Leichen als Highlights
Nun also zieht der umstrittene Leichenpräparator von Hagens in das alte Rathaus von Guben ein. Er hat 3,5 Millionen Euro Investitionen und 30 Arbeitsplätze versprochen. Und der Stadtratsvorsitzende Fuhrmann bezieht sich bei seiner Befürwortung auf eine Umfrage, die Herr von Hagens in Auftrag gegeben hatte. Außerdem habe Guben "keine touristischen Highlights", dafür aber en masse Arbeitslose und Industriebrachen. Also Aufschwung durch Leichen?
Für sein umstrittenes Projekt hatte der "Herr der Leichen" vergangene Woche die Zustimmung des Gubener Stadtrates erhalten – mit genau einer Stimme Mehrheit. Nun also steht fest: Von Hagens wird kommen und mit ihm die Leichen.
Die Aufregung in der Stadt ist groß. Im historischen Rathaus will der Leichenpräparator plastinierte Körperscheiben für den weltweiten Bedarf herstellen. "Arbeitsplätze" jubeln die Befürworter – schließlich hat von Hagens 3,5 Millionen für Arbeitsplätze versprochen. "Leichenschrädderei" meinen die Kritiker und wollen weder den Mann noch seine Toten in ihrer Stadt haben.
Die Zeiger der alten Werksuhr sind um kurz vor acht stehen geblieben. In den Rissen der Betonzufahrt, die zu der ehemaligen Maschinenhalle führt, wuchert Unkraut. Die Fenster des Gebäudes sind zersplittert. Der Geruch von Urin, Öl und abgestandenem Zigarettenqualm dringt ins Freie.
"Ich kann mich nur erinnern, wie ich früher hierher gekommen bin, war da vorne das Fischkombinat (...) dann ist vorne der Agrodienst (...) wenn Sie da vorfahren, sehen Sie das noch mal. (...) War auch so ein Betrieb mit Sanitäranlagen. Dann sind die auch weggegangen. In der Halle war mal kurzzeitig eine Autowerkstatt drin, die sind auch weggezogen."
Frau Birkenhold ist eine zupackende Frau von Ende 40. Mit ölverschmiertem Hemd steht sie zwischen Kabelrollen, ausrangierten Computern und rostigen Badewannen. Der Schrottplatz, den sie gemeinsam mit ihrem Mann betreibt, befindet sich mitten im ehemaligen Gewerbegebiet von Guben, gleich neben den Bahngleisen, auf denen die Züge nach Frankfurt/Oder und ins benachbarte Cottbus fahren.
"Seit 91 bin ich hier auf dem Platz. Ich war erst in der Hutfabrik in Guben. In der Sommerhutabteilung. Da haben wir Hüte angefertigt auch fürs Ausland, sehr viel sogar. Da wurden dann auch Filzhüte hergestellt, aus Kaninchenhaar. War ein großer Betrieb. 91 bin ich raus, 92 war das dann zu Ende."
Die Hutfabrik, in der Frau Birkenhold einst Sommermodelle mit Schleifen und Filzblumen verzierte, ist fast fertig saniert - im Juli wird die Hutfabrik zum Rathaus und das Noch-Rathaus dann zur Leichenwerkstatt.
Von Hagens, Leichenplastinator, Anatom und selbsternannter Künstler, hat das Gebäude von der Stadt erworben – unter zum Teil heftigem Protest.
"Ich war dafür, weil ich mir dafür Impulse für Guben erhoffe."
Klaus-Dieter Fuhrmann, CDU-Stadtratsvorsitzender von Guben.
"Die Immobilie des jetzigen Rathauses wird ab der zweiten Hälfte des Jahres leer stehen. (...) Und wenn jetzt für die Immobilie Rathaus keine Vollbenutzung zu verzeichnen wäre, würde die auch brach fallen, und damit wäre der ganze Straßenzug dort höchst gefährdet und würde dem Stadtgebiet nicht gerade zuträglich sein."
Leichenpräparation als Wirtschaftsfaktor. Zu DDR-Zeiten lebte Guben von großen Textil- und Chemiefabriken. Heute reihen sich die Industriebrachen aneinander.
Mit der Schließung der Fabriken gingen die Menschen. Mehr als ein Drittel der ehemals 36.000 Bewohner kehrten in den vergangenen Jahren der Stadt den Rücken. Von denen, die blieben, sind 22 Prozent arbeitslos.
Dass nun die Toten der Stadt wieder Leben bringen, das wünschen sich die Befürworter des Plastinators. Und sie glauben an eine anziehende Wirkung für weitere Investoren. Nur: Von Hagens ist nicht der erste finanzkräftige Interessent. Andere vor ihm hatten auch in der Stadt investieren wollen. Enrico Dietrich, Finanzmakler aus Guben.
"Es gab eine größere italienische Gesellschaft, die interessiert daran war, unter anderem hier Gabelstapler zu produzieren. Es gab einen Investor, der versucht hat, das Chemiewerk hier auszubauen. Da wurde versucht, weitere Investoren an Land zu ziehen. Es gab auch schon Versuche einer Vertretung einer großen Computerfirma in Guben. Das ist allerdings im Endeffekt an verschiedenen Faktoren gescheitert, weil sie der Bürokratie der Stadt Guben zum Opfer fallen. Es scheiterte im Endeffekt immer an der Flexibilität der Stadt Guben oder an Rahmenbedingungen."
Nicht so beim Leichenplastinator.
Warum Klaus-Dieter Hübner, Bürgermeister von Guben, gerade von Hagens Pläne unterstützte, will er nicht ins Mikrofon sagen. Er, der Bürgermeister, habe keine Zeit, über die Plastinationsfabrik zu sprechen.
Nun, auf der Internetseite von Guben ist zu lesen, es habe schon immer kluge Köpfe in der Stadt gegeben, die es verstanden hätten, Guben über die Grenzen der Region hinaus zu prägen. Bereits mehrfach habe sich die Stadt für den bundesweit ausgeschriebenen Wettbewerb "Unsere Stadt soll schöner blühn" beworben. An jeder Straßenecke wachsen Stiefmütterchen und Tulpengewächse aus Blumenkübeln.
Die blühende Stadtlandschaft – die Arbeit von Ein-Euro-Jobbern wie Sven Gagzow und Igor Hermann. Nach der "Maßnahme", wie ihr gering bezahlter Einsatz als Stadtgärtner im Amtsdeutsch genannt wird, wollen sie weg aus Brandenburg, andernorts Arbeit suchen. Ob sie für von Hagens Leichen präparieren würden?
"Warum nicht? Es ist Arbeit, besser als gar nichts, heutzutage. Ich bin da nicht so wählerisch.
Wenn der Mensch tot ist, ist doch auch nur ein Stück Fleisch. Ich hab nichts dagegen. Am Anfang wäre es vielleicht komisch, aber man gewöhnt sich dran. Ne, ich seh das nicht so dramatisch wie andere Leute, die was dagegen haben."
Die, die was dagegen haben, sind heute in der Minderheit. Laut einer Umfrage – von Hagens gab sie bei Emnid in Auftrag - stimmten 79 Prozent der Gubener dafür, dass sich der Leichenplastinator in ihrer Stadt niederlässt. Zuvor hatte von Hagens persönlich Überzeugungsarbeit geleistet. Womit? Natürlich mit Arbeitsplätzen.
"Es war ne Veranstaltung hier, da ist Herr von Hagens mit einem Bus angereist, hatte Körperspender eingeladen und hat da also eine dreiviertel Stunde seine Position dargelegt. Da gab es dann eine Möglichkeit, Fragen zu stellen, aber nicht Position zu beziehen. Die Stimmung im Saal war eben: Er hat gesagt, dass er auch aus dem Osten ist, dass er Arbeitsplätze bringt und dass alles sehr gut ist hier und dass der Bürgermeister sehr weise ist und er würde sehr gerne hierher kommen. Und zum Schluss hat er die sehr suggestive Frage gestellt, wer ist denn dafür, dass ich komme – oh, da war gleich ein Gejohle. Und dann: Wer ist dagegen? – Die wurden dann gleich ausgebuht, wer sich da gemeldet hat."
Michael Domke ist Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde von Guben. Im Herbst hatte er von den Plänen des Plastinators erfahren und gemeinsam mit Bürgern der Stadt das "Aktionsbündnis Menschenwürde" ins Leben gerufen. Denn die Würde des Menschen sieht Pfarrer Domke durch von Hagens Tun gefährdet.
"Da geht es eben nicht um die Wissenschaft bei diesen Körperwelten-Ausstellungen, sondern da geht es darum, die Schaulust vieler Menschen zu befriedigen und noch ein bisschen mehr. In Verbindung mit einem Gruseleffekt und in Verbindung mit einem Kick, der erzeugt werden soll durch Tabubruch."
Der Macher der "Körperwelten" hatte in der Vergangenheit nicht nur wegen seiner Ausstellung für Schlagzeilen gesorgt, sondern auch wegen seiner Körperspender. Von Hagens habe Leichen unbekannter Herkunft, darunter die von Hingerichteten und Kriminellen aus China und Kirgisien, für seine Plastinationen verwendet – und dies ohne das Wissen der Angehörigen. Ein Vorwurf, der jedoch nicht bewiesen werden konnte.
"Herr von Hagens fragt zum Beispiel in seinem Fragebogen für Körperspender: 'Wären Sie bereit, ihren Körper plastinieren zu lassen und anordnen zu lassen in einer Nachstellung des Abendmahls". Er fragt zum Beispiel, ob Menschen dazu bereit wären, ihren Körper öffentlich verwesen zu lassen. Das sind Fragen, die anzeigen, es geht eigentlich darum, immer einen neuen Bruch zu vollziehen. Man möchte immer etwas Neues machen, immer etwas weiter gehen und immer noch mehr Gefühle verletzen."
In Guben zählen Arbeitsplätze – egal wie?
"Ich denke auch, dass er der Meinung ist, dass Menschen, die unter Arbeitslosigkeit leiden, eher bereit sind, auch solche bedenklichen und unangenehmen Arbeiten zu machen wie er sie für seine Leichenplastinierung vielleicht braucht. Nun geht er also an den Rand von Deutschland, weil da der Leidensdruck auch noch groß ist, wie er vermuten kann."
Die "Art der Denke", die Nüchternheit und Zielstrebigkeit der Menschen in Guben, habe ihm gefallen, hatte Gunther von Hagens über die Wahl des Standortes seiner Plastinationsfirma erklärt. Bereits nach seiner Informationsveranstaltung in Guben hätten sich zehn Bürger bei ihm beworben. Doch nicht alle, die sich nach einem guten Job sehnen, wären bereit, bei von Hagens Leichen in Scheiben zu schneiden.
Schrottplatzbetreiberin Marlies Birkenhold:
"Ich geh mal davon aus, ich habe irgendwie Respekt vor dem Tod – und das wär nicht mein Ding, echt nicht. Ich meine, ich habe beide Elternteile verloren und ich kann mich schlecht da hinein versetzen, wie das gehen soll."
Nur knapp hundert Meter von der zukünftigen Plastinationsstätte, dem alten Rathaus, entfernt, steht Marit Rose in ihrer Bäckerei hinter einer Vitrine mit Bienenstich und Apfelkuchen. Dass sich der Leichenpräparator hier, in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihrem Geschäft, niederlassen will, findet sie prinzipiell gut.
"Obwohl wiederum gesagt wird, böse Zungen behaupten, er hat sich an der polnischen Grenze angesiedelt, oder will es tun, um mit polnischen Leichen zu agieren oder wie auch immer. Aber (...) das kann gar nicht sein, weil er hat ja Vorträge gehalten im Vorfeld und erklärt, welchen Weg man gehen muss, wenn man sich zur Verfügung stellt. (...) Das wird wohl getestet und geprüft. Also von wegen, da ist jemand gestorben und ab zum Plastinator, ich denke mal nicht, dass das so einfach wäre. Glaube ich nicht."
Bei ihrer Kundschaft werde das Thema von Hagens heftig diskutiert, sagt sie. Von ihren Kunden weiß sie auch, dass bei vielen die Tendenz zur anonymen Bestattung gehe – die sei schließlich billiger.
Passend, dass Gunther von Hagens da nun erklärte, einen kostenlosen und bundesweiten Leichenabholdienst einrichten zu wollen. "Trauer ohne Sorge um Begräbniskosten" verheißt er … und plant in Guben ein " Körperspenderzentrum".
Die geplante "Leichenwerkstatt" des Anatoms aus Heidelberg liegt keine zehn Minuten von der polnischen Grenze entfernt. Ursprünglich hatte von Hagens 50 Kilometer östlich von Guben, in der polnischen Gemeinde Sieniawa Zarska, seine Fabrik errichten wollen. Er scheiterte – am Protest der Bürger.
Im nichtkatholischen Brandenburg hatte es von Hagens leichter. Hier erhofft man nun von dem Leichpräparator zu profitieren - auch wenn nicht sicher ist, in welchem Umfang dieser Arbeitsplätze schaffen wird. Klaus-Dieter Fuhrmann, Stadtratsvorsitzender:
"Es war die Rede davon, dass bis zu 200 Arbeitsplätzen entstehen können. Das kann sein, muss aber nicht sein."
Heinz-Wilhelm Müller, Vorsitzender der Agentur für Arbeit in Cottbus, hat von anderen Zahlen gehört.
"Ich habe ja nur in der Zeitung gelesen zunächst einmal 30 Arbeitsplätze. Es könnten aber auch perspektivisch 200 sein. Er hat ja noch keinen konkreten Kontakt aufgenommen zur Agentur für Arbeit."
Niemand weiß nichts genaues, aber manche hoffen bereits, dass Guben dank des Leichenpräparators eine neue Touristenattraktion bekommen könnte und damit Ausflügler anziehen, die neben Fahrten ins Grüne und Radtouren an Seen nun auch einen Abstecher in die Plastinationsfabrik planen könnten. Das Wort von "Leichentourismus" fällt.
Sven Birkenhagen arbeitet als Tischler in der Stadt.
"Es ist ja mal die Rede davon, mal nicht, dass vielleicht auch ne ständige Ausstellung gemacht werden könnte. Und dann kommen ja auch Gäste und die könnten Essen und Trinken und was Anderes noch unternehmen. Und dann ist vielleicht auch für jeden was drin."
Hoffen auf Leichentourismus? Auf Arbeitsplätze?
"Wo dieses Gerücht gesprüht wurde, dass er hierher kommen möchte, hieß es, er würde 200 Arbeitsplätze schaffen. Das halte ich eigentlich für unreal. Weil man wirklich nicht weiß, wie er das ausführen will. Erst wurde gesagt, er will hier bloß diese Plastinate, diese Scheiben, herstellen. Dann wurde gesagt, ne kleine Ausstellung. Dann wurde das wieder dementiert. Also wir wissen nicht, was er aus dem großen Gebäude machen will. Sicherlich, wenn es um ne Ausstellung gehen würde, würden bestimmt viele andere Zweige - so wie ich auch - hier davon profitieren."
Bei der Agentur für Arbeit indes weiß man nichts von einer geplanten Ausstellung. Von Hagens selber hatte erklärt, seine Leichen weiterhin in China und Kirgisien plastinieren lassen zu wollen. In Guben will er nun, da er die Zustimmung der Stadt erhalten hat, sobald wie möglich mit der Arbeit beginnen.
"Wir wissen noch nicht genau, was auf uns zukommt. Wir halten uns in Guben an diesen Strohhalm fest, dass endlich jemand bereit ist, zu investieren, kann ich nur sagen. Es ist auch vollkommen egal, ob das jetzt mit Leichen ist oder ob es ein Autokonzern ist, der hier Autos bauen würde."
Ob Leichen oder Autos – Guben greift zu.
Die Aufregung in der Stadt ist groß. Im historischen Rathaus will der Leichenpräparator plastinierte Körperscheiben für den weltweiten Bedarf herstellen. "Arbeitsplätze" jubeln die Befürworter – schließlich hat von Hagens 3,5 Millionen für Arbeitsplätze versprochen. "Leichenschrädderei" meinen die Kritiker und wollen weder den Mann noch seine Toten in ihrer Stadt haben.
Die Zeiger der alten Werksuhr sind um kurz vor acht stehen geblieben. In den Rissen der Betonzufahrt, die zu der ehemaligen Maschinenhalle führt, wuchert Unkraut. Die Fenster des Gebäudes sind zersplittert. Der Geruch von Urin, Öl und abgestandenem Zigarettenqualm dringt ins Freie.
"Ich kann mich nur erinnern, wie ich früher hierher gekommen bin, war da vorne das Fischkombinat (...) dann ist vorne der Agrodienst (...) wenn Sie da vorfahren, sehen Sie das noch mal. (...) War auch so ein Betrieb mit Sanitäranlagen. Dann sind die auch weggegangen. In der Halle war mal kurzzeitig eine Autowerkstatt drin, die sind auch weggezogen."
Frau Birkenhold ist eine zupackende Frau von Ende 40. Mit ölverschmiertem Hemd steht sie zwischen Kabelrollen, ausrangierten Computern und rostigen Badewannen. Der Schrottplatz, den sie gemeinsam mit ihrem Mann betreibt, befindet sich mitten im ehemaligen Gewerbegebiet von Guben, gleich neben den Bahngleisen, auf denen die Züge nach Frankfurt/Oder und ins benachbarte Cottbus fahren.
"Seit 91 bin ich hier auf dem Platz. Ich war erst in der Hutfabrik in Guben. In der Sommerhutabteilung. Da haben wir Hüte angefertigt auch fürs Ausland, sehr viel sogar. Da wurden dann auch Filzhüte hergestellt, aus Kaninchenhaar. War ein großer Betrieb. 91 bin ich raus, 92 war das dann zu Ende."
Die Hutfabrik, in der Frau Birkenhold einst Sommermodelle mit Schleifen und Filzblumen verzierte, ist fast fertig saniert - im Juli wird die Hutfabrik zum Rathaus und das Noch-Rathaus dann zur Leichenwerkstatt.
Von Hagens, Leichenplastinator, Anatom und selbsternannter Künstler, hat das Gebäude von der Stadt erworben – unter zum Teil heftigem Protest.
"Ich war dafür, weil ich mir dafür Impulse für Guben erhoffe."
Klaus-Dieter Fuhrmann, CDU-Stadtratsvorsitzender von Guben.
"Die Immobilie des jetzigen Rathauses wird ab der zweiten Hälfte des Jahres leer stehen. (...) Und wenn jetzt für die Immobilie Rathaus keine Vollbenutzung zu verzeichnen wäre, würde die auch brach fallen, und damit wäre der ganze Straßenzug dort höchst gefährdet und würde dem Stadtgebiet nicht gerade zuträglich sein."
Leichenpräparation als Wirtschaftsfaktor. Zu DDR-Zeiten lebte Guben von großen Textil- und Chemiefabriken. Heute reihen sich die Industriebrachen aneinander.
Mit der Schließung der Fabriken gingen die Menschen. Mehr als ein Drittel der ehemals 36.000 Bewohner kehrten in den vergangenen Jahren der Stadt den Rücken. Von denen, die blieben, sind 22 Prozent arbeitslos.
Dass nun die Toten der Stadt wieder Leben bringen, das wünschen sich die Befürworter des Plastinators. Und sie glauben an eine anziehende Wirkung für weitere Investoren. Nur: Von Hagens ist nicht der erste finanzkräftige Interessent. Andere vor ihm hatten auch in der Stadt investieren wollen. Enrico Dietrich, Finanzmakler aus Guben.
"Es gab eine größere italienische Gesellschaft, die interessiert daran war, unter anderem hier Gabelstapler zu produzieren. Es gab einen Investor, der versucht hat, das Chemiewerk hier auszubauen. Da wurde versucht, weitere Investoren an Land zu ziehen. Es gab auch schon Versuche einer Vertretung einer großen Computerfirma in Guben. Das ist allerdings im Endeffekt an verschiedenen Faktoren gescheitert, weil sie der Bürokratie der Stadt Guben zum Opfer fallen. Es scheiterte im Endeffekt immer an der Flexibilität der Stadt Guben oder an Rahmenbedingungen."
Nicht so beim Leichenplastinator.
Warum Klaus-Dieter Hübner, Bürgermeister von Guben, gerade von Hagens Pläne unterstützte, will er nicht ins Mikrofon sagen. Er, der Bürgermeister, habe keine Zeit, über die Plastinationsfabrik zu sprechen.
Nun, auf der Internetseite von Guben ist zu lesen, es habe schon immer kluge Köpfe in der Stadt gegeben, die es verstanden hätten, Guben über die Grenzen der Region hinaus zu prägen. Bereits mehrfach habe sich die Stadt für den bundesweit ausgeschriebenen Wettbewerb "Unsere Stadt soll schöner blühn" beworben. An jeder Straßenecke wachsen Stiefmütterchen und Tulpengewächse aus Blumenkübeln.
Die blühende Stadtlandschaft – die Arbeit von Ein-Euro-Jobbern wie Sven Gagzow und Igor Hermann. Nach der "Maßnahme", wie ihr gering bezahlter Einsatz als Stadtgärtner im Amtsdeutsch genannt wird, wollen sie weg aus Brandenburg, andernorts Arbeit suchen. Ob sie für von Hagens Leichen präparieren würden?
"Warum nicht? Es ist Arbeit, besser als gar nichts, heutzutage. Ich bin da nicht so wählerisch.
Wenn der Mensch tot ist, ist doch auch nur ein Stück Fleisch. Ich hab nichts dagegen. Am Anfang wäre es vielleicht komisch, aber man gewöhnt sich dran. Ne, ich seh das nicht so dramatisch wie andere Leute, die was dagegen haben."
Die, die was dagegen haben, sind heute in der Minderheit. Laut einer Umfrage – von Hagens gab sie bei Emnid in Auftrag - stimmten 79 Prozent der Gubener dafür, dass sich der Leichenplastinator in ihrer Stadt niederlässt. Zuvor hatte von Hagens persönlich Überzeugungsarbeit geleistet. Womit? Natürlich mit Arbeitsplätzen.
"Es war ne Veranstaltung hier, da ist Herr von Hagens mit einem Bus angereist, hatte Körperspender eingeladen und hat da also eine dreiviertel Stunde seine Position dargelegt. Da gab es dann eine Möglichkeit, Fragen zu stellen, aber nicht Position zu beziehen. Die Stimmung im Saal war eben: Er hat gesagt, dass er auch aus dem Osten ist, dass er Arbeitsplätze bringt und dass alles sehr gut ist hier und dass der Bürgermeister sehr weise ist und er würde sehr gerne hierher kommen. Und zum Schluss hat er die sehr suggestive Frage gestellt, wer ist denn dafür, dass ich komme – oh, da war gleich ein Gejohle. Und dann: Wer ist dagegen? – Die wurden dann gleich ausgebuht, wer sich da gemeldet hat."
Michael Domke ist Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde von Guben. Im Herbst hatte er von den Plänen des Plastinators erfahren und gemeinsam mit Bürgern der Stadt das "Aktionsbündnis Menschenwürde" ins Leben gerufen. Denn die Würde des Menschen sieht Pfarrer Domke durch von Hagens Tun gefährdet.
"Da geht es eben nicht um die Wissenschaft bei diesen Körperwelten-Ausstellungen, sondern da geht es darum, die Schaulust vieler Menschen zu befriedigen und noch ein bisschen mehr. In Verbindung mit einem Gruseleffekt und in Verbindung mit einem Kick, der erzeugt werden soll durch Tabubruch."
Der Macher der "Körperwelten" hatte in der Vergangenheit nicht nur wegen seiner Ausstellung für Schlagzeilen gesorgt, sondern auch wegen seiner Körperspender. Von Hagens habe Leichen unbekannter Herkunft, darunter die von Hingerichteten und Kriminellen aus China und Kirgisien, für seine Plastinationen verwendet – und dies ohne das Wissen der Angehörigen. Ein Vorwurf, der jedoch nicht bewiesen werden konnte.
"Herr von Hagens fragt zum Beispiel in seinem Fragebogen für Körperspender: 'Wären Sie bereit, ihren Körper plastinieren zu lassen und anordnen zu lassen in einer Nachstellung des Abendmahls". Er fragt zum Beispiel, ob Menschen dazu bereit wären, ihren Körper öffentlich verwesen zu lassen. Das sind Fragen, die anzeigen, es geht eigentlich darum, immer einen neuen Bruch zu vollziehen. Man möchte immer etwas Neues machen, immer etwas weiter gehen und immer noch mehr Gefühle verletzen."
In Guben zählen Arbeitsplätze – egal wie?
"Ich denke auch, dass er der Meinung ist, dass Menschen, die unter Arbeitslosigkeit leiden, eher bereit sind, auch solche bedenklichen und unangenehmen Arbeiten zu machen wie er sie für seine Leichenplastinierung vielleicht braucht. Nun geht er also an den Rand von Deutschland, weil da der Leidensdruck auch noch groß ist, wie er vermuten kann."
Die "Art der Denke", die Nüchternheit und Zielstrebigkeit der Menschen in Guben, habe ihm gefallen, hatte Gunther von Hagens über die Wahl des Standortes seiner Plastinationsfirma erklärt. Bereits nach seiner Informationsveranstaltung in Guben hätten sich zehn Bürger bei ihm beworben. Doch nicht alle, die sich nach einem guten Job sehnen, wären bereit, bei von Hagens Leichen in Scheiben zu schneiden.
Schrottplatzbetreiberin Marlies Birkenhold:
"Ich geh mal davon aus, ich habe irgendwie Respekt vor dem Tod – und das wär nicht mein Ding, echt nicht. Ich meine, ich habe beide Elternteile verloren und ich kann mich schlecht da hinein versetzen, wie das gehen soll."
Nur knapp hundert Meter von der zukünftigen Plastinationsstätte, dem alten Rathaus, entfernt, steht Marit Rose in ihrer Bäckerei hinter einer Vitrine mit Bienenstich und Apfelkuchen. Dass sich der Leichenpräparator hier, in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihrem Geschäft, niederlassen will, findet sie prinzipiell gut.
"Obwohl wiederum gesagt wird, böse Zungen behaupten, er hat sich an der polnischen Grenze angesiedelt, oder will es tun, um mit polnischen Leichen zu agieren oder wie auch immer. Aber (...) das kann gar nicht sein, weil er hat ja Vorträge gehalten im Vorfeld und erklärt, welchen Weg man gehen muss, wenn man sich zur Verfügung stellt. (...) Das wird wohl getestet und geprüft. Also von wegen, da ist jemand gestorben und ab zum Plastinator, ich denke mal nicht, dass das so einfach wäre. Glaube ich nicht."
Bei ihrer Kundschaft werde das Thema von Hagens heftig diskutiert, sagt sie. Von ihren Kunden weiß sie auch, dass bei vielen die Tendenz zur anonymen Bestattung gehe – die sei schließlich billiger.
Passend, dass Gunther von Hagens da nun erklärte, einen kostenlosen und bundesweiten Leichenabholdienst einrichten zu wollen. "Trauer ohne Sorge um Begräbniskosten" verheißt er … und plant in Guben ein " Körperspenderzentrum".
Die geplante "Leichenwerkstatt" des Anatoms aus Heidelberg liegt keine zehn Minuten von der polnischen Grenze entfernt. Ursprünglich hatte von Hagens 50 Kilometer östlich von Guben, in der polnischen Gemeinde Sieniawa Zarska, seine Fabrik errichten wollen. Er scheiterte – am Protest der Bürger.
Im nichtkatholischen Brandenburg hatte es von Hagens leichter. Hier erhofft man nun von dem Leichpräparator zu profitieren - auch wenn nicht sicher ist, in welchem Umfang dieser Arbeitsplätze schaffen wird. Klaus-Dieter Fuhrmann, Stadtratsvorsitzender:
"Es war die Rede davon, dass bis zu 200 Arbeitsplätzen entstehen können. Das kann sein, muss aber nicht sein."
Heinz-Wilhelm Müller, Vorsitzender der Agentur für Arbeit in Cottbus, hat von anderen Zahlen gehört.
"Ich habe ja nur in der Zeitung gelesen zunächst einmal 30 Arbeitsplätze. Es könnten aber auch perspektivisch 200 sein. Er hat ja noch keinen konkreten Kontakt aufgenommen zur Agentur für Arbeit."
Niemand weiß nichts genaues, aber manche hoffen bereits, dass Guben dank des Leichenpräparators eine neue Touristenattraktion bekommen könnte und damit Ausflügler anziehen, die neben Fahrten ins Grüne und Radtouren an Seen nun auch einen Abstecher in die Plastinationsfabrik planen könnten. Das Wort von "Leichentourismus" fällt.
Sven Birkenhagen arbeitet als Tischler in der Stadt.
"Es ist ja mal die Rede davon, mal nicht, dass vielleicht auch ne ständige Ausstellung gemacht werden könnte. Und dann kommen ja auch Gäste und die könnten Essen und Trinken und was Anderes noch unternehmen. Und dann ist vielleicht auch für jeden was drin."
Hoffen auf Leichentourismus? Auf Arbeitsplätze?
"Wo dieses Gerücht gesprüht wurde, dass er hierher kommen möchte, hieß es, er würde 200 Arbeitsplätze schaffen. Das halte ich eigentlich für unreal. Weil man wirklich nicht weiß, wie er das ausführen will. Erst wurde gesagt, er will hier bloß diese Plastinate, diese Scheiben, herstellen. Dann wurde gesagt, ne kleine Ausstellung. Dann wurde das wieder dementiert. Also wir wissen nicht, was er aus dem großen Gebäude machen will. Sicherlich, wenn es um ne Ausstellung gehen würde, würden bestimmt viele andere Zweige - so wie ich auch - hier davon profitieren."
Bei der Agentur für Arbeit indes weiß man nichts von einer geplanten Ausstellung. Von Hagens selber hatte erklärt, seine Leichen weiterhin in China und Kirgisien plastinieren lassen zu wollen. In Guben will er nun, da er die Zustimmung der Stadt erhalten hat, sobald wie möglich mit der Arbeit beginnen.
"Wir wissen noch nicht genau, was auf uns zukommt. Wir halten uns in Guben an diesen Strohhalm fest, dass endlich jemand bereit ist, zu investieren, kann ich nur sagen. Es ist auch vollkommen egal, ob das jetzt mit Leichen ist oder ob es ein Autokonzern ist, der hier Autos bauen würde."
Ob Leichen oder Autos – Guben greift zu.

Plastinat aus der Ausstellung "Körperwelten"© AP