Lehrgang im Dichten

Der englische Schauspieler und Theaterautor Stephen Fry gibt hier einen knallharten Grundlehrgang in die Kunst der Lyrik. Dabei quält er seine Schüler zunächst einmal mit allerhand Lyrik-Theorie von "jambischen Tetrametern" bis zu "Anapästen". Dank der grandiosen Übersetzungsleistung wird der fleißige Leser schon bald Gedichte verstehen und richtig lesen lernen.
"Ich muss die Nase meiner Ollen
an jeder Grenze neu verzollen."


Wer über dieses Stadium des Dichtens noch nicht hinausgekommen ist, und immer schon mal etwas Eigenes reimen wollte, muss nun nicht länger warten: Stephen Fry entfesselt den Dichter in uns.

Aber: so wie in jeder guten Jodelschule das zweite Futur bei Sonnenaufgang vor die Meisterschaft gesetzt ist - so hat auch die Dichter-Entfesselungs-Akademie des Stephen Fry ihre Tücken.

Bevor wir den Poeten von der Leine lassen, begeben wir uns erst einmal unter die Peitsche des lyrischen Grundausbilders. Und der schindet uns mit erstens Theorie, zweitens Theorie, drittens Theorie. Oder: erstens Metrik, zweitens Reim, drittens Form.

Und so wie der Rekrut bei der Armee erst einmal mit Liegestützen und Strammstehen gequält wird, so bricht uns Stabsfeldwebel Fry erst einmal jeden eigenen Willen. Befehl und Gehorsam stehen zunächst auf dem Drillplan. Wir kriechen unter den "gequälten Betonungen" hindurch, ächzen unter den "jambischen Tetrametern" (vier Hebungen in einer Verszeile), wälzen uns durch den "Anapästen" (dreisilbiger Versfuß, der auf der letzten Silbe betont wird). Und humpeln dann auf dem "Acephalus" (dem verkürzten Versfuß) ins Ziel. Dort wartet schon - laut ausführlichem Glossar - reichlich "zythum" auf uns (das Bier der alten Ägypter). Zwischendurch dürfen wir 20 Dichtübungen absolvieren.

Der Kommando-Ton unseres Oberstabsfeldwebels Fry, dieser Mutter der Reim-Kompanie, ist rau, aber herzlich und humorvoll. Hast Du, Rekrut der Dichtkunst, erst einmal den Lyrik-Liebhaber in Dir entfesselt, weißt Du, warum ein gutes Gedicht gut ist, kannst Du es mit der richtigen Betonung wenigstens halblaut vor Dich hin aufsagen - dann darfst Du auch selber dichten.

Und wie der Rekrut in Uniform nach drei Monaten Strammstehen und Liegestützen und Schlammrobben findet: insgesamt war's doch ganz gut - so sind auch wir am Ende Fachleute in der schönen klassischen Dichtkunst der englischen Zunge, verstehen beim Rezitieren alle Betonungen hübsch zu setzen und haben vielleicht zumindest das zu Papier gebracht an eigener Poesie, was Stephen Fry, der Schauspieler und Theatermacher, Romancier und lebenslange Lyrik-Freak aus London, uns in seiner gedichteten Selbstbeschreibung vormacht:

"Ne krumme Nase und ein Kinn zuviel,
auch schlaffe Schenkel und recht dünnes Haar"
(fünfhebige Verse!).

Allerdings: den größten Genuss an diesem Werke dürften englische Landadelige oder pensionierte schottische Majore mit sehr viel Zeit haben. Gehorchen wir allen Befehlen von Stabsfeldwebel Fry, so brauchen wir nämlich nicht nur ein paar Tage, sondern nahezu Wochen für dieses Buch und das gehorsame Befolgen der Dichtungs-Befehle.

Für alle die, die keine englischen Landadeligen oder pensionierte schottische Majore sind: Den Dichter im Urlaub entfesseln, in Ruhe und Muße, ausgeschlafen und voll konzentriert.

Nicht verschwiegen werden darf die Übersetzungsleistung. Absolventen des Graduiertenkollegs für literarisches Übersetzen an der Universität München haben unter der Leitung von Andreas Mahler ganze Arbeit geleistet, mit Schwung und Liebe. Vielleicht hätte man dieser munteren Truppe auch etwas mehr Freiraum geben können - für den ein oder anderen original deutschen Text. Schon leichtere Poeme lassen sich ja in allen Varianten präsentieren:

"Die Nase meiner Ollen
ich muss
an jeder Grenze
neu
verzollen."


Rezensiert von Klaus Pokatzky

Stephen Fry: Feigen, die fusseln. Entfessle den Dichter in dir.
Aus dem Englischen übersetzt von Birke Bossmann, Anne Bussmann, Susanne Grübl, Christel Klink, Andreas Mahler, Christina Matthies, Sandra Meder, Jens Müller, Gabriele Schrettle, Birgit Schwan, Karin Sleuser, Christine Voland, Maike Walter, Christine Wiesmeier
Aufbau Verlag, Berlin 2008
475 Seiten, EUR 22,95