Lehm und Bronze

Von Adolf Stock |
Feuerbestattungen sind in Deutschland sehr populär. Da stellt sich die Frage: wohin mit den Urnen? Die kleine niedersächsische Gemeinde in Markoldendorf hat angesichts des Rückgangs der Kirchgänger die Marienkapelle zu einem Kolumbarium umgewandelt, also eine Urnenbegräbnisstätte.
Pastor Gunnar Jahn-Bettex, ein Gemeindemitglied, zwei Professoren und eine junge Studentin sind in die kleine Marienkapelle gekommen. Hier wird demnächst umgebaut, um Platz für 600 Urnen zu schaffen.

Sankt Marien wurde Ende des 18. Jahrhunderts erbaut. 1770 war der Vorgängerbau so gebrechlich, dass er abgerissen werden musste. Ein Getreidehändler spendete das Geld für eine bescheidene Barockkapelle, die ganz auf die liturgischen Bedürfnisse der protestantischen Gemeinde ausgerichtet ist.

Gunnar Jahn-Bettex: "Wir haben eine Empore auf der Westseite. Auf dieser Empore befindet sich eine historische Orgel. Gegenüber haben wir den Kanzelbereich, die Kanzel darüber, als sogenanntes Schwalbennest. Ein blaues Tonnengewölbe, in so einem Blaugrau ..."

Während der Pastor die Marienkapelle beschreibt, steht Wolfgang Kramer neben ihm. Der mittlerweile pensionierte Lehrer kümmert sich im Kirchenvorstand schon seit den 60er-Jahren um die Belange der Gemeinde. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Heimatvertriebene in den protestantisch geprägten Ort. Es waren meist Katholiken:

"Als ich hier herkam, wurde sie von der katholischen Gemeinde genutzt als Gottesdienstraum und war in einem baulich desolaten Zustand. Als die katholische Gemeinde sich dann entschied, eine eigene Kirche zu bauen, da hatte der Kirchenvorstand das Problem."

Neben der weitaus größeren neogotischen Martinskirche blieb die Marienkapelle ein ständiges Sorgenkind. Wolfgang Kramer erinnert sich noch, wie erstmals über eine neue Nutzung für die kleine Kapelle nachgedacht wurde:

"Man hatte Angst davor, es könnte hier vielleicht eine Disco reinkommen oder ein Café oder so etwas. Die Tatsache, dass sie weiter in kirchlicher Nutzung bleibt, hat eigentlich die meisten überzeugt. Es kamen dann Bedenken, die Nachbarschaft könnten Schwierigkeiten machen, das waren aber gar nicht die Nachbarn, sondern andere, die sich um die Nachbarn Sorgen machten. Also ich denke, im Großen und Ganzen ist die Mehrheit innerhalb der Bevölkerung Markoldendorfs jetzt der Meinung, dass es eine gute Lösung ist, wenn hier eine Urnenbegräbnisstätte eingerichtet wird."

Entwidmung, Fremdnutzung oder gar Abriss bleibt der Marienkapelle erspart. "Eigennutzung geht vor Fremdnutzung" bringt es Pastor Jahn-Bettex auf den Punkt. Nach der Entscheidung suchte die Gemeinde Kontakt zur Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Holzminden. Der Stadtplaner Walter Krings, der Geotechniker Georg Maybaum, die Architektin Birgit Franz und zehn Studenten haben damals begonnen zu planen.

Zunächst sollte gerade den jungen Leuten ein emotionaler Zugang zu der gestellten Aufgabe vermittelt werden.

Birgit Franz: "Weil wir Architekturstudierende haben, die sich klassischerweise mit der Baugeschichte, mit dem Entwerfen befassen, mit der Technik, aber vielleicht eher am Rande mit der Religion, mit der Literatur, der Musik und Kunstprojekten. Und das war uns gerade in den ersten Wochen ganz wichtig, dass wir all diese Dinge mit den Studierenden diskutiert haben, und von daher so eine ganzheitliche Sicht erstmal auf das Thema Leben und Sterben vorbereitet haben, bevor es in den Entwurf ging."

Die Studentin Haike Bäsler machte eine ganz neue Erfahrung:

"Die Professoren haben uns schon sehr gefühlvoll und langsam damit vertraut gemacht. Der Herr Jahn-Bettex hat uns besucht, hat uns begleitet, hat uns auch noch einmal seine Sicht erläutert, und insofern konnten wir uns eigentlich sehr gut auf diesen Entwurfsprozess einstimmen."

Gunnar Jahn-Bettex: "Ich habe ein einziges Lied eingespielt und damit versucht, einen Draht herzustellen zwischen mir und den Studierenden. Dieses Stück von einer Gruppe namens Hiss heißt 'Friedhofspolka'."

In der Anfangsphase sind die Studenten durch ganz Deutschland gefahren, um sich Kolumbarien anzuschauen. Sie haben mit den Menschen vor Ort gesprochen und sich für ihre Erfahrungen interessiert. Erst danach, sagt Georg Maybaum, begann die Arbeit an dem Entwurf:

"Die Studierenden haben die Menschen befragt, und die Erfahrung ist, dass die Menschen das sehr, sehr gut finden. Und wenn man daran denkt, dass natürlich auch die Anverwandten meistens älter sind, die fühlen sich in einem geschlossenen Raum viel wohler, als das vielleicht auf einem kalten Friedhof ist. Insofern glauben wir, dass das eine gute Sache ist, pragmatisch gesehen, aber auch von der Emotion."

Im Januar 2011 haben die Studenten ihre Entwürfe in einer kleinen Ausstellung vorgestellt. Dabei spielten die Materialien Lehm und Bronze eine zentrale Rolle: Lehm als Sinnbild der Vergänglichkeit und Bronze als Symbol für Bestand und Dauer.

Birgit Franz: "Alle zehn Entwürfe sind sehr verschieden geworden. Die einen, die mit Stelen gearbeitet haben, sicherlich auch eine Affinität zu dem Gedanken heute, dass man eben in Friedwäldern oder Ruhewäldern bestattet wird. Wichtig ist ein Gedanke, dass man christliche Symbolik widerspiegelt, so hatten wir einen Entwurf, das Labyrinth, der aus Wänden und Stelen eine labyrinthartige Skulptur frei in der Marienkapelle aufgestellt hat. Und auch in den Bronzenischenverschlüssen dieses Labyrinth-Symbol gespiegelt hat."

Der Entwurf "Hoffnung" von Haike Bäsler konnte die Gemeinde spontan überzeugen. Er soll nun umgesetzt werden.

Die Achsbeziehung zwischen Orgel und Kanzel bleibt erhalten. Alte und neue Elemente sollen sich gegenseitig aufwerten. Niedrige Stampflehmwände trennen die Urnenstelen von dem Andachtsbereich im vorderen Teil der Kapelle. Sie sind etwas höher und dominieren den streng geometrisch geordneten Raum. Jede Stele ist für dreißig und manchmal auch mehr Urnen vorgesehen. Rund 500.000 Euro wird der Umbau kosten. Wenn alle Gremien zugestimmt haben, beginnen Anfang 2012 die Bauarbeiten. Mit dem Einzug der Toten soll dann neues Leben in das kleine Gotteshaus ziehen. Pastor Jahn-Bettex ist am Ende wichtig, dass es eine Begräbnisstätte für alle Bürger wird.

Gunnar Jahn-Bettex: "Jeder, der das möchte, kann seinen Willen bekunden und hier beigesetzt werden. Das ist uns wichtig, weil wir ganz stark der Überzeugung sind, dass nicht wir entscheiden, wer zu Gott gehört, sondern Gott selbst. Und wer das ertragen kann, ist hier herzlich willkommen."

Die letzte Ruhestätte wird etwas teurer als auf den örtlichen Friedhöfen sein. Ein Urnenplatz wird zwischen 1000 und etwa 4000 Euro kosten. Aber das ist kein Problem, die ersten Anfragen gibt es schon.