Legendärer Indianerführer

Von Günter Beyer |
Nicht nur als genialer Bisonjäger ging Sitting Bull in die Geschichte ein. Sein Meisterstück war die strategische Vorbereitung der legendenumwobene Schlacht gegen die US-Kavallerie unter General George Custer am Little Bighorn 1876. Das Bremer Übersee-Museum präsentiert auf 800 Quadratmetern "Sitting Bull und seine Welt". Spektakulärstes Ausstellungsstück sind die Leggings des berühmten Indianerführers.
Der große kräftige Mann trägt zur Blue Jeans eine türkisfarbene Bluse mit farbigen Bändern. Sein dichtes schwarzen Haar ist zu Zöpfen geflochten. Bewegungslos betrachtet er eine Museumsvitrine.

"Diese Leggings trug mein Urgroßvater, als er getötet wurde."

Der Urgroßvater - das war der berühmte Indianerführer Sitting Bull, der 1890 von US-Soldaten erschossen wurde. Earnest LaPointe, der Urenkel, hat sich lange mit den Behörden herumgestritten, hat den Familien-Stammbaum recherchiert um zu beweisen, dass er ein direkter Nachkomme von Sitting Bull ist. Einem US-Bundesgesetz zufolge müssen amerikanische Museen religiöse, kulturelle und spirituelle Habseligkeiten verstorbener Indianer an die Nachkommen zurückgeben.

Earnest LaPointe deutet auf einen kleinen Zopf am Hinterkopf. Man hatte ihn dem toten Sitting Bull abgeschnitten. Erst nach gutem Zureden hatte sich der Urenkel bereit erklärt, die Leggings aus seinem Haus in South Dakota nach Bremen mitzubringen. Sie gehören nun zu den spektakulärsten Exponaten der Schau "Sitting Bull und seine Welt" im Übersee-Museum. Wiebke Arndt, die Direktorin:

"Das ist tatsächlich eine Geschichte, die sehr spannend ist, von der großen Freiheit hin in die Reservation anhand der Biografie eines Menschen zu erzählen. Das ist etwas, was man sonst immer eher aus dem Kino und dem Roman kennt und in Museen nicht so üblich ist."

Natürlich muss jedes Museum vor dem Versuch kapitulieren, den sinnlichen Eindruck der unermesslichen Prärie, den Lebensraum der Lakota-Indianer, auf 800 Quadratmetern darzustellen. In Bremen behilft man sich mit mit einem mächtigen, freilich ausgestopften Bison. Im Hintergrundpanorama sind grasende Rinder auf eingebauten Monitoren zusehen.

Davon abgesehen, vermitteln die zahlreichen Leihgaben einen dichten Eindruck vom Alltag der Lakota-Nomaden: ein Tipi-Zelt, die unterschiedliche Lederkleidung der Männer, Frauen und Kinder, Spielzeuge und ungewöhnliche Waffen wie eine Kugelkopf-Keule, in die ein spitzer Eisendorn eingelassen ist.

Aber schon 1831, als Sitting Bull geboren wird, ist die Welt der indianischen Bisonjäger fest eingebunden in den internationalen Warenaustausch: Händler holen gegerbte Felle, die vor allem für Transmissionsriemen in der aufstrebenden Industrie gebraucht werden, und liefern Glasperlen für indianische Mokassins. Für Christian Feest, Direktor des Museums für Völkerkunde in Wien, den Kurator der Ausstellung, ist Sitting Bull der Prototyp eines Erfolgsmenschen.

"Er ist in einer guten Familie geboren worden, er war erfolgreich, hat im Alter von zehn Jahren seinen ersten Bison erlegt, mit 14 Jahren seinen ersten Kriegsruhm eingebracht, hat eine steile Karriere als Krieger gehabt, hat viele Anhänger gehabt, alles, was er angepackt hat, war eigentlich erfolgreich."

Sein Meisterstück war die strategische Vorbereitung der legendenumwobene Schlacht gegen die US-Kavallerie unter General George Custer am Little Bighorn 1876. An ihr hat Sitting Bull zwar nicht persönlich teilgenommen, den Ausgang als "Weiser Mann" aber vorausgesehen. Doch der Sieg der Lakota kann nicht verhindern, dass die Weißen immer weiter in die Prärien vordringen, dass die großen Bisonherden ausgerottet werden. Und dass viele Indianer den Kampf für ihre Freiheit verloren geben ...

"... und er plötzlich in einer Welt gestanden ist, die sich verändert hatte, und die mit seinen Idealen nicht mehr vereinbar war. Das ist die Tragik, dass am Schluss die Leute, deren Häuptling er zu sein geglaubt hat, ihm nicht mehr gefolgt haben, weil sie andere Ziele verfolgt haben, als er sie vertreten hat."

Die Ausstellung spart nicht die dunklen Kapitel seines Lebens aus - Sitting Bulls Übersiedlung in die Standing Rock-Reservation und sein viermonatiges Engagement in Buffalo Bills skurriler "Wild West" Völkerschau. Eine Fülle von Fotos, Zeitungsartikeln und Karikaturen macht deutlich, dass die Niederschlagung der Indianer stets von Medien begleitet und kommentiert wurde, die schon früh am Mythos vom "roten Napoleon" bastelten.

Leider deutet die Ausstellung nur an, unter welch elenden Bedingungen viele Nachfahren von Sitting Bull heute in den Reservationen leben. Indianische Handwerksarbeiten für touristische "Gift Shops" geben zwar einen Hinweis auf die dünne ökonomische Basis der Reservationen, Armut, Alkohol und Drogen bleiben ausgespart. Ob das besser wird, wenn Amerikas erster nichtweißer Präsident sein Amt antritt? Earnest LaPointe, der 60-jährige Urenkel und Vietnamkriegs-Veteran, ist skeptisch:

"Ich weiß nicht. Ich bin da wie mein Urgroßvater. Es spielt keine Rolle, wer in Amerika Politik macht. Man kann ihm nicht trauen. Egal, ob er weiß, schwarz, gelb, purpurfarben, pink oder vom Mars ist. Ich traue ihm nicht."