Lehrer als Quereinsteiger in Brandenburg

"Besser, der Unterricht fällt aus"

Grundschüler und eine Lehrerin während einer Unterrichtsstunde in einem Klassenzimmer
In den Brandenburger Grundschulen müssen zwei Drittel Seiteneinsteiger eingestellt werden, sagt die Gewerkschaft GEW. © imago / Photothek
Von Vanja Budde |
In Brandenburg fehlen bundesweit die meisten Lehrer. Wer einen Hochschulabschluss hat, kann in den Beruf einsteigen. Bei ausgebildeten Lehrern stößt das nicht unbedingt auf Begeisterung. Einer sagt etwa, manchmal wäre es ihm lieber, der Unterricht würde ausfallen.
Dienstagmorgen in der Friedrich-Ludwig-Jahn-Oberschule in Luckenwalde, eine Kreisstadt mit 20.000 Einwohnern südlich von Berlin. Benjamin Gocht unterrichtet in einer achten Klasse Chemie: Er ist 36 Jahre alt, trägt Jeans und ein gestreiftes T-Shirt, kurze Haare, Brille. Gocht ist eigentlich Diplom-Biologe, hat an der Universität zu medizinischer Mikrobiologie geforscht. Doch von der verkrusteten Hierarchie dort war er so genervt, dass er jetzt lieber als Lehrer arbeitet. Auch, wenn er hier in chemischer Hinsicht ganz tief stapeln muss.
In der Unterrichtsstunde geht es gerade um Salze. Um das trockene Thema anschaulich zu gestalten, erzählt Gocht von mit Salz konservierten ägyptischen Mumien und davon, dass Salz im Mittalalter so kostbar war wie Gold. Seit fast drei Jahren unterrichtet Benjamin Gocht Biologie und Chemie. Von Unterrichtsvorbereitung, Pädagogik und Benotung verstand er am Anfang nichts. Und Fortbildungen für Quereinsteiger gab es in Brandenburg bislang erst nach einem halben Jahr. Auch Benjamin Gocht wurde ins kalte Wasser geworfen. Gottseidank haben die Kollegen geholfen.
"Ich fühlte mich hier sofort gut aufgenommen, unterstützt, vor allen Dingen auch wertgeschätzt. Das habe ich so in der Form auch noch nicht gehabt."
Ines Schwerdt leitet die Friedrich-Ludwig-Jahn-Oberschule. 450 Schüler, 43 Lehrkräfte, davon zehn Seiteneinsteiger.
"Uns ist schon klar, dass ohne die Seiteneinsteiger-Lehrkräfte der Schulbetrieb momentan nicht aufrechtzuerhalten wäre."

Zusatzbelastung für die Kollegen

Doch beileibe nicht jeder Kandidat sei geeignet und arbeite so engagiert an sich, wie Benjamin Gocht, erzählt seine Chefin. Sie hat schon viele Quereinsteiger auch schnell wieder gehen sehen.
"Die Kollegen kommen zum Teil an die Schule mit einer hohen Fachlichkeit, aber ohne Kenntnisse über pädagogisch-methodisches Vorgehen, ohne Sicherheit in der Unterrichtsplanung, ohne Kenntnisse in der Problematik der Vielschichtigkeit der Schülerklientel, was wir an einer Oberschule unterrichten. Und wenn man dann nicht entsprechende Vorkenntnisse und Kompetenzen hat, ist es natürlich deutlich schwieriger."
Schulleiterin Schwerdt stellt darum jedem Seiteneinsteiger einen Ausbildungslehrer an die Seite.
"Und keiner sagt Nein, wenn ich anfrage, ob das noch möglich ist. Aber mit einer Anstrengung, die sehr, sehr hoch ist für die Kollegen."
Die Schulen müssten ausbaden, was die Landesregierung verschlafen habe, schimpft Günther Fuchs, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft:
"Wir ernten heute eine verfehlte Personalpolitik. Wir haben vor zehn oder vor 15 Jahren verabsäumt, ausreichend Lehrkräfte auszubilden. Das ist ein Riesendilemma. Seit ungefähr drei, vier Jahren stellen wir mit großer Sorge fest, dass wir im Grundschulbereich bei den ausgeschriebenen Stellen zwei Drittel Seiteneinsteiger einstellen müssen, weil gar niemand da ist."

Notlösung oder Bereicherung für die Schulen?

Und demnächst sollen auch Interessenten mit Bachelor- und Fachhochschul-Abschluss berücksichtigt werden.
"Wobei ich das nicht als Notlösung ansehe, sondern da gibt es ganz tolle Persönlichkeiten dabei, die auch wunderbar mit unseren Kindern arbeiten und eine Bereicherung für Schulen darstellen",
meint Thomas Drescher, Staatssekretär im Bildungsministerium. Doch diesem jungen Lehrer aus einem anderen Landkreis im Norden von Berlin kräuseln sich die Zehennägel, wenn er unqualifizierte "Kollegen" am Werk sieht:
"Ich sag es Ihnen ganz ehrlich: Manchmal wäre es mir lieber, Unterricht würde ausfallen, als von einem Quereinsteiger gemacht zu werden."
Um die Hilfskräfte möglichst schnell fit zu machen, hat die GEW mit der rot-roten Landesregierung ein neues Konzept ausbaldowert.

Studienseminar neben dem Unterricht

Es soll den Bewerbern vor dem Start an der Schule ein dreimonatiges "Kompaktpaket" schnüren. Wenn die befristet angestellten Kandidaten sich bewähren, soll ein berufsbegleitendes Qualifizierungskonzept greifen. Dafür will die Landesregierung künftig rund 13 Millionen Euro im Jahr locker machen. Auf Druck der GEW, wie Landeschef Günther Fuchs betont.
Benjamin Gocht in Luckenwalde hat den Wechsel nie bereut. Er will ein vollwertiger Lehrer werden, mit Zweitem Staatsexamen und allem Drum und Dran. Dafür büffelt er zwei Jahre lang zusätzlich zum Unterrichten jeden Mittwoch in einem Studienseminar Didaktik, Erziehungswissenschaften und Entwicklungspsychologie.
"Wenn man denn den Stoff vermittelt bekommt und das auch noch interessant, und auch das Leuchten in den Augen sieht und auch noch ein vernünftiges Miteinander hat, dann, finde ich, ist schon viel gewonnen. Ich weine der Forschung keine Träne hinterher: Ich habe noch Kontakt zu ehemaligen Forschungskollegen und -kolleginnen. Die bereuen, dass sie den Schritt nicht auch gegangen sind. Für die war es schon ein bisschen zu spät."
(abr)
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