"Legitim ist alles das, was dem Frieden aller dient"

Bischof Franz-Josef Overbeck
Bischof Franz-Josef Overbeck © Nicole Cronauge
Moderation: Philipp Gessler |
"Krieg ist ein großes Übel und bringt ganz viel Unheil mit sich - das zu verhindern ist das Allerwichtigste", sagt Militärbischof Franz-Josef Overbeck. Das Konzept der christlichen Religion sei es, dass "Frieden das Werk der Gerechtigkeit ist". Darum sei Prävention das oberste Prinzip der Schutzverantwortung.
Moderator: Wir wollen in dieses schwere Thema noch etwas tiefer dringen. Zum Thema Schutzverantwortung hatte ich die Möglichkeit, den katholischen Militärbischof Franz-Josef Overbeck zu interviewen. Overbeck ist der Bischof von Essen. Er sagt: "Es gibt keinen gerechten Krieg." Zumindest in den vergangenen Jahrzehnten hat die katholische Kirche Gewalt als Mittel der Außenpolitik grundsätzlich immer abgelehnt. Meine erste Frage an Bischof Overbeck war, ob nicht das neue Konstrukt der Schutzverantwortung im Internationalen Recht diese Position der Kirche nun aufweicht.

Franz-Josef Overbeck: Der Krieg ist immer etwas, was zu verhindern ist. Das ist der erste und wichtigste Satz, der immer zu sagen ist und dem sich alles andere unterzuordnen hat. Es gibt aber immer die ganz konkreten Konflikte, die nicht einfach bearbeitet werden können, sondern die bedeuten, auch klug die Menschenrechte der betroffenen Regionen und der Menschen, die dort leben, zu achten beziehungsweise zu schützen. Und da es solche Konfliktregionen weiterhin gibt, bedeutet es, die Verantwortung, die dann bleibt, wahrzunehmen, und dazu gehört eben Schutzverantwortung. Es gibt so viele Konfliktbereiche heute, in denen Menschen Opfer werden der Interessenlagen ganz anderer mit vollständig anderen Zielen, und dass es wichtig ist, dass wir als Kirche sagen: Die müssen geschützt werden um der Menschenrechte willen, die ja nicht nur ein Individualrecht sind, sondern zugleich auch ein soziales Recht für alle, das geschützt werden muss. Darum braucht es sie.

Moderator: Vor ungefähr zehn Jahren hat sich der Papst vehement gegen den Krieg im Irak ausgesprochen. Wir haben alle noch diese Wörter in Erinnerung. Wenn man die Schutzverantwortung ernst nimmt, war dann nicht doch der Einmarsch in den Irak gerechtfertigt?

Overbeck: Die Folgen dieses Krieges sind so desaströs wie viele, viele andere Folgen auch. Ich erlebe vor allen Dingen für uns Christen, dass gerade in den folgenden Jahren dieses Krieges viele aus dem Irak haben fliehen müssen, obwohl es eines der Ursprungsländer des Christentums ist. Und von daher gesehen ist mir an dieser Stelle wichtig: Es muss alles getan werden, Kriege zu vermeiden. Und Papst Johannes Paul II., geprägt durch seine eigene Lebensgeschichte, war jemand, der zutiefst davon überzeugt war: Krieg ist ein großes Übel und bringt ganz viel Unheil mit sich - das zu verhindern ist das Allerwichtigste. Wenn es denn nicht zu verhindern ist, muss man alles tun, das Übel möglichst gering zu halten und vor allen Dingen die Menschen zu schützen und ihre Rechte zu garantieren.

Moderator: Das heißt, die Position des Papstes von damals war auch in der Rückschau richtig?

Overbeck: Sie war richtig und bleibt richtig.

Moderator: Die evangelische Kirche diskutiert ja in den letzten Jahren häufig mit diesem Schlagwort eines gerechten Friedens. Ist durch die Schutzverantwortung das Konzept des gerechten Krieges wieder aktuell geworden?

Overbeck: Es kann nur darum gehen, dieses alte Konzept, das sich ja einer anderen Denkwelt und einer anderen historischen Situation verdankt, zu überwinden. Es gibt keinen gerechten Krieg. Man kann nur alles dafür tun, dass Frieden herrscht und da auch erinnern, dass die Bibel selbst ja schon weiß, dass Frieden das Werk der Gerechtigkeit ist unter dieser Rücksicht. Und vor allen Dingen bedeutet das, die Menschen zu schützen, ihre Rechte nach vorne zu bringen und nicht nur, dafür zu sorgen, dass Schutzverantwortung als Konzept für diese konfliktiven Regionen an Bedeutung gewinnt, sondern auch gleichzeitig alles getan wird, um solche Konflikte präventiv zu verhindern, und wenn sie geschehen sind, alles zu tun, wieder für eine neue, lebenswerte und die Rechte der Menschen schützende Gesellschaft zu sorgen, die aber vor allen Dingen die Rechte und Pflichten derer ernst nimmt, um die es geht.

Moderator: Was bedeutet denn die Schutzverantwortung zum Beispiel konkret jetzt in Bezug auf den Bürgerkrieg in Syrien? Könnte die Schutzverantwortung das Liefern von Waffen an die Rebellen legitimieren?

Overbeck: Legitim ist alles das, was dem Frieden aller dient, und nicht Interessengruppen, die sich dann wieder gegen andere verbünden und neues Unheil über andere bringen. Das macht die Situation in diesem Land, soweit ich es sehen kann, so unendlich schwierig, weil so undurchschaubar. Das ist für politische Entscheider und für die dann daraus resultierenden Folgen das große Problem, das in diesen Tagen existiert. Mir ist an dieser Stelle wichtig, alle politisch verantwortlichen Akteure dazu aufzurufen, die konfliktive Situation in ihrer Kompexität wahr- und ernstzunehmen, die nicht nur Militär und Politik, sondern auch Geschichte und Religion und ja auch den gesamten Bereich des Mittleren und Nahen Ostens in den Blick nimmt, nicht nur wahr-, sondern auch ernst- und anzunehmen und von daher Entscheidungen zu treffen. Das ist dasjenige, was die Aufgabe der Kirche ist, das so zu sagen, damit die Rechte aller Menschen geschützt bleiben.

Moderator: Das heißt, es scheint so zu sein, dass die katholische Kirche selbst in diesem Konflikt oder dieser konkreten Frage - Waffen an die Rebellen - recht ratlos ist?

Overbeck: Es ist eine so komplexe Situation, von der ich sagen kann, dass sie keine einfache Lösung, die dann wirklich zu einem guten Ziel führt, momentan jedenfalls, auf der Agenda der Tagespolitik sehen kann.

Moderator: Aber ist nicht manchmal auch das prophetische Reden nötig, dass man eben, obwohl man weiß, dass man es vielleicht nicht verhindern kann, dann trotzdem eine Position einnimmt, die vielleicht in der Tagespolitik dann keine Wirkung hat, siehe zum Beispiel diese große Rede von Johannes Paul II. gegen den Irakkrieg?

Overbeck: Papst Johannes Paul II. hat damals sehr deutlich gesehen, dass jede Form von Krieg noch viel mehr Opfer hervorbringt als die Situation vorher. Und unter dieser Rücksicht ist auch in diesem Konflikt, den Sie angesprochen haben, zu sagen: Es ist alles zu tun - und das ist wirklich prophetisch -, was allen dient, und nicht nur einer kleinen Gruppe.

Moderator: Damit ist aber die konkrete Antwort nicht gegeben.

Overbeck: Die müssen auch die entsprechenden Politiker in dieser Klugheit zu geben versuchen, dass sie sich nicht auf falsche Parteinahmen einlassen und dann noch mehr Opfer produzieren als eh schon produziert sind, und das ist alles schon unvorstellbar.

Moderator: Ist denn das zusätzliche Problem in Syrien, dass tatsächlich dieser Konflikt zunehmend auch religiös aufgeladen wird?

Overbeck: Zumindest sehe ich nach den Erfahrungen, die der Irakkonflikt nach sich gezogen hat, dass es immer wieder dann große religiöse Herausforderungen gibt. Im Irak hat das zum Exodus vieler, seit unvordenklichen Zeiten dort lebender Christen geführt. In Syrien droht ein ähnlicher Konflikt, sagen zumindest solche, die die Situation vor Ort gut kennen, und das glaube ich auch in der Tat, sodass da verschiedene Rechnungen - in Anführungsstrichen - beglichen werden, vor denen uns nur Gott behüten möge, damit möglichst viele Menschen hoffentlich auf Dauer wieder in Frieden leben können.

Moderator: Haben Sie denn die Befürchtungen, selbst wenn die Rebellen in Syrien gewinnen würden, dass dann am Ende auch die Christen in Syrien die Leidtragenden sind?

Overbeck: Es sind schon so viele Menschen Leidtragende geworden, dass es sicherlich auch Christen sein werden, aber sicherlich genauso viele Menschen anderer Religionen, und jeder Leidtragende ist einer zuviel.

Moderator: Aber gerade die syrischen Rebellen sind ja oft geprägt durch muslimische oder islamistische Kämpfer. Also könnte es sein, dass da vielleicht ein muslimischer Staat danach entstehen könnte.

Overbeck: Das Problem ist, dass es in diesen Regionen momentan zu politischen Entwicklungen kommt, die durchaus extreme Positionen beziehen. Die kann niemand wollen, weil sie das ja so labile und fragile Gleichgewicht der Kräfte im Nahen Osten derartig zerstören, dass noch mehr Menschen Opfer werden als es schon geworden sind. Und ich kann als katholischer Bischof nur sagen: Die Kirche selber hat in 2000 Jahren viele leidvolle Erfahrungen damit gemacht, Extreme auf der einen oder anderen Seite hervorzubringen. Da ist mir wichtig, deutlich zu sagen: Es geht darum, alle, die dort leben mit ihren angestammten Rechten aus unterschiedlichen geschichtlichen und religiösen Zusammenhängen mögen dort wohnen bleiben und eine neue Form des friedlichen Zusammenlebens finden. Es darf da keine Extremisten geben.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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