Legal, illegal, scheißegal
Laut EU-Recht müssen Hersteller und Händler über bedenkliche Stoffe in Waren aller Art Auskunft geben. Doch viele Verantwortliche nehmen diese Plicht nicht ernst. Um das zu ändern, ruft nun das Umweltbundesamt die Bürger auf, Druck auszuüben.
Die chemische Industrie produziert Millionen von Chemikalien, aus denen die Flut an Gütern hergestellt wird, die unseren Wohlstand sichtbar machen. Bisher war nicht bekannt, welche Stoffe in welchem Umfang für welche Waren verwendet werden und welche Risiken damit verbunden sein könnten. Deshalb hat die Europäische Union vor einigen Jahren ein ehrgeiziges Verordnungswerk verabschiedet. Das Ganze nennt sich REACh, die Abkürzung für Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien. REACh soll endlich Licht in dieses Dunkel bringen.
Aus der riesigen Zahl von gemeldeten Stoffen wurde eine klitzekleine Gruppe von Substanzen ausgewählt, die per Dekret als "besonders besorgniserregend" eingestuft wurden. Damit auch der Verbraucher erfährt, wo diese Stoffe drin sind, wurde dem Handel, also den Versandhäusern, den Supermarktketten und den Fachgeschäften eine Auskunftspflicht auferlegt. Die Herstellerkette muss dafür ihre Daten bis zum Einzelhandel durchreichen. Das ist zwar aus Sicht des Verbrauchers ziemlich unbefriedigend, denn der Handel muss nur einen verschwindend geringen Anteil an Substanzen offenlegen, aber ein Anfang ist es allemal.
Doch die Verantwortlichen scheinen ihre bescheidenen gesetzlichen Pflichten nicht wirklich ernst zu nehmen. Wiederholt wurde deren Auskunftsfreudigkeit auf die Probe gestellt; beispielsweise vom BUND, dem Bund für Umwelt und Naturschutz. Nur sieben von 24 angeschriebenen Handelshäusern beantworteten die Fragen so, wie es das Gesetz vorschreibt. Eine magere Ausbeute für einen Rechtsstaat.
In Baden-Württemberg hat die Marktüberwachung 69 Produkte im Labor untersucht und ihre Ergebnisse mit den Auskünften der Händler abgeglichen. Das Resultat war auch hier ernüchternd: In 23 Fällen versicherten die Anbieter wahrheitswidrig, das Produkt würde keine der fraglichen Substanzen enthalten, obwohl diese analytisch nachweisbar waren. Sogar das Gegenteil war der Fall: Viermal wurden bedenkliche Stoffe deklariert, obwohl die Ware völlig sauber war.
Für die Branche gilt offenbar der alte Spontispruch – legal, illegal, scheißegal. Sie konzentriert sich lieber auf die Verbreitung von ausgefeiltem Werbemüll, der uns Kunden auf Schritt und Tritt verfolgt. Ihr geht es wohl nur ums ökologische Image, um den Schein, die Produktwahrheit ist vielen Unternehmen offenbar ziemlich gleichgültig. Um das zu ändern, ruft nun das Umweltbundesamt die Bürger auf, endlich Druck auszuüben und den Handel mit Anfragen einzudecken. Dazu hat es auf seiner Homepage gleich einen Vordruck bereitgestellt. Das Amt rät zu einer "regen Nutzung der Auskunftsrechte, um gegenüber Industrie, Gewerbe und Handel ein Zeichen zu setzen".
Wenn der Verbraucher Auskunft über die "bedenklichen" Inhaltsstoffe begehrt, muss der Händler innerhalb von 45 Tagen antworten – zumindest dann, wenn sich tatsächlich Substanzen aus der Liste mit den "bedenklichen Stoffen" im Produkt befinden. Kriegt der Kunde keine Antwort, kann das heißen, dass keine der fraglichen Substanzen drin sind, oder dass die Anfrage nicht angekommen ist, oder - dass der Händler schwindelt. Welche der drei Varianten zutrifft kann der Kunde nicht erkennen. Aber aufgrund der bisherigen Erfahrungen ist die Antwort nicht mal dann vertrauenswürdig, wenn der Händler sogar die Anwesenheit bedenklicher Inhaltsstoffe einräumt.
Der Kunde kann also die Antwort – so er denn eine erhält – genauso gut in den Müll werfen. Und genau das ist der eigentliche Skandal: Wenn nicht mal eine Bundesbehörde, also quasi der Staat in der Lage ist, für korrekte Auskünfte zu sorgen, was soll dann der Appell an die Verbraucher? Ich weiß nicht so recht, worüber ich mir mehr Sorgen machen sollte: Über fragwürdige Chemikalien, über arrogante Handelshäuser oder doch über die Naivität des Umweltbundesamtes? Mahlzeit!
Literatur:
Becker E: Besonders besorgniserregende Chemikalien in Verbraucherprodukten – Die neuen Auskunftsrechte unter der EU-Chemikalienverordnung REACH. UMID 2012; H.1: 44-47
Aus der riesigen Zahl von gemeldeten Stoffen wurde eine klitzekleine Gruppe von Substanzen ausgewählt, die per Dekret als "besonders besorgniserregend" eingestuft wurden. Damit auch der Verbraucher erfährt, wo diese Stoffe drin sind, wurde dem Handel, also den Versandhäusern, den Supermarktketten und den Fachgeschäften eine Auskunftspflicht auferlegt. Die Herstellerkette muss dafür ihre Daten bis zum Einzelhandel durchreichen. Das ist zwar aus Sicht des Verbrauchers ziemlich unbefriedigend, denn der Handel muss nur einen verschwindend geringen Anteil an Substanzen offenlegen, aber ein Anfang ist es allemal.
Doch die Verantwortlichen scheinen ihre bescheidenen gesetzlichen Pflichten nicht wirklich ernst zu nehmen. Wiederholt wurde deren Auskunftsfreudigkeit auf die Probe gestellt; beispielsweise vom BUND, dem Bund für Umwelt und Naturschutz. Nur sieben von 24 angeschriebenen Handelshäusern beantworteten die Fragen so, wie es das Gesetz vorschreibt. Eine magere Ausbeute für einen Rechtsstaat.
In Baden-Württemberg hat die Marktüberwachung 69 Produkte im Labor untersucht und ihre Ergebnisse mit den Auskünften der Händler abgeglichen. Das Resultat war auch hier ernüchternd: In 23 Fällen versicherten die Anbieter wahrheitswidrig, das Produkt würde keine der fraglichen Substanzen enthalten, obwohl diese analytisch nachweisbar waren. Sogar das Gegenteil war der Fall: Viermal wurden bedenkliche Stoffe deklariert, obwohl die Ware völlig sauber war.
Für die Branche gilt offenbar der alte Spontispruch – legal, illegal, scheißegal. Sie konzentriert sich lieber auf die Verbreitung von ausgefeiltem Werbemüll, der uns Kunden auf Schritt und Tritt verfolgt. Ihr geht es wohl nur ums ökologische Image, um den Schein, die Produktwahrheit ist vielen Unternehmen offenbar ziemlich gleichgültig. Um das zu ändern, ruft nun das Umweltbundesamt die Bürger auf, endlich Druck auszuüben und den Handel mit Anfragen einzudecken. Dazu hat es auf seiner Homepage gleich einen Vordruck bereitgestellt. Das Amt rät zu einer "regen Nutzung der Auskunftsrechte, um gegenüber Industrie, Gewerbe und Handel ein Zeichen zu setzen".
Wenn der Verbraucher Auskunft über die "bedenklichen" Inhaltsstoffe begehrt, muss der Händler innerhalb von 45 Tagen antworten – zumindest dann, wenn sich tatsächlich Substanzen aus der Liste mit den "bedenklichen Stoffen" im Produkt befinden. Kriegt der Kunde keine Antwort, kann das heißen, dass keine der fraglichen Substanzen drin sind, oder dass die Anfrage nicht angekommen ist, oder - dass der Händler schwindelt. Welche der drei Varianten zutrifft kann der Kunde nicht erkennen. Aber aufgrund der bisherigen Erfahrungen ist die Antwort nicht mal dann vertrauenswürdig, wenn der Händler sogar die Anwesenheit bedenklicher Inhaltsstoffe einräumt.
Der Kunde kann also die Antwort – so er denn eine erhält – genauso gut in den Müll werfen. Und genau das ist der eigentliche Skandal: Wenn nicht mal eine Bundesbehörde, also quasi der Staat in der Lage ist, für korrekte Auskünfte zu sorgen, was soll dann der Appell an die Verbraucher? Ich weiß nicht so recht, worüber ich mir mehr Sorgen machen sollte: Über fragwürdige Chemikalien, über arrogante Handelshäuser oder doch über die Naivität des Umweltbundesamtes? Mahlzeit!
Literatur:
Becker E: Besonders besorgniserregende Chemikalien in Verbraucherprodukten – Die neuen Auskunftsrechte unter der EU-Chemikalienverordnung REACH. UMID 2012; H.1: 44-47