Rocky Mountain High
In Colorado wird gefeiert wie zum Ende der Prohobition in den 20er-Jahren - allerdings nicht mit Alkohol, sondern mit Gras. Seit die Droge Anfang des Jahres in dem US-Bundesstaat legalisiert wurde, hat sich eine Vielzahl florierender Geschäftszweige entwickelt. Alleine dort werden die Steuereinnahmen für dieses Jahr auf 160 Millionen geschätzt.
Downtown Denver, an einem Samstag um zehn Uhr morgens. Die Stadt im US-Bundesstaat Colorado am Fuße der Rocky Mountains wacht gerade erst auf, aber die Gruppe von sechs Leuten, die sich vor dem Crowne Plaza Hotel eingefunden hat, ist aufgeregt wie Schüler auf einer Klassenfahrt.
Dabei ist Kevins Schnauzer schon längst grau. Er und seine Frau Kelly sind beide 50 Jahre alt und haben extra eine zehnstündige Autofahrt von Oklahoma auf sich genommen, um mit einer Tour die neue, legale Marihuana-Landschaft in Colorado zu erkunden.
Tour-Guide und Ko-Inhaber dieses kleinen Unternehmens, Alex, trägt Sonnenbrille, eine rote Funktionsjacke und hält zu dieser frühen Stunde natürlich einen Kaffee in der Hand. Der 30-Jährige erzählt, wie die Tour aussehen wird, und fragt, was denn jeder so kaufen möchte.
Seit Anfang des Jahres kann jeder US-amerikanische Bürger in eine sogenannte Dispensary in Colorado marschieren und sich pro Tag 28 Gramm Marihuana kaufen. Für Touristen sind die Mengen etwas geringer.
Kevin, der über seinem Harley-Davidson-Shirt eine Lederjacke trägt, und seine Frau Kelly, ganz in Jeans gekleidet, setzen sich in den Bus, machen Platz für zwei Frauen aus Kalifornien, die ebenfalls mitkommen. Eine kleine Gruppe heute, sagt Alex, dessen Firma sich "Mile High Tours" nennt. Eine doppeldeutige Anspielung auf das Ziel und die Höhenlage der Stadt.
Alex selbst ist niemals high. Wie einige Unternehmer in diesem neuen Geschäft, konsumiert er überhaupt nicht, er hält sich lieber an Bier. Doch das hindert ihn nicht daran, den Teilnehmern noch ein paar wichtige Tipps mit auf den Weg zu geben.
"Kommt ihr alle von außerhalb? Ok, dann ein paar Infos, damit ihr in Colorado keinen Ärger bekommt. Es ist legal, Marihuana zu kaufen, Ihr dürft es durch die Gegend tragen, es ist sogar erlaubt, es einem Freund zu geben. Aber ihr dürft das Zeug nicht in der Öffentlichkeit rauchen."
Im Gegensatz etwa zu den Niederlanden findet der neue Rausch hinter verschlossenen Türen im Privaten statt. Coffeeshops wie etwa in Amsterdam gibt es in Colorado nicht. Vielleicht auch deswegen steigen die Verkaufszahlen von sogenannten Edibles rasant an, also Süßigkeiten, die mit Marihuana versetzt sind.
"Falls ihr vorhabt, mit Marihuana versetzte Schokoriegel zu essen – seid sehr vorsichtig. Die Dinger sind unheimlich stark. Wenn ihr den ganzen Riegel esst, liegt ihr schnell in der Ecke und seid zu nichts mehr zu gebrauchen. Wenn ihr also einen Bissen genommen habt, und nach einer halben Stunde immer noch nicht high seid, auf keinen Fall mehr konsumieren. Ich will, dass ihr euch am Ende an alles erinnern könnt, und wir hatten schon ein paar Leute, die es einfach übertrieben haben."
Während Alex den Teilnehmern ein paar Fakten über Denver und Marihuana näherbringt, steuert er den Wagen über den Broadway vorbei an Restaurants und Bars, bis er den Bus vor einem Laden namens New Broadsterdam zum stehen bringt. Das ist der erste Stop auf der Tour. Eine kleine unscheinbare Ladenfront, nur der Name lässt darauf schließen, was sich hinter den Türen abspielt.
Der Pollenstaub für den Extra-Kick
Inhaber Red begrüßt die Gruppe, ein Mann in den Fünfzigern, der eigentlich in der Finanzbranche arbeitet, mittlerweile mit seinem Laden aber so erfolgreich ist, dass er in ein paar Wochen seinen alten Job kündigen will, um nur noch Marihuana zu verkaufen.
Durch eine mit einer Nummernsperre verriegelte Tür führt er die Gruppe in das Gewächshaus, einen 25 Quadratmeter großen Raum, in dem etwa 100 brusthohe Pflanzen stehen. Red übergibt die Gruppe an seinen Grower Morgan, also an denjenigen, der sich um das Wohl der Pflanzen kümmert, und verschwindet im Verkaufsraum.
Kevin und Kelley lassen ihre Hände durch die harzigen Blüten streichen, das Grinsen steht ihnen dick ins Gesicht geschrieben, so einen Raum wollten sie schon immer mal sehen und sie saugen den süßlichen Geruch des Marihuanas ein. Dann verteilt Morgan Joints an die Teilnehmer und fordert sie auf, sie über die Blüten zu rollen. Der Pollenstaub soll den Joints den Extra-Kick geben. Gardeners Delight nennt sich das, aber Kevin und Kelly müssen sich gedulden. Geraucht werden darf hier nicht.
Danach, in dem kleinen Verkaufsraum, lassen sich Kevin und Kelley von den sogenannten Budtendern beraten. Die 20-jährige Brie ist eine von ihnen, hat vorher bei einem Winzer gearbeitet, und legt jetzt den Kunden die Vorzüge der verschiedenen Marihuanasorten wie King Kong, Sour Diesel oder Durban Poison nahe, die sich in einer Vitrine in Einmachgläsern befinden. Sie holt mehrere heraus, öffnet sie und Kevin und Kelley stecken ihre Nase tief rein, während Brie erklärt, was sie da vor sich haben.
"Hier haben wir ein 60 zu 40 Sativa, du wirst also von den 60 Prozent Sativa schön stimuliert, gleichzeitig aber nicht komplett überwältigt wie von einem 100-prozentigen Sativa wie Durban Poison. Die 40 Prozent Indica geben dir ein richtig schönes Körper-High. Meine Freundinnen und ich waren letztens aus und haben genau davon einen Joint geraucht. Wir waren nur am kichern, es war großartig."
Kevin folgt der Empfehlung der Verkäuferin und kauft fünf Gramm Bud Lime. Dazu nimmt er aber auch noch fünf Gramm Durban Poison, zwei Gramm Roughneck, ein Gramm Sour Diesel und eine Packung der berüchtigten, potenten Schokoriegel. Er zückt sein Portemonnaie, zahlt und nimmt den weißen, kindersicheren Umschlag entgegen.
"Zuhause muss ich bei zwielichtigen Gestalten kaufen. Das ist weder schön noch ist es einfach. Hier kann ich mich auf die Sicherheit verlassen, auf die Qualität und habe noch dazu eine Riesenauswahl."
Auf Marihuana-Gesetze spezialisierte Kanzlei
In diesem Sinne ist der Anwalt Brian Vicente ein Art Held für Kevin. Vicente ist 37 Jahre alt, schlank und betreibt in Sichtweite des Capitol Hill eine Anwaltksanzlei in einem braunen Backsteingebäude. Er ist Experte, was den Verfassungszusatz 64 angeht.
"Für mich war das eine sehr persönliche Sache: Ich war der Co-Direktor der Kampagne und einer der Autoren des Amendment 64. Es war ein großartiges Gefühl zu gewinnen, vor allem so deutlich. Jetzt kann das Geschäft endlich losgehen, in legalen Bahnen. Aber unser Land verhaftet auch jedes Jahr 800.000 Menschen wegen Marihuana und in Colorado muss deswegen nun keiner mehr hinter Gitter. Das ist mir wichtig."
Seine Kanzlei spezialisiert sich auf die Marihuana-Gesetze. Im Wartezimmer liegen mehrere Cannabis-Zeitschriften aus. Haben ihm seine Kollegen zu Beginn noch professionellen Selbstmord vorgeworfen, beraten hier inzwischen 20 Anwälte, alle zwei Monate muss er einen neuen einstellen. Der Markt wächst rasant, auch wenn sich viele am Anfang nicht vorstellen konnten, wie diese Legalisierung eigentlich aussehen würde.
"Viele wussten überhaupt nicht, wie die Legalisierung am Ende aussehen würde, sie dachten Marihuana würde an jeder Straßenecke zu haben sein, es würde vom Himmel fallen und in die Hände von Kindern gelangen. Aber was wir hier in Colorado gemacht haben, ist, die Droge genau so zu regulieren wie Alkohol. Und die Regeln sind streng, aber wir sehen, dass es gut für den Staat ist."
Inzwischen sind die kritischen Stimmen so gut wie verstummt. Vor allem die Befürchtungen vor steigender Kriminalität erweisen sich als haltlos.
"Es entstehen neue Jobs, Unternehmer machen jede Menge Geld, wir generieren Steuereinnahmen. All die Gewinne dieses Marktes sind vorher an die Kartelle gegangen, aber jetzt fließen sie auf das Konto unserer Bürger und des Staates."
Brian Vicente trägt einen grauen Pulli, Glatze und spricht gestochen scharf. An der Wand hängen Bilder vom Abend der Entscheidung, sie zeigen ihn, den Arm in die Höhe reckend. Jetzt ist er sich sicher, dass diese Entwicklung in fünf bis sieben Jahren zu einer Legalisierung auf Bundesebene führen wird. Und dann vielleicht auf globaler Ebene. Schon jetzt stehen die Telefone nicht still, die Kanzlei hat Anfragen aus Ländern wie Jamaika, die an ähnlichen Gesetzesentwürfen interessiert sind. Vicente sieht in der Legalisierung als einen historischen Paradigmenwechsel
"Das ist die Prohibition unserer Generation. Unsere Eltern und Großeltern haben noch die Alkohol-Prohibition mitgemacht, das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen. Meine Tochter ist ein Jahr alt und sie wird in einer Welt aufwachsen, in der das Verbot von Marihuana eine gescheiterte Politik der Vergangenheit ist. Das ist eine tolle Sache und absolut historisch."
Etwa 200 Meter Luftlinie entfernt, in der Redaktion der Denver Post, begibt sich Ricardo Baca an seinen Arbeitsplatz. Der 37-Jährige mit der schwarzen Prada-Brille ist der erste Marihuana-Redakteur der Welt und inzwischen musste er schon so viele Interviews geben, dass seine Kollegen genervt sind. Baca ist verantwortlich für die neue Webseite der Post, die sich The Cannabist nennt, und betreut 15 Journalisten, die regelmäßig für ihn arbeiten.
"Wir wollten ausführlicher über Marihuana schreiben, nicht immer nur die Neuigkeiten, sondern auch, wie man mit Marihuana kocht oder wie man die Pflanzen selbst zu Hause züchten kann. Wir waren zwar nicht ganz sicher, ob wir Leser verlieren würden, aber am Ende waren diese Experimente sehr erfolgreich."
Ein weiterer Beweis für den Paradigmenwechsel und die Bewegung weg vom Hippie- und Stoner-Image der Droge hin zu einem Lifestyleprodukt. Auf der Seite rezensieren Marihuana-Kritiker die neuesten Sorten, Rauchgeräte werden vorgestellt und natürlich Geschichten über die ganzen sogenannten "Ganjapreneurs" erzählt.
"Mittlerweile haben wir Segmente, mit denen hätte ich wirklich nie gerechnet. Zum Beispiel eine Kolumne über Marihuana-Aktien. Diese Pennystocks sind superbeliebt und die Menschen wollen unbedingt mehr wissen. Also machen wir Interviews mit Investoren, Beratern, und die Leute schnappen sich wirklich jeden Informationsbissen darüber."
Gerade erst hat Ricardo Baca Whoopi Goldberg als regelmäßige Kolumnistin gewonnen. In ihrer ersten Ausgabe schreibt die Schauspielerin über die Vorteile ihres Vape pens, einem Gerät, mit dem man Cannabis-Öl verdampft und inhaliert.
Glas-Pfeifen als Sammlerstücke
Auch Kevin und Kelly sowie die anderen Teilnehmer der Mile High Tour inhalieren, und zwar den Rauch von qualmenden Joints. Auf einem Parkplatz einer Bäckerei reichen sie ihr Gardeners Delight in die Runde, und der dicke, süßliche Rauch füllt langsam den Wagen.
Etwas abseits auf dem Parkplatz steht Alex und raucht gemütlich eine Zigarette. So etwas sieht er jedes Wochenende – der grüne Tourismus boomt in Colorado.
"Klar, viele unsere Kunden haben Erfahrung mit Marihuana, aber diese Expertise hier und die Qualität, sowas haben die noch nicht gesehen. Das hier ist die schöne neue Welt."
Jetzt ist ungefähr der Zeitpunkt gekommen, an dem die Gruppe tatsächlich Führung braucht, und Alex leitet sie sicher über die Straße zu einem Laden, der sich Illusion nennt und sich als Glass Gallery bezeichnet.
Kevin und Kelly starren fasziniert und natürlich auch ein bisschen high auf die Reihen und Reihen von Glaspfeifen. Von fingerlang bis mannshoch findet sich hier alles; kein Körnchen Staub verschmutzt die Vitrinen.
"Wir wurden zweimal hintereinander als beste Glas-Galerie Amerikas ausgezeichnet und das ist wundervoll, weil wir stolz darauf sind, nur Glas in unserem Sortiment zu haben. Und die Leute denken auch nicht mehr, wir sind irgendwelche Kiffer, nein, wir sind jetzt Künstler, wir machen wunderschöne Dinge. Dabei wurden einige von uns vor ein paar Jahren noch verhaftet und in den Knast gesteckt."
Die 19-jährige Laura berät die beiden aus Oklahoma und das tut sie mit einem Enthusiasmus der ansteckend ist.
"Manche Leute sparen zwei Jahre lang auf so etwas hin. Andere sind aus dem Cannabis-Geschäft und die Droge ist ihr Leben, ihr Einkommen, also wollen sie ein Gerät, mit dem sie das ganze Aroma des Produktes schmecken können, denn nur so können sie es ständig verbessern. Unsere Geräte sind so perfekt und rein, da schmeckst du den kleinsten Fehler im Produkt."
Die Preise der Glaspfeifen reichen von simplen Ein-Dollar-Stücken bis zu elaborierten 60.000-Dollar-Bongs, die von mehreren Künstlern gleichzeitig gefertigt wurden. Inzwischen, sagt Laura, kaufen sogar Sammler diese Rauchgeräte, weil sie sich eine Wertsteigerung versprechen. Kevin und Kelly gehen konservativ mit ihrem Geld um, sie wollen es lieber in Rauchbares umsetzen, am besten im letzten Laden, der auf der Tour liegt, der größte den Denver zu bieten hat.
Wenn der erste Laden auf der Tour heute so etwas wie ein Tante-Emma-Laden war, spielt der Medicine Man in einer ganz anderen Liga. Ein Wachmann öffnet die Tür, der Laden ist groß und aufgeräumt, auf Monitoren sind die Preise für die jeweiligen Sorten dargestellt und hinter den großzügigen Glasvitrinen findet sich alles, wirklich alles, was der Marihuana-Liebhaber begehrt. Von etlichen Grassorten, über Muffins, Brownies, Keksen, Ölen, Wachsen hin zu Bonbons. Und dementsprechend kleben Kevin und Kelley an den Auslagen wie Kinder am Süßigkeitenregal.
Aber erst hinter den Kulissen, erschließt sich die wahre Größe dieses Ladens. Während Kevin und Kelley überlegen, was sie bloß kaufen sollen, überwältigt sind, von so viel Auswahl, kümmert sich Sally Venderver auf der anderen Seite um die Verwaltung, darum, dass alles seinen grünen und vor allem sicheren Gang hier nimmt.
70 Kameras sollen für Sicherheit sorgen, dafür dass den Kunden nichts passiert, aber vor allem auch dafür, dass das ganze Geld nicht wegkommt, das hier gescheffelt wird. Denn fast alle Marihuana-Geschäfte sitzen auf Unmengen von Bargeld, weil die Banken nach Bundesgesetz handeln und das Geld aus dem Drogenverkauf nicht nehmen dürfen.
"Die Banken können unser Geld nicht nehmen, weil das Geldwäsche wäre. Lustigerweise hat aber der Staat kein Problem, wenn wir unsere Steuern damit zahlen. Ich kann keine Lieferanten zahlen ohne der Geldwäsche verdächtig zu sein, aber die Regierung ist dagegen immun. Da wird mit zweierlei Maß gemessen."
Medicine Man ist ein Familienbetrieb, bestehend unter anderen aus den Brüdern Andy und Pete Williams, der Schwester Sally sowie Mutter Michelle. Ein Betrieb, der nach bescheidenen Anfängen rasant wächst. Auf tausenden von Quadratmetern bauen die etwa 50 Mitarbeiter Marihuana an und verarbeiten es weiter, bis es in den Verkauf kommt.
Sally Venderver: "Am Anfang war es tatsächlich nur die Familie, die hier auf dem Boden saß und das Gras den lieben langen Tag zurecht geschnitten hat. Was hatten wir für einen Spaß dabei, wir haben soviel gelacht."
Die 47-Jährige schaut in der Aufzuchtstation vorbei, in der etwa tausend Pflanzen hochgezogen werden. Reihen und Reihen der Cannabis-Gewächse füllen den Raum, bis unter die drei Meter hohe Decke, und der süßliche Geruch hängt dick in Luft. The Green Mile nennt Sally diesen Raum, die grüne Meile.
"Der Gestank war unvermeidbar"
Wenn die Pflanze am Ende ihres Lebenszyklus ist und das beste an Blüte und Harz produziert hat, kommt das Material in den Trimming Room, ein länglicher Raum von etwa 30 Quadratmetern, in dem zwölf Mitarbeiter mit Scheren das Gras zurechtschneiden.
"Sie nehmen die Pflanze und schneiden die Blätter weg. Aus manchen wird Joint Mix, der Großteil geht zu einem Esswaren-Hersteller. Wenn nur noch die Blüten übrig sind, geht es rüber in den Trockenraum."
Die Mitarbeiter nennen diese Abteilung den Zen-Raum, viele haben Kopfhörer auf und schnippeln in Ruhe dahin, bis sie ihre Tagesquote von 5000 Gramm geschafft haben. Jeder, der in diesem Geschäft arbeiten will, muss einen amtlichen Eignungsprozess durchlaufen.
"Die Mitarbeiter müssen auf dem Amt eine Menge Papierkram ausfüllen, sie werden auf Steuerschulden und Vorstrafen geprüft, und den Ausweis bekommt man nur, nachdem Fingerabdrücke archiviert wurden."
Nach dem Schnitt kommt das Gras in den Trockenraum. Dort wird es in bibliotheksähnlichen Regalen aufgehängt, trocknet sieben bis zehn Tage, dann geht es nach vorne in den Verkauf, wo Kevin und Kelley sich über die hohe Qualität freuen.
Auf der anderen Seite dieser Halle baut die Familie noch mal eine ebenso große Fläche an. Drei Millionen investieren sie in die Ausbau, gekoppelt mit einer klaren Vision.
"Wir wollen der ganzen Welt zeigen wie wundervoll Marihuana sein kann. Wir stellen uns ein Apple-Feeling vor: Viel Weiß, große Fenster, dass die Leute sehen können, was hier passiert. Wir wollen die Menschen informieren und hoffentlich haben wir bald so etwas Cooles wie ein Marihuana-Museum und werden zu einem Reiseziel für Touristen."
Sally geht hinüber zu ihrem Bruder Andy, der selbst Ingenieur ist, und hört, wie er mit einem der Arbeiter über den Fortschritt diskutiert. Andy ist hochgewachsen, hat einen Wohlstandsbauch, scharfe und wache Augen.
"Das ist die am schnellsten wachsende Industrie in den USA, vielleicht sogar in der Welt. Wir sind Pioniere und jeder, denn ich kenne, arbeitet sehr hart um zu expandieren, weil jetzt dafür die Zeit ist, und nicht in fünf Jahren. Jeder will eine Führungsrolle und wir sind froh, schon da zu sein."
Und wer jetzt nicht expandiert, um die Kosten nach unten zu treiben, sagt er, wird auf der Strecke bleiben. In den Bergen bauen sie gerade ein weiteres Gewächshaus und eröffnen weitere Filialen. Andy redet wie ein Getriebener, vor allem, wenn es darum geht, dass die Legalisierung bald bundesweit sein könnte. Doch damit es soweit kommt, müsse in Colorado alles richtig laufen.
"Wir fühlen uns auch dafür verantwortlich, das Stigma abzubauen. Viele glauben, wir sitzen hier im Keller, ein paar Kiffer, die stoned den Pflanzen beim Wachsen zuschauen. Aber dann kommen sie her, und sehen, wie professionell alles ist, sie sehen Jobs und sie sagen: Hey, das ist eigentlich wie die Bier-Industrie. Erwachsene Menschen, die in ihrer Freizeit einen Joint wie andere ein Bier genießen."
Das Familienunternehmen zahlt laut eigenen Angaben etwa 1,5 Millionen Dollar im Jahr an Löhnen bei einem Umsatz von mehr als zehn Millionen. Tendenz steigend.
Sally lässt ihren Bruder weiterarbeiten und sagt ihrer Mutter Hallo. Die 67-Jährige mit der Bobfrisur sitzt in einem kleinen Büro und lässt Dollarscheine durch eine Zählmaschine laufen. Sie war es auch, gemeinsam mit ihrem Mann, die dieses Unternehmen erst möglich gemacht hat.
Mutter: "Wir saßen am Esstisch und er klappte seinen Computer auf. Er wollte, dass wir investieren und wir sagten, ok, in was denn? Als er meinte, Marihuana, war ich natürlich geschockt. Ich hatte da ja keine Ahnung davon. Aber seine Planung war sehr detailliert und da dachten wir: Das hört sich nach einem guten Investment an."
Weder Mutter noch Tochter rauchen oder konsumieren Marihuana, aber Geschäft ist Geschäft.
"Als ich hier anfing, stank ich immer so nach Gras, dass meine Kinder schon sagten: Komm so bloß nicht zum Elternabend! Der Gestank war unvermeidbar. Aber jetzt liebe ich den Geruch. Es riecht frisch, und es riecht nach Geld. Wer könnte diesem Geruch schon widerstehen?"
Auf der anderen Seite, im Verkaufsraum, stehen Kevin und Kelley an der Kasse, glücklich wie erfolgreiche Jäger.
Kevin: "Wir haben verschiedene Sorten Marihuana gekauft. Außerdem Wax, ein bisschen Kif, Hasch-Öl, eigentlich von allem ein bisschen, das kriegst du sonst doch nirgends."
Der Joint vom Parkplatz wirkt immer noch nach, es wird ruhig im Bus. Während Alex den Wagen zurück zum Hotel steuert, fallen dem einen oder anderen hinten die Augen zu.
"Die Entwicklung ist wirklich lustig. Am Anfang ist jeder noch schüchtern, aber nach einem Joint werden dann alle beste Freunde, alle sind am teilen, und am Ende ist einfach nur jeder durch."
An der Hotelbar bestellen sich Kevin und Kelley noch eine Cola, ein Bier muss es nach dem starken Gras jetzt nicht unbedingt sein. Die beiden hören gar nicht mehr auf zu grinsen, dass sie ihr Budget von 500 Dollar um mehrere Hundert überzogen haben, macht sie überhaupt nicht unglücklich.
Kevin: "Es ist toll, nicht mehr in dieser Schattenwelt zu sein, zu sehen, dass es jetzt ein legitimes Geschäft ist. Wie kontrolliert alle damit umgehen, wie sicher, wie professionell. Jeder war so hilfreich und alle hatten eine Menge Ahnung. Die wussten Bescheid für den Fall, dass du Schmerzen hast oder für den Fall, dass du einfach nur Spaß haben willst."//
Morgen werden die beiden wieder zurück nach Oklahoma fahren, und die Menge an Drogen, die sie hier legal gekauft haben, über die Staatsgrenze schmuggeln. Aber vielleicht nicht mehr lange. Denn es ist nur eine Frage der Zeit bis der nächste Bundesstaat Marihuana legalisiert und in den grünen Rausch einsteigt.
Fredy Gareis: "Es ist unheimlich spannend zu sehen, mit welchem Pioniergeist die Amerikaner an die Legalisierung von Cannabis herangehen. Und es ist typisch amerikanisch, wie schnell sich ein florierender Wirtschaftszweig entwickelt, viele große und kleine Unternehmen, wie viele Jobs entstehen und wie die die Droge Marihuana gerade aus der Schattenwelt geholt und zu einem Lifestyle-Produkt gemacht wird."