Panschen, strecken, umdeklarieren
31:53 Minuten
Pangasius statt Seezunge, Cashews statt Pinienkerne, Konventionelles in der Bioverpackung: Oft werden Verbraucher getäuscht, denn Lebensmittelfälschung lohnt sich. Vor allem bei einem Produkt erzielen die Betrüger Gewinnspannen wie im Drogenhandel.
Vor der großen Panoramascheibe fließt träge die Spree. Auf futuristischen Sitzmöbeln chillen Mittdreißiger. Hinter der Rezeption hängen Gitarren. Hippes Hauptstadtfeeling in einem großen Hotel im Berliner Bezirk Friedrichshain.
Im Konferenzsaal, nur wenige Räume weiter, wechselt die Kleiderordnung: Dunkle Anzüge, Krawatten, Kostüme. Seriöser Schick. "11. Food Safety Kongress" wirbt ein Banner an der Wand. "Entscheider aus Lebensmittelwirtschaft und Handel" verspricht der Veranstalter. Ein Thema steht hier ganz oben auf der Agenda: "Food Fraud" –"Lebensmittelbetrug". Auf der Bühne tritt Thorsten Rohleder ans Mikrofon. Er leitet die Qualitätssicherung bei einem der größten Gewürzwerke Deutschlands:
"Wir haben in den meisten Anbauländern für Gewürze ein hohes Maß an Korruption, ein mangelndes Unrechtsbewusstsein für das Thema Produktverfälschung, das macht man halt so."
Nicken im Publikum. Die Gewürzbranche ist traditionell anfällig für Trickser und Täuscher. Dass die Ware heute oft in modernen Laboren überprüft wird, scheint die Fälscher kaum zu beeindrucken.
"Beim normalen Pfeffer haben wir Papaya-Kerne gefunden, auch größere Menge Pfefferskins. Beim gemahlenen Oregano Verfälschungen mit Fremdblättern, also häufig Olivenblätter, das dürfte allgemein bekannt sein, aber eben auch andere."
Auch ohne Gesundheitsgefahr den Betrug verfolgen
In der ersten Reihe sitzt Michael Winter und hört aufmerksam zu.
Der Ministerialbeamte weiß: Auf der Liste der am häufigsten verfälschten Lebensmittel, landen die Gewürze nur auf Platz acht. Ganz vorne dagegen: Olivenöl, Fisch und Bio-Lebensmittel, dann Milch, Getreide, Honig, Kaffee und Tee.
"Ich bin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zuständig für die Sicherheit in der Lebensmittelkette. Und da lag es natürlich nahe, dass meine Ministerin mich für diese Funktion ausgewählt hat. Weil ich den gesamten Bereich 'Sicherheit in der Lebensmittelkette' in meinem Arbeitsbereich habe. Das fängt von den Futtermitteln an und hört hinten bei der Lebensmittelkontrolle auf."
"Für diese Funktion" – damit meint Winter "Food Fraud". Jahrelang hatten sich staatliche Kontrolleure vor allem auf hygienische Aspekte konzentriert: Frisch, sicher und sauber sollte die Nahrung sein. 2013 verschoben dann Betrüger Pferdefleisch durch ganz Europa. Streckten damit Rindfleisch. 50.000 Tonnen mussten beschlagnahmt werden. Ein EU-Untersuchungsausschuss diagnostizierte später mangelnde Kontrollen auf allen Ebenen. Und mangelnde Kooperation zwischen den einzelnen Ländern. Seitdem ist Michael Winter auch noch für Lebensmittelbetrug zuständig und als "Chief Food Safety Officer" Ansprechpartner für seine europäischen Kollegen.
Gefälschtes Olivenöl: "Gewinnspannen wie im Drogenhandel"
"Ich persönlich in meiner Küche habe angefangen mit Salatöl und Lebensmittelfarbe."
Andreas Kliemants Premiere in Sachen Food-Fälschung. Färben, verdünnen, ersetzen, anreichern – es gibt viele Möglichkeiten des Betruges. Und fast jedes Nahrungsmittel lässt sich manipulieren:
Andreas Kliemants Premiere in Sachen Food-Fälschung. Färben, verdünnen, ersetzen, anreichern – es gibt viele Möglichkeiten des Betruges. Und fast jedes Nahrungsmittel lässt sich manipulieren:
"Olivenöl steht seit Jahren auf Platz Nummer 1 der am meisten gefälschten Lebensmittel."
Olivenöl – das ist ein Milliardenmarkt. Wo mit Fälschungen Millionen verdient werden können. Herkunftsangaben, Pressungsverfahren, Olivenölsorten – es gibt viele Manipulationsmöglichkeiten. Lebensmittelfälscher sind Profis. Keine Amateure, sagt Andreas Kliemant. Er ist Tierarzt und arbeitet beim Bundesamt für Verbrauchersicherheit und Lebensmittelsicherheit. Kliemant fälschte für einen guten Zweck. Er wollte Verbraucher und Politiker aufrütteln:
"Tatsächlich habe ich das dann unseren Kollegen von der Analytikabteilung übergeben, die dann ganz professionell mit Extrakten aus dem Spinat eine ölige Lösung von dem Chlorophyll hergestellt haben. Und das war sozusagen die intensive Farbe, die wir normalem Rapsöl zugegeben haben."
Die Farbe stimmte: olivgrün. Für die leichte Schärfe sorgten Wasabi und Pfeffer. Dann kam der Verbrauchertest. Auf der Grünen Woche, der großen Leistungsschau der Landwirtschafts- und Ernährungsbranche.
"Wir haben es so gut manipulieren können, dass wir die Hälfte der Besucherinnen und Besucher auf der Grünen Woche von unserem BVL Olivenöl überzeugen konnten."
Gute Geschmacksnoten. 100 Prozent olivenfrei. Mit einer satten Gewinnspanne.
"Unser Olivenöl hat in der Herstellung - und damit meine ich nicht die großtechnische Herstellung, weil, wir haben das ja nicht Hektoliterweise produziert, sondern nur einige Flaschen davon, lag bei unter einem Euro. Das heißt, dieses Olivenöl wäre durchaus am Markt für sieben bis zehn Euro verkehrsfähig, wir könnten da schon einen nennenswerten Profit damit erwirtschaften."
"Gewinnspannen wie im Drogenhandel" prognostizierte dann auch das BVL den Food-Fälschern. Dieses Jahr, weiß Kliemant, wird ein Top-Jahr für die Olivenöl-Trickser. In Italien ging die Olivenernte um 50 Prozent zurück, in Griechenland um 30. Da steigen die Preise für das begehrte Öl. Und damit die Gewinnmarge.
Historischer Skandal: Die Hamburger Sülze-Unruhen 1919
"Freiheit, Freiheit, Freiheit!" Revolutionsstimmung in Hamburg. "Hoch die Arbeiterräte", schallt es aus einem kleinen Lautsprecher. Eine Menschenmenge drängt sich auf der Straße.
"Es wird für Ruhe und Ordnung gesorgt!"
"Revolution! Revolution? 1918-1919" heißt die Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte. Hier geht es auch um einen Fall von Lebensmittelkriminalität. Genauer: um die "Hamburger Sülze-Unruhen" vor genau 100 Jahren.
Ein Besucher deutet auf einige Postkarten an der Ausstellungswand.
"Meine Großmutter war dabei. Bei dem, was Sie dort unten im mittleren Bild sehen, wo sie den Sülze-Fabrikanten in die Alster geworfen haben."
Seine Großmutter, damals noch ein Kind, habe ihm immer wieder davon berichtet. Von jenen Tagen Ende Juni 1919. Als der Hunger so groß war, dass Lebensmittelfälscher Konjunktur hatten.
"Dass die Versorgung so schlecht war, dass es halt Leute gegeben hat, eben diesen Sülze-Fabrikanten, die eben Abfälle, Ratten und sonst was verarbeitet haben, und das eben zu Sülze."
Wenn nicht drin ist, was draufsteht
"Je höher der preisliche Anreiz ist, umso mehr ist das natürlich ein Aufruf an die Lebensmittelfälscher, gerade jetzt Kobe-Rind ist natürlich insofern leichter für die Fälscher, weil natürlich die allermeisten Verbraucher das noch nie gegessen haben – ich ja auch nicht – und das auch nicht wissen, wie das schmecken soll. Oder manch ein gehypter Honig wie dieser neuseeländische Manukka-Honig, dem alle möglichen Wirkungen beigelegt werden, da gibt's auch Verfälschungen ohne Ende, sage ich mal. Ein Verbraucher, der den verkostet, der weiß ja nicht, wie der schmecken soll, der ist ja irgendwie hilflos", sagt Jochen Wettach von der Stiftung Warentest.
Hier kommen regelmäßig Lebensmittel auf den Prüfstand. Und immer wieder stellen die Tester fest: es ist nicht drin, was draufsteht. Wie ist das beim Honig? Vor kurzem nahm die Stiftung 36 Honige unter die Lupe.
"Der Zucker aus dem Honig sollte ja aus dem Nektar stammen, idealerweise, er muss sogar. Man kann es sich ja auch ein bisschen einfacher machen, indem man Industriezucker, Rübenzucker zusetzt und das würde auffallen in der Laboranalyse."
In einer sensorischen Prüfung verkosteten Experten die unterschiedlichen Honig-Sorten, in einer Labor-Analyse wurden Wassergehalt, Enzym-Aktivität und Fremdzucker-Zusatz bestimmt. Einen unerlaubten Zucker-Zusatz konnten die Lebensmittelchemiker nicht feststellen. Aber jeder fünfte Honig erwies sich als wärmegeschädigt.
"Eine unzulässige Wärmebehandlung kann man auch als Verfälschung nennen. Diesen Fall hatten wir tatsächlich an einigen Punkten."
Unreifer Honig auf dem deutschen Markt
Vier der sieben wärmegeschädigten Honige kamen laut Pollenanalyse aus China. Und dort ist es durchaus üblich, Honig "unreif" zu ernten und nachträglich zu trocknen. Ein Verfahren, das in der EU verboten ist. Denn eigentlich ist der Honig erst "reif", wenn die Bienen genügend Wasser aus dem Nektar gefächelt haben und die Waben verdeckelt sind. Mit einer unreifen Ernte lässt sich allerdings mehr Honig in kürzerer Zeit gewinnen. Doch ob es sich bei den wärmegeschädigten Honigen um Betrug handelt, kann Jochen Wettach nicht sagen:
"Wir sehen ja nur das Endprodukt und können sehen, ob die Deklaration mit dem Inhalt übereinstimmt. Ob da jetzt jemand an irgendeiner Stelle wissentlich einen Fehler gemacht hat, das können wir nicht wissen. Da wollen wir auch nicht spekulieren."
Verwechslung oder Fälschung, Versehen oder Vorsatz – das können die Warentester nicht klären. Fest steht: Die Versuchung ist groß und steigt mit der Profitmarge.
Auch Fisch-Fake bringt Millionengewinne
"Die europäische Kommission wurde von einem Hinweisgeber, einem sogenannten Whistleblower über Manipulation in der Thunfischbranche unterrichtet. Und man hat sich das dann näher angeschaut und hat festgestellt, dass diese Manipulation allein für den europäischen Markt in der Größenordnung von 200 bis 230 Millionen illegalen Gewinn eben bedeuten."
Fisch-Fake. Ein weiteres Millionengeschäft. Und wieder ein Fall für Andreas Kliemant vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, kurz BVL. Seit vier Jahren jagt er Lebensmittelfälscher. Und koordiniert die internationale Zusammenarbeit seiner Behörde:
"Das BVL arbeitet jetzt im Routinegeschäft zusammen mit den Strafverfolgungsbehörden, mit der Polizei, mit dem Zoll. Während der Operationen zu OPSON. Aber auch in dem dazwischenliegenden Routinegeschäft."
OPSON ist eine Food-Fälschungs-Fahndung der internationalen Polizeibehörden. Europol und Interpol koordinieren die Aktion, nationale Überwachungsbehörden können teilnehmen, ebenso wie Zoll und Industrie.
Bei der Thunfisch-Operation 2017/18 hatte ein Insider den Ermittlern verraten, wonach sie suchen mussten:
"Dass der Thunfisch gefärbt wird, dass dem Thunfisch dauerhaft eine stabile rote Farbe gegeben wird. Was dann auch bedeutet, dass der Thunfisch dann auch viel länger gehandelt werden kann, in der Theke liegen kann und den Verbraucher mit dieser scheinbar gesunden Farbe überzeugt, dieses Produkt zu kaufen."
Thunfisch-Tönung: Betrug, der die Gesundheit gefährdet
Alter, grauer Fisch frisch rot eingefärbt. Durch den Alterungsprozess aber entsteht Histamin. Und das ist gesundheitsgefährdend. Durch das Thunfisch-Tuning wird aber auch aus billigem Bonito, der sonst in der Dose landet, teurer Gelbflossenthunfisch. Gewinn pro Kilo: 10 Euro. Zwei Wochen lang schwärmten Ermittler und Lebensmittelkontrolleure in elf europäischen Staaten aus. In Deutschland nahmen sie 215 Proben, in 15 Fällen deckten sie Farbmanipulationen auf. Europaweit beschlagnahmten die Fahnder mehr als 50.000 Kilo gefälschten Fisch.
"Die schwerwiegendsten Fälle sind in anderen Staaten entdeckt worden, unter anderem in Spanien, wo es dann auch zu strafrechtlichen Konsequenzen gekommen ist, bis hin zu Verhaftungen. Diese Aktion wurde auch in Spanien medial stark begleitet, weil es bereits vor der OPSON-Operation zu Histamin-Vergiftungen gekommen ist."
Mehrere hundert Spanier mussten im Krankenhaus behandelt werden, weil sie alten, gefärbten, Thunfisch verzehrt hatten. Nur ein Beispiel für eine Gesundheitsgefährdung durch Lebensmittelfälschung.
International kooperieren, national fahnden, auf diese Strategie setzen mittlerweile immer mehr Länder im Kampf gegen internationale Fälscherbanden. Großbritannien hat vor fünf Jahren eine eigene Food-Fraud-Polizei-Einheit gegründet. In Italien beschäftigen sich rund 1.500 Polizisten ausschließlich mit dem Lebensmittelbetrug. Zurzeit läuft die neue OPSON-Operation in ganz Europa. Details will Andreas Kliemant aber noch nicht verraten.
"Etwas mit fellähnlicher Struktur"
Hamburg vor gut 100 Jahren. Die Geschäfte sind leer. Die Bevölkerung hungert. Den Mangel der Kriegszeit macht sich der Gerberei-Besitzer Jakob Heil zu nutze.
"D.h. der hat Felle bearbeitet, hat daraus Leder gemacht. Das war ein ganz kleines Unternehmen. Hat aber während des Krieges festgestellt – er war ein windiger und auch ein ziemlich skrupelloser Unternehmer – man kann durch Sülze-Produktion viel, viel mehr Gewinn machen als durch Gerberei", sagt Olaf Matthes, der die Ausstellung zusammengetragen hat.
Der Historiker deutet auf eine gerahmte Postkarte, eine Bleistift-Zeichnung:
"Da stehen Frauen und Männer an Verarbeitungsbänken und verarbeiten Tierreste. Heil hält eine Sülzedose in der Hand und zieht daraus irgendwas mit einer fellähnlichen Struktur und findet das offensichtlich auch völlig normal."
"Sülze von größtem Nährwert und delikatem Geschmack" - so wirbt der Fabrikant für sein Produkt.
Bioboom verführt zum Strecken und Fälschen
"Wir haben schon ein bisschen Sorge, dass es einen sehr, sehr großen Boom gibt nach Bioprodukten weltweit. Und fragen uns dann, wo sollen die denn überhaupt herkommen?"
Meinrad Schmitt eilt zwischen den hohen Regalen hindurch. Weicht immer wieder Gabelstaplern aus.
Meinrad Schmitt eilt zwischen den hohen Regalen hindurch. Weicht immer wieder Gabelstaplern aus.
"Wir sind jetzt im Obst-Gemüselager, haben hier Orangen, die kommen aus Spanien, wir haben Fenchel dahinten, dahinten das könnte Avocado, das könnte Paprika sein."
Bio-Geschäft en gros. Bei Terra-Naturkost. Vor 30 Jahren stieg Schmitt in den Großhandel mit Bio-Produkten ein. Heute beliefert er von Berlin aus den Fachhandel in Nordostdeutschland. Die Branche wächst in Deutschland rasant, mittlerweile setzt sie jährlich knapp elf Milliarden Euro um. Meinrad Schmitt kennt die meisten seiner Lieferanten seit Jahren. In den letzten Jahren aber drängen immer neue Anbieter auf den Markt:
"In Spanien beobachten wir das sehr, sehr stark, dass ehemals konventionelle Lieferanten in einem Affen-Tempo Biobetriebe werden, da kann man gar nicht so schnell gucken, wie da Biobetriebe entstehen. Um Bio ordentlich herzustellen, brauche ich eine Umstellungszeit, da brauche ich schon zwei, drei oder manchmal auch vier Jahre."
Schnell-Umstellung für den Massen-Biomarkt. Denn seit Discounter und Supermärkte Bio-Produkte anbieten, wird noch mehr Nachschub gebraucht. Die Preisdifferenz zwischen konventionell und bio aber macht die Branche zu einem begehrten Ziel von Fälscherbanden. Langfristige Lieferverträge und scharfe Kontrollen – so versuchen sich Großhändler Schmitt und seine Kollegen zu schützen.
"Und das passiert dann schon relativ oft, dass die Ware, wir sagen dann, 'geweigert' wird. Die kann nicht als Bioware verkauft werden, als konventionelle schon, aber nicht als Bioware. Man merkt, dass da die Strukturen zu groß sind und dass das nicht funktioniert."
Der Druck des Massenmarktes spaltet zusehends die Biobranche. Seit der Anbauverband Bioland einen Liefer-Vertrag mit einem Discounter geschlossen hat, rumort es in der Szene. Und einige Fragen, die sonst hinter vorgehaltener Hand gestellt werden, hört man nun auch in der Öffentlichkeit:
"Wir können uns aber im Moment nicht erklären, wo diese ganze Bioland-Milch herkommen soll. Natürlich kennen wir die Zahlen nicht von Lidl, was die verkaufen, aber der Discounter hat 3000 Märkte, also, wenn ich jeden Tag ein Gebinde in einen Markt mache, kann ich mir schon ungefähr was zusammenrechnen, was da gehen könnte. Ich weiß aber nicht, wo die Milch herkommt. Also, wo diese Mengen herkommen."
Bio-Milch oder nicht?
"Hier sehen wir die Gaschromatographie. Wir haben hier einmal die Trennung von Fettsäuren, auf dem anderen Gerät läuft die Triglyzerid-Analytik, für den Fremdfett-Nachweis", sagt Joachim Molkentin, der durch die Laborräume am Max-Rubner-Institut in Kiel führt. An den Wänden hängen wissenschaftliche Poster: "Rückverfolgbarkeit von Speisefisch, Kabeljau" ist da zu lesen. Oder: "Authentifizierung von Bio-Milch". Molkentin und seine Kollegen sind Lebensmittelbetrügern auf der Spur – mit wissenschaftlichen Methoden. Bereits vor einigen Jahren haben sie einen Nachweis für Bio-Milch entwickelt. Die Forscher analysieren zum einen den Anteil der Fettsäuren.
"Da haben wir bei Bio-Milch erhöhte Alpha-Linolensäure-Gehalte gefunden. Es ist keine ganz scharfe Abgrenzung, aber es gibt Mindestwerte, die die Bio-Milch nicht unterschreitet. Während der große Teil der konventionellen Milch darunterliegt. Das hängt damit zusammen, dass der Kraftfutter-Anteil bei der biologischen Milch beschränkt ist."
Zusätzlich arbeiten die Wissenschaftler mit einem weiteren Verfahren, der Stabil-Isotopenanalytik. Weil die Kühe in der konventionellen Produktion mehr Mais zu fressen bekommen, steckt in deren Milch mehr eines bestimmten Kohlenstoffatoms. Mit der Kombination beider Nachweisverfahren lässt sich Bio-Milch von konventioneller unterscheiden. Und das auch in weiter verarbeiteten Produkten wie Käse oder Joghurt. Die Nachweis-Verfahren sind heute bei der Lebensmittelprüfung im Einsatz, so Molkentin. Allerdings:
"Dieses Verfahren ist kein gerichtsfestes Verfahren, sondern es ist eher ein Screening-Verfahren, mit dem man auffällige, ungewöhnliche Proben erkennen kann. Und wenn man so eine Probe hat, die nicht in das Raster reinpasst, dann würde man mit weiteren Methoden oder auch mit Vorort-Betriebsprüfungen, Buchprüfungen da nähere Erkenntnisse zu bekommen."
Erst die Probe, dann die Analyse, dann die Buchprüfung. Nur so können Fälscher überführt werden, die konventionelle Milch als Bio-Ware verkaufen. Wer als Fälscher aber auf Nummer sicher gehen will, der panscht konventionelle mit Bio-Milch.
Neue Aufgabe für die Lebensmittelaufsicht
"Veterinärpolizeilich gesperrt" – das große Metallschild hängt hinter dem Schreibtisch von Cornelia Rossi-Broy. Die Tierärztin schmunzelt. Es stammt noch von ihrem Vorgänger. Doch auch wenn heute niemand mehr von "Veterinärpolizei" spricht, haben manche Einsätze der Lebensmittelkontrolleure durchaus etwas Detektivisches. Rossi-Broy schildert den Fall einer Fleischerei:
"Wir haben im Prinzip eine Bestellliste für eine kleine Party zusammenstellen lassen. Und immer drauf gedrungen: Aber bitte nur die Bio-Fleischwurst und die Bio-Würstchen usw."
Rossi-Broy hatte einen Tipp erhalten. Von einem ehemaligen Mitarbeiter der Fleischerei. Daraufhin organisierte die Veterinärin den Einkauf. Gemeinsam mit einem LKA-Beamten:
"Und dann haben wir uns geoutet und gesagt: So, jetzt haben Sie alles aufgeschrieben und Sie haben unter Zeugen ausgesagt, dass das Bio-Ware ist, zeigen Sie uns bitte die Lieferscheine. Und bei den Lieferscheinen war nicht zu erkennen, dass es Bio-Ware war, es war eindeutig konventionelle Ware. Dadurch war diese Aufdeckung relativ einfach."
Ein klarer Fall von Lebensmittel-Betrug. Und doch eher ein Glückstreffer, weiß die Vizepräsidentin des Berufsverbandes der beamteten Tierärzte:
"Die Rolle der Lebensmittelaufsicht ist immer eine gewesen, die den gesundheitlichen Verbraucherschutz vor Augen hat, die Irreführung auch, aber nicht die betrügerische Seite, also diesen Vorsatz des Betruges und den wirtschaftlichen Betrug in erster Linie vor Augen hatte. Das ist jetzt eine neue Dimension."
In Deutschland ist die Lebensmittelkontrolle Ländersachen. Mit der neuen EU-Kontroll-Verordnung, die Ende des Jahres in Kraft tritt, kommen auf Rossi-Broy und ihre Kollegen neue Aufgaben zu. In Zukunft sollen sie – in Sachen Lebensmittelfälschung - verstärkt mit Polizei und Zoll zusammenarbeiten.
"Das muss leider immer wieder gesagt werden, wir sind nicht alle so ausgestattet, die Lebensmittelaufsichtsämter, dass sie ad hoc zusätzlich Aufgaben übernehmen können. Das ist faktisch nicht der Fall."
Berlin: nur die Hälfte der Regelkontrollen werden gemacht
Im Hauptberuf leitet Rossi-Broy die Veterinär- und Lebensmittelaufsicht eines großen Berliner Bezirks. Zwei Tierärzte und acht Kontrolleure kümmern sich hier um 4.700 Betriebe, von der Imbissbude über den Supermarkt bis zur Keksfabrik.
"Für Berlin, ganz klar, kann man sagen, wir führen 50 Prozent des gesetzlichen Auftrages durch. Wenn wir rein an die Regelkontrollen denken. Dieses ist ein Fakt, den wir auch mehrmals angemahnt haben. Und das ist etwas, was es nicht erlaubt, zusätzliche Aufgaben aus dem Ärmel zu schütteln, das geht gar nicht."
Schon jetzt können die Kontrolleure ihren gesetzlichen Auftrag kaum erfüllen. Ohne zusätzliches Personal wird der Kampf gegen die "Lebensmittelkriminalität" eine Wunschvorstellung bleiben. Woran es ansonsten noch mangelt, lässt sich im Abschlussbericht der Bund-Länder Arbeitsgruppe "Food Fraud" nachlesen, der im März 2018 veröffentlicht wurde. 35 Empfehlungen zeigen, wo nachgebessert werden soll: Personal muss geschult, die Datenbanken aufgebaut und die Zusammenarbeit zwischen Lebensmittelkontrolleuren, Polizei und Zoll verbessert werden.
Enges Kontrollnetz und feste Lieferbeziehungen bei Frosta
"Wir haben hier Alaska Seelachs, hier gucken wir eben, wie der Salzgehalt des Fisches ist, dass die Fischstäbchen hinterher nicht versalzen sind. Das ist ja eine Seefrostware. Und da wird ja viel mit Meerwasser gearbeitet zum Spülen."
Kerstin Janson wirft einen Blick auf die Seelachsprobe. Die Lebensmitteltechnologin nickt. Alles in Ordnung. Im Labor der Firma "Frosta" in Bremerhaven, einem der größten deutschen Tiefkühl-Lebensmittel-Hersteller. Das Unternehmen setzt auf ein engmaschiges Kontrollnetz. Dabei ist Fisch aber nur ein winziger Teil der Produktpalette. Insgesamt werden hier rund 1000 Rohwaren aus der ganzen Welt angeliefert.
"Ob wir über Honig sprechen, ob wir über Gewürze reden, ob wir über Hähnchenfleisch sprechen, über Brokkoli, so ziemlich jede Rohware, jede Zutat können Sie hier finden. Da wir hier bei Frosta ja das Reinheitsgebot beachten, ist es für uns eine Herausforderung, das in allen Bereichen immer so abzubilden."
Das Versprechen an die Kunden: keinerlei Zusatzstoffe. Und Angabe der Herkunftsländer jeder Zutat. Die Transparenz entlang der Lieferkette schützt das Unternehmen auch vor Food Fraud. Für jede Zutat gibt es eine Risikoanalyse, die laufend fortgeschrieben wird.
"Tagtäglich kommen Warnmeldungen über die verschiedensten Portale und für uns ist die Herausforderung immer, so dicht mit dem Ohr auch an dem Markt zu sein, dass wir solche Bewegungen und Veränderungen erkennen, bevor sie uns erreichen."
Die Angst vor dem Skandal
Jeder Lebensmittelhersteller fürchtet einen Skandal, sei es durch Verunreinigungen oder Verfälschungen. Bisher musste Frosta erst einmal eine Lieferung zurückschicken. Es war Honig mit einer falschen Herkunftsbezeichnung. Vielleicht war es auch nur ein Versehen, sagt Kerstin Janson. Auf jeden Fall funktionierte ihr Kontrollmechanismus:
"Ich glaube, es ist wichtig, dass man draufguckt. Ich kann nicht beurteilen, ob das überzogen ist oder nicht. Ich glaube, das ist ein Riesengeschäft, was da im Hintergrund läuft."
Trotzdem wurde auch ihre Unternehmensgruppe schon Opfer von Food-Fälschern. Nicht Frosta, sondern die Schwesterfirma COPACK. Ein Unternehmen mit eigenen Zulieferstrukturen, das im Auftrag von Discountern diverse Handelsmarken produziert. 2013 fand sich auch hier Pferdefleisch in der Rinderlasagne:
"Und ich glaube, da haben viele sehr viel Lehrgeld bezahlt. Allen voran die, die dieses Fleisch auch produziert haben, denn da sind ja so viele getäuscht worden. Und man hat eben gemerkt, dass nicht alles transparent ist."
Reste-Basar im weltweiten Lebensmittel-Monopoly
Das Pferdefleisch aus Rumänien wurde nach Frankreich verkauft, dann zwischen Fleischhändlern in Belgien und Holland hin- und hergeschoben, um am Ende als Rinderhack auf dem Spotmarkt aufzutauchen. Dem Reste-Basar im weltweiten Lebensmittel-Monopoly:
"Da kaufen sie häufig über Trader, wer stellt denn sicher, wo das herkommt, wer stellt denn sicher, wenn sie beim Trader kaufen, den sie nicht wirklich gut kennen, der seine Food-Produzenten vielleicht auch nicht kennt, dass im Prinzip auch wirklich dass drin ist, was draufsteht. Das ist schon sehr schwierig."
Darum setzt Frosta auf feste Lieferbeziehungen, langfristige Verträge und scharfe Kontrollen.
Wie in Zukunft noch effizienter kontrolliert werden kann, daran arbeitet auch Pablo Steinberg:
"Wir haben mit den Hamburger Kollegen und Kolleginnen eine Gruppe, die in der Lage war zu zeigen, dass in den Fischrestaurants in Hamburg für eine teure Seezunge bei 50 Prozent der Fälle einen billigen Pangasius auf dem Teller hatten."
Steinberg ist Toxikologe und leitet seit zwei Jahren das Max-Rubner-Institut. Das kümmert sich an verschiedenen Standorten in Deutschland um Qualität und Sicherheit von Lebensmitteln. In Zukunft will Steinberg den Fälschern das Geschäft richtig schwer machen. Mit einer Datenbank, dem "Nationalen Referenzzentrum für authentische Lebensmittel":
"Die chemischen und Veterinär-Untersuchungsämter bundesweit sitzen auf einer Vielzahl von Daten, die wurden aber nie zusammengefügt, dass sie tatsächlich für Betrugsfälle zur Verfügung gestellt werden."
Die Daten bleiben unter Verschluss
Eine Datenbank mit Lebensmittelprofilen, die den Fahndern die Arbeit erleichtern würde. Ob Gen- oder Isotopen-Profile: tausende Datensätze sind heute schon in den unterschiedlichen Behörden vorhanden. Der Manukka-Honig ist ebenso erfasst wie unterschiedliche Olivenöle, Weinsorten oder Fischarten. Vieles ist da. Doch das meiste ist nicht bundesweit nutzbar. Das merkt Steinberg immer wieder. Auch in Karlsruhe, wo das Bundesinstitut seinen Sitz hat:
"Wenn ich zu den Kollegen des chemischen Veterinäruntersuchungsamtes in Karlsruhe gehen würde, nur ein paar hundert Meter von uns entfernt, die dürfen uns offiziell keinen einzigen Datensatz transferieren, dafür brauchen wir einen Kooperationsvertrag. Und da sind wir hinterher."
Derzeit suchen die Juristen nach Möglichkeiten, den Datenfluss quer zur föderalen Struktur zu organisieren. In beide Richtungen. Mit einem Vertrag, so ist zu hören, wird es kaum getan sein. Wahrscheinlich muss mit jedem Bundesland eine eigene Vereinbarung geschlossen werden. Steinberg aber bleibt optimistisch. Daten sind vorhanden. Was fehlt, ist eine koordinierte Zusammenarbeit und Personal.
"Wir kennen die berühmte Spitze des Eisbergs. Und nur die. Und da ist auf europäischer Ebene ein großes Interesse daran, dass solche nationalen Referenzzentren nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern gegründet werden, damit wir diese Datensammlung auffüllen können. Und für bestimmte Lebensmittelgruppen zumindest ein halbwegs vollständiges Bild bekommen."
Vor 100 Jahren in Hamburg kamen die Kontrolleure zu spät
Hamburg 1919. Der Sülze-Fabrikant Heil verdient gutes Geld. Bis ein Abfall-Fass vom Pferdefuhrwerk fällt. Zufällig kommen einige Mitglieder des Arbeiter-Rates vorbei. Starren auf das zerbrochene Fass mit dem widerlich stinkenden Abfall-Brei. Sie stürmen daraufhin in den Betrieb, finden Felle, Häute, Tierreste, teilweise mit einer dicken Schimmelschicht überzogen. In Windeseile spricht sich unter der hungernden Hamburger Bevölkerung herum, dass der Fabrikant Heil ein Betrüger ist, der seine Sülze aus Abfall herstellt.
"Also, es kam sehr, sehr schnell zu Unruhen, ganze Menschen-Aufläufe, und der Heil wurde mehr oder weniger gelyncht. Seine Fabrik wurde zerkloppt, wenn man so will. Und am nächsten Tag ging es dann richtig los. Es wurde nicht nur er unter die Lupe genommen, sondern viele andere Unternehmen auch. Man stellte überall fest, es wurde nicht sauber gearbeitet."
Aufgebrachte Massen ziehen durch die Straßen. Werfen den Fabrikanten in die Alster. Die Hamburger Sülze-Unruhen nehmen ihren Lauf. Die Reichswehrtruppen marschieren ein, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Der Fabrikant Heil wird später verurteilt wegen der unhygienischen Produktion, weil er vergammelte Tierreste zu Sülze verarbeiten ließ. Dass auch Hunde, Katzen oder Ratten in den Sülze-Dosen landeten, konnte nie bewiesen werden. Die Kontrolleure kamen zu spät, die Beweismittel waren aufgegessen.