Fotografin Lee Miller
Die Fotografin Lee Miller 1947 in der Schweiz © imago / Bridgeman Images
Erst vor, dann hinter der Kamera
Lee Millers Fotoreportagen der Befreiung von Paris und des Konzentrationslagers Dachau gehören zu den eindringlichsten Kriegsdokumentationen des 20. Jahrhunderts. Berühmt wurde sie auch durch ein Foto in der Badewanne von Hitlers Wohnung in München.
Verführerisch schwarz schillernde Augen, Brauen, die den eleganten Schwung der feingliedrigen Nasenflügel aufnehmen, dazu ein geradezu klassisch gespitzter Mund - so setzt der Künstlerfotograf Man Ray 1930 in Paris ein junges Model ins Bild. Es ist Lee Miller, die mit diesen Schwarz-Weiß-Porträts zur Muse der Surrealisten aufsteigt.
Geboren am 23. April 1907 in der Nähe von New York, hatte sie schon sehr früh für die Fotografen von "Vogue" und "Vanity Fair" Modell gestanden. Aber mit dem Platz vor der Kamera mochte die ehrgeizige Blondine sich nicht zufrieden geben. Also brach sie kurzerhand auf nach Paris und klingelte im Atelier von Man Ray: "Mein Name ist Lee Miller - ich bin Ihre neue Schülerin!"
Das ist der Beginn einer kurzen, aber heftigen Liaison und einer intensiven Arbeitsgemeinschaft. Während Man Ray seine Assistentin als klassische Schönheit, als fototechnisch verfremdeten griechischen Torso inszeniert, holt Lee Miller ihrerseits zahlreiche Künstlerfreunde wie Picasso, Max Ernst oder Jean Cocteau vor die Kamera. Und lernt dabei:
"Beim Porträt kommt es darauf an, die Persönlichkeit vor der Kamera regelrecht zu absorbieren. Deshalb ist der Umgang mit den Menschen weitaus wichtiger als alle technische Virtuosität."
Nichts ist, wie es scheint
In den Pariser Künstlerzirkeln lernt die Fotografin ihren Ehemann Roland Penrose kennen, der als Maler und Sammler in seiner Heimat England den Surrealismus propagiert. Der Sohn Antony Penrose hat kürzlich den Nachlass seiner Mutter aufgearbeitet und dabei die Erklärung gefunden für deren abrupten Wechsel von der erfolgreichen Modefotografin zur Kriegsreporterin, die seit 1941 von allen Fronten berichtete:
"Surrealismus war mehr als eine Kunstrichtung, es war ein Lebensstil. Lee Miller wusste sich zu verkleiden, sie trug eine Armee-Uniform. Aber im Innern blieb sie Surrealistin und wusste, dass nichts so ist, wie es scheint. Alles hat seine eigene Realität. Dieser Blick machte sie zur guten Journalistin, die hinter die Dinge schaut und im Gewöhnlichen das Wunderbare entdeckt."
Auf Bildern von Luftschutzübungen schreiben Suchscheinwerfer seltsame Muster in den Nachthimmel, nach den ersten Bombenangriffen auf London fotografiert Lee Miller Stillleben aus verbogenen, zerborstenen Alltagsutensilien. Doch immer häufiger kommen Porträts von erschöpften Soldaten, von Toten und Verwundeten hinzu. Am Ende, bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau, ringt sie sich zu eindrucksvollen Nahaufnahmen durch, deren besondere Bedeutung Antony Penrose mit Blick auf die Biografie seiner Mutter erklärt:
"Viele ihrer Freunde wurden vermisst, sie suchte nach ihnen. Aber im Konzentrationslager hatte man so viele Menschen umgebracht. So schaute sie auch in die Gesichter der Toten, ob vielleicht ein Bekannter darunter wäre. Und mit ihren Nahaufnahmen will sie zeigen, dass es hier nicht um Zahlen und anonyme Opfer geht, sondern um Einzelschicksale, um Personen."
Bei Hitler in der Badewanne
Dafür allerdings interessiert sich das Publikum schon kurz nach Kriegsende kaum noch. Aufsehen erregt Ende Mai 1945 dagegen ein Foto, auf dem die Kriegsreporterin nackt in einer Badewanne zu sehen ist:
"Die Figur des 'Führers' hatte mich immer fasziniert, deshalb machte ich in München einige Aufnahmen in Hitlers Privatwohnung. Ich habe sehr gut in Hitlers Bett geschlafen - und mir vorher den Schmutz aus dem KZ Dachau in seiner Badewanne abgewaschen."
Nach 1945 zieht sich Lee Miller auf eine Farm in East Sussex zurück, die allmählich zum Künstlertreffpunkt wird. Hier entstehen private Porträts prominenter Gäste, die in der Küche oder im Garten helfen: Oskar Kokoschka mit Schürze, der Philosoph Alfred Ayer beim Holzholen oder Alfred H. Barr, Direktor des New Yorker Museum of Modern Art, der im Anzug und mit Krawatte die Schweine füttert. Und schließlich die für Antony Penrose so symbolische Aufnahme der Künstlerkollegen Georges Limbour und Jean Dubuffet, die ihre Hände gegen die Glassscheiben eines Fensters pressen, als wollten sie nach etwas Fernem, Unsichtbaren greifen:
"Das Fenster spiegelt Lee Miller. Sie ist da - und auch nicht da. Diese unsichtbare Barriere hatte sich zwischen sie und andere Menschen geschoben, nach all dem, was sie im Krieg durchgemacht hatte."