für ungesunde Lebensmittel – rund 15 Mal am Tag. Das hat ein Forschungsprojekt der Universität Hamburg schon 2019 vorgerechnet und seit der Corona-Pandemie ist die Bildschirmzeit nachweislich noch weiter gestiegen. Neuere Untersuchungen gibt es bislang nicht.
Die Mehrheit der Lebensmittelwerbung, die auf Kinder zielt, entspricht nicht den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Das hat weitreichende Auswirkungen: Immer mehr Kinder sind laut Bundesministerium für Gesundheit übergewichtig oder fettleibig. In der Kindheit entwickeltes Übergewicht wird oft ein Leben lang beibehalten und kann unter anderem zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes führen.
Warum sind Süßwaren-Hersteller mit ihrer Werbung so erfolgreich bei Kindern?

Kinder werden als Zielgruppe immer wichtiger

Kinder werden eine immer wichtigere Zielgruppe der Lebensmittelbranche, auch weil Eltern ihnen heute mehr Selbstbestimmung einräumen als dies in früheren Generationen der Fall war.
Während früher autoritäre Erziehungsstile populär gewesen seien, werden die Beziehungen zwischen Eltern und Kind heute immer partnerschaftlicher und demokratischer, sagt Stefan Kemp, Professor für Management an der Hochschule Macromedia in Köln. „Das Ganze ist also kinderzentrierter geworden, und damit treten auch die Wünsche von Kindern mehr in den Vordergrund“, so Kemp. Das sei ein Phänomen des 20. Jahrhunderts.
Minderjährige geben laut Zahlen des Kindermedien-Monitors in Deutschland inzwischen 2,5 Milliarden Euro selbst aus. Den größten Batzen davon - nämlich gut 75 Prozent - für Süßigkeiten, Eis und Kekse.
Schaffen Lebensmittelmarken es, in die Gunst von Kindern und Jugendlichen zu kommen, bringt das den Unternehmen langfristig Umsatz: Nicht selten bleiben diese ihnen auch im Erwachsenenalter als Kunden treu. Denn in der Kindheit geprägte Geschmacks- und Produktvorlieben bestehen oft Jahrzehnte lang, so Kemp. Ein Kind hat also noch eine lange Konsumbiografie vor sich, sagt der Management-Professor.

Werbung setzt auf positive Emotionen

Die Strategien hinter der Lebensmittelwerbung haben sich über die Jahrzehnte verändert, Hersteller passen sie stets an die Seh- und Konsumgewohnheiten der jeweiligen Zeit an. Die Marke Nutella warb 1984 in einem ihrer Werbespots noch mit einem Mann, der mit einem weißen Kittel gekleidet war und besonders seriös wirken sollte. Dieser bezeichnete in der Werbung die Nuss-Nugat-Creme als „unentbehrlichen Lebensbaustein“.
Lebensmittelwerbung aus der heutigen Zeit dagegen setzt verstärkt auf positive Emotionen der Kunden. Dafür nutzt sie einfache Slogans, die leicht zu merken sind, oder schöne Verpackungen, die im Supermarktregal besonders verlockend aussehen. Damit die Werbung im Kopf bleibt, setzt die Industrie auf knallige Farben, bereits „gelernte“ Charaktere wie die Eiskönigin, Dinosaurier oder niedliche Tiere. Das fesselt schon Kindergartenkinder.

Die Lebensmittelindustrie setzt auf Social-Media-Stars

Lebensmittelwerbung sucht den Kontakt zu den kleinen Kunden auf allen denkbaren Kanälen – von der Litfaßsäule über das Gratisbilderbuch bis hin zur Smartphone-App. Die Generation Alpha – das heißt zwischen 2010 und 2025 geboren – ist täglich oft stundenlang im Netz unterwegs und erreichbar: Egal ob TikTok, Instagram, Youtube oder Twitch.
Dabei setzen die Werbekampagnen gerne Protagonisten als Markenwerbekinder ein, mit denen sich Kinder und Jugendliche identifizieren können oder die sie als Idole betrachten. Der Bezug zu einer solchen Peergroup spielt eine entscheidende Rolle für den Erfolg von Werbekampagnen. Um eine möglichst breite Zielgruppe zu erreichen, sind Markenwerbekinder mit der Zeit immer diverser geworden.
Gerade Influencer-Marketing ist extrem erfolgreich. Die Social-Media-Stars sind für Kinder und Jugendliche täglich präsent, sie vertrauen ihnen und erkennen nur sehr schwer das kommerzielle Interesse der Promi-Werber.
Influencer-Marketing funktioniert so gut, weil dadurch eine sogenannte parasoziale Beziehung aufgebaut wird, erklärt der Werbepsychologe Michael Schmitz: Das heißt, die Figur, die in der Werbung spricht, erscheint wie ein Freund oder eine Freundin und spricht die Zielkunden in einem persönlichen Ton an. Ein Kunde ist eher bereit, ein Produkt zu kaufen, das von einem Influencer empfohlen wird, weil bereits ein Bindungsgefühl vorhanden ist.
Immer mehr Influencer machen inzwischen Werbung mit eher ungesunden Lebensmitteln und werden deshalb auch Junkfluencer genannt.

Strategien, um der Werbung zu widerstehen

Um sich dem Sog der Werbung zu entziehen, muss man sich aktiv dagegen entscheiden, erklärt Werbepsychologe Schmitz. Er empfiehlt, mit Kindern über Werbung zu sprechen und beispielsweise in einer Art Detektivspiel zu versuchen, die Strategien und Ziele der Werbung aufzudecken. Man könne seinem Kind einen natürlichen Skeptizismus gegenüber der Werbung antrainieren, das sei aber natürlich mit viel Mühe und Ausdauer verbunden. Medienpädagogen betonen, dass Konsequenz der Schlüssel zum Erfolg ist.
Auch Schulen können die Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen fördern, damit sie nicht so leicht auf Werbetricks hereinfallen. An der Gesamtschule Essen-Borbeck findet einmal wöchentlich die Medienscouts-AG statt.
In Workshops werden dort Werbeclips analysiert: Dabei untersuchen sie, wie es einem Rapper in einer Influencerwerbung gelingt, beim Publikum „cool“ rüberzukommen. Das kann beispielsweise mithilfe der Kameraperspektive gelingen oder indem der Protagonist mit einem Lamborghini zu McDrive fährt. Auch das Untersuchen von Gruppendynamiken kann eine Rolle spielen - zum Beispiel dann, wenn der Rapper vor einer Gruppe Kindergarten- oder Grundschulkinder performt.
Managment-Professor Kemp betont, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene nur begrenzt beeinflussen könnten, was Werbung in uns auslöst. Denn es seien schlicht biochemische Prozesse am Werk: Wer mindestens sechs Mal mit einer Werbebotschaft in Kontakt gekommen ist, werde sich daran erinnern und die Erinnerung werde ein bestimmtes Verhalten motivieren.
Doch den Umgang mit diesen Gefühlen können wir trainieren, um dann bewusste und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Um zu sagen: Das will ich haben oder das brauche ich jetzt nicht.

tan, pto
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