Lehrmeister des Neuen Sehens

Von Anette Schneider |
Laszlo Moholy-Nagy war fasziniert vom Licht: In den 1920er Jahren schuf er seine "Fotogramme", experimentierte mit Licht und Schatten in der Fotografie und entwarf Bühnenbilder aus Licht. Im Berliner Martin-Gropius-Bau wird jetzt dieser besonderen Faszination Moholy-Nagys nachgegangen.
Man stelle sich das einmal heute vor, angesichts der verheerenden Streichungen in Kultur und Bildung: Künstler propagieren ihre Kunst als notwendigen Teil des Alltags. Sie arbeiten pädagogisch, verfolgen dabei das Ideal eines "neuen, ganzen Menschen", der emanzipiert in die Gestaltung der Gesellschaft eingreift, wofür - als Mittel der Erziehung - die Kunst unerlässlich ist. Eine Kunst, die neues Sehen lehrt. Und damit anderes Denken. Welch ein Anspruch an Künstler, Kunst und Gesellschaft!

Geboren wurde diese Idee in Zeiten von Aufklärung und Französischer Revolution, radikalisiert 1917, während der Oktoberrevolution, und in den 1920er-Jahren auch in Deutschland von vielen Künstlern aufgegriffen. Einer von ihnen war Laszlo Moholy-Nagy, der - 1895 in Ungarn geboren - den Horror des I. Weltkriegs überlebt hatte, mit der kommunistischen Räterepublik in seiner Heimat sympathisierte, nach ihrer Niederschlagung aber nach Berlin fliehen musste, wo er in den 20er-Jahren am Bauhaus lehrte.

Diese Zeit steht im Mittelpunkt der Ausstellung, denn, so die Kuratorin Olivia Maria Rubio vom Circulo de Bellas Artes in Madrid:

"Als ich die Idee zur Ausstellung entwickelte, fiel mir auf, das in Moholy-Nagys bisheriger künstlerischer Rezeption etwas fehlte: Immer waren die Ausstellungen retrospektiv angelegt, und zeigten Werke aus allen Schaffensphasen. Ich wollte dagegen vorführen, dass es in seiner Arbeit eine Idee gibt, die alle seine künstlerischen Bereiche verbindet: Die Kunst des Lichts. Er entwickelte sie in der Theorie - und in der Praxis: In seinen Bühnenbildern, der Malerei, seinen Filmen, der Fotografie und den Fotogrammen - überall verwendet er das Licht, um neue Formen der Kunst zu produzieren."

Gegliedert nach Genres, die für Moholy-Nagy sämtlich gleichrangig nebeneinander bestehen, eröffnet die Ausstellung mit seinen Fotografien: Er streift durch Berlin, experimentiert mit Perspektiven, Verzerrungen, Licht und Schatten, und fordert vom Betrachter zur Entschlüsselung der Bilder einen offenen Blick - das "Neue Sehen": Dann lässt sich der runde Kreis mit Punkten entschlüsseln als senkrechter Blick vom Funkturm auf's Straßenpflaster. Wird die gleißend helle Fläche mit schwarzen Quadraten zu einer sonnenbeschienenen Hauswand mit im Schatten liegenden Balkonen.

In einer Zeit, da Film und Fotografie noch nicht als Kunst gelten, erklärt Moholy-Nagy sie zu autonomen Medien, deren Möglichkeiten er genussvoll vorführt.

"Er hat die Vorstellung von einem Gesamtkunstwerk, das gleichzeitig auch Leben ist, das die Trennung zwischen Kunst und Leben aufhebt. Deshalb ist er auch glücklich, als er am Bauhaus anfängt, weil dort Kunst für den Alltag entsteht. Objekte für das alltägliche Leben, die wiederum mit den neuen Möglichkeiten zusammenhängen, die die industrielle Fertigung, die Industrie des 20. Jahrhunderts anbietet."

Kunst, fordert er, müsse sich dem neuen industriellen Zeitalter stellen, und entwickelt Formen, die den neuen, technisierten, schnellen, unruhigen Alltag als einen solchen erkennbar machen. Er entwirft Ausstellungsplakate und Buchumschläge, Bühnenbilder, in denen nur Licht und Schatten gigantische Räume evozieren, erfindet das Fotogramm - die Malerei mit Licht - dreht abstrakte Filme ebenso wie solche über das Leben von Roma in Berlin, oder Arbeit im Hafen von Marseille.

So zeigt die Konzentration der Ausstellung auf die 20er-Jahre anschaulich, wie Moholy-Nagy in allen Genres mit einer "Kunst des Lichts" experimentiert, das für ihn Synonym der modernen Zeit ist. Deshalb, so Maria Rubio, ließen sich seine Fotogramme auch nicht mit Man Rays "Rayogrammen" vergleichen.

"Ich denke, es gibt einen sehr wichtigen Unterschied: Zum einen liegt er darin, was gezeigt wird, und was daraus entwickelt wird. Man Ray kam von den Surrealisten, und er wollte das Ungewöhnliche, Fremde in den Objekten zeigen. Für Moholy-Nagy ist es einfach nur die Form."

Die aber erlaubt ihm auch, bei aller Lust am Experimentieren festzuhalten am Figürlichen. Und das ist das Überraschendste an dieser Ausstellung, die am Ende noch einen Blick nach vorn wirft, auf das holländische Exil, in das Moholy-Nagy als Jude und Bauhauskünstler fliehen muss, sowie auf die anschließenden Jahre in Chicago, wo er ab 1937 bis zu seinem Tod 1946 lebt, und in dem von ihm gegründeten "New Bauhaus" weiter sein Ideal einer emanzipierten Gesellschaft verfolgt, in der Kunst und Bildung im Mittelpunkt stehen: Bei allen abstrakten Formspielereien verliert er nie den Menschen aus dem Blick, sondern zeigt ihn in der Großstadt und am Strand, als Bettler und als Sonnenanbeter, im Schatten und im Licht.

Service:
Die Ausstellung "László Moholy-Nagy - Kunst des Lichts" ist vom 4. November 2010 bis 16. Januar 2011 im Martin-Gropius-Bau Berlin zu sehen.