"Leigh Bowery"-Monografie

Ein feierwütiges Gesamtkunstwerk

"The Voice"-Finalist Sam Buttery als Leigh Bowery im Brixton Club House in London (2012)
Eine Hommage - "The Voice"-Finalist Sam Buttery als Leigh Bowery © imago/United Archives International
Von Eva Hepper |
Er war eine der schillerndsten Figuren im London der 80er-Jahre - ein Szene-Grenzgänger und Gesamtkunstwerk. Mit "Leigh Bowery - Verwandlungskünstler" erscheint zum 20. Todestag nun Angela Stiefs reich bebilderte Monografie - ein Maßstäbe setzendes Kunstbuch.
Man kann sich gar nicht sattsehen an diesen Fotos. An den irrwitzigen Schnitten und Materialien der Kostüme. An den Hutkreationen, den sagenhaft geschminkten Gesichtern und Körperbemalungen. An all dem Gold, Glitter, Strass und den Tonnen von Make-up und Haarspray.
Kein Wunder, dass Leigh Bowery mit seinen extravaganten Outfits und aufwändigen Maskeraden, Verkleidungen und Travestien zu einer der schillerndsten Figuren im London der 80er Jahre wurde. Als Grenzgänger zwischen Hoch- und Subkultur pendelte der gelernte Schneider lustvoll zwischen Mode-, Kunst- und Clubszene. Nicht weniger als ein Gesamtkunstwerk wollte er sein, den eigenen Körper machte er zur Skulptur, die Kostüme verstand er als Erweiterung seiner selbst.
Wie innovativ und wegweisend er damit war, offenbarte sich erst nach seinem AIDS-Tod 1994 mit 33 Jahren. Nach Ausstellungen weltweit – darunter auf der Biennale in Venedig –, nach Filmen und Musicals erscheint zum 20. Todestag eine umfassende und reich bebilderte Monografie. Herausgeberin Angela Stief versteht sie als "kuratierten Bildband" und lässt Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftler und auch eine enge Weggefährtin Bowerys zu den wichtigsten Themen schreiben, die den Künstler umtrieben.
Feiern gegen den Neoliberalismus
Thomas Mießgang etwa widmet sich Bowerys "Kunst des Ausgehens". 1980 hatte der damals 19-Jährige seinem Heimatland Australien den Rücken gekehrt und war kopfüber in die vibrierende Clubszene Londons eingetaucht. Es ist faszinierend zu lesen, wie Mießgang die feierwütige Zeit und ihre Protagonisten als Gegenmodell zum Neoliberalismus der Thatcher-Zeit beschreibt. Hier fiel Bowery nicht nur auf, hier knüpfte er seine wichtigsten Kontakte; zu Boy George, zu John Galliano oder zu dem Choreografen Michael Clark. Sie alle öffneten ihm Türen zu anderen Szenen.
Provokant und drastisch fielen Bowerys spätere Performances aus, wie Anne Marsh beschreibt. Den massigen Körper mit Schnüren gebunden, mit Sicherheitsnadeln und Wäscheklammern malträtiert, agierte Bowery nicht selten kopfüber an den Füßen hängend mit Urin, Blut und Kot. Marsh zeigt, wie sehr er damit in der Tradition der Körperkunst der 60er-Jahre stand und diese maßgeblich weiterentwickelte.
Überwindung von Gender-Grenzen
Es ist wunderbar, dass viele dieser Aktionen sowie Kostüme und Looks mit langen Bilderstrecken dokumentiert werden. Hier wird etwa deutlich, wie mühelos Bowery Gender-Grenzen überwand - lange bevor das Schlagwort in Mode kam. Oder wie inspirierend seine Arbeit auch für Designer wie etwa Vivian Westwood, Jean-Paul Gaultier oder John Galliano war (von Epigonen wie Lady Gaga gar nicht zu sprechen).
Der hervorragend gestaltete Bildband bietet eine beeindruckende Materialfülle und wissenschaftlich präzise Texte. Zudem lässt er mit dem fiktiven Brief der Weggefährtin Sue Tilley und Martin Gayfords Essay über die Freundschaft zwischen Leigh Bowery und dem Maler Lucian Freud auch den Menschen hinter all den Maskeraden und Verhüllungen zum Vorschein kommen. Ein Maßstäbe setzendes Buch nicht nur für Bowery-Fans!

Angela Stief: Leigh Bowery. Verwandlungskünstler
Piet Meyer Verlag, Bern 2015
300 Seiten, 48,50 Euro

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