Lehrstücke der kämpferischen Demokratie
Das Großprojekt "Bibliothek des Widerstands" aus dem Laika-Verlag wird immer umfangreicher. Band 18 und 19 widmen sich der deutschen Anti-Atom-Bewegung: Sie bieten einen authentischen Rückblick - aus linker Binnenperspektive, wie am Namen der Reihe zu erkennen.
Im März 2010 hat der Hamburger Laika-Verlag ein aufwändiges verlegerisches Projekt der linken Bewegungen initiiert: Eine "Bibliothek des Widerstands" soll "die weltweit wichtigsten politischen Kämpfe und sozialen Bewegungen seit Mitte der sechziger Jahre" dokumentieren. Hundert Bände sind das Ziel. Den Anfang machte ein Band über den 2. Juni 1967. Die thematische Bandbreite der dann in schneller Folge veröffentlichten Editionen reicht von der Solidaritätsbewegung für Angela Davis über den Kampf um Chile, die Solidarität für Mumia Abu Jamal, Rudi Dutschke bis zur Attac-Bewegung. Ob wirklich immer die "weltweit wichtigsten" Bewegungen Eingang ins Verlagsprogramm gefunden haben, mag man bei der Übersicht der bisher erschienenen Titel bezweifeln.
Ohne Zweifel aber hat der Verlag einer der wichtigsten politischen Bewegungen der bundesdeutschen Geschichte angemessene Aufmerksamkeit gewidmet: Gleich zwei Bände blicken auf die Anti-Atom-Bewegung zurück. Teil I, Band 18 der "Bibliothek des Widerstands", enthält Beiträge über die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen (die unter anderem den Bau des Atomkraftwerks Wyhl verhindert haben), über die Kämpfe gegen das AKW in Brokdorf, den Schnellen Brüter in Kalkar und die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Teil II enthält eine detaillierte Chronologie der Bewegungen und der Anti-AKW-Aktionen.
Der Name der Bibliothek stellt klar, dass es hier nicht um eine differenzierte wissenschaftliche Aufarbeitung der Bewegungen geht. Es ist erklärtermaßen ein Rückblick aus der linken Binnenperspektive, und das ist gut so. Denn der Anspruch ist ein dokumentarischer. Bewegungen sind flüchtig, sie kommen und gehen, meist gehen sie, hat der Soziologe Ulrich Beck lakonisch angemerkt. Ihre Entwicklungen und Erfahrungen festzuhalten, ist eine wichtige kulturelle Aufgabe.
Teil I beginnt gleich mit der interessantesten Geschichte: den Kämpfen der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen, erzählt von Georg Löser, einem Aktivisten, der seit 1972 dabei war. Die Horrorvision der badischen Bürger war damals, dass die Landschaft um den Kaiserstuhl großflächig industrialisiert würde. Landesentwicklungspläne sahen am Oberrhein bereits den Aufbau eines zweiten Ruhrgebietes als wirtschaftlichem Zentrum in einem zusammenwachsenden Europa vor. Der Plan eines Bleichemiewerks am Kaiserstuhl erregte den Unmut der Bürger, Atomkraftwerke sollten die Energie für die Großindustrie liefern. Gegen diese Pläne liefen die Bewohner der Region grenzüberschreitend Sturm.
Hochinteressant ist es, in dem Bericht des Aktivisten nachzulesen, wie sich die Bürger organisierten, wie der Protest alle Milieus erfasste, zugleich entschieden und besonnen in seinen Aktionsformen war, und wie dadurch eine Kraft entstand, die selbst die mit großer Mehrheit in Stuttgart regierende CDU nicht ignorieren konnte. Initiativen und Landesregierung unterzeichneten sogar eine Art Staatsvertrag, die "Offenburger Vereinbarung", die beide Seiten zur Zurückhaltung zwang. Am Ende hatte nicht nur der Kampf gegen das geplante AKW in Wyhl Erfolg – eine ganze Region hatte sich dadurch politisch und kulturell verändert, war offener, aktiver und klüger geworden. Ein Lehrstück in Sachen kämpferischer "Demokratie von unten".
Das krasse Gegenteil ist der Rückblick eines alten Kämpfers aus den Reihen des Kommunistischen Bundes (KB) auf die Schlachten, die um das AKW Brokdorf geschlagen wurden. Jens Renner rekapituliert aus einer (immer noch nicht überwundenen) ideologischen KB-Perspektive die militanten Aktionen vor dem Bauzaun und die Repression des Staates. Keine Frage: Die Verhältnisse an der Unterelbe waren ungleich schwieriger als in Wyhl am Oberrhein. Aber der Protest war auch sehr stark von den ideologischen Sekten der 70er-Jahre beeinflusst, und die Militanz beschränkte die Möglichkeiten, die ortsansässige "Normalbevölkerung" einzubinden. Diese Geschichte aus der Sicht eines Altlinken erzählt zu bekommen, ist auf deprimierende Weise eindrucksvoll, aber als historisches Dokument eben auch aufschlussreich.
Insofern leistet die Edition, was man von ihr erwarten muss: einen authentischen Blick zurück auf die Bewegungen, die letztlich die Voraussetzungen für den vorzeitigen Ausstieg der Bundesrepublik aus der Atomenergie geschaffen haben. Ganz ausgezeichnet sind die Filme, die auf insgesamt acht DVDs den beiden Büchern beigefügt sind. Sie ergänzen die Berichte zu einer bemerkenswerten und wichtigen "Dokumentation von unten" zur Zeitgeschichte.
Besprochen von Winfried Sträter
Willi Baer, Karl-Heinz Dellwo: Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv. Die AKW-Protestbewegung von Wyhl bis Brokdorf
Bibliothek des Widerstands Bd. 18 und 19
Laika-Verlag, Hamburg 2012
232 und 167 Seiten, 29,90 Euro pro Band
Ohne Zweifel aber hat der Verlag einer der wichtigsten politischen Bewegungen der bundesdeutschen Geschichte angemessene Aufmerksamkeit gewidmet: Gleich zwei Bände blicken auf die Anti-Atom-Bewegung zurück. Teil I, Band 18 der "Bibliothek des Widerstands", enthält Beiträge über die Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen (die unter anderem den Bau des Atomkraftwerks Wyhl verhindert haben), über die Kämpfe gegen das AKW in Brokdorf, den Schnellen Brüter in Kalkar und die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf. Teil II enthält eine detaillierte Chronologie der Bewegungen und der Anti-AKW-Aktionen.
Der Name der Bibliothek stellt klar, dass es hier nicht um eine differenzierte wissenschaftliche Aufarbeitung der Bewegungen geht. Es ist erklärtermaßen ein Rückblick aus der linken Binnenperspektive, und das ist gut so. Denn der Anspruch ist ein dokumentarischer. Bewegungen sind flüchtig, sie kommen und gehen, meist gehen sie, hat der Soziologe Ulrich Beck lakonisch angemerkt. Ihre Entwicklungen und Erfahrungen festzuhalten, ist eine wichtige kulturelle Aufgabe.
Teil I beginnt gleich mit der interessantesten Geschichte: den Kämpfen der Badisch-Elsässischen Bürgerinitiativen, erzählt von Georg Löser, einem Aktivisten, der seit 1972 dabei war. Die Horrorvision der badischen Bürger war damals, dass die Landschaft um den Kaiserstuhl großflächig industrialisiert würde. Landesentwicklungspläne sahen am Oberrhein bereits den Aufbau eines zweiten Ruhrgebietes als wirtschaftlichem Zentrum in einem zusammenwachsenden Europa vor. Der Plan eines Bleichemiewerks am Kaiserstuhl erregte den Unmut der Bürger, Atomkraftwerke sollten die Energie für die Großindustrie liefern. Gegen diese Pläne liefen die Bewohner der Region grenzüberschreitend Sturm.
Hochinteressant ist es, in dem Bericht des Aktivisten nachzulesen, wie sich die Bürger organisierten, wie der Protest alle Milieus erfasste, zugleich entschieden und besonnen in seinen Aktionsformen war, und wie dadurch eine Kraft entstand, die selbst die mit großer Mehrheit in Stuttgart regierende CDU nicht ignorieren konnte. Initiativen und Landesregierung unterzeichneten sogar eine Art Staatsvertrag, die "Offenburger Vereinbarung", die beide Seiten zur Zurückhaltung zwang. Am Ende hatte nicht nur der Kampf gegen das geplante AKW in Wyhl Erfolg – eine ganze Region hatte sich dadurch politisch und kulturell verändert, war offener, aktiver und klüger geworden. Ein Lehrstück in Sachen kämpferischer "Demokratie von unten".
Das krasse Gegenteil ist der Rückblick eines alten Kämpfers aus den Reihen des Kommunistischen Bundes (KB) auf die Schlachten, die um das AKW Brokdorf geschlagen wurden. Jens Renner rekapituliert aus einer (immer noch nicht überwundenen) ideologischen KB-Perspektive die militanten Aktionen vor dem Bauzaun und die Repression des Staates. Keine Frage: Die Verhältnisse an der Unterelbe waren ungleich schwieriger als in Wyhl am Oberrhein. Aber der Protest war auch sehr stark von den ideologischen Sekten der 70er-Jahre beeinflusst, und die Militanz beschränkte die Möglichkeiten, die ortsansässige "Normalbevölkerung" einzubinden. Diese Geschichte aus der Sicht eines Altlinken erzählt zu bekommen, ist auf deprimierende Weise eindrucksvoll, aber als historisches Dokument eben auch aufschlussreich.
Insofern leistet die Edition, was man von ihr erwarten muss: einen authentischen Blick zurück auf die Bewegungen, die letztlich die Voraussetzungen für den vorzeitigen Ausstieg der Bundesrepublik aus der Atomenergie geschaffen haben. Ganz ausgezeichnet sind die Filme, die auf insgesamt acht DVDs den beiden Büchern beigefügt sind. Sie ergänzen die Berichte zu einer bemerkenswerten und wichtigen "Dokumentation von unten" zur Zeitgeschichte.
Besprochen von Winfried Sträter
Willi Baer, Karl-Heinz Dellwo: Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv. Die AKW-Protestbewegung von Wyhl bis Brokdorf
Bibliothek des Widerstands Bd. 18 und 19
Laika-Verlag, Hamburg 2012
232 und 167 Seiten, 29,90 Euro pro Band