Leiden im Dienst der Menschheit
Während um die gentechnische Veränderung von Lebensmitteln heftige Debatten geführt werden, scheint sich kaum jemand dafür zu interessieren, dass seit vielen Jahren immer mehr Versuche mit Tieren durchgeführt werden, die durch Gentechnik manipuliert wurden. Arianna Ferrari weist in ihrem Buch "Genmaus & Co" auf diesen Widerspruch hin und macht auf das Leiden der Tiere aufmerksam.
Die Geburtsstunde der Gentechnologie schlug im Jahr 1973, als US-Forscher Gene erstmals in Bakterien einschleusten. Nur ein Jahr später wurden bereits die ersten Mäuse gentechnisch verändert. In ihrem neuen Buch "Genmaus & Co - gentechnisch veränderte Tiere in der Biomedizin" fächert die Ethik-Expertin Arianna Ferrari auf, in welchen Bereichen und in welchem Umfang heute experimentiert wird: Mäuse werden gentechnisch so modifiziert, dass sie ähnliche Krankheiten wie der Mensch ausbilden. Schweine sollen in der Xenotransplantation zu Organspendern gemacht werden. Das Gene-Pharming will pharmazeutische Substanzen im Körper von Tieren produzieren. Viele Tiere werden von der Grundlagenforschung verbraucht, die mit den anwendungsbezogenen Bereichen eng verzahnt ist. Dennoch fehlen bis heute, wie die Autorin herausarbeitet, in fast allen Ländern der Welt spezifische Regelungen für den Umgang mit Tieren in der Gentechnik - und das, obwohl die Zahl an Tierversuchen dadurch rapide anstieg und ihnen ganz neue Schmerzen und Beeinträchtigungen zugefügt werden.
Gentechnik-Mäuse leiden häufig an krankhaften Veränderungen der inneren Organe, die nicht beabsichtigt sind, und weisen eine erhöhte Sterblichkeitsrate auf. Bis das gewünschte Gentechnik-Tier geschaffen ist, muss immer eine hohe Zahl an Tieren verbraucht werden. Darüber hinaus werden die Versuchstiere, darunter auch Primaten, in einer extrem künstlichen, hochsicheren und sterilen Umgebung gehalten.
Um den Wert biomedizinischer Forschung an Tieren angemessen zu beurteilen, mangelt es an wissenschaftstheoretischen Überlegungen, kritisiert Arianne Ferrari. So gibt es auf die scheinbar simple Frage, welchen Erkenntnisgewinn die Experimente produzieren, bislang erstaunlich wenige Antworten. Mäuse als Krankheitsmodelle etwa sind wissenschaftstheoretisch kaum durchdacht: Einerseits wird ihre Ähnlichkeit zum Menschen betont, denn nur dann kann diese Forschung als aufschlussreich gelten. Andererseits bestehen gravierende Unterschiede: Gentechnik-Mäuse überraschen immer wieder mit Stoffwechsel-Eigenheiten, die niemand interpretieren kann. Auch ihre Lebensspanne unterscheidet sich extrem von der menschlichen. Zugleich wird ihr massenhafter Verbrauch damit gerechtfertigt, dass sie sich vom Menschen stark unterschieden und ihr Leiden deshalb nicht untersucht und beachtet werden müsse. Außerdem: Eine Güterabwägung zwischen Nutzen für den Menschen und Schaden für das Tier ist vor derart schwammigem Hintergrund so gut wie unmöglich - und unterbleibt.
In der ethischen Beurteilung spricht die Autorin sich dafür aus, den Begriff der Tierwürde inhaltlich zu stärken. Wer sich nur auf das Leiden der Tiere konzentriere, stehe vielen Anwendungsgebieten der Gentechnik ohne Maßstab gegenüber, weil Gentechnik oft bereits eingreift, bevor ein Tier überhaupt geboren wurde: Wurde einer durch gentechnischen Eingriff blind geborenen Maus ein Leiden zugefügt? Der Begriff der Tierwürde hingegen verweist darauf, dass eine Instrumentalisierung von Tieren grundsätzlich hinterfragt werden muss. Für Ferrari ist damit nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall diese Instrumentalisierung angebracht sein kann - wenn eine Güterabwägung tatsächlich zugunsten eines vernünftigen menschlichen Nutzens ausfällt. Und so plädiert sie am Ende des Buches auch für Fall-zu-Fall-Entscheidungen bei gentechnischen Experimenten an Tieren. Allerdings fällt ihr Urteil in Bezug auf die derzeitigen Anwendungsgebiete äußerst kritisch aus: Würde die Grundlagenforschung nicht per se Forschungsstrategien verfolgen, die in der Nutzung von Tieren münden, würden alternative Forschungsstrategien erkundet, würden die dürftigen Ergebnisse und extrem hohen Risiken der Xenotransplantation und des Gene-Pharming in Betracht gezogen, würden die wissenschaftstheoretischen Inkonsistenzen von Mäuse-Krankheitsmodellen Ernst genommen, so müssten Tierexperimente in der Biomedizin drastisch reduziert werden, resümiert Ferrari am Ende ihres anspruchsvollen Buches.
Rezensiert von Susanne Billig
Arianna Ferrari: Genmaus & Co - Gentechnisch veränderte Tiere in der Biomedizin
Harald Fischer Verlag, Erlangen
429 Seiten, 49,50 Euro
Gentechnik-Mäuse leiden häufig an krankhaften Veränderungen der inneren Organe, die nicht beabsichtigt sind, und weisen eine erhöhte Sterblichkeitsrate auf. Bis das gewünschte Gentechnik-Tier geschaffen ist, muss immer eine hohe Zahl an Tieren verbraucht werden. Darüber hinaus werden die Versuchstiere, darunter auch Primaten, in einer extrem künstlichen, hochsicheren und sterilen Umgebung gehalten.
Um den Wert biomedizinischer Forschung an Tieren angemessen zu beurteilen, mangelt es an wissenschaftstheoretischen Überlegungen, kritisiert Arianne Ferrari. So gibt es auf die scheinbar simple Frage, welchen Erkenntnisgewinn die Experimente produzieren, bislang erstaunlich wenige Antworten. Mäuse als Krankheitsmodelle etwa sind wissenschaftstheoretisch kaum durchdacht: Einerseits wird ihre Ähnlichkeit zum Menschen betont, denn nur dann kann diese Forschung als aufschlussreich gelten. Andererseits bestehen gravierende Unterschiede: Gentechnik-Mäuse überraschen immer wieder mit Stoffwechsel-Eigenheiten, die niemand interpretieren kann. Auch ihre Lebensspanne unterscheidet sich extrem von der menschlichen. Zugleich wird ihr massenhafter Verbrauch damit gerechtfertigt, dass sie sich vom Menschen stark unterschieden und ihr Leiden deshalb nicht untersucht und beachtet werden müsse. Außerdem: Eine Güterabwägung zwischen Nutzen für den Menschen und Schaden für das Tier ist vor derart schwammigem Hintergrund so gut wie unmöglich - und unterbleibt.
In der ethischen Beurteilung spricht die Autorin sich dafür aus, den Begriff der Tierwürde inhaltlich zu stärken. Wer sich nur auf das Leiden der Tiere konzentriere, stehe vielen Anwendungsgebieten der Gentechnik ohne Maßstab gegenüber, weil Gentechnik oft bereits eingreift, bevor ein Tier überhaupt geboren wurde: Wurde einer durch gentechnischen Eingriff blind geborenen Maus ein Leiden zugefügt? Der Begriff der Tierwürde hingegen verweist darauf, dass eine Instrumentalisierung von Tieren grundsätzlich hinterfragt werden muss. Für Ferrari ist damit nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall diese Instrumentalisierung angebracht sein kann - wenn eine Güterabwägung tatsächlich zugunsten eines vernünftigen menschlichen Nutzens ausfällt. Und so plädiert sie am Ende des Buches auch für Fall-zu-Fall-Entscheidungen bei gentechnischen Experimenten an Tieren. Allerdings fällt ihr Urteil in Bezug auf die derzeitigen Anwendungsgebiete äußerst kritisch aus: Würde die Grundlagenforschung nicht per se Forschungsstrategien verfolgen, die in der Nutzung von Tieren münden, würden alternative Forschungsstrategien erkundet, würden die dürftigen Ergebnisse und extrem hohen Risiken der Xenotransplantation und des Gene-Pharming in Betracht gezogen, würden die wissenschaftstheoretischen Inkonsistenzen von Mäuse-Krankheitsmodellen Ernst genommen, so müssten Tierexperimente in der Biomedizin drastisch reduziert werden, resümiert Ferrari am Ende ihres anspruchsvollen Buches.
Rezensiert von Susanne Billig
Arianna Ferrari: Genmaus & Co - Gentechnisch veränderte Tiere in der Biomedizin
Harald Fischer Verlag, Erlangen
429 Seiten, 49,50 Euro