"Man sollte Sportlern bei Dopingfällen auch das Geld wegnehmen"
Für höhere Strafen beim Doping, hat sich der frühere Leichtathlet im Hochsprung, Carlo Thränhardt ausgesprochen. Es wäre überraschend, wenn es bei der am Samstag beginnenden Weltmeisterschaft in Peking nicht neue Fälle geben werde, sagte er.
"Solange Leistung im Vordergrund steht, ist die Versuchung natürlich immer wieder da und es wird nie eine hundertprozentige Aufklärung geben", sagte der frühere Leichtathlet im Hochsprung, Carlo Thränhardt im Deutschlandradio Kultur. "Aber der Weg muss konsequent weiter verfolgt werden, dass auch die Strafen erhöht werden sollten." Man sollte den Sportlern bei Dopingfällen auch das Geld wegnehmen, dass sie in den letzten vier Jahren beispielsweise verdient hätten. "Wenn man ihnen das wegnimmt, glaube ich, dass es vielleicht noch problematischer wird, diese Überlegung zu Ende zu bringen, sich zu dopen oder nicht", sagte der Sportler, der heute Tennisspieler trainiert.
Kritik an Äußerungen von Sebastian Coe
Unverständnis zeigte der erfolgreiche Leistungssportler aus den 80er Jahren angesichts jüngster Äußerungen des neuen britischen Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes (IAAF), Sebastian Coe, der gesagt hatte, die Doping-Vorwürfe seien eine "Kriegserklärung" an seinen Sport. "Wenn man es nett formulieren wollte, ist das relativ unsinnig diese Aussage und wenn man es böse formulieren würde, kann man sich so einen Schwachsinn gar nicht vorstellen", sagte Thränhardt. Er sei sehr überrascht gewesen und könne das nicht nachvollziehen, weil Coe eigentlich ein hochgebildeter Mann sei. Der Druck sei mittlerweile so groß, dass er als Präsident keine andere Wahl haben werde, als sich für mehr Aufklärung einzusetzen. Am morgigen Samstag beginnt die Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Peking.
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Besser kann man es vor Beginn der Leichtathletik-WM morgen in Peking ja nicht ausdrücken als es ein deutsches Magazin getan hat: "Die Disziplinen lauten Doping, Korruption, Stimmenkauf, Gerüchte, Smog". Man mag es angesichts der Meldungslage der vergangenen Wochen kaum glauben, aber ab Samstag wird in der chinesischen Hauptstadt auch Sport getrieben, und spätestens am Sonntag beim 100-Meter-Lauf der Männer – apropos Usain Bolt – steht da die Frage wieder ganz oben: Wie macht der das eigentlich? Seit Monaten sieht sich ja die Leichtathletik Dopingvorwürfen ausgesetzt, der Weltverband tut nach Ansicht einiger nicht genug dagegen. Kurz vor Beginn der Leichtathletik-WM hat ja der Verband den Briten Sebastian Coe als neuen Präsidenten gewählt. Carlo Thränhardt war in den 80er-Jahren einer der erfolgreichsten deutschen Hochspringer, jetzt bei uns in "Studio 9". Schönen guten Morgen!
Carlo Thränhardt: Guten Morgen!
Brink: Sie haben bestimmt die Wahl von Coe verfolgt, zum Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes, und er hat noch, bevor er gewählt worden ist, gesagt, diese ganzen Dopingvorwürfe, das wären eine Kriegserklärung an seinen Sport. Wie interpretieren Sie das?
Thränhardt: Das ist erstmal, wenn man es nett formulieren möchte, ist das relativ unsinnig diese Aussage und wenn man es böse formulieren würde, kann man sich so einen Schwachsinn gar nicht vorstellen. Das hat mich sehr überrascht, weil Sebastian Coe nun wirklich ein hochgebildeter Mensch ist und der mit solchen Vokabeln dann gerade vor so einer wichtigen Wahl umher geht, das hat mich sehr überrascht und kann ich auch nicht wirklich nachvollziehen.
Brink: Nun kann man ja dann davon ausgehen, dass er das mit der Aufklärung in Richtung Dopingvorwürfe nicht ernst meint.
Thränhardt: Wenn das so wäre, ist er natürlich der falsche Präsident, aber ich glaube, dass der Druck mittlerweile so hoch wird, dass er gar keine andere Wahl haben wird, als sich weiterhin für Aufklärung einzusetzen, und was wäre denn die Alternative. Die letzten 16 Jahre ist ja nicht wirklich so viel passiert, wie wir jetzt gesehen haben durch die Berichte der ARD und das finde ich sehr schade. Das Problem ist natürlich, dass gleich unter ... Jede außergewöhnlich gute Leistung fällt sofort unter den Deckmantel, dass diese Leistung nur möglich wäre, wenn man gedopt hat, und das ist das Grundproblem, glaube ich, bei dieser ganzen Dopingdiskussion oder eines der Grundprobleme.
Ich bin der Meinung, dass man außergewöhnlich gute Leistungen auch bringen kann, ohne zu dopen. Das ist vielleicht etwas härter im Training, etwas anstrengender, aber es ist möglich. Gerade jetzt für Jugendliche, die möglicherweise mal auch Leistungssportler werden wollen, dass die im Hinterkopf immer haben, ich kann ja eigentlich nur so gut werden, wenn ich irgendwelche Substitutionen zu mir nehme, und das ist eben nicht so, und da ist auch viel zu wenig Aufklärung gemacht worden die letzten Jahre finde ich.
Ich wollte Komplexe kompensieren
Brink: Sie waren ja in den 80er-Jahren aktiv überaus erfolgreich zu Zeiten des Kalten Krieges. Wie war es denn damals?
Thränhardt: Das war schon ... Also erstmal, als junger Kerl macht man ja Sport, weil man einfach besser werden will aus den unterschiedlichsten Motivationen. Also ich hatte Komplexe zu kompensieren, weil ich als junger Kerl sehr groß war und sehr dünn war und irgendwann wollte man was Besonderes beweisen. Mir hat natürlich Hochsprung unglaublich Spaß gemacht, ich wollte ohne Hilfsmittel so hoch wie möglich von der Erde weg, und irgendwann war ich dann so konditioniert, ich wollte halt immer versuchen, meine Leistung zu verbessern. Ich wollte Rekorde sprengen, und dann war ich irgendwann mal der Beste in Deutschland. Dann braucht man auch Hilfe, da hatte ich einen guten Coach, der mir sagte, du kannst noch besser werden, deine Potentiale ausschöpfen.
Das hat mir einfach unheimlich Spaß gemacht, auch hart zu trainieren. Wenn ich dann aber mitbekommen habe, dass andere relativ wenig trainiert haben und auch relativ hoch gesprungen sind, habe ich mich gefragt, wie kann das denn sein. Und Sie haben es richtig gesagt, Kalter Krieg, es war ja damals auch schon relativ bekannt, dass ja – in Russland gab es diese Gerüchte, in Amerika gab es Gerüchte –, dass da auch gedopt wurde, und das war natürlich dann schon immer schwierig, anzutreten und zu sagen, okay, ist der jetzt gedopt oder ist der nicht gedopt und wenn ja, wie viel Leistung bleibt real von ihm übrig, wenn er jetzt nicht gedopt hätte. Also es war schon oder es ist eigentlich immer, immer schwierig gewesen.
Brink: Es war ja damals schon bekannt, dass es auch im Westen ein Problem ist. Standen Sie auch unter Druck zu dopen oder wurde Ihnen das angeboten?
Thränhardt: Nein, das wurde mir nie angeboten. Ich hatte aber auch Glück, dass ich fast nie einer Stagnation unterlag. Also ich habe mich, Gott sei Dank, jedes Jahr weiterentwickelt und bin nie so wirklich in die Versuchung gekommen. Was mir jetzt gerade einfällt: 1988 in Seoul, als Ben Johnson Olympiasieger wurde, damals mit Weltrekord, war das alles unglaublich und die fanden es toll, die Menschen, und zwei Tage später ist er des Dopings überführt worden. Als ich dann zurück nach Deutschland kam, war die Diskussion eigentlich weniger die, dass man gesagt hat, wie schlimm, dass der die anderen Leute beschissen hat, sondern die Diskussion ging mehr in die Richtung, warum war der so blöd und hat sich erwischen lassen. Und das fand ich damals ziemlich problematisch.
Kein Doping im Tennis
Brink: Nun haben wir das Problem, Sie haben es ja angedeutet, 1988 – also man kann sich vorstellen, über welchen langen Zeitraum wir schon darüber reden. Der frühere Zehnkämpfer Frank Busemann, der ja mal Anti-Doping-Vertrauensmann des Deutschen Olympischen Sportbundes war, der hat gesagt, er lege für keinen deutschen Sportler beim Thema Doping die Hand ins Feuer. Ist das nicht eigentlich bitter?
Thränhardt: Also wenn er das so formuliert hat, ist das sehr bitter. Also für keinen deutschen Sportler – ich arbeite jetzt sehr viel im Tennisbereich, ich habe vorige Woche die ganze Woche mit Philipp Kohlschreiber, mit dem besten deutschen Tennisspieler zum Beispiel, verbracht. Der ist so akribisch, dass er selbst bei Nahrungsergänzungsmitteln erst alles checken lässt, bevor er auch nur irgendwas zu sich nimmt. Also die deutschen Sportler, die ich so kenne jetzt aktuell, gerade im Tennisbereich, da würde ich für jeden die Hand ins Feuer legen, dass die es nicht tun. Also da widerspreche Herrn Busemann ein wenig. Ich kann mir vorstellen, dass es einige gibt und dass es viele eigentlich, glaube ich, mehr gibt, die es nicht tun.
Brink: Woran hakt es denn eigentlich? Warum gibt es keine lückenlose Aufklärung?
Thränhardt: Erst mal wird schon sehr viel gemacht. Ich weiß gerade hier auch beim Davis Cup, bei dem ich im März war, waren die Dopingkontrolleure jeden Morgen, ich sage mal, dreimal die Woche da, 7 Uhr morgens. Das ist schon relativ lückenlos, viel mehr kontrollieren kann man gar nicht. Es ist ja auch kein Dopingfall jetzt im Tennis wirklich aktuell aufgedeckt worden. Es gibt natürlich auch wieder Gerüchte, dass da irgendwas mal war, aber man weiß es tatsächlich nicht. Aber so lange Leistung im Vordergrund steht, ist die Versuchung natürlich immer wieder da, und es wird nie eine 100-prozentige Aufklärung geben. Aber der Weg muss konsequent weiterverfolgt werden, dass auch die Strafen, glaube ich, erhöht werden sollten. Man sollte den Leuten tatsächlich auch das Geld wegnehmen, was sie – die letzten vier Jahre von mir aus – verdient haben, weil es geht ja letztendlich, wenn man im Sport sehr gut wird, immer darum, dass man mehr verdient als andere, und wenn man ihnen das wegnimmt, glaube ich, dass es vielleicht noch problematischer wird, diese Überlegung zu Ende zu bringen, sich zu dopen oder nicht.
Brink: Aber Sie erwarten schon Überraschungen bei der jetzt anstehenden Leichtathletik-WM?
Thränhardt: Überraschungen in Bezug auf Dopingfälle?
Brink: Auf Doping, ja.
Thränhardt: Ob ich die erwarte ... Natürlich, möglich ist alles. Wenn man jetzt sieht, was die letzten Jahre, was die eingefrorenen Dopingproben erbracht haben, wäre es fast ungewöhnlich, wenn es keine Überraschung gäbe, ja. Das ist wahrscheinlich so.
Brink: Carlo Thränhardt, einer der erfolgreichsten deutschen Hochspringer, danke für das Gespräch hier in "Studio 9"!
Thränhardt: Nichts zu danken!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.