Lebensmittelverschwendung

Das große Wegschmeißen

Lebensmittel liegen in einer Mülltonne
Lebensmittel liegen in einer Mülltonne © picture alliance/dpa/Foto: Patrick Pleul
Raphael Fellmer und Caspar Dohmen im Gespräch mit Matthias Hanselmann |
Mehr als 18 Millionen Tonnen an Lebensmitteln landen pro Jahr in Deutschland im Müll – ein Drittel unseres Nahrungsmittelverbrauchs, so der World Wildlife Fund (WWF) in einer aktuellen Studie. Aber wie lässt sich dieses Wegwerfen verhindern?
"800 Millionen Menschen hungern. Mit dem, was wir wegschmeißen – weltweit 1,3 Milliarden Tonnen im Jahr –, könnte man 3,2 Milliarden Menschen ernähren", sagt Raphael Fellmer. Der Öko-Aktivist hat der Lebensmittelverschwendung den Kampf angesagt.
2012 gehörte er zu den Mitbegründern der Initiative "Foodsharing". Sie sammelt abgelaufene und aussortierte Lebensmitteln ein, die sonst von Supermärkten, Herstellern und Bauern weggeworfen werden; entweder, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist, oder, weil Obst und Gemüse nicht makellos aussehen.
"Foodsharing" verteilt die Waren an Bedürftige wie Tafeln, Obdachlosen- oder Flüchtlingsinitiativen. So haben 32.000 Mitglieder bundesweit bereits über zwölf Millionen Kilogramm überschüssige Lebensmittel vor dem Müll bewahrt.

Ein Food Outlet Store

Fellmer, der selbst fünf Jahre ohne Geld gelebt hat, hat einen weiteren Schritt unternommen, das Lebensmittel-Retten zu professionalisieren. Gemeinsam mit Gleichgesinnten gründete er im September das Berliner Startup "SirPlus": Berlins ersten "Food Outlet Store". In dem Zweite-Wahl-Laden werden aussortierte Waren für einen reduzierten Preis verkauft.
Sein Ziel: "Wir wollen eine effiziente Plattform bauen, mit der wir Landwirten, Produzenten und Händlern die Möglichkeit geben, Lebensmittel, die sie sonst unterpflügen oder zu Biogasanlagen bringen würden, wieder in den Kreislauf zu führen. Momentan haben wir eine hochgradig ineffiziente Lebensmittelindustrie, in der 50 Prozent der Lebensmittel verschwendet werden. Wenn ein Bauer 100 Tonnen Paprika produzieren soll, dann produziert er 120 Tonnen oder mehr, um am Ende mindestens 100 Tonnen perfekte Ware verkaufen zu können. Zehn bis 50 Prozent der Lebensmittel werden auf dem Acker liegengelassen oder bleiben an den Bäumen hängen."

Der Fehler liegt im System

"Wir leben in einer Massenkonsumgesellschaft", sagt Caspar Dohmen. "Und solange unser Wirtschaftssystem auf Wachstum ausgerichtet ist, muss man kaufen." Der Journalist beschäftigt sich seit langem mit Fragen der Nachhaltigkeit, mit fairem Handel und dem Verbraucherverhalten.
"40 Prozent dessen, was produziert wird, findet überhaupt keinen Käufer." Das liege daran, dass die Verbraucher bis zur letzten Minute vor Ladenschluss alle Produkte zur Verfügung haben sollen. Insbesondere verderbliche Waren müssten so weggeworfen werden.
Wie könnte man dies wirksam ändern? – "Im Grunde über das Bewusstsein; und das geht über Bildung, indem man diesen Wahnsinn aufzeigt und Alternativen anbietet. Zweitens über den Preis, aber da ist man gleich wieder bei der sozialen – und zu recht schwierigen – Frage. Und was noch wichtig ist: Transparenz darüber, was das Produkt darstellt, wie es produziert worden ist."

Was sind uns Dinge wert?

Initiativen wie "Foodsharing" oder "SirPlus" sieht Caspar Dohmen als wichtige Schritte. Sie reichten aber nicht, um das System zu ändern. "Es ist aber doch auch die Frage, ob all die guten Initiativen nicht dazu führen, dass Gesamtveränderungen länger dauern. Wir rütteln an einzelnen Teilen, aber nicht am System. Richtig helfen würde es doch, wenn es dazu führen würde, dass weniger hergestellt wird. Die Unternehmen machen Profitmaximierung – und solange sie mehr umsetzen, wenn bis abends die Regale voll sind, machen die das nicht. Wir lösen das Problem erst im großen Stil, wenn die Preise steigen, wenn wir unser Wachstumsmodell gesamt hinterfragen: Was sind uns Dinge wert?"

Das große Wegschmeißen – Was tun gegen Lebensmittelverschwendung? - Darüber diskutiert Matthias Hanselmann heute von 9:05 bis elf Uhr mit Caspar Dohmen und Raphael Fellmer. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de – sowie auf Facebook und Twitter.

Mehr zum Thema