Lebensretter Rock 'n' Roll
Als am 26. Oktober 2004 bekannt wurde, dass John Peel gestorben sei, da fühlte sich das für nicht wenige Musik– und Radiofans an, als hätten sie ihren eigenen Vater verloren. Mehr als drei Jahrzehnte lang spielte Peel bei der BBC Musik, die es sonst nirgendwo in Europa zu hören gab. Fast im Alleingang propagierte er Reggae, Punk, Hip Hop und viele andere Musiken, an die sich keiner heran wagte.
Auch in Deutschland war Peel zu hören und hatte hier seine vielleicht ergebensten Fans. Die Zahl der von ihm geförderten, aber auch beeinflussten Bands ist Legion. Im Juli 2006 erschienen in England Peels Memoiren unter dem Titel "Margrave Of The Marshes". Das Buch liegt nun auch in deutscher Sprache vor – mit der eher prosaischen und nicht ganz treffenden Überschrift "Memoiren des einflussreichsten DJs der Welt".
Die Nachwelt muss John Peels miserabler Rentenvorsorge danken. Hätte der legendäre Radiomann es nicht jahrelang versäumt, für das Alter zu sparen, diese Memoiren wären wohl nie geschrieben worden. Warum? Nun, Peel wurde schon lange von Verlagen belagert, die seine Abenteuer in der Rock And Roll-Welt nur zu gerne publiziert hätten.
Doch der DJ schaffte es immer wieder, jedem Angebot aus dem Wege zu gehen. Er wollte sich einfach nicht die Zeit nehmen, Erinnerungen zu verfassen, die, so meinte er, ohnehin niemanden interessieren würden. Doch der Ausblick auf eine klägliche Rente und das ungeheure Angebot eines britischen Verlages (man munkelt von einer Honorar - Summe von knapp über einer Millionen Pfund!) trieben Peel schließlich an den Schreibtisch.
Verfluchen muss die Nachwelt hingegen Peels totales Unvermögen, was die Bedienung eines Computers angeht: 400 Seiten hatte er bereits geschrieben, da löschte der im Radio beinahe unfehlbare Mann das Skript. Rund die Hälfte davon konnte Peel rekonstruieren. Dann starb er auf einer Urlaubsreise durch Peru. Das führte zu dem Kuriosum, dass der größte Teil der Peelschen Memoiren von seiner Frau Sheila Ravenscroft (sie nahm nie den DJ-Namen Peel an) geschrieben wurde. "Pig" (also "Schwein") wie Peel seine treue Gefährtin nannte, arbeitete sich durch unregelmäßig geführte Tagebücher und chaotische Aufzeichnungen. Dabei stieß sie, wie sie zugibt, auf viele Dinge, von denen sie lieber nichts gewusst hätte. Peels letzte selbst verfasste Zeilen führen uns übrigens in ein mexikanisches Bordell. Leider werden wie nie mehr erfahren, was er dort erlebte.
Was wir auf den ersten 200 Seiten erfahren, ist der skizzenhafte, immer wieder die Zeitebenen wechselnde Bericht eines Mannes, der Musik mit einer Besessenheit liebte, die den meisten Menschen fremd bleiben muss. Es ist die Geschichte eines Mannes, der schutzlos dem brutalen britischen Schulwesen der vierziger Jahre ausgeliefert war, dort sexuellen Missbrauch erlitt und dem der Rock and Roll bei solchen Startbedingungen ins Leben nicht nur Berufung, sondern eine Art Lebensretter wurde.
Elvis Presleys Song "Heartbreak Hotel" elektrisiert den Teenager derartig, dass er für alles Bürgerliche verloren scheint. Als der Vater ihn in die USA schickt, damit der Junge dort den Baumwollhandel lerne, hat der nichts Besseres zu tun, als eine sich in der Folge als Desaster erweisende Ehe einzugehen und für ein paar Dollar als Radio-DJ zu arbeiten.
Peel erzählt all dies mit einem unglaublichen Sarkasmus und bisweilen umwerfenden Humor. Es ist beinahe, als berichte er vom Leben einer anderen Person. Man darf sich von diesem Humor nur nicht täuschen lassen. Hier baut einer immer wieder neue Mauern um seine große Verletzlichkeit herum. Diese Mauern zu durchdringen, ist nicht ganz leicht; den "wahren Peel" wird man in diesem Buch wahrscheinlich nirgendwo finden, wohl aber Bilder, Anekdoten und Schnappschüsse.
Doch wer nun auf pikante Enthüllungen aus dem Rock And Roll-Business spekuliert, wird immer wieder enttäuscht: Hier halten sich die Memoiren sehr zurück. Allein die am Ende von großen Verletzungen und Enttäuschungen geprägte Freundschaft zu Marc Bolan, dem britischen Superstar der frühen 70er Jahre, erhält den nötigen Raum. Ob Peel, hätte er das Buch selbst fertig gestellt, seinen Erfahrungen mit dem Rockgeschäft mehr Platz eingeräumt hätte?
Den zweiten Teil dieser Memoiren erzählt Sheila Ravenscroft dann in einem Plauderstil, der kräftig mit Peels präziser Sprache kollidiert. Doch seltsamerweise funktioniert dieser Bruch. Es ist, als säßen wir neben der Witwe an der Kaffeetafel und lauschten ihren Erinnerungen an die gemeinsamen Zeiten mit dem großen Mann. Kinder werden geboren, ein Haus findet sich, in dem bald abertausende Platten lagern. Peel wird zum besten DJ Englands gewählt und muss doch bis zum Schluss jedes Jahr um die Verlängerung seines Vertrages mit der BBC fürchten.
Peel war und Ravenscroft ist leider viel zu höflich, als dass in diesem Buch die fälligen Abrechungen mit ignoranten Verantwortlichen beim britischen Radio oder der Musikindustrie zu finden wären. Leider. Wem also wird dieses Buch gefallen? Wer in den 70er und 80er Jahren atemlos gelauscht hat, wenn Peels einzigartige Stimme über den britischen Militärsender BFBS ausgestrahlt wurde, der muss diese Memoiren besitzen. Ebenso jeder, der selbst beim Radio arbeitet. Wer sehr an der Geschichte der Popkultur des 20. Jahrhunderts interessiert ist, sollte ebenfalls hineinschauen. Wer aber Peel nie hörte, dem wird dieses Buch nicht viel geben.
Die Geschichte der unglaublichen Bedeutung dieses Mannes, seines mutigen Eintretens für Musik weit abseits des Mainstreams, seiner Weigerung, sich korrumpieren zu lassen, kurzum: die Story seiner Einzigartigkeit werden andere erzählen müssen. Denn so wie er lebte, so ist auch dieses - nebenbei bemerkt sehr ordentlich übersetzte - Buch: geprägt von Bescheidenheit und Demut.
Rezensiert von Andreas Müller
John Peel, Sheila Ravenscroft: John Peel – Memoiren des einflussreichsten DJs der Welt
Aus dem Englischen von Christoph Hahn.
Rogner & Bernhard bei 2001, Frankfurt am Main 2006, 480 Seiten, 24,90 Euro
Die Nachwelt muss John Peels miserabler Rentenvorsorge danken. Hätte der legendäre Radiomann es nicht jahrelang versäumt, für das Alter zu sparen, diese Memoiren wären wohl nie geschrieben worden. Warum? Nun, Peel wurde schon lange von Verlagen belagert, die seine Abenteuer in der Rock And Roll-Welt nur zu gerne publiziert hätten.
Doch der DJ schaffte es immer wieder, jedem Angebot aus dem Wege zu gehen. Er wollte sich einfach nicht die Zeit nehmen, Erinnerungen zu verfassen, die, so meinte er, ohnehin niemanden interessieren würden. Doch der Ausblick auf eine klägliche Rente und das ungeheure Angebot eines britischen Verlages (man munkelt von einer Honorar - Summe von knapp über einer Millionen Pfund!) trieben Peel schließlich an den Schreibtisch.
Verfluchen muss die Nachwelt hingegen Peels totales Unvermögen, was die Bedienung eines Computers angeht: 400 Seiten hatte er bereits geschrieben, da löschte der im Radio beinahe unfehlbare Mann das Skript. Rund die Hälfte davon konnte Peel rekonstruieren. Dann starb er auf einer Urlaubsreise durch Peru. Das führte zu dem Kuriosum, dass der größte Teil der Peelschen Memoiren von seiner Frau Sheila Ravenscroft (sie nahm nie den DJ-Namen Peel an) geschrieben wurde. "Pig" (also "Schwein") wie Peel seine treue Gefährtin nannte, arbeitete sich durch unregelmäßig geführte Tagebücher und chaotische Aufzeichnungen. Dabei stieß sie, wie sie zugibt, auf viele Dinge, von denen sie lieber nichts gewusst hätte. Peels letzte selbst verfasste Zeilen führen uns übrigens in ein mexikanisches Bordell. Leider werden wie nie mehr erfahren, was er dort erlebte.
Was wir auf den ersten 200 Seiten erfahren, ist der skizzenhafte, immer wieder die Zeitebenen wechselnde Bericht eines Mannes, der Musik mit einer Besessenheit liebte, die den meisten Menschen fremd bleiben muss. Es ist die Geschichte eines Mannes, der schutzlos dem brutalen britischen Schulwesen der vierziger Jahre ausgeliefert war, dort sexuellen Missbrauch erlitt und dem der Rock and Roll bei solchen Startbedingungen ins Leben nicht nur Berufung, sondern eine Art Lebensretter wurde.
Elvis Presleys Song "Heartbreak Hotel" elektrisiert den Teenager derartig, dass er für alles Bürgerliche verloren scheint. Als der Vater ihn in die USA schickt, damit der Junge dort den Baumwollhandel lerne, hat der nichts Besseres zu tun, als eine sich in der Folge als Desaster erweisende Ehe einzugehen und für ein paar Dollar als Radio-DJ zu arbeiten.
Peel erzählt all dies mit einem unglaublichen Sarkasmus und bisweilen umwerfenden Humor. Es ist beinahe, als berichte er vom Leben einer anderen Person. Man darf sich von diesem Humor nur nicht täuschen lassen. Hier baut einer immer wieder neue Mauern um seine große Verletzlichkeit herum. Diese Mauern zu durchdringen, ist nicht ganz leicht; den "wahren Peel" wird man in diesem Buch wahrscheinlich nirgendwo finden, wohl aber Bilder, Anekdoten und Schnappschüsse.
Doch wer nun auf pikante Enthüllungen aus dem Rock And Roll-Business spekuliert, wird immer wieder enttäuscht: Hier halten sich die Memoiren sehr zurück. Allein die am Ende von großen Verletzungen und Enttäuschungen geprägte Freundschaft zu Marc Bolan, dem britischen Superstar der frühen 70er Jahre, erhält den nötigen Raum. Ob Peel, hätte er das Buch selbst fertig gestellt, seinen Erfahrungen mit dem Rockgeschäft mehr Platz eingeräumt hätte?
Den zweiten Teil dieser Memoiren erzählt Sheila Ravenscroft dann in einem Plauderstil, der kräftig mit Peels präziser Sprache kollidiert. Doch seltsamerweise funktioniert dieser Bruch. Es ist, als säßen wir neben der Witwe an der Kaffeetafel und lauschten ihren Erinnerungen an die gemeinsamen Zeiten mit dem großen Mann. Kinder werden geboren, ein Haus findet sich, in dem bald abertausende Platten lagern. Peel wird zum besten DJ Englands gewählt und muss doch bis zum Schluss jedes Jahr um die Verlängerung seines Vertrages mit der BBC fürchten.
Peel war und Ravenscroft ist leider viel zu höflich, als dass in diesem Buch die fälligen Abrechungen mit ignoranten Verantwortlichen beim britischen Radio oder der Musikindustrie zu finden wären. Leider. Wem also wird dieses Buch gefallen? Wer in den 70er und 80er Jahren atemlos gelauscht hat, wenn Peels einzigartige Stimme über den britischen Militärsender BFBS ausgestrahlt wurde, der muss diese Memoiren besitzen. Ebenso jeder, der selbst beim Radio arbeitet. Wer sehr an der Geschichte der Popkultur des 20. Jahrhunderts interessiert ist, sollte ebenfalls hineinschauen. Wer aber Peel nie hörte, dem wird dieses Buch nicht viel geben.
Die Geschichte der unglaublichen Bedeutung dieses Mannes, seines mutigen Eintretens für Musik weit abseits des Mainstreams, seiner Weigerung, sich korrumpieren zu lassen, kurzum: die Story seiner Einzigartigkeit werden andere erzählen müssen. Denn so wie er lebte, so ist auch dieses - nebenbei bemerkt sehr ordentlich übersetzte - Buch: geprägt von Bescheidenheit und Demut.
Rezensiert von Andreas Müller
John Peel, Sheila Ravenscroft: John Peel – Memoiren des einflussreichsten DJs der Welt
Aus dem Englischen von Christoph Hahn.
Rogner & Bernhard bei 2001, Frankfurt am Main 2006, 480 Seiten, 24,90 Euro