Legendäres Musikfestival

Immer noch high in Woodstock

Woodstock Festival 1969
Woodstock 1969: Damals strömten fast eine halbe Million Amerikaner zum spektakulärsten Festival der Rockgeschichte im Bundesstaat New York. © imago/United Archives
Von Kai Clement |
Hunderttausende singende und tanzende Menschen, berauscht und fröhlich. Was heute als größtes Hippie-Event der Musikgeschichte gilt, war 1969 auch als Protest gegen den Vietnamkrieg gedacht. Die Anwohner sind heute immer noch davon berauscht.
Kann ein Örtchen mit nicht einmal 6000 Einwohnern eine weltweit bekannte Marke sein? Woodstock kann. Wir sind die berühmteste Kleinstadt der Welt, sagt Bürgermeister Jeremy Wilber, mit Ausnahme von – ausgerechnet! – Bethlehem.
Im Ortskern trifft vor der reformierten Kirche die Tinker Straße im rechten Winkel auf die Mill Hill Road. Hier bieten ihre Dienste an Euphorie Yoga, eine Hellseherin und viele, viele Souvenirläden etwa mit T-Shirts für Hippies – oder wohl eher Pseudo-Hippies – anerkannt von Woodstock, so der Schriftzug. Was hier gestern stattfand – also 1969 mit dem überwältigenden, dem überbordenden Festival 70 km südlich des Örtchens – das ist der Motor, der unsere heutige Wirtschaft antreibt, sagt der Bürgermeister.
"Viele Leute kommen hierher, um das Örtchen zu erleben, das für sie so viele Ideen und Strömungen geboren hat, die aus den 60ern hervorgegangen sind."
Sie können sich einen sonntäglichen Trommelkreis ansehen. Ein schamanistisches Seminar besuchen. Sie können sich buddhistisch inspirieren lassen. Oder gleich hier bleiben. Viele Immobilienmakler versorgen wenig Einwohner. Makler mit so schönen Namen wie Win Morrison, aber das ist natürlich ein Zufall und keine Anspielung auf den Rockmusiker. Stilisierte E-Gitarren säumen wie eine kleine Allee die Hauptstraße. Dan McCabe arbeitet inmitten echter Gitarren – im örtlichen Music Store.
"Bob Dylan hat hier gelebt mit Band und Jimi Hendrix und Janis Joplin – in den 60ern war es richtig gut. Dann aber ging es bergab, die vergangenen 15 Jahre waren ziemlich langweilig aber es wird gerade wieder besser."
Die musikalische Hoffnung Woodstocks? Gitarrist und Bassistin auf dem jeden Mittwoch stattfindenden Bauernmarkt klingen nicht danach.
Woodstock steht immer noch für alternative Lebensformen
Filmfestival, Comedyfestival, Musikfestivals, Kunstzentren und Galerien – Woodstock steht auch heute noch für Kultur und alternative Lebensformen. Eine gute, eine gesunde Dosis von Non-Konformität – so nennt es der Bürgermeister.
Im September kommt noch ein Festival hinzu. Das Woodstock Friedensfestival – Auftakt ist am Internationalen Friedenstag der Vereinten Nationen, die haben ihren Sitz ja auch nur zwei Autostunden weiter südlich in Manhattan. Michael Raphael organisiert das – zunächst wohl eher klein – ausfallende Treffen, erzählt er am Falafel Stand auf dem Bauernmarkt.
"Wie können wir mehr für den Frieden tun und nicht einfach nur die Stadt des Friedens sein? Ich hatte die Idee, diese Phantasie, junge Menschen aus Kriegsgebieten, in denen ich auch schon war, nach Woodstock zu bringen, sie das Leben hier erfahren zu lassen."
Frieden – auch spirituell zu finden. In einem non-konformistischen Ort. In den grünen Hügeln der Catskills. Vermutlich eine eher verwirrende Erfahrung für einen Bürgerkriegsflüchtling aus Syrien oder Libyen. Aber eine weitere Zutat für das so bunte und doch so weiße Woodstock.
"Wir sind noch immer eine Hippiestadt. Mit der alten Garde, wie wir sie nennen, und dann die ganzen jungen Familien wie meine mit zwei Kindern. Nach den Anschlägen in New York wollten wir sie nicht mehr in der Stadt aufwachsen lassen."
Bürgermeister Jeremy Wilber hat als 18-Jähriger zu seinem Ärger das große Happening rund um Frieden, Liebe, Drogen, Sex und Rock’n’Roll verpasst, weil er in Woodstock kellnerte. Er steht in seinem Büro unter dem Bild von Präsident Abraham Lincoln mit dessen strengen Blick – und schmunzelt. Ja, hier liegt immer noch was in der Luft, sagt er, wir sind ein bisschen high.
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