Leidenschaftlicher Spurensucher
Werner Spies hat in seinem Leben viele Rollen eingenommen: Kunsthistoriker, Kunstvermittler, Museumsdirektor, Journalist. Unter anderem mit dem Maler Max Ernst verband ihn eine tiefe Freundschaft. Die ließ ihn sogar unter ein ganz bestimmtes Bett kriechen, berichtet er in seinen Memoiren.
Der Teppichboden hätte sie fast entmutigt. Doch als der Hotelier meinte, unter dem Bett gäbe es noch Stellen unbedeckten Bodens, gingen Werner Spies und Vincent Rousseau auf Tauchstation. Die beiden Max-Ernst-Experten suchten nach Überbleibseln dessen, was den großen Künstler Jahrzehnte zuvor inspiriert hatte. Und tatsächlich fanden sie kriechend noch Reste des Parkettbodens, in denen Max Ernst 1925 Figurationen und Formen erkannt hatte, und die schließlich in einigen seiner berühmten Frottagen mündeten.
Keine der vielen, vielen Geschichten, die Werner Spies in seinen über 600 Seiten langen Erinnerungen erzählt, illustriert treffender, was ihn zeitlebens angetrieben hat: die leidenschaftliche Beschäftigung mit Spuren, auf die er - wie er im Prolog bekennt - so begierig war wie auf sonst nichts. "Sie kamen mir aufregender und dramatischer vor als festumrissene Ereignisse."
Folgerichtig ist "Mein Glück" auch weniger chronologischer Lebensbericht, als vielmehr der Versuch der Sichtbarmachung von Eindrücken und Abdrücken, die die Begegnung mit herausragenden Literaten und bildenden Künstlern und die Auseinandersetzung mit deren Werken im Autor zurückgelassen haben, und die im wahrsten Sinne des Wortes lebensprägend wurden. Ein Buch wie eine Frottage!
Der 1937 in der schwäbischen Provinz geborene Spies wuchs in beklemmender Enge mit unhinterfragbaren Autoritäten und Dogmen auf. Michael Hanekes klaustrophobischer Film "Das Weiße Band" sei eine Idylle im Vergleich zu seiner Kindheit, schreibt Spies. So wird sein Aufbruch nach Paris Ende der 1950er Jahre zu Ausbruch und Offenbarung. Auf der Suche nach Autoren für den Süddeutschen Rundfunk öffnen sich Spies dort magische Türen.
Sie führen etwa zu Michel Leiris, Nathalie Sarraute, Samuel Beckett und später zu Marcel Duchamp, Max Ernst und Pablo Picasso, um nur einige ganz wenige zu nennen. Die Kapitel über die großen "Umstürzler in Literatur und Kunst" gehören zu den Glanzstücken des Buches. Hier gelingt es Werner Spies, Menschen, Kunstwerke, Begegnungen, Gespräche und Gefühle lebendig werden zu lassen. Allein wie er über Nathalie Sarraute schreibt, ist gleichermaßen berührend wie erhellend.
Anderes gelingt weniger. Spies orientiert sich zwar an den von ihm bewunderten Vertretern des Nouveau Roman und versucht eine gewisse Distanz zu sich und einem überbordenden Ich zu halten. Eben dieses aber bricht dann doch immer wieder durch, und sei es in scheinbar harmlosen Nebensätzen, in denen Spies seine eigenen Leistungen lobt oder den Stolz anderer auf ihn zitiert. Das wirkt mitunter fehl am Platz.
Von solchen Passagen abgesehen, ist "Mein Glück" ein glänzend formuliertes und unterhaltsames Buch, mit dem sich in einige der spannendsten Kapitel der Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts eintauchen lässt. Dass Spies abschließend seine Rolle im Kunstfälscherskandal um Wolfgang Beltracchi mit wenigen Worten und kaum einem echten Bedauerns schildert, tut dem keinen Abbruch.
Besprochen von Eva Hepper
Werner Spies: "Mein Glück. Erinnerungen"
Hanser Verlag, München 2012
608 Seiten, 26,00 Euro
Keine der vielen, vielen Geschichten, die Werner Spies in seinen über 600 Seiten langen Erinnerungen erzählt, illustriert treffender, was ihn zeitlebens angetrieben hat: die leidenschaftliche Beschäftigung mit Spuren, auf die er - wie er im Prolog bekennt - so begierig war wie auf sonst nichts. "Sie kamen mir aufregender und dramatischer vor als festumrissene Ereignisse."
Folgerichtig ist "Mein Glück" auch weniger chronologischer Lebensbericht, als vielmehr der Versuch der Sichtbarmachung von Eindrücken und Abdrücken, die die Begegnung mit herausragenden Literaten und bildenden Künstlern und die Auseinandersetzung mit deren Werken im Autor zurückgelassen haben, und die im wahrsten Sinne des Wortes lebensprägend wurden. Ein Buch wie eine Frottage!
Der 1937 in der schwäbischen Provinz geborene Spies wuchs in beklemmender Enge mit unhinterfragbaren Autoritäten und Dogmen auf. Michael Hanekes klaustrophobischer Film "Das Weiße Band" sei eine Idylle im Vergleich zu seiner Kindheit, schreibt Spies. So wird sein Aufbruch nach Paris Ende der 1950er Jahre zu Ausbruch und Offenbarung. Auf der Suche nach Autoren für den Süddeutschen Rundfunk öffnen sich Spies dort magische Türen.
Sie führen etwa zu Michel Leiris, Nathalie Sarraute, Samuel Beckett und später zu Marcel Duchamp, Max Ernst und Pablo Picasso, um nur einige ganz wenige zu nennen. Die Kapitel über die großen "Umstürzler in Literatur und Kunst" gehören zu den Glanzstücken des Buches. Hier gelingt es Werner Spies, Menschen, Kunstwerke, Begegnungen, Gespräche und Gefühle lebendig werden zu lassen. Allein wie er über Nathalie Sarraute schreibt, ist gleichermaßen berührend wie erhellend.
Anderes gelingt weniger. Spies orientiert sich zwar an den von ihm bewunderten Vertretern des Nouveau Roman und versucht eine gewisse Distanz zu sich und einem überbordenden Ich zu halten. Eben dieses aber bricht dann doch immer wieder durch, und sei es in scheinbar harmlosen Nebensätzen, in denen Spies seine eigenen Leistungen lobt oder den Stolz anderer auf ihn zitiert. Das wirkt mitunter fehl am Platz.
Von solchen Passagen abgesehen, ist "Mein Glück" ein glänzend formuliertes und unterhaltsames Buch, mit dem sich in einige der spannendsten Kapitel der Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts eintauchen lässt. Dass Spies abschließend seine Rolle im Kunstfälscherskandal um Wolfgang Beltracchi mit wenigen Worten und kaum einem echten Bedauerns schildert, tut dem keinen Abbruch.
Besprochen von Eva Hepper
Werner Spies: "Mein Glück. Erinnerungen"
Hanser Verlag, München 2012
608 Seiten, 26,00 Euro