Lech Walesa als Wichtigtuer

Von Sabine Adler |
Polens wohl bekanntester Regisseur Andrzej Wajda, 87 Jahre alt, stellt auf dem 70. Filmfestival in Venedig seinen neuen Film vor: "Lech Walesa - Mann der Hoffnung". Obwohl Wajda ein Mitstreiter von Walesa war, zeichnet der Film keineswegs die Geschichte eines makellosen Helden. Der echte Walesa ist nicht amüsiert.
Walesa verkündet 1980 die Unabhängigkeit der Solidarnosc-Gewerkschaft, das Streikrecht. Die Massen feiern ihn. Dass ausgerechnet Andrzej Wajda kritisch auf den Helden blickt, kommt völlig unerwartet, gehörte doch der Kultregisseur zu dessen engen Mitstreitern. Walesa regiert irritiert. Der Film gefalle ihm, aber:

"Es gibt offensichtlich ein Problem mit meiner Person: Warum habe ich erreicht, was ich erreicht habe? Die einen denken, dass ich das nie allein geschafft hätte, dass mir die Stasi und Kommunisten geholfen haben. Zweite Gruppe denkt: Er ist ein Phänomen, unser unerhörtes Glück. Eine andere, die dritte Gruppe sagt, dass ich ein Wichtigtuer bin, hochmütig, nur von mir rede: Ich, ich, ich. Wajda hat sich für diesen Walesa entschieden."

Walesa ist verletzt. Dabei war er gespannt darauf, wie Wajda, der hochgeschätzte Regisseur, Oskar-Preisträger ihn, den Arbeiterhelden, porträtieren würde. Nun erlebt er wieder eine Kränkung mehr, wieder eine von einem Ex-Kampfgefährten. Seitdem ihm persönlich und nicht der ganzen Solidarnosc 1983 der Friedensnobelpreis verliehen wurde, begann die Schlammschlacht in den eigenen Reihen, erklärt Basil Kerski, der in Danzig das Europäische Solidarnosc-Zentrum leitet, von Amtswegen die Geschichte genau kennt.

"Das hat den anderen Helden nicht gefallen und schon damals versuchten sie Walesa mit dem Vorwurf zu diskreditieren, eigentlich sei er ein Stasi-Mann."

Walesa hat die Gabe, Freund und Feind gegen sich aufzubringen. Den arroganten Walesa erlebten und erleben Journalisten immer wieder. Nach einem Walesa-Interview wird man von Kollegen nicht gefragt, was Walesa gesagt hat, sondern wie übellaunig er war. Kein Wunder, dass Wajda diesen Charakterzug in einer Szene mit einer Journalistin darstellt. Oriana Fallaci, die inzwischen verstorbene italienische Star-Autorin wollte von Walesa ein Interview, mitten im Streik 1980. Der Ex-Gewerkschaftsführer erinnert sich bis heute genau an die Situation.

"Sie kam ohne Ankündigung. Ich hatte keine Zeit, war auf dem Sprung, aber ich wurde sie einfach nicht los. Sie fragte: Sie lehnen es ab, mit mir zu sprechen? Mir geben Könige und Präsidenten Interviews, ich schreibe Bücher! Sie ging mir auf den Keks. Ich sagte, ich habe ihre Bücher nicht gelesen und wenn sie ein Buch über mich schreibt, werde ich das auch nicht lesen. Und ich sagte ihr: Dort ist die Tür. Dann hatte ich unerwartet aber doch Zeit. Wir machten das Interview, aber ein Schatten ist über allem geblieben."

In Hausschuhen sitzt der bald 70-Jährige im Sessel, seine Straßenschuhe stehen für jedermann sichtbar unter dem Schreibtisch, auffällig sind die mindestens sechs Zentimeter dicken Plateau-Sohlen. Wenn er mit seinen knapp 1,70 Meter seinen Frieden auch noch immer nicht gemacht hat, mit seinem Leben schon.

"Das Schicksal hielt mehr für mich bereit, als ich vermutet habe. Ich wusste wohl als einziger, wie das alles endet. Heute tragen sie dich auf den Schultern, morgen bewerfen sie dich mit Steinen. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr darf gehen. Hätte ich etwas anders machen sollen? Eher nicht. Habe ich mich zu beklagen? Nein."

So sehr Wajda mit seinem kritischen Blick auf den von Zweifeln eher unangekränkelten Helden schaut, Walesas Ansehen im Volk wird ganz überwiegend positiv gesehen. Jeden Tag kommen treue Anhänger zur Gdansker Schiffswerft.

"Obwohl ihn viele für einen Stasi-Mann halten, widersetzte er sich immerhin dem System. Als er über den Zaun zurück auf die Werft sprang, zurück zu den Streikenden, war das der Anfang vom Untergang des verhassten Kommunismus." "Walesa hat alles auf eine Karte gesetzt. Man trachtete ihm nach dem Leben. Er ist eine Ikone."

"Es gibt schon zwei oder drei Solidarnosc-Filme", räumt Regisseur Wajda ein, "aber ihm kam es auf eine Interpretation an. "Ein Schauspieler kann Sachen akzentuieren, die in dem gesamten Archivmaterial so nicht zu finden sind.""

Allein in Polen ist dem Film ein Millionen-Publikum sicher.
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